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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Ein Interview mit Susanne Pfeffer, Direktorin des MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST

„Alle Möglichkeiten nutzen“

An diesem Wochende geht die Ausstellung Cady Noland zu Ende. Für sieben Monate wurde dafür das Museum für MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST komplett leergeräumt. FeuilletonFrankfurt nahm dieses besondere Ereignis zum Anlass, die seit einem Jahr amtierende neue Direktorin des MMK, Susanne Pfeffer, zu dieser Ausstellung und zu allgemeinen Fragen zeitgenössischer Kunst und deren Vermittlung zu interviewen.

MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, Foto: Petra Kammann

Uwe Kammann: Vor einigen Wochen haben Sie hier im MMK ein zweitägiges Symposium unter dem Titel „On Violence“ veranstaltet, kürzlich ein weiteres, das sich speziell und konzentriert mit dem Werk und der Kunst von Cady Noland beschäftigt hat. Braucht eine Werkschau wie die von Cady Noland eine solch starke diskursive Begleitung?

Susanne Pfeffer: Seit dem Beginn der Modernen Kunst gehört es zu ihr, dass man über sie spricht, daraus ist ja zum Teil auch große Literatur entstanden, bei Proust oder bei den Brüdern Gouncourt zum Beispiel. Und es gehört zu den Aufgaben eines Museums, im Rahmen des Bildungsauftrags, einen Diskurs zu ermöglichen und zu fördern. Wir haben schließlich auch einen Bildungsauftrag. Wenn man die Chance hat, eine solche Ausstellung zu zeigen, dann sollte man auch alle begleitenden Möglichkeiten nutzen. Dazu kommt: An einem Ort wie dem MMK herrscht große Freiheit, hier kann man ganz anders sprechen als beispielsweise an einer Universität. In vielen anderen Kontexten kann über diese Fragestellungen gar nicht in dieser Form diskutiert werden.

Das MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST in der Braubachstraße, Foto: Petra Kammann

Ganz abgesehen von diesem konkreten Fall: Moderne Kunst scheint stark auf Deutung und Vermittlung angewiesen zu sein. Erschließt sie sich nicht einmal mehr einem vorgebildeten Publikum?

Wer die Kunst verstehen will, muss sich zur Kunst hinbewegen, hat sinngemäß Goethe einmal gesagt. Die Kunst ist heute wie jedes Teilsystem der Gesellschaft – wie die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft usw. – so ausdifferenziert, dass die Unterscheidung von vorgebildet und nicht vorgebildet in der Frage komplett sinnlos und wirklichkeitsfremd ist. Kein Mensch, der nicht Automechaniker ist, versteht ohne Vorbildung die Funktionsweise und Reparatur eines Automotors. Unter diesen Umständen ausgerechnet von der Kunst zu verlangen, sie solle einfach so zugänglich sein, wie es nicht mal mehr das Leben in einem Stadtpark ist, verlangt von der Kunst, aus den Prozessen und Verfahren des modernen Lebens auszusteigen. Ich gehe davon aus, dass jeder einen eigenen Zugang zu Kunst überhaupt hat, ich bezweifele, dass sich Alte Kunst anders erschließt als die „Moderne“. Gut finde ich, wenn möglichst viele unterschiedliche Menschen unsere Angebote annehmen. Bei „Cady Noland“ handelt es sich um eine Ausstellung, die in ihrer Körperlichkeit und mit ihrer Intensität an Gewalt auf die meisten Besucher stark wirkt. Viele Reaktionen zeigen: Je länger jemand in der Ausstellung verweilt, umso physischer präsent wirkt dieses Werk auf ihn. Aber es gilt, wie auch sonst überall: Je mehr man weiß, umso mehr sieht man auch.

Cady Noland, Stockade, 1987/1988, Sammlung Art Gallery of Ontario, Toronto (CA); Schenkung von Vivian und David Campbell, 1999, Installationsansicht MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Axel Schneider

Mit welchen Argumenten haben Sie die Künstlerin überzeugt, sich aus ihrer nun viele Jahre andauernden Selbstisolation hinauszugeben?

