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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der DAM-Preis 2023: Lob der Nachhaltigkeit

Um- und Weiterbauen statt Abriss und Neubau heißt die Devise

Von Uwe Kammann

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal neben der Geografie-Tafel der nominierten Projekte, Foto: Uwe Kammann

Kleine bis mittlere Seitenhiebe auf Frankfurter Verhältnisse konnte sich der Direktor des Deutschen Architekturmuseums, Peter Cachola Schmal, natürlich nicht verkneifen, als er beim Rundgang durch die zwei Dutzend nominierten Bauten des diesjährigen Architekturwettbewerbs (beschränkt auf spätestens 2021 fertiggestellte Projekte) das Modellhafte daran hervorhob. So beim Münchner Volkstheater, entworfen vom Büro Arno Lederer, des gerade verstorbenen Architekten, der in Frankfurt mit dem neuen Historischen Museum einen markanten Bau hinterlassen hat (und 2013 für sein Ravensburger Kunstmuseum selbst den DAM-Preis erhalten hatte).

Das auch eine vorhandene Bebauung einbeziehende neue Münchner Theater sei ein „tolles Gebäude“, das zeige: „Krass, es kann gehen“, und genau davon könnten sich „manche Kulturpolitiker was abgucken“. Was sicher auch für die Bausumme gilt, mit 130 Millionen Euro weit entfernt von den auf Milliardennähe zielenden Summen, die inzwischen in Frankfurt, Düsseldorf, Stuttgart und Köln aufgerufen werden, wenn es um Sanierung oder Neubau der repräsentativen Schauspiel- und Opernhäuser geht.

Und auch beim Interimsbau für einen Konzertsaal in München lassen sowohl der Kostenrahmen als auch die Qualität staunen. Denn für rund 40 Millionen Euro (heutzutage ein Schnäppchen) hat das renommierte Büro gmp einen Saal realisiert, der bei den Besuchern bislang höchstes Lob ausgelöst hat; und der damit wahrscheinlich zum Todesurteil wurde für ein schon lange intendiertes, auch mit einem Architekturwettbewerb bereits formal entschiedenes Projekt im Münchner Osten. Dort kletterten die Kostenvorschauen auf olympische Höhen, mit abschreckender Wirkung.

Arrangement unter dem Foto der vom Büro Chipperfield sanierten Neuen Nationalgalerie in Berlin, Foto: Uwe Kammann

Auch hier war der Schmal-Kommentar eindeutig: „Wozu braucht man einen Neubau, wenn das Interim so gut ist“. Die beiden Münchner Bauten seien insofern auch als „Vorboten für Frankfurt“ zu sehen. Eine Anspielung, die natürlich auf die Springprozession zielt, welche mit dem Sanierungs- und Neubauprojekt der Städtischen Bühnen verbunden ist; und der sich jetzt auch der Komplex Kulturcampus anschließt, der wieder einmal eine neue Wendung (Sankt-Nimmerleins-Tag?) genommen hat.

Das alles hat auch mit einer Tendenz zu tun, die sich als dicker roter Faden durch den diesjährigen Wettbewerb für die besten deutschen Bauten gezogen hat. Denn tatsächlich war und ist er dominiert vom Großthema Nachhaltigkeit, dekliniert an den Stichworten Um-, An- und Weiterbau statt Abriss und Neubau. Ähnlich prägend waren die Kriterien auch schon beim nur kurz zurückliegenden – und internationalen – Wettbewerb zur Exzellenz von Hochhäusern („Best Highrises“).

Erläutert eine Scheune als kleinstes Projekt unter den DAM-Finalisten: Yorck Förster, DAMKurator und Mitherausgeber des DAM-Jahrbuchs, Foto: Uwe Kammann

Der große Unterschied natürlich: Beim DAM-Preis – der in der ersten Entscheidungsrunde eine Auswahl von gut 100 nominierten Projekten zusammenstellt, die dann im zweiten Schritt auf 23 Projekte eingedampft werden („Shortlist“) – ist das Spektrum sehr groß. Es umfasst „Äpfel, Birnen, Pflaumen, Nüsse“ (Schmal), erstreckt sich von repräsentativen Kulturbauten (wie der höchst behutsamen Sanierung der Neuen Nationalgalerie in Berlin, bei der David Chipperfield die Mies-van-der-Rohe-Ikone als gleichsam unsichtbarer Architekt auf den besten technischen und ästhetischen Stand brachte) bis zu einer eher unscheinbaren Scheune (Architekten: Hütten & Paläste), welche im Umland von Berlin einen Gemeinschaftsmittelpunkt bildet, um auch für arbeitende Städter das Leben auf dem Land neu zu interpretieren (Glasfaseranschluss vorausgesetzt). Dieses Zukunftsmodell – womöglich für vorhandene Dörfler und zuziehende Großstädter nicht ohne Knackpunkte – schaffte es sogar in die 5er-Finalrunde.

