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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der 26. Rheingau Musik Preis 2019 an Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

Ein denkwürdiger Robert Schumann-Abend: Poetisch, leidenschaftlich – sein Innerstes offen legend

Im Wiesbadener Kurhaus wurden am 12.Juli Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit dem Rheingau Musik Preis 2019 ausgezeichnet.

Text und Fotos: Renate Feyerbacher

Die Preisträger: Vertreter der Deutschen Bremer Philharmonie, Staatsekretärin Ayse Asar, Paavo Järvi, Michael Herrmann, Mitte hinten: Dr. Heinz-Dieter Sommer (hr)

Der mit 10.000 Euro dotierte Preis, vergeben vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, wurde noch vor dem Konzert im Friedrich-von-Thiersch-Saal des Wiesbadener Kurhauses an die Vertreter der Deutschen Bremer Kammerphilharmonie und ihren Leiter Paavo Järvi „als eines des profiliertesten und innovativsten Ensemble“, so Rheingau-Musik-Festival-Intendant Michael Herrmann, verliehen.

“Courage“, das sei Mut, Beherztheit, Toleranz, Engagement „nicht das zu akzeptieren, was einem auferlegt wird“ (so die Sängerin Fatoumata Diawara). „Courage“ lautet auch das Motto des Festivals, das sowohl auf die Bremer Musiker wie auch auf den Komponisten Robert Schumann zutrifft.

Das Konzert war ausschließlich Werken des deutschen Komponisten Robert Schumann (1810-1856) gewidmet. Das Orchester, das sich großen Projekten verschrieben hat, wird bei Konzertreisen inzwischen auf der ganzen Welt bejubelt. Ludwig van Beethovens neun Sinfonien wurden von den Bremern neu interpretiert. Für ihre Neueinspielung gab es den „Echo Klassik-Preis“. Dann widmete sich das Ensemble Robert Schumann und Johannes Brahms.

Rasch, teils stürmisch, teils beruhigend beginnt das Konzert mit dem dramatischen Gedicht „Manfred“, das von einem verzweifelten, gequälten Menschen – Goethes Faust ähnelnd – handelt, den der englische Dichter Lord Byron (1788-1824) zu Anfang des 19. Jahrhunderts in den Mittelpunkt seiner Erzählung stellte. Die Erzählung löste große Begeisterung aus, so auch bei dem Komponisten Robert Schumann.

Er komponierte 1848 eine faszinierende Bühnenmusik, welche die Zerrissenheit Manfreds in ungewöhnlich musikalischer Form umsetzte. Erstmals wurde sie  1852 aufgeführt. Die Geschichte hatte viel mit Schumann selbst zu tun. Der Komponist ist ein Meister des musikalischen Erzählens.

Schumann- Büste von Alfred Hrdlicka vor dem Schumann-Haus in Bonn-Endenich

Robert Schumann war das jüngste von fünf Kindern einer wohlhabenden, literarisch äußerst gebildeten Familie aus Zwickau. Der ausgezeichnete Schüler wurde gedrängt, Jura zu studieren. Mit 20 Jahren brach er das Studium aber in Heidelberg ab, um sich ganz seiner Liebe der Musik hinzugeben.

Auf mehreren Reisen begegnete Robert Poeten, Musikern, besuchte Konzerte, unter anderem das von Nicolai Paganini in Frankfurt. Er wollte Konzertpianist werden, doch verhinderte eine Lähmung der Hand eine entsprechende Karriere. Er konzentrierte sich fortan aufs Komponieren und Dirigieren und das Schreiben musikalischer Abhandlungen. Schumann hatte eine musikalisch-poetische Doppelbegabung. In Jena wurde er promoviert.

1840 heiratete er Clara Wieck, die weltberühmte Konzertpianistin, die er bereits als Kind kennen gelernt hatte, 1835 folgte der „erste Kuß“, einen Tag vor Claras 21. Geburtstag, deren Erlaubnis sie von Claras Vater, dem Klavierlehrer Friedrich Wieck, gerichtlich erstritten hatten.

Es begann ein gemeinsames Künstlerleben. Anfangs hatte Robert Clara gedrängt, ihre Konzerttätigkeit aufzugeben. Sie tat es nicht, eine wichtige Entscheidung, die später sie und die Kinder über Wasser halten sollte. In Leipzig richteten sich die Schumanns ein. Acht Kinder wurden geboren.