Der Begriff der Selbstisolation ist zu kompliziert, vor allem natürlich in seinen auch wissenschaftlichen Problematisierungen, als dass er hier für den Zusammenhang einer Künstlerin, die sich bloß aus einem Teilsystem des Teilsystems Kunst, nämlich dem Kunstmarkt, zurückgezogen hat, in Anspruch genommen werden könnte. Um Ihre Frage im Rahmen der Infrage-stehenden Ausstellung ernsthaft zu beantworten: Sie hat gemerkt, dass ich mich sehr stark mit ihrem Werk auseinandergesetzt habe. Diese Ernsthaftigkeit hat sich vermittelt, auch die Notwendigkeit, das Werk in dieser Form zu zeigen. Das alles ist in den Monaten der Zusammenarbeit gewachsen, ausgehend von meiner Anfrage, einige Arbeiten zu zeigen. Erhofft hatte ich das alles schon – aber, ehrlich gesagt, eigentlich noch nicht einmal erträumt.

Susanne Pfeffer bei ihrer Pressekonferenz anlässlich der Einführung ins Amt

Hat sie Ihnen erklärt, warum sie sich so radikal zurückgezogen hat? Es gibt ja nicht einmal ein Foto von ihr im Netz.

Ich habe sie das gar nicht gefragt. So etwas erzählt man, wenn man will, von selber. Sie hatte sicher ihre Gründe. Das Werk ist ja auch in sich geschlossen.

War sie hier in Frankfurt, um alles in ihrem Sinne zu arrangieren und zu prüfen?

Sie reist ungerne. Wir haben ein Modell der Architektur des MUSEUM MMK in New York gebaut, dazu kleine Modelle mit ihren Arbeiten. Damit und daran haben wir dann gemeinsam dreieinhalb Wochen sehr intensiv gearbeitet.

Es gab auch inzwischen kein Signal, zugänglicher zu sein, einfach, weil diese Ausstellung eine besondere Resonanz gefunden hat, nicht zuletzt im Ausland?

Warum sollte sie eigentlich zugänglicher sein? Sie hat ja ihr Werk, und jetzt wird es auch einmal umfassend gezeigt, die Resonanz gibt es ja, weil sich ihr Werk so unmittelbar vermittelt.

Hat das Publikum auf diese Ausstellung stärker reagiert als es sonst gemeinhin spürbar ist?

Ja, das zeigen unter anderem der Pressespiegel und das überwältigende internationale Besucherinteresse. Nicht zuletzt ist die Ausstellung ja auch als eine der 12 besten Ausstellungen 2018 genannt worden. Das lässt sich aber auch an individuellen Begegnungen ablesen. So gab es viele direkte Dankesbezeugungen. Oder beispielsweise die Bemerkung einer älteren Besucherin, sie sei lange nicht von einer Ausstellung so berührt worden. Und dies, nachdem sie sich vorher beim Rundgang immer wieder gefragt habe, was dies und das eigentlich sei. Sie sei auf ähnliche Weise irritiert und berührt gewesen, wie in dem Moment, als sie als junges Mädchen zum ersten Mal den „Beuys-Block“ gesehen habe.

Vorne: Cady Noland, Publyck Sculpture, 1994, Glenstone Museum, Potomac, Maryland Im Fenster: Claes Oldenburg, Bacon/Caport, 1991, © Claes Oldenburg, MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST Installationsansicht MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Axel Schneider

Gab oder gibt es Kritik an der Grundentscheidung, das Haus für so lange Zeit nur einer Künstlerin zu widmen und damit die Bestände der Sammlung für lange Zeit auszuschließen? Viele Menschen besuchen ja Museen, weil sie dort bestimmte Werke sehen wollen, hier beispielsweise die „Tischgesellschaft“ von Katharina Fritsch oder den „Blitzschlag mit Hirsch“ von Beuys?

In der Geschichte des MMK ist der Wechsel in der Sammlung von Beginn an thematisiert worden. Jean-Christophe Ammann hat das damals mit dem Szenenwechsel zum Prinzip gemacht. Jedes Kunstmuseum dieser Welt muss sich immer wieder der Frage stellen: was zeige ich eigentlich und warum? Es ist ja nicht das erste Mal in der Geschichte des MMK, dass das Haus einer monographischen Ausstellung gewidmet wurde. So war es auch bei Sturtevant und Takashi Murakami. Und eine solche Ausstellung wie „Cady Noland“ steht ja im Kontext der Sammlung. Der Ausgangspunkt meiner Recherche waren die Arbeiten von Cady Noland, die der Sammlung des MMK angehören. Außerdem ist es umso schöner, wenn man die Sammlung in verschiedenen Formen immer wiedersieht.

