Jörg Ahrnt: „Maker Unknown“
Nach einem tragischen Unfall des langjährigen Kunst-Kurators der Frankfurter Weissfrauen Diakoniekirche Gerald Hintze war es dort über einen längeren Zeitraum hinweg still geworden um die Präsentation zeitgenössischer Kunst. Nunmehr, gut eine Woche vor den Ostertagen, eröffneten der neue Ausstellungsleiter Thomas Kober und Ausstellungskurator Peter Cross die Installation „Maker Unknown“ des Frankfurter Künstlers Jörg Ahrnt.
Man könnte nun einen sozusagen geraden, einfachen Weg zur Rezeption dieser Arbeit gehen – und vermutlich manch missbilligendes Naserümpfen des Expertentums kassieren. Tun wir es zunächst trotzdem:
Wer die Kirche betritt – sie ist zwar längst keine Gemeindekirche mehr, aber als Diakoniekirche auch nicht profaniert – , gewahrt erst bei näherem Hinsehen das schwarze, etwas bühnenähnliche Podest mit dem Teppich, schräg vor Altarraum, Predigtpult und Taufbecken platziert, diesen leicht entgegengeneigt. Der Teppich: ein Kelim, in aller Regel anatolischer, kaukasischer oder persischer Provenienz. Eines ist klar: das Stück entstammt der Handwerkskunst des islamischen Raums.
Was nun kann so falsch sein an einem Gedankengespinst, das sich mit spirituellen Vorstellungen vermählt, etwa der gleichzeitigen Gegenwart dieses bilderlos-ornamentalen, sicher auch zum niederknienden Gebet geeigneten Teppichs vor einem christlichen Altar, einem schlichten, für das Christentum stehenden Kreuz, vor dem mit dem Alpha und Omega und dem Chi-Rho des Christusmonogramms versehenen Pult, vor der an die siebenarmige Menorah erinnernden Reihe der sieben Leuchter, für die jüdisch-christliche Tradition gleichermassen stehend? Und darf man dann einer Vision nachsinnen, einer Hoffnung auf Dialog, auf Verständigung zwischen den drei grossen abrahamitischen Buchreligionen?
Nun, das alles wäre soweit zwar schön und gut, aber im kontemporären Kunstbetrieb doch viel zu „simpel“ gedacht, in dem wirkliche Kunst doch zumindest streng konzeptuell daherkommen muss und sich erst nach dem Beschreiten eines um vielerlei Ecken und Kanten herumführenden Weges rezipieren lassen will. Naja, das war jetzt vielleicht ein wenig ketzerisch.
Also begeben wir uns jetzt auf den schwierigeren, eckigen und kantigen Weg, wie ihn uns Peter Cross zwar weist, wenn auch eben nicht wirklich ebnet.
Im Sommer 2009 fand Jörg Ahrnt den Teppich auf der Strasse. Und er formulierte alsbald die Frage „Was soll ich damit tun?“, als Ausgangspunkt allen weiteren Geschehens. Es führte ihn hinein in eine tiefe „künstlerische Forschung“; in jenen hoch diskursiven Prozess also des Befragens der uns umgebenden materiellen wie auch wohl immateriellen Erscheinungsformen mittels wissenschaftlicher als auch künstlerischer Herangehensweisen, wie er an den Akademien und Hochschulen bereits seit längerem diskutiert wird. „Künstlerische Forschung“ unternimmt Versuche, den – früher stets angenommenen und als real unterstellten – Gegensatz zwischen Kunst und Wissenschaft transparent zu machen, vielleicht einmal aufzulösen. Kann Kunst auch Forschung sein, kann Forschung zu Kunst werden? Können Erkenntnis und Wissen zu neuer, gleichsam gefühlter Erkenntnis, zu neuem, gleichsam gefühltem Wissen werden?
Zitieren wir Ausstellungskurator Peter Cross: „Künstlerische Forschung … ereignet sich, wenn ein Künstler ein nichtkünstlerisches Objekt oder Phänomen seiner Arbeitspraxis integriert. Es ist eine parallele Aktion zum Herstellen von Kunst selbst, aber komplementär dazu, und besonders heute verschwimmen die Unterschiede zwischen Forschung und Produktion zunehmend. Und doch besteht ein Unterschied. Dieses Fakt selbst erlaubt unerwartete Möglichkeiten und Entdeckungen. Während wissenschaftliche Forschung empirisch ist und auf Sprache basiert, ist künstlerische Forschung frei, ergebnisoffen und kann, indem sie ihre Befragungen und Bewegungen ins Unerwartete und Unbekannte fortsetzt, kritische Intervention im Feld der Wissenschaftsproduktion sein. Sie ist zugleich eine Art Tagtraum, eine Gelegenheit, ausserhalb der selbstauferlegten Grenzen gewöhnlicher Kunstpraxis zu arbeiten.“
Jörg Ahrnts Verhältnis zum gefundenen Objekt war sogleich ambivalent. Er studierte die Farben- und Formenvielfalt des Teppichs und ging ihren Traditionen auf den Grund. Er befragte Teppichhändler und Orientalisten und erhielt die mehrheitliche Einschätzung, das rund 100 Jahre alte Stück stamme aus einer für ihr hochwertiges Kunsthandwerk bekannten Region, die früher zum Armenischen Reich gehörte und einen der ältesten Orte der Zivilisation darstelle. Sie bescheinigten dem Fundstück, dass es aufgrund seiner Farben, Formen und Ornamentik sowohl auf christliche wie auf islamische Einflüsse zurückgehe und diese repräsentiere.