Das herausragende Künstlerpaar Clara und Robert Schumann als Doppelporträt von Ernst Rietschel, derzeit noch im Institut für Stadtgeschichte in der  Ausstellung „Clara Schumann: Eine moderne Frau im Frankfurt des 19. Jahrhunderts“ zu sehen, Foto: Petra Kammann

Die Jahre ab 1840 waren für die Schumanns in menschlicher und künstlerischer Hinsicht die wichtigsten, auch wenn es Spannungen gab. Für Clara (1819-1896) war es ein Spagat zwischen Hausfrauen- und Mutterpflichten, zwischen Pianistenkarriere und eigenen Kompositionen. Bei Robert zeigten sich mehr und mehr die Anzeichen seiner psychischen Krankheit.

Gerne wäre Schumann Gewandhauskapellmeister in Leipzig oder Hofkapellmeister in Dresden geworden – eine vergebliche Erwartung. Das Angebot als städtischer Musikdirektor nach Düsseldorf zu gehen, nahm das Ehepaar 1850 nach Zögern an. Die Rheinländer haben ihn begeistert aufgenommen. Der Anblick des Kölner Doms motivierte Schumann zu seiner 3. Sinfonie in Es-Dur, der sogenannten Rheinischen.

Erfolg und Überforderung wechselten in Düsseldorf einander ab. Robert hatte Schwierigkeiten, mit den Musikern, mit den Choristen zu kommunizieren und musste schließlich die Leitung abgeben. Das war im November 1853, ein Jahr später kündigte er. Das Komponieren stellte er daraufhin ein.

Er versuchte, sich in Düsseldorf das Leben zu nehmen, ein Sprung von der Oberkasseler Brücke in den Rhein überlebte er dank des Brückenmeisters, der ihn rettete. Kurz darauf wurde er auf eigenen Wunsch in die kleine private Anstalt zur Behandlung von psychisch kranken Menschen in Bonn -Endenich verlegt. Erst kurz vor seinem Tod, fast zwei Jahre später, durfte Clara ihn erst wieder sehen.

Auch Lord Byrons Held Manfred wollte sich von der Klippe stürzen, wurde aber vom Gamsjäger zurückgehalten. Am Ende seines Lebens verschwinden die Dämonen, mit denen Manfred sich verbündet hatte. Der Abt, in seiner Todesstunde zugegen, versucht, Manfreds Seele zu retten:„Todt! – Seine Seel‘ ist dieser Erd‘ entflohn, – Wohin? – Mich graut’s zu denken. – Es ist aus.“

Zeigt die Aktualität: Daniil Trifonov und Robert Schumann in musikalischen Publikumsmagazinen 

Daniil Trifonov, der diesjährige Artist in Residence, einer der derzeit besten Pianisten, betrat  die Bühne im Kurhaus Wiesbaden. Er bot mit der Bremer Kammerphilharmonie, dem ersten Orchestra in Residence des Rheingau Musikfestivals, eine so fulminante wie zarte und feingliedrig-differenzierte Interpretation des Konzerts für Klavier und Orchester a-Moll. Op 54. , das am 4. Dezember 1845 uraufgeführt worden war. Schumann hatte das Werk seiner Frau Clara gewidmet.

Bisweilen tief gebeugt, so dass die Haare ins Gesicht fallen, streichelt, hämmert, wieselt Trifonov über die Tastatur, die ich wunderbar einsehen kann. Gleichsam wird die dramatische Geschichte des Ehepaares Clara und Robert Schumann nacherlebbar. Denn Trifonov geht es in seiner Interpretation um die innere Befindlichkeit des Komponisten. In diesem Opus, an dem Robert vier Jahre lang arbeitete, wird der starke spezifische Erzählfluss des Komponisten hörbar.

Eng ist der Kontakt zwischen dem Pianisten und dem Dirigenten Paavo Järvi, der sich dem Pianisten immer wieder engagiert zuwendet. Solistische Höchstqualität. Einmalig sind aber auch die Zartheit, die Steigerung, die Virtuosität, mit denen das Orchester den Pianisten begleitet, sich einbringt, sich hervortut und auch wieder zurücknimmt. Die Musiker, teils sehr jung, spielten mit unglaublichem Schwung.

Mir schossen plötzlich Erinnerungen aus meiner Jugend durch den Kopf: der Auftritt der französischen Pianistin Monique Haas mit den Berliner Philharmonikern unter Eugen Jochum. Ich wurde nimmer müde, dieses Klavierkonzert wieder und wieder zu hören. Noch immer steht die LP von 1951 in meiner Plattensammlung.

Noch nicht einmal ein Jahr lang, allerdings ziemlich krank, komponierte Schumann an seiner Sinfonie Nr. 2. C-Dur op 6, die erstmals am 5. November 1846 im Leipziger Gewandhaus gespielt wurde. Die Familie – Schumann hatte die Leitung des Gewandhauses nicht bekommen,– war nach Dresden umgezogen, in der Hoffnung, dass sich sein Zustand wieder verbessern würde. Das war aber nicht der Fall. Linderung brachte – in homöopathischen Dosen lediglich – die intensive Beschäftigung mit dem Werk von Johann Sebastian Bach.

