Das Bilderhaus zeigt: Cordelia Heymann „Schöne neue Welt“
Mondo Cane – Von der Wiege bis zur Bahre
von Brigitta Amalia Gonser
Kunstwissenschaftlerin
1955 in Frankfurt am Main geboren und hier lebend, studierte Cordelia Heymann zwischen 1974 und 1984 zuerst Kunsterziehung an der Frankfurter Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und anschliessend Freie Malerei an der Akademie der Bildenen Künste in Karlsruhe.
1992 wurde sie Preisträgerin der Frankfurter Marielies-Hess-Stiftung. 2001 erhielt sie das Budapest-Stipendium der Stadt Frankfurt am Main.
Sie stellte in Frankfurter Galerien und Institutionen, im Kunstverein Jena, im Künstlerhaus Karlsruhe und im Künstlerforum Bonn aus und beteiligte sich wiederholt an den Kunsttagen in Dreieich und mit ihren Künstlerbüchern an der Minipressen-Messe in Mainz. Sie ist auch Gründungsmitglied der Frankfurter Klosterpresse im Frankensteiner Hof.
Eine symbolhafte Ästhetik dominiert das künstlerische Werk Cordelia Heymanns, so auch die nach 2000 entstandenen Zyklen von grosszügigen, lockeren Zeichnungen und ihre Malerei.
Von der haardünnen Umrisslinie in Kohle oder Fettkreide über dichte Gespinste in Mischtechnik aus Zeichnung, Acryl, Farbspray über Schablone und Farbpigmenten zur dramatischen und pastösen Malerei in Eitempera reicht ihre künstlerische Bandbreite, die stets einen für die Künstlerin spezifischen Duktus und eine eigene Thematik aufweist, die sie leicht zynisch verfremdet „Schöne neue Welt“ nennt.
Auf der Suche nach neuen suggestiven Ausdrucksformen für reale und imaginäre Seins-Zustände entwickelt Cordelia Heymann in ihren Arbeiten prägnante Metaphern und Symbole.
Die Imagination ist die wichtigste Quelle ihrer Kreativität. Doch sie will auch Ideen vermitteln, die zum Nachdenken anregen. Um zu offenbaren, vereinfacht sie ihre Formensprache.
o.T., 2010, Zeichnung, Kohle, Pigment, 29 x 42 cm
So gestaltet sie traumähnliche, symbolistische Szenerien mit pointierten Metaphern, voller Ungewöhnlichem und Unaussprechlichem, zu „il mondo cane“, dieser unserer Hundewelt.
o.T., 2008, Zeichnung, Kohle, Pigment, 29 x 42 cm
In ihrer „Schönen neuen Welt“ begegnen wir dem bildhaften Ausdruck der ganzen Tragweite der Tragödie des Menschen, mit seinen damit verbundenen Ur-Ängsten, auf seinem Wege von der Wiege bis zur Bahre. Eine Welt, in der, mit den Worten des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus, „homo homini lupus est“, der Mensch des Menschen Wolf ist.
In diese Welt wird das Neugeborene, noch an die Nabelschur gekettet, hinausgeschleudert.
Und man findet sich als Betrachter im Land der tausend Schleier wieder, in Afrika an der Wiege der Menschheit, bei den Beduinen, den nomadischen Wüstenbewohnern.
o.T., 2010, Zeichnung, Kohle, Pigment, 29 x 42 cm
Frauen in weisss, gar nicht bösartige women in white, beleben die übernatürlichen Szenen. Es sind vollverschleierte Mütter oder Ammen in weissen Gewändern mit Säuglingen im Arm: Ernährerinnen, Retterinnen in der Wüste, eines noch jungen zukünftigen Lebens.
Hund und Wolf mutieren nun bei Cordelia Heymann zur „Lupa Romana“, der Wölfin von Rom, die der Legende nach die Waisenknaben Romulus und Remus gesäugt hat. So begegnen wir in ihren Zeichnungen einer Symbiose zwischen Mensch und Tier. Die Wolfshündin trägt auch die Mutter mit dem Kinde, quasi als Paraphrase der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten.
o.T., 2006, Zeichnung, Kohle, Pigment, 29 x 42 cm
Oder sie balanciert die Wippe mit dem Neugeborenen und der schweren Last seines Schicksals und wickelt die Winde auf mit dem Lebensfaden des Säuglings.
o.T., 2006, Zeichnung, Acryl, Pigment, 49 x 70 cm
Aber der schwarze Sensenmann kommt auch auf der Wolfshündin daher geritten. Während der dunkle Todesengel schwerbeladen die weiße Frauenleiche und deren Seele trägt.
