Romantik über den Dächern der Stadt
Skyline-Konzert 3 im Rahmen des Düsseldorfer Schumann-Festivals 2023
Von Angelika Campbell
Mit der 707 durch Düsseldorf: vorbei am Hauptbahnhof, quer über die hübsch-hässliche Corneliusstraße, durch Bilk mit seinen Dönerbuden und klassizistischen Fassaden und boom: auf einmal im Hafen, plötzlich in einer anderen Welt. Moderne Architektur mit viel Glas und eleganten Rundungen, umgeben von Kanälen und Straßen, schicke Firmenschilder überall – hier passiert New Business. Unser Ziel: Das spektakuläre Hochhaus SIGN!, denn hier gibt es heute Abend im Rahmen des Schumann-Festivals 2023 eines von insgesamt drei Skyline-Konzerten.
Blaue Stunde mit Musik über dem Medienhafen, Foto: Susanne Diesner, Düsseldorf
Mit einem gläsernen Fahrstuhl geht es in den 17. Stock, dann umsteigen zum 19. Stock, Eintritt in einen großzügigen Raum mit Glaskuppel und Bibliothek im Teakholz-Look. Der Blick über Düsseldorf, Neuss und den Rhein mit seiner schier unglaublichen Biegung um den Hafen herum verschlägt uns erst einmal die Sprache. Kaltgetränke von der Bar sorgen für ein wenig Entspannung, dann dürfen wir im zum Konzertbereich umfunktionierten Teil des Saals Platz nehmen.
Begrüßung durch Michael Becker, den Intendanten der Düsseldorfer Tonhalle, danach versorgt uns Tonhallen-Dramaturg Uwe Sommer-Sorgente mit Informationen über den Kontakt von Brahms und Schumann, denn diesen beiden Komponisten ist der Abend gewidmet.
Wir erfahren, dass der junge Johannes Brahms Mitte des 19. Jahrhunderts die Familie Schumann in ihrem Düsseldorfer Haus aufsuchte – ein bescheidener Norddeutscher aus dem Gängeviertel in Hamburg, das wir heute als Slum bezeichnen würden. Aus dieser Stippvisite entwickelte sich eine enge und fruchtbare Künstlerfreundschaft. 1853 schrieb Robert Schumann in der von ihm gegründeten Neuen Zeitschrift für Musik über Brahms:
„Und er ist gekommen, ein junges Blut, an dessen Wiege Grazien und Helden Wache hielten. Er heißt Johannes Brahms, kam von Hamburg, dort in dunkler Stille schaffend, aber von einem trefflichen und begeistert zutragenden Lehrer gebildet in schwierigen Setzungen der Kunst, mir kurz vorher von einem verehrten bekannten Meister empfohlen. Er trug, auch im Äußeren, alle Anzeichen an sich, die uns ankündigen: Das ist ein Berufener.“
Okay, die Romantiker übertrieben es für unseren Geschmack vielleicht ein bisschen mit ihren Gefühlen, aber wahr ist, dass Schumann das Genie des Johannes Brahms früh erkannte und ihm den Weg ebnete. Apropos Gefühl: Was lief da zwischen Clara Schumann und dem gutaussehenden, hochbegabten Hamburger Jung? Genaues weiß man nicht, aber einige Briefe aus Brahms’ Feder, die Uwe Sommer-Sorgente uns vorlas, hörten sich doch sehr verdächtig nach Liebesbriefen an… Nach Schumanns Tod in der Irrenanstalt in Bonn-Endenich war Brahms für die Familie da, die zahlreichen Kinder nannten ihn Onkel Johannes, später kühlte sich das Verhältnis zwischen ihm und Clara dann etwas ab.
Himmelsmusik
Nun aber zur Musik – Musik nah am Himmel, gespielt von absoluten Virtuosen: der israelisch-palästinensische Pianist Saleem Ashkar, Boris Brovtsyn, Professor an der MUK Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, und Daishin Kashimoto, 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, an den Violinen, Amihai Grosz aus Jerusalem mit einer Viola aus dem 16. Jahrhundert und der gefragte Kammermusiker Claudio Bohórquez, Violoncello. Sie eröffneten den Abend mit dem Klavierquintett f-Moll, op. 34, von Johannes Brahms. Der Komponist hatte es sich mit dieser Arbeit nicht leicht gemacht und suchte lange nach dem wahren Klanggewand für diese Musik. Hat er aber gefunden und bis heute gilt dieses Werk als ein Höhepunkt seines Schaffens.
Dem Himmel ganz nah, wenn man Musik im Kuppelsaals im SIGN genießt, Foto: Susanne Diesner, Düsseldorf
Als eine Person, die mehr von Rock und Reggae versteht als von klassischer Musik, überfluteten mich diese Klänge, präzise und kraftvoll von den fünf Starmusikern interpretiert. Lyrische Oasen wechselten mit stürmisch vorantreibenden Passagen, Klavier und Streicher kämpften miteinander und tönten dann wieder friedlich zusammen, im Finale kulminierte das musikalische Drama und ließ mich mit Fragen zurück: Woher hat der kühle Hamburger Johannes Brahms diese absolute Leidenschaft genommen? Und die Sache mit Klara? Also, diese Musik wirkte auf mich nicht so, als sei da bloß Freundschaft gewesen…
Klug durchdacht folgte als Bindeglied zwischen der Komposition von Brahms und der nachfolgenden von Schumann ein Stück der Chinesin Wang Lu, das auf ineinander verschlungenen Wellenlinien zwischen Streichquartett und Klavier beruht. Die melodischen Fäden ergänzten sich gegenseitig und schufen so ein schwebendes, harmonisches Feld – wunderschön!
Und dann, während hinter der Glaskuppel langsam die Dunkelheit über Düsseldorf hereinbrach: Schumann, Klavierquintett Es-Dur op. 44! Das Werk entstand im Jahr 1842 in nur fünf Tagen und wurde mit Clara am Klavier in Leipzig uraufgeführt. Los ging es im ersten Satz mit einem triumphalen Thema, ergänzt durch ein lyrisches Seitenthema. Die Kraft dieses Hauptthemas gegenüber der Melancholie des Seitenthemas durchzog das Werk und charakterisierte den Zwiespalt zwischen Tragik und Glückseligkeit, den man unschwer mit Schumanns Leben verbinden kann. Ein Problem hatte ich mit dem stockenden, viermal zu hörenden Trauermarsch im zweiten Satz: Er wurde zu einem absoluten Ohrwurm und durchzog in der folgenden Nacht meine Träume. Ob Robert Schumann das gewollt hatte?
Mit stürmischem Applaus dankte das Publikum den Musikern. Zu danken ist neben dem professionellem Team der Tonhalle auch der Anwaltskanzlei Noerr. Als einer der Sponsoren und Mieter des Kuppelsaals im SIGN! hat sie dazu beigetragen, uns an diesem Abend im Juni ein unvergessliches Erlebnis zu bescheren. Im nächsten Jahr soll es weitere Skyline-Konzert geben – warum deshalb nicht einmal von Frankfurt nach Düsseldorf reisen und nebenbei rheinische Fröhlichkeit und ein Altbier in der Altstadt genießen?