Im weiteren Studium wurde Ahrnt auf den Teppich im Zentrum des bekannten Gemäldes „Die Gesandten“ von Hans Holbein d. J. aufmerksam, einem der unter den vielen zwischen den beiden Personen abgebildeten Attributen naturwissenschaftlicher, kultureller, geografischer und theologischer Art, die die beiden Dargestellten als Repräsentanten einer hochangesehenen und wohlhabenden Bildungs- und Bürgerschicht – und besagten Teppich damit als ein Symbol für Reichtum und Macht – ausweisen. Dabei wurde klar, dass einem solchen Teppich bereits damals – neben der kaum mehr wahrgenommenen Funktionalität eines strapazierfähigen Nomadenteppichs zum heimischen Gebrauch – das Ansehen eines luxuriösen, von weit her importierten Konsumguts zukam. Mit dem Verschwinden nomadischer Lebensformen wurden solche Teppiche mehr und mehr fast ausschliesslich als devisenbringende Exportartikel gefertigt.
Hans Holbein d. J., Die Gesandten, 1533, Öl auf Eichenholz, 209,5 x 207 cm, National Gallery London; Bildnachweis: wikimedia commons / Google Art Project
In der Folge studierte der Künstler allerlei Literatur: über den Untergang von Ethnien und Traditionen, über den Wert und das Sammeln von textilen Gegenständen und Antiquitäten, die Begehr nach dem Antiken, Verlorengegangenen, die sich in „einer Abwesenheit von Sprache“ ausdrückende Entfremdung gegenüber dem Abwesenheit und Fremdheit bereits in sich tragenden Fundobjekt. Ahrnt machte dabei eine entscheidende Entdeckung – und wir dürfen erneut Peter Cross zitieren: „Gerade indem er diese Differenz eingestand, indem er den Kelim in die Kategorie ‚Volkskunst‘ und sein eigenes Vorgehen in die Kategorie ‚zeitgenössische Kunst‘ einordnete, setzte er den Mythos der Differenz, des Exotischen, des Orientalischen, des ‚Anderen‘ zur kapitalistischen normativen Ordnung fort, die er eigentlich in Frage stellen wollte.“ Ein entscheidender Punkt.
Was Ahrnt aufzeigen möchte: eine Welt entweder der Entwürdigung oder der Fetischierung, Mythologisierung der Objekte, der Entfremdung durch Konsum, „irgendwo zwischen IKEA, Sotheby’s und Müllhalde“ (Peter Cross). Der Künstler erklärt seine Präsentation nicht. Er zeigt auch keine Dokumentation der zwei Jahre seiner künstlerischen Forschung, die andere Künstler zu dem kompletten Inhalt ihres Werkes gemacht hätten. Vielmehr verweist er auf die „Möglichkeiten des Objekts“ als eines dynamischen Prinzips: eben jenes „Maker Unknown“. Der Rezensent ist ebenso wie jeder Betrachter aufgerufen, seine eigene Rolle im Rahmen dieser Möglichkeiten einzunehmen.
Entscheiden Sie sich nun, verehrte Leserinnen und Leser, für den einfacheren oder den schwereren Weg zum Kunstwerk. Oder gehen Sie doch einfach beide.
Jörg Ahrnt, 1965 geboren, studierte bis 1994 Kunst an der Hochschule für Gestaltung HfG Offenbach. Er war Stipendiat der Mosbach-Stiftung und erhielt 2004/2005 ein Reisestipendium (Iran) der Hessischen Kulturstiftung. Der Künstler bestritt zahlreiche Ausstellungen, neben Frankfurt am Main unter anderem in Aschaffenburg, Berlin, Göttingen, Halle, Heidelberg, Joao Pessoa (Brasilien), Köln, München, Shiraz, Teheran und Zürich. Ahrnt lebt und arbeitet in Frankfurt am Main.
Jörg Ahrnt, Maker Unknown, Weissfrauen Diakoniekirche Frankfurt am Main, bis 27. April 2012
Fotos/Ausstellungsansichten: FeuilletonFrankfurt