Nun haben Sie rund 5000 Objekte in der Sammlung, von denen natürlich immer nur ein Teil gezeigt werden kann. Aber sie völlig im Depot zu lassen, ist schon eine erhebliche Einschränkung.

Die Kunst muss diktieren, was man zeigt. Alles kann man nicht zeigen. Das kann auch nicht das Ziel sein. Und ich bin mir nicht sicher, was ein grundsätzliches Depotverbot bedeutet. Was ist es eigentlich, wenn man sich die Mona Lisa anschaut? Kunstbetrachtung oder ein soziologisches Experiment? Und ist das überhaupt die Mona Lisa, die man im Louvre sieht, oder ist das die Erfüllung unserer Projektionen?

Der Philosoph und Sozialwissenschaftler Daniel Loick und Tobi Müller, Foto: Uwe Kammann

Im Symposium „On Violence“ wurde oft für Diversität plädiert. Die Ausstellung selbst ist in der Auswahl der Gegenstände und Materialien auf Weniges beschränkt, zeigt viele Wiederholungen gleicher Elemente, ist limitiert in Mitteln und Methoden. Ist das für Sie ein Widerspruch?

Nein, denn Cady Noland thematisiert ganz stark die white supremacy, also die Vorherrschaft der Weißen. Sie bezeugt darin den Ausschluss sowie die Brutalität dieses Ausschlusses. Und gerade darin zeigt sich die Forderung nach Diversität und Öffnung.

War denn auch erwogen worden, andere Werke mit ähnlichem Gewaltbezug in die Ausstellung aufzunehmen? Sie haben ja wesentlich einige Objekte von Steven Parrino als Ergänzung gesetzt, wo das weniger offensichtlich ist. Dabei gibt es starke Arbeiten in der MMK-Sammlung wie jene von Bruce Naumann – lag es nicht nahe, sie aufzunehmen?

Ich habe dies nie als eine thematische Ausstellung verstanden, sondern als eine monographische. Natürlich ist Gewalt darin ein Hauptthema, aber es geht auch um Gesellschaft an sich – und wie sie sich über den Ausschluss definiert. Bei Parrino ist Brutalität ja explizit in seinem Werk vorhanden. Das sind zerstörte, misshandelte Leinwände, die tragen ja Zerstörung nicht nur in sich, diese Arbeiten stellen Zerstörung aus.

Beim Symposium fiel auf, dass die Auswahl der Referenten sehr eng war. Fast alle bezeichneten sich selbst als Aktivisten, bei einem durchgehenden Bezug auf strukturelle Gewalt. Kolonialismus, Rassismus, Ausbeutung waren Hauptstichworte. War diese Engführung so beabsichtigt?

Das Thema bedingt, dass alle, die darüber arbeiten – als Theoretiker, als Philosophen – sich als Aktivisten sehen und verstehen. Mein Frageansatz, der die Einladungspolitik bestimmt hat, war: Wer denkt weltweit aktuell zu diesem Thema?

Vieles, was unter dem Thema Gewalt aktuell relevant war und ist, kam nicht vor, vom militanten Islamismus über die Nahost-Kriege und die mörderischen Auseinandersetzungen in Afrika bis hin zu Drogenkriegen in Südamerika oder den Repressionen autokratischer Regime wie in China. Dieses Ausblenden ganz konkreter Gewalt verwundert.

Cady Noland, Pipes In a Basket, 1989, Peter Fleissig, Installationsansicht MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Axel Schneider

Man kann bei einer solchen Veranstaltung nicht alle Problematiken erörtern. Es ging schon um den Bezug zu den Ausstellungen „Cady Noland“ und „Weil ich nun mal hier lebe“. Wenn Sie schon von konkreter Gewalt reden, dann wurde natürlich auch nicht die Gewalt thematisiert, die jeder Autofahrer jeden Tag gegen Milliarden Kleinstlebewesen wie Insekten ausübt. Kein Mensch kann über eine Parkfläche gehen, ohne zu töten. Der Schriftsteller Rainald Goetz hat deshalb vorgeschlagen eines der Bibelgebote leicht umzuformulieren: Du sollst nicht zu viel töten.

