“Turm II” von Werner Pokorny auf dem Campus Riedberg / 2
Grosse Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, so schrieben wir, als wir kürzlich die Errichtung einer grossen Skulptur von Werner Pokorny auf dem Campus Riedberg der Goethe-Universität ankündigten. Am kommenden Freitag soll es so weit sein, wenn nicht allzu winterstrenge Wetterbedingungen dem menschlichen Streben einen Strich durch die Rechnung machen; die Universität hat für 12 Uhr zum Akt der Aufstellung des Kunstwerks eingeladen.
Wir hatten am Wochenende Gelegenheit, den Künstler in seinem an einem bewaldeten Hang über Ettlingen gelegenen Atelierhaus zu besuchen und „Turm II“ unter freiem Himmel inmitten eines kleinen, verschneiten Skulpturenparks zu bewundern. War es dem durchsonnten Wintervormittag, der Schönheit der in den rostgoldenen Farben des Spätherbstes leuchtenden Patina der Plastik oder dem genius loci geschuldet, dass wir uns kaum von diesem Anblick lösen wollten: es kamen sicherlich alle drei Momente zusammen. Wir mussten mit der Hand über diese so sanft anmutenden Oberflächen fahren, mit unseren Augen dem Spiel der Farben in den warmen Tönen des Schwarzwälder Honigs folgen, der unseren Frühstückstisch bereichert hatte. Bevor wir weiter ins Schwärmen geraten, sollten wir unseren geschätzten Leserinnen und Lesern diesen Anblick nicht länger vorenthalten:
Und ein Zeugnis ablegen von der farbigen Pracht der – noch jungen – Edelrost-Patina des Corten-Stahls:
Noch jung nannten wir diese Patina – sie wird im Laufe der Jahre, dem stetigen Wechsel der Witterung ausgesetzt, deutlich dunkler werden und das tiefe Braunrot der Palette annehmen. Sie wird mitvollziehen, was aller Natur und dem Menschen bestimmt und vorgegeben ist: zu altern, in einer ganz besonderen Weise und in einer stillen Würde.
Mancher Zeitgenosse wird es, vielleicht mit einigem Stirnrunzeln, Rost nennen, was er da erblickt. Nun gut, es ist eine Art von Rost, aber eine besondere: denn sie gerade verhindert das mittelfristige eigentliche Durchrosten des Stahls, sichert ihm eine überaus lange, Menschenalter übersteigende Lebensdauer, wenn auch nicht für die Ewigkeit, vor der ohnehin nichts Bestand hat.
Es handelt sich um Corten-Stahl, der Name ist abgeleitet aus den Begriffen CORrosion resistance und TENsile strength, einen für Korrosionwiderstand wie Festigkeit geschätzten, je nach Verwendungszweck mit Kupfer, Nickel, Chrom, Phosphor oder Silizium legierten Feinkornbaustahl, hervorragend geeignet für ein breites Anwendungsspektrum vom Brückenbau bis zur Fassadengestaltung. Unter dem Einfluss der Oxidation bildet die Oberfläche eine dünne wie harte, auf Dauer anhaftende „Edel“-Rostschicht, die den darunter liegenden Stahl vor weiterer zerstörerischer Korrosion schützt. Und gerade diese Materialqualität und dieser Edelrost mit seiner wunderschönen Patina sind die Eigenschaften, die Künstler und Architekten seit langem zu anspruchsvollen Kunstwerken und Baugestaltungen inspirieren.
Dieser willkommene Prozess nimmt unter freiem Himmel etwa ein bis drei Jahre in Anspruch; nicht zuletzt bei einer Verwendung in Innenräumen kann man ihn unter Einsatz von Sandstrahlung nebst die Oxidation befördernden sauren Lösungen beschleunigen.
Eine Schatzkammer unter freiem Himmel: Skulpturenpark im Schnee vor dem Atelierhaus des Bildhauers Werner Pokorny
Werner Pokorny, 1949 in Mosbach im Odenwald geboren, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen deutschen Holz- und Metallbildhauern. Er studierte Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei den Professoren Hans Baschang, Horst Egon Kalinowski und Günter Neusel, ferner Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe sowie an besagter Akademie, an der er später eine Gastprofessur innehatte. 1998 wurde er zum Professor für allgemeine künstlerische Ausbildung, Schwerpunkt Bildhauerei, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart berufen.
Pokorny ist 1. Vorsitzender des Künstlerbundes Baden-Württemberg und Mitglied im Deutschen Künstlerbund und der Darmstädter Sezession. Seine Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen füllen einige Seiten seiner bibliophil gestalteten Kataloge. Seine Arbeiten sind europaweit im öffentlichen Raum wie auch in Sammlungen vertreten. Der Künstler lebt und arbeitet in Ettlingen.