Da wird die Wolfshündin zum Zerberus, dem „Dämon der Grube“, in der griechischen Mythologie der Höllenhund und Torhüter, der den Eingang zur Unterwelt, dem Hades, bewacht.
Angesichts steter Lebensbedrohung und der Totenschädel, die als Vanitassymbole, also Zeichen der Vergänglichkeit, die Lebenspfade pflastern, scheint Cordelia Heymann dem Betrachter zuflüstern zu wollen: „Carpe diem!“, nutze und erfreue dich jeden Tages.
Ausstellungsansicht, o.T., 2008, Kreidezeichnung, 49 x 70 cm, und drei bemalte Metallobjekte auf Holzsockeln, 2010
Erst wenn ihre Frauengestalten zusammen mit den Wolfshunden als faszinierende, dünne und bemalte Metallobjekte in den Raum hinaustreten, werden die weissen Schleier zu einer Armada schwarzer Tschadors, während die Säuglinge weiss bleiben.
Mit diesen filigranen Objekten erobert sich Cordelia Heymann ein neues Medium, neben Zeichnung und Malerei.
Das so sichtbar werdende Menschenbild der Künstlerin ist aber auch Teil ihres Weltbildes.
Es beschäftigen sie bedrohte Lebensräume, indigene Kulturen, nachhaltige Wirtschaftsformen, kollektive Arbeitsweisen und die Stellung der Frau, aber auch das Dilemma der Entscheidung zwischen Gemeinschaft und Individuum. Denn in ihren Arbeiten auf Papier treten die Menschen als isolierte Einzelwesen auf. Hingegen ist die Gemeinschaft nicht nur für die indigene Lebensweise von zentraler Bedeutung, sondern auch für bestimmte Insekten. Weshalb Cordelia Heymann Ameisen und Heuschrecken faszinieren, die sie in ihren Werken parabelartig einsetzt.
Ausstellungsansicht, vier Zeichnungen, o.T., 2010, Acryl, Pigment, Farbspray über Schablone, je 60 x 86 cm, mit bemaltem Metallobjekt auf Holzsockel, 2010, 49 x 26 x 7 cm
Ameisen sind ein Erfolgsmodell der Evolution: Die Insekten leben in perfekt organisierten Gemeinschaften. Diese Kraft des Kollektivs befähigt die Winzlinge zu ungewöhnlichen Leistungen. Die Sechsbeiner sind unentbehrlich für das Ökosystem. Deshalb bevölkern die kleinen Staatsgründer so manches Bild der Künstlerin. Wobei sie quasi von Farbstrudeln mäandernder Urströme samt ihrer Larven und Puppen angeschwemmt werden.
o.T., 2010, Zeichnung (Detail), Acryl, Pigment, Farbspray über Schablone, 60 x 86 cm
Ebenfalls in Schwärmen, aber von Natur vernichtender Gefrässigkeit getrieben, fallen die Heuschrecken als Plage in Cordelia Heymanns Bilder ein und fressen sich in schillernden Farben durch die Seiten ihrer Künstlerbücher. Denn Heuschreckenvölker wandern und Völkerwanderungen sind in der Kulturgeschichte nichts anderes als das Symptom eines bestimmten Kulturzustandes. Aber „Die Ameise und die Heuschrecke“ ist auch eine Tierfabel des altgriechischen Fabeldichters Äsop … und in unserer allgegenwärtigen Krise kämpfen Ameisen gegen Heuschrecken. Damit wird daraus eine Finanz-Fabel.
Zwar sind viele End-Zeit-Botschaften dabei, aber sie lassen dennoch Hoffnung zu. Denn Cordelia Heymann meint, dass die schmerzhaften Dinge des Daseins ohne Distanz und Selbstironie nicht auszuhalten seien.
o.T., 2009, Eitempera auf Nessel, 100 x 140 cm
„Lebensräume zeichnen Verhaltensweisen und Sichtweisen vor und sind unmittelbar mit der menschlichen Identität verknüpft“, sagt Franz Xaver Baier. „Angst und Freude sind nicht bloss subjektive Gefühle, sondern wirkliches Enger- und Weiterwerden, Dunkler-, Schwerer-, Dichter-, Heller-, Leichter-, und Klarerwerden unserer gesamten Lebensräume.“
Entdecken Sie diese sensiblen konzeptionellen Dimensionen in der Ausstellung Cordelia Heymanns in der Frankfurter Galerie Das Bilderhaus.
(Bildnachweis:Galerie Das Bilderhaus)