Nun war der Titel allerdings offen und allgemein formuliert: „On Violence“.

Natürlich, man hätte es weiterziehen können, um das Thema global abzubilden. Aber dann hätte sich die Diskussion auch von den Ausstellungen entfernt.

Irritiert es Sie, wenn ein Referent wie Geoffroy de Lagasnerie in diesem Rahmen die Gewalt des „Schwarzen Blocks“ begrüßt und unterstützt, weil sie zum Umsturz der herrschenden Verhältnisse beitragen soll?

Man muss das aus dem Kontext deutscher Situationen sicher kritisch betrachten. Aber ich finde es schon diskussionswürdig, wenn er sagt, dass man in einem Staat, der Gewalt ausübt, nicht gewaltfrei sein kann. Ein entwickelter Gewaltbegriff, wie er in der Soziologie zur Anwendung kommt, kennt neben den offen physischen Formen von Gewalt wie Anschreien oder Schlagen auch viele Formen verdeckter, sozusagen struktureller Gewalt, die sich gern maskiert wie z.B. als harmlose Werbung mit Menschenkörpern, die darin, schon gar nicht mehr harmlos, symbolisch missbraucht werden, indem man sie instrumentalisiert.

Das hat er als allgemeine Regel ausgegeben: Niemand komme ohne Gewalt aus, sie liege jedwedem Handeln zugrunde. Die Gewalt des „Schwarzen Blocks“ – wie beim G20-Gipfel in Hamburg – als positiv zu werten, ist schon eine spezifische Zuspitzung und Steigerung. Ohnehin, es dominierte beim Gewalt-Symposion eine starke Programmatik und Sympathie in Richtung Anarchie und Utopie, und parallel dazu eine klare Absage an den Staat, seine Regeln und seine Institutionen.

Diese Denkrichtung finde ich auch nicht uninteressant. Auch wenn ich Gewalt als Grundlage meines Handelns ablehne und trotzdem manchmal über Parkwiesen gehe.

Cady Noland, Oozewald, 1989, Glenstone Museum, Potomac, Maryland Installationsansicht MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Fabian Frinzel

Sie haben propagiert, dass Kunst per se politisch sei. 

Ich habe das nicht propagiert. Aber viele sagen neuerdings, ich sei eine politische Kuratorin, darauf reagiere ich. Der Außenwahrnehmung nach war ich erst eine Malereikuratorin, dann eine Filmkuratorin, dann eine Kuratorin für neue Technologien. Es gibt einfach immer solche Zuschreibungen.

Nun gibt es von Ihnen schon Interviewaussagen mit dieser Grundfeststellung.

Richtig ist: Ich glaube schon an das Veränderungspotential von Kunst.

Sehen Sie diese Aussage denn apodiktisch, als generelle Regel, oder gilt das nur für einen Teilbereich?

Das Ausstellen und das Verhandeln von jeder Art von Kunst sind immer politisch. Auch wenn es um rein formale, vermeintlich nicht explizit politische Positionen und Fragestellungen geht, weil sie das Jetzt reflektiert. Das wiederum kann nur kritisch geschehen. Insofern ist das für mich auch politisch. Allerdings gilt ebenso: Man kann Kunst nicht allein über einen Begriff erklären.

Besucherin im MMK, Foto: Uwe Kammann

Lassen sich Bilder von Mark Rothko, Piet Mondrian, Pierre Soulages oder Jules Bissier tatsächlich einfach als politische Werke auffassen?