„Turm II“ ist eine Hohlkörperskulptur, aus Corten-Stahlplatten zusammengeschweisst. Die Stahlbleche lassen sich hervorragend verarbeiten und dabei zu Rundungen biegen. Die Schweissnähte werden sorgfältig geschliffen und die entstandenen Körper sandgestrahlt. Die eigens für den Campus Riedberg konzipierte, rund zwei Tonnen wiegende Skulptur misst 6,35 Meter in der Höhe und je zwei Meter in der Breite. Die beiden unteren und die drei oberen Körper bilden jeweils bereits eine fertige Einheit, beide Elemente werden in Frankfurt während der Montage vor Ort zur endgültigen Skulptur verschweisst.
Pokorny fertigt zu seinen Plastiken zunächst aus Stahlblechen Modelle im Massstab 1 : 10. Nach Prüfung und Überarbeitung der Formen und Proportionen baut er anschliessend die Skulpturen in Originalgrösse.
Modell des „Turm II“ in der Atelier-Werkstatt des Künstlers
In „Turm II“ erkennen wir sofort das Haus, neben gralartigen Schalen, an den Brustkorb erinnernden Rippen, Spindeln und Spiralen, Rauten, Kreisen und Pyramiden eines der Schlüsselmotive des Künstlers, vielleicht das elementarste überhaupt. Unschwer könnte ein Architekt ein der Skulptur entsprechendes, sich mit der Frankfurter Skyline messendes Hochhaus errichten. Aber an der Spitze dieses (Hoch-)Hauses sehen wir ein weiteres, ein „richtiges“ Haus, in menschlicher Dimension, einem Wohnhaus entsprechend, schlicht in einfacher geradliniger Architektur, mit konventionellem Giebeldach, wie es in jeder Siedlung stehen könnte, von einem kleinen Wirtschafts- oder Ziergarten umgeben.
Behausung, Heimat für eine oder zwei Familien. Haus, Behausung, Bergung, Lebens-, Entfaltungs- wie auch Schutzraum. In dem der Skulptur immanenten Spannungsfeld der krasse Gegensatz zum Hochhaus; mit letzterem assoziieren die meisten protzige Konzernzentralen, Bankgebäude von imperialer Attitüde, Machtansprüche wie reale, Gesellschaft und Politik beherrschende Macht schlechthin verkörpernd. Natürlich denken wir an den Turmbau zu Babel: „Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen“ (1. Mose, 11). Chiffre uralter, fortdauernder, heute globaler menschlicher Hybris.
Da ist aber noch etwas zu entdecken in diesen fünf bauklötzchenhaften Elementen des „Turm II“. Ja, auch wir hatten eine kindliche Spielkiste voll mit jenen kleinen Quadern und Würfeln, kreisrunden Scheiben und allerlei Dreieckskörpern, aus wirklichem Holz waren sie noch und nicht wie heute zumeist aus Kunststoff, wir fügten sie mit unseren Spielkameraden zu Häusern, Türmen und kleinen Städtchen, die wir uns gegenseitig wieder zerstörten, um den Aufbau von neuem zu beginnen. Ähnlich der Burgenbau im eigenen Sandkasten unseres Gartens, auch er eine Attraktion für die Nachbarskinder.
So scheint doch ein Stück des Mythos‘ vom Turmbau zu Babel in jedem Kind und späterem Erwachsenen angelegt zu sein wie der spielhafte Trieb, die Erdgebundenheit der horizontale Welt verlassend in die Höhe zu konstruieren. So experimentiert und spielt auch der Künstler in seinem „Turm II“ mit den elementaren Formen, fügt Quader und Kuben mit Scheiben und einem dreieckigen Prisma an der Spitze zu einer in sich versetzten und gedrehten, gewagt ausbalancierten und doch so stabil ruhenden Konstruktion. Das Spielerische verleiht „Turm II“ eine sympathisch-menschliche Dimension, die warme Patina wirkt anziehend auf uns. Wir würden diesen Turm gerne täglich in unserem Garten begrüssen wollen, wenn – ja wenn dieser denn gross genug dafür wäre.
Skulpturen wirken weit in den sie umgebenden Raum hinein, sie kommunizieren mit ihm und vermögen ihn zu verändern, ihm neue Bedeutungen zu erschliessen. Wie wird sich „Turm II“ auf dem den Naturwissenschaften gewidmeten Campus Riedberg ausnehmen, welchen Fix- und Orientierungspunkt wird er den Studierenden wie Lehrenden vermitteln, in einer Umgebung von post- und post-postmoderner, im einzelnen durchaus spektakulärer, als Ensemble jedoch wenig schlüssiger und in manchem eher chaotisch-orientierungslos erscheinender Bebauung?
Anschliessend ein Blick in die Atelier-Werkstatt des Künstlers, in der all diese bewundernswerten Skulpturen, die uns Betrachtenden im frischen Dezemberschnee bezaubern, in feinster, penibler handwerklicher Arbeit passgenau entstehen:
Spiralen aus gewundenen Stahlblechen, allerlei Maschinen und Schweissgerät, und immer wieder Häuser … der Künstler in seinem Arbeitsumfeld
Abgebildete Kunstwerke © VG Bild-Kunst, Bonn; Fotos: FeuilletonFrankfurt
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