Durch dieses außergewöhnliche Preisträger-Konzert in Wiesbaden wurde jedenfalls ein neuer Blick auf Schumann geworfen.

Auch zu Ehren von Paavo Järvi war Dr. Heinz-Dieter Sommer, Hörfunkdirektor und stellvertretender Intendant des Hessischen Rundfunks, erschienen und hielt im kleinen Kreis eine Laudatio. Der Musikkenner Sommer – er studierte unter anderem Musikwissenschaft – lobte die Deutsche Bremer Kammerphilharmonie und seinen künstlerischen Leiter Paavo Järvi folgendermaßen:

„Alle Musiker der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen – und das unterscheidet dieses Orchester von so vielen großen Ensembles – teilen diesen Gedanken. Verantwortung. Sie sind nämlich auch selbst für das Geschick ihres Orchesters verantwortlich. Sie haben es geschafft, dieses einzigartige, in den achtziger Jahren gegründete Ensemble von Frankfurt nach Bremen zu transferieren, in den neunziger Jahren eine schwere Krise zu durchstehen und sie haben dies aus eigener Kraft geschafft, in dem sie Sponsoren für das Orchester begeistert haben, Freunde als Unterstützer gewinnen konnten und sich eine Organisationsform gegeben haben, in der die Verantwortung für das Ganze nicht zu einer unzumutbaren Belastung für den Einzelnen wird, in der aber trotzdem diese Verantwortung gelebt wird.

Anderswo würde man heute vielleicht von bürgerschaftlichem Engagement sprechen. Und manchmal glaube ich, dieses Gefühl der Verantwortung füreinander lässt sie so spielen und arbeiten, wie sie es tun: stets hellwach, aufmerksam, nicht nur an sich selbst, sondern vor allem auch an das Orchester als Ganzes denkend. Gemeinsam handeln [..] und ein immer berühmter werdender künstlerischer Leiter, der inzwischen schon längst die höchsten Gipfel erklommen hat, und dem Orchester gleichwohl immer die Treue gehalten und mit ihm einzigartige Projekte realisiert hat, also wenn Sie so wollen und mir diesen Kalauer verzeihen, meine Damen und Herren: ein Orchester und sein Vater Courage – die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi. Herzlichen Glückwunsch.“

Paavo Järvi mit jungen Bremer Kammerphilharmonikern

Paavo Järvi war von 2006 bis 2013 Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters und ist heute Conductor Laureate. Die Sängerin Christiane Karg, einst Artist in Residence des hr, ist in diesem Rheingau-Musikfestival-Jahr die Künstlerin, die im Fokus steht.

In gemütlicher Runde nach dem Konzert gab es Gelegenheit, mit Paavo Järvi selbst zu sprechen. Als ich ihm sagte, dass ich während des Konzertes gegenüber einer Freundin bemerkt hätte, er habe einen Dirigierstil wie Leonard Bernstein, freute Järvi sich über das höchste Lob, das er bekommen könnte. Järvi hatte nämlich im Los Angeles Philharmonic Institute bei Leonard Bernstein (1918-1990) studiert. Ich selbst habe Bernstein, der häufig in Deutschland dirigierte, meines Erachtens in den 80er Jahren in einem Konzert in der Alten Oper in Frankfurt erlebt.

Dann wurde noch über die Komponisten Schumann, Beethoven, Brahms gesprochen. Järvis Empathie gehört Schumann, den er als offenen Menschen charakterisiert, während Brahms seiner Meinung nach, immer etwas zu verbergen gehabt habe. Und Beethoven? Järvi schaut nach oben, erhebt den Zeigefinger: „This is God.“  So auch für mich. Als Kind durfte ich statt meines erkrankten Bruders mit den Eltern in ein Konzert gehen, in dem Beethovens 5. Sinfonie gespielt wurde. Dieses Erlebnis hat mich stark geprägt.

Am 5. Dezember werden die Bremer Musiker mit Paavo Järvi erneut in Wiesbaden sein, dann aber  mit Haydn und Brahms. Und dann ist auch der andere große, junge Pianist, nämlich Igor Levit als  Interpret zu hören.

Vorher aber gibt es noch andere Konzert-Termine mit dem Orchestra in Residence: am 14.8. mit Gabriela Montero und Igor Levit unter Leitung von Joana Mallwitz, am 22.8. mit der Geigerin Hilary Hahn unter der Leitung von Omer Meier Wellber.

 

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