Ja, in dem Sinne, dass sie für ihre Zeit sprechen. Indem sie neue Formen des Denkens und der Darstellung ermöglichen. Aber das hat ursächlich auch mit uns, mit dem Betrachter zu tun, die Dinge an sich sind sicher auch politisch, allein die Geschichte der Farben ist politisch, Lapislazuli, also blau, war einmal wertvoller als Salz, und damit ist die Verwendung von Blau zu bestimmten Zeiten nicht einfach nur Blau. Und in dem Moment wo wir Kunst, wie gesagt Kunst ausstellen, und über Kunst sprechen, regeln wir auch, wie wir uns unsere Gemeinschaft vorstellen, wir regeln sie, das ist politisch, denke ich. Aber natürlich, das Wort politisch ist nicht ohne Problematik. Zuschreibungen mit ja oder nein sind da viel zu einfach. Ebenso wie Unterscheidungen nach Kategorien wie sinnlich oder schön, relevant oder irrelevant. Und dies oft noch im Zusammenhang mit moralisierenden Urteilen wie gut oder schlecht …

Beim ersten Symposion gab es am Schluss eine kritische Frage aus dem Publikum: Ob es nicht widersprüchlich sei, so massiv die hiesige politische Ordnung, die kapitalistische Ausrichtung und die bestehenden Institutionen zu attackieren, aber das Geld der Deutschen Bank zur Finanzierung der Veranstaltung gerne anzunehmen?

Wir sind eine staatlich geförderte Institution, bewegen uns auf einer öffentlichen Plattform. Wenn die Stiftung der Deutschen Bank eine solche Veranstaltung ergänzend finanziert, ist das für mich kein Widerspruch, sondern wunderbar, steht zudem in der Linie einer jahrelangen Praxis. Wenn dies jetzt in diesem Zusammenhang noch einmal thematisiert wird, finde ich das gut, weil es noch einmal die Reflexion über die gesellschaftlichen Zusammenhänge fördert. An vielen anderen Orten werden so wichtige Fragen gar nicht reflektiert und vor allem ist so ein Symposium ja auch dazu da, Widersprüche zu äußern und aufzuzeigen.

Für wie groß halten Sie die Gefahr, einen rein selbstbezüglichen Diskurs zu befördern: eines Milieus, einer Community, die von der gebotenen Generalthese ohnehin überzeugt ist und deren Gläubige nicht mehr bekehrt werden müssen? Sprich: Hier wird eine ewige Selbstbestätigung gefeiert, in einer Echokammer, die als Beschränkung sonst gerne anderen vorgehalten wird?

Das ist eine große Gefahr. Sie ist per se gegeben. Daraus auszubrechen ist gar nicht so einfach, man ist ja selbst ein Teil davon. Nur kann das kein Grund sein, einen solchen Diskurs überhaupt nicht zu suchen und zu versuchen.

Susanne Pfeffer im Gespräch, Foto: Petra Kammann

Sie sind gerade zur Honorarprofessorin im Fachbereich Kunst ernannt worden und werden an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach im Bereich Ausstellung und Vermittlung von Gegenwartskunst lehren. Tätigkeiten wie Kuratieren, Konzipieren, Vernetzen, Ausstellen und Realisieren werden dort zusammenhängend gedacht. Manchen drängt sich der Eindruck auf, die Vermittlung sei inzwischen wichtiger als die Kunst selbst.

Kunst gab es noch nie ohne Vermittlung. Ihre Frage tut so, als sei da ein reiner Bereich: Kunst, indem geschaffen wird, und dann einer, in dem vermittelt wird, also etwas scheinbar Minderwertigeres getan wird. Aber ohne die Vermittlung z.B. des Alphabets könnten Sie nicht mal diese Frage stellen. Trotzdem kann man das nicht vergleichen. Was ist denn die Kunst selbst? Es ist sicher ein wichtiger Auftrag, die Kunst zu vermitteln. Man muss im Kontext der Kunst denken, daraus eine Ausstellung entwickeln und parallel über Vermittlungsformen nachdenken. Im Vordergrund steht dabei für mich das, was ich sehen kann: also das Visuelle.

Unser Autor Erhard Metz hat am Schluss seiner Besprechung der Cady-Noland-Ausstellung Goethe zitiert: „Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen“. Danach wäre das Sprechen darüber eine Rückübersetzung. Gilt die Vermutung, dass zeitgenössische Kunst mehr denn je auf das Schreiben und Sprechen darüber angewiesen ist?