Auch Verkehrsbauten gehören zur Auswahl, wie die sieben Bahnhöfe der Stadtbahn in Karlsruhe, welche das Büro allmannwappner vollkommen einheitlich gestaltet hat, als „Großkunstwerk“ (Schmal) aus gestocktem Beton, das seine Wirkung auch der Lichtinstallation des international gerühmten (auch inzwischen verstorbenen) Ingo Maurer verdankt; und, selbst, wenn man es kaum glauben mag, der absoluten Werbefreiheit in den Stationen. Normalerweise, so hieß es bei der Präsentation dieses Finalisten (einer von fünf in die letzte Runde gekommenen Nominierten), hätten Architekten bei der Gestaltung von U-Bahnhöfen angesichts des Wusts von technischen Vorgaben „nichts zu sagen“. Hier sei es, vorbildlich, erkennbar anders. Der DAM-Kurator lobte: „Es ist ein exzeptioneller Raum entstanden, angstfrei, fast meditativ.“

Dominik Fahr vom Büro Auer Weber erläutert Details des siegreichen Landratsamts in Starnberg, Foto: Uwe Kammann

Hohes Lob auch für die anderen Finalisten, vor allem auch für den endlichen Preisträger, das Büro Auer Weber. Auch hier wieder: Weiterbauen mit dem Bestand, Aufgreifen des Vorhanden statt einer komplett neuen Lösung. Hier war es die Erweiterung des Landratsamtes in Starnberg, ein Haus von eben diesem Büro, das schon Anfang der 80er Jahr von vielen Seiten wegen seiner konstruktiven Klarheit und seiner Transparenz gepriesen worden war. Hätte es den 2007 gegründeten DAM-Architekturpreis damals schon gegeben, er hätte sicher dem Starnberger Behördenbau gegolten. Apropos: Auch der „Deutsche Nachhaltigkeitspreis Architektur“ wurde dem Büro für seine Erweiterung des Landratsamtes Ende letzten Jahres zugesprochen.

Viele Sätze aus der jetzigen Jurybegründung müssten hier zitiert werden, um die Begeisterung nachzuzeichnen („das schönste und heiterste Landratsamt der Republik“) und das als Modell hervorgehobene Prinzip zu unterstreichen: „Ein wunderbares Beispiel für das so kluge, aber dennoch so selten praktizierte Prinzip des Weiterbauens.“ Wobei auch angemerkt wird: „Das permanente Weiterbauen, das dieses Projekt so elegant beiläufig zelebriert, war in der Baugeschichte Regel und nicht Ausnahme.“

Heinz Wendl vom siegreichen Büro Auer Weber, Foto: Uwe Kammann

Zu lernen ist in einem anderen Statement auch, welche Rolle der Zeitgeist in der Architektur spielt. Indem darauf verwiesen wird, dass der Siegerbau sich von einem Dogma des Denkmalschutzes entfernt habe, welches (als „Habitus“) in den 70er Jahren in Stein gemeißelt schien: dass nämlich ein Neubau sich mit „größtmöglichem Kontrast“ zum Vorhandenen behaupten müsse, schon, um die aktuelle Eigenständigkeit zu beweisen. Adaption, Weiterführen, Aufgreifen, behutsame Interpretation: Das wurde lange Zeit strikt abgelehnt, mit arrogantem Gestus des intellektuell Überlegenen.

Insofern: Auch hier zeigt der DAM-Wettbewerb sehr deutlich eine neue Tendenz auf, nicht zuletzt zahlenmäßig zu belegen, weil bald die Hälfte der ausgewählten Nominierten in diesem Spektrum des An-, Um- und Weiterbaus zu finden ist. Auch ein weiterer Finalist gehört dazu, das Büro Element-A, welches ein banales Verlagsgebäude – zusammengefügt in zwei Abschnitten (70er und 80er Jahren) – in München erweitert und aufgestockt hat, im ausdrücklichen Einklang mit dem Willen des Bauherren, dem Deutschen Alpenverein. Holz spielte dabei eine große Rolle, sowohl bei der Aufstockung um zwei Geschosse als auch bei einer umlaufenden Riegelfassade mit Holzpfosten, die mit Pflanzkästen begrünt wurde. Dass zur neuen Tugend auch Bescheidenheit gehört, wurde bei der Präsentation eigens betont. So konnten die Decken zwar etwas lichter gestaltet werden – von 2,50 auf 2,72 Meter –, doch eine solche Geschosshöhe, so Schmal, sei sonst ein „Todesurteil“ für einen derartigen Bau.

