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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kafkas Prozess in einer Fassung und unter der Regie von Pinar Karabulut am Schauspiel Köln

Abgrund und schwindelnde Höhen

von Simone Hamm

 „Jemand  musste Josef  K. verleumdet  haben, denn  ohne  dass er etwas  Böses getan  hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“  So beginnt Kafkas unvollendeter, zu seinen Lebzeiten unveröffentlichter Roman “Der Prozess“. Regisseurin Pinar Karbulut hat daran gerade das Unfertige fasziniert. Sie hält sich streng an den Text, an Kafkas eindrückliche Sprache, aber sie ortet die Textabschnitte anders.So wirken Leben und Sterben K.s noch absurder. Kafkas unvollendeter Roman ist jedoch nicht nur hoffnungslos und traurig, es gibt auch sehr witzige Stellen. Pinar Karbulut gelingt der Spagat: die Aussichtsslosigkeit darstellen zu lassen und die Zuschauer zum Lachen zu bewegen.

„Der Prozess “ von Franz Kafka auf der Bühne , Regie: Pınar Karabulot, Foto: Krafft Angerer / Schauspiel Köln

Zuerst wird die Bühne (Michaela Flück) des Schauspiel Kölns zur Leinwand. Josef K. wird festgenommen, er weiß nicht warum. Die Kamera (Video:  Susanne Steinbmassl ) zeigt Herrn K. von oben, unten, seitlich angeschnitten, ganz nah, ganz klein. Perfekte Überwachung. Ohnmacht. Eine Identität scheint es nicht zu geben.

Auf der Bühne dann ist – ganz folgerichtig – Josef K. aufgespalten, zuerst gibt es zwei, (den Gejagten, den sich latent schuldig Fühlenden), dann sechs Josef K.s. Sie haben die dunklen Haare streng gescheitelt und zurückgegelt, tragen rote Hosen und knallenge rote T – Shirts. Selten handeln sie synchron, meist gegenläufig. Sie laufen über die Bühne, fallen zu Boden. Sie suchen eine Antwort, einen Grund für die Verhaftung und finden keinen.

Büros fliegen an Leinwänden auf die Bühne, Wände werden hereingeschoben. Die Bühne ist in ständiger Bewegung. Lena versucht,  K. zu betören. Er will sie küssen. Der Onkel redet auf ihn ein, hat Angst um den guten Ruf der Familie. Der Gefängnismaler Tintoretto will vermitteln und tut es nicht. Der bettlägerige Advokat ist in jeder Hinsicht hilflos.


Bekim Lafita als K. auf dem starken Bühnenbild von Michela Flück,  Foto: Krafft Angerer /Schauspiel Köln

In einer der stärksten Szenen versucht K. eine hohe grüne, wie eine Halfpipe gebogene Wand zu erklimmen. Es gibt nichts, woran er sich halten kann. Immer wieder rennt er gegen die Wand. Eine riesige Hand schwebt über die Bühne, senkt sich und greift nach dem rastlos kletternden K. (hier: Bekim Lafiti), zieht ihn hoch in den Bühnenhimmel.

Da hängt er nun, klammert sich an den Daumen. Ein winziger roter Mann auf einer riesigen grünen Bühne, sein Schatten bedrohlich. Unter ihm Grabsteine und Sand. Einen Ausweg gibt es nicht. Es wirkt, als hinge er fest einer Matrix. Schon ziehen sich geometrische Raster über die gesamte Bühne. K. balanciert jetzt auf einem roten Balken. Aber auch das bleibt nicht so. K. knallt auf in der Realität, geht zum Friedhof, lässt sich widerstandslos erstechen.

Erst danach deklamiert der Gefängniskaplan vor dem staunenden K: „Vor dem Gesetz“, die einzige Textstelle aus dem „Prozess“, die Kafka veröffentlichen ließ. Der geistliche (Lola Klamroth) steht dabei unter einem glühenden Holzscheit, Herr K. (hier: Nicola Gründel) hört schweigend zu.  Sie spielen verschiedene Interpretationen der Legende durch. Der Geistliche identifiziert sich mit dem Türhüter, K. mit dem Mann, der nicht eintreten darf.

Pinar Karabulut hat einen aufregenden Theaterabend gestaltet. Unterhaltsam und zugleich tiefgehend. In atemberaubenden Kulissen. Textgetreu und durch eine andere Anordnung der Szenen aufregend neu.

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