Man sollte die Besucher einer Ausstellung darin bestärken, dem zu vertrauen, was sie sehen. Auch dem zu vertrauen, was sie selbst dazu denken. Aber die Betrachtung von Kunst ist weder eine denk- noch sprachfreie Zone, war sie wahrscheinlich auch nie. Und das Wort ist ja auch nicht spezifischer als das sichtbare Werk, denn auch im Wort stecken mehrere Bedeutungen.

Bei einer Sand-Installation („Schrei mich nicht an“) von Lena Henke in der Rotunde der Schirn habe ich mehrfach Passanten dazu befragt. Keiner konnte etwas damit anfangen. Parallel war auf der begleitenden Texttafel ein hochkomplexer Beschreibungs- und Interpretationstext zu lesen. Scharf geurteilt: ein unglaubliches Geschwurbel aus der Theorieküche. Diese Grundkonstellation ist bei vielen Ausstellungen zu beobachten: Die Besucher sehen Objekte, Gegenstände, Material, aber mehr auch nicht. Sie sind und bleiben dabei ratlos.

Welche Fragen haben Sie denn konkret gestellt? Und welche Frage würden Sie stellen, wenn sie vor der Tafel stehen, auf der nach einer Vorlesung das Gauß‘sche Fehlerintegral steht? Was können Sie damit anfangen? Natürlich, auf der einen Seite ist es schön, wenn jeder meint, über Kunst urteilen zu können. Auf der anderen Seite braucht es aber schon Kenntnisse, um die Dinge einordnen zu können.

Nun richten Sie sich im Prinzip an eine allgemeine Öffentlichkeit, die damit möglicherweise in weiten Teilen überfordert ist.

Richtig ist aber auch, dass es gesellschaftliche Entwicklungen gibt. In den Anfangszeiten wurde beispielsweise die Kunst eines Picasso oft abschätzig betrachtet und abgelehnt. Heute heißt es dagegen: Oh, wie schön ist Picasso! Wobei man natürlich sofort fragen muss, wie angemessen ein solcher Begriff ist.

Cady Noland, Shuttle, 1987, Glenstone Museum, Potomac, Maryland (US), Installationsansicht MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST, Foto: Fabian Frinzel

Glauben Sie, dass die Tendenz vieler Künstler, enormen Raum zu beanspruchen, mit oft gewaltigen Installationen, weiter anhalten wird? Oder kann es hinsichtlich der Formate und Dimensionen auch zurückgehen?

Beim jetzigen Städel-Rundgang fiel mir auf, dass viele der Studenten eher kleinteilig gearbeitet haben, auch bei der Malerei. Die Zeit der ganz großen Environments scheint vorbei zu sein, es geht eher wieder zurück.

Ein anderes Extrem: Im Düsseldorfer Kunstpalast wurde Autodesign aus den 50er und 60er Jahren zelebriert. Können Sie sich so etwas auch hier vorstellen? Immerhin, es gab ja auch schon Mode im MMK. Erklärtes Ziel dabei: ein Publikum anzuziehen, das sonst nie ins Museum geht.

Es hängt davon ab, ob solche Ausstellungen einen Mehrwert an sich haben. Ich denke nicht, dass es unser Auftrag ist, Design zu zeigen. Das alles liegt auf einer Linie wie die „Nacht der Museen“ oder „Jazz im Museum“. Damit zieht man jeweils ein spezifisches Publikum an. Meine Erfahrung sagt aber leider, dass man damit bestimmte Leute nicht dauerhaft an das Haus binden kann.

Werden Sie wieder methodische Strategien aufgreifen wie die „Szenenwechsel“ des früheren MMK-Direktors Jean-Christophe Ammann und setzen Sie verstärkt auf die Kontinuität der Sammlung? Oder wird es eher thematische und monographische Ausstellungen geben?

Sowohl als auch. Sicher werden wir wieder verstärkt mit der Sammlung arbeiten, sie auch weiter ausbauen. Dazu haben wir auch Neuproduktionen für das Haus entwickelt. Jetzt bin ich zwar schon ein Jahr hier, aber in manchem sind wir trotzdem erst am Anfang, von dem, was uns vorschwebt.

Hinweis auf die Ausstellungen in den drei Häusern des MMK, Foto: Petra Kammann

Nun fragen sich manche, ob nicht die beiden Dependancen mit Zollamt und Tower für aktuelle Wechselausstellungen reichen würden, während das Ursprungshaus so genutzt werden könnte, wie es mit dem Namen verbunden ist: als Museum für Moderne Kunst.