Christian Taufenbach vom Büro Element.A (Erweiterungsbau Deutscher Alpenverein), Foto: Uwe Kammann

Gerade wegen der Vielfalt der in die Endrunde gelangten 23 Bauten lohnt es sich unbedingt, dieses Spektrum auch im Online-Auftritt des Architekturmuseums zu studieren (der auch die Hunderter-Vorauswahl kurz präsentiert). Und eine Pflicht ist es für jeden Architektur-Interessierten (für die Entscheider in den politischen Gremien und den zuständigen Behörden sowieso), immer wieder den begleitenden Katalog zur Ausstellung in die Hand zu nehmen, mit dem so schlichten wie elementaren Titel: „Deutsches Architektur Jahrbuch 2023“. Alle in die sogenannte Shortlist aufgenommenen nominierten 23 Bauten werden ausführlich mit exzellenten Fotos vorgestellt, auch wesentliche Grundrisse und Schnittzeichnungen helfen bei der Beurteilung der Häuser.

Der Katalog:
Deutsches Architekturjahrbuch 2023
256 Seiten
DOM Publishers
38 Euro

In den vielen begleitenden Texten des Katalogs fällt natürlich auf, wie oft das Prinzip der Ergänzung, des Umbaus, der Erweiterung hervorgehoben wird, wie die neuen Perspektiven – welche natürlich ein radikales Umdenken bedingen, fordern und fördern – unter vielen Gesichtspunkten beschrieben und aufgefächert werden. Was auch heißt: Bauten mit auftrumpfenden Gesten werden nicht hofiert, die ausgespielte Bescheidenheit (der es an Raffinesse nicht fehlen muss) gewinnt stattdessen mehr und mehr Raum. Auch von Schönheit war und ist nicht die Rede.

Im gerade erschienenen
Architekturführer Deutschland 2023
werden alle
beim DAM-Architekturpreis
nominierten Bauten
vorgestellt
224 Seiten
ebenfalls
DOM Publishers.

28 Euro

 

Für die Entwicklung des Preises bedeutet das auch: Es sind nicht mehr durchgehend die großen Namen, welche die Szene beherrschen, auch wenn der Rückblick zeigt: Es gibt bekannte und reputationsgeschwängerte Büro-Qualitäten, an denen die Jurys nicht vorbeikommen, auch nicht in den letzten Jahren: Chipperfield (2020 und 2010), gmp (2019), Lederer (2013), Dudler (2012), Diener & Diener (2011), Zumthor (2008) stehen dafür.

Aufmerksame Architektengäste bei der DAM-Pressekonferenz: Heinz Wendl und Christian Taufenbach, Foto: Uwe Kammann

Aber die Richtung sei ganz klar, so DAM-Direktor Schmal: Man setze bei den Recherchen und bei der Vorauswahl (wobei auch die Architektenkammern sich inzwischen mit Vorschlägen beteiligen können) gerade auch auf junge, experimentierfreudige Büros mit frischen Ideen. Und das die Anti-Abriss-Bewegung inzwischen fest im Denken des Architekturmuseums verankert ist, belegt eine eigene Ausstellung („Bauen mit Bestand“). Auch das wegen einer Renovierung des Stammhauses am Main notwendig gewordene Ausweichdomizil im ehemaligen Telekom-Komplex ganz nahe am Danziger Platz ist dem DAM anscheinend ans Herz gewachsen.

Im landläufigen Sinne schön ist dieses Gebäude-Konglomerat aus den 1950er Jahren nicht, es ist in jeder Hinsicht (von der Straßen-Fluchtlinien-Ignoranz bis zu den Fassaden) altmodisch und in die Jahre gekommen. Aber die DAM-Leute sehen darin genügend innere Werte, um es zu bewahren und mit einer neuen Nutzung zu füllen. Wer weiß, vielleicht bekommt das neue alte Haus in fünf Jahren (s)einen Preis.

Blick auf den Gebäudekomplex mit dem Ausweichquartier des Deutschen Architekturmuseums unweit des Danziger Platzes, Foto: Uwe Kammann

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