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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

20 JAHRE MUSEUM FÜR MODERNE KUNST FRANKFURT AM MAIN (2)

Massimo Bartolini: Double Shell

In der derzeitigen Jubiläumsausstellung versteckt sich in der Ebene 1 des MMK-Stammhauses ein Kunstwerk, das die meisten Besucherinnen und Besucher übersehen werden. Lediglich ein kleines Schild an der Wand liefert zunächst einen Hinweis. Dann gilt es, sich umzuschauen und sich unter den Museumsaufseherinnen behutsam durchzufragen. Die Mühe lohnt sich. Eine Hand wird sich, wenn man geduldig ist, öffnen und ein Geheimnis preisgeben.

In der Hand befindet sich eine perlmuttfarbene Zuchtperle. Ob eine Süss- oder Salzwasserperle, lassen wir einmal dahingestellt sein. Zuchtperlen entstehen über einen mehr oder weniger langen (oft Jahre währenden) Zeitraum, wenn man Muscheln ein kleines Transplantat einsetzt. Weder Spender- noch Empfängermuschel werden dabei von der Perlen- und Schmuckindustrie um Zustimmung zu der Prozedur gebeten.

„Double shell“ – und damit beziehungsreich-doppeldeutig – betitelt Massimo Bartolini seine Arbeit.

„Shell“: Schale, Hülle, Gehäuse. Muschel, Schneckenhaus.

Friede also und Geborgenheit.

Aber auch: Patrone, Granate, Bombe. Gerippe, Rumpf, Ruine.

Vernichtung und Apokalypse.

Massimo Bartolini, Double Shell, 2001; Performative Installation: Zuchtperle (in der Hand einer Aufsichtsperson)

Eine kleine, aufgeschnittene, ihres Kerns entledigte Perle: verborgen wie geborgen in schützender Hand der Aufsichtsperson. „Double shell“: Schützt die zarte Perlmuttschale wiederum etwas ihr als ein Geheimnis Innewohnendes? „Double shell“: Oder könnte sie – wieviel gewaltige Vernichtungskraft hält ein Gramm hochangereichertes Plutonium bereit – zur Granate, zur Bombe werden? Es liegt – im Kunstwerk sinnlich verkörpert – in der Hand des Menschen, den die Schöpfung zum Guten ebenso wie zum Bösen und Abgründigen befähigt.

„Double shell“ bezieht, will man das Werk betrachten und sich mit ihm auseinandersetzen, die Institution „Museum“ – mit all den Exponaten und den diese Beschützenden und Bewachenden – ebenso ein wie die Institution „Betrachter“. Und verlangt Letzterem eine ganze Menge an Zuwendung und Energien ab: Kunst kommt nicht von allein zu uns, wir müssen auf sie zugehen, sie suchen, sie uns erarbeiten, mitunter erkämpfen. Vielleicht hat sie das mit etwas Anderem und doch Verwandtem gemeinsam: dem Glauben.

Massimo Bartolini, 1962 in Cecina bei Livorno geboren,  wäre auf den ersten Blick der Konzeptkunst, in der Tradition der Arte Povera zuzuschreiben. Er beschäftigt sich vornehmlich mit der vermeintlichen Sicherheit, mit der wir uns in der von uns wahrnehmbaren Welt bewegen. Doch entzieht sich Bartolini in seiner Eigenwilligkeit und meditativen Haltung der Einordnung in herkömmliche Klassifizierungen.  Mal lässt er die Betrachter sich auf rotierenden und schwankenden Böden bewegen, mal entfaltet in seinen Performances eine Gruppe von Akteuren Kraftströme und Energien, denen sich der Betrachter aussetzen soll. Massimo Bartolini fordert und fordert heraus – nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger.

Der Künstler lebt und arbeitet in Livorno.

(Fotos: FeuilletonFrankfurt)

→  20 Jahre Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main (3)

 

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