Das Haus hat nie rein die Sammlung gezeigt, das war auch nicht der Auftrag. Das MMK sollte und soll ein Gegenwartsmuseum sein, immer stark als Ausstellungshaus gedacht, auch als experimentelles Haus. Allein unsere Sammlung in verschiedenen Variationen zu zeigen, würde unserem Anspruch nicht genügen. Was aber nicht heißt, dass man nicht viel mit der Sammlung machen kann. Nun gab es am Anfang die beiden zusätzlichen Spielstätten nicht. Nochmals: ich finde es schon wichtig, hier mit der Sammlung zu arbeiten und sie in unterschiedliche Kontexte zu setzen. Doch wäre es problematisch, sich darauf zu beschränken.

Sehen Sie eine neue Konstellation, vielleicht auch eine direkte Konkurrenzsituation etwa mit dem Städel, wo der unterirdische Erweiterungsbau das Zeigen einer exzellenten Sammlung zeitgenössischer Kunst ermöglicht hat?

Je mehr Möglichkeiten es für die aktuelle Kunst gibt, umso besser. Die Städel-Sammlung unterscheidet sich ja stark von unserer, auch wenn es natürlich Künstler gibt, die sowohl bei uns als auch dort vertreten sind.

Tauschen Sie sich gleichwohl intensiv aus?

Es ist ein sehr kollegiales Verhältnis. So gehen wir gegenseitig zu den Ausstellungseröffnungen. Insgesamt sind es offene Strukturen, wobei natürlich jeder das beste Programm machen will. So wie die Köpfe unterschiedlich sind, sind es folglich auch die Häuser. Und genau das ist für das Publikum großartig.

Junges Publikum im MMK, Foto: Uwe Kammann

Jeder lobt heute Frankfurt wegen seiner lebendigen Kunst-, Ausstellungs- und Museumsszene. Wo sehen Sie bundesweit interessante Häuser mit lebendigen Impulsen und einer attraktiven Konzeption, um – auch in Ihrem Sinne – vorhandene Sammlungen mit aktuellen Strömungen zu verbinden?

In dieser Form ist das MMK sicher einzigartig, weil es immer einen sehr freien Umgang mit der eigenen Sammlung und dem Einbeziehen anderer Arbeiten gepflegt hat, mit thematischen und monographischen Ausstellungen. Insofern ist es schlicht das erste Haus für Gegenwartskunst, wie es eigentlich heißen müsste. Aber ich möchte unterstreichen, dass die meisten Häuser in Deutschland sehr experimentierfreudig sind.

Ein letztes Stichwort: documenta. Was halten Sie von der jetzigen Entscheidung, die 15. Ausgabe 2022 vom zehnköpfigen Kollektiv ruangrupa aus Indonesien leiten zu lassen?

Es ist eine gute Entscheidung. Einmal wegen der Öffnung nach Asien, dann wegen der Idee des Kollektivs. Dies ist folgerichtig, wenn man die bisherigen documenta-Ausstellungen sieht. Ich selbst war zweimal bei der Biennale in Jakarta, kenne auch das Kollektiv, das diese Biennalen mit verantwortet hat. Es sind alles sehr erfahrene Künstler und Kuratoren. Insofern: Ich traue ihnen viel zu und glaube, dass sie eine sehr spannende documenta konzipieren werden.

Könnte eine solche kollektive Leitung auch beispielgebend sein für künftige Personalkonstellationen bei Häusern wie dem Ihren?

Das kann natürlich interessant sein. Es müssten allerdings Kollektive sein, die sich selbst an solchen Häusern bilden, keine verordneten. Doch lässt sich ein solches Modell nicht einfach verallgemeinern. Und natürlich gilt: Es muss schon klare Entscheidungsstrukturen geben. Und wenn man sich das Team der vielleicht berühmtesten documenta, der documenta 5 anschaut, dann stellt man auch fest, dass die nicht etwa von einer Person realisiert wurde. Das war auch ein Team, ein Team von berühmten Kuratoren, einer von ihnen war Jean-Christophe Ammann.

 

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