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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Nachwuchsmusiker Philipp Schupelius, Cello, und Robert Neumann, Klavier, im Freien Deutschen Hochstift

Konzert zu Ehren Casals

von Petra Kammann

Die einzigen Waffen, die ich je besessen habe, sind mein Cello und mein Dirigierstab,“ sagte der weltberühmte Cellovirtuose Pablo Casals (1876 – 1973), dessen katalanischer Name „Pau“ Frieden bedeutet. Geprägt vom Spanischen Bürgerkrieg, setzte dieser sich unermüdlich für Frieden und Freiheit ein. Ihm zu Ehren gaben der knapp 20-jährige und schon vielfach ausgezeichnete Cellist Philipp Schupelius und der 22-jährige Pianist Robert Neumann, Gewinner etlicher, auch internationaler Wettbewerbe, ein herausragendes Konzert im Arkadensaal des Goethe-Museums. Es war kurzfristig dank einer privaten Initiative der Pianistin und Musik-Coach Viviane Goergen sowie des Sponsors Kersten von Schenck zustande gekommen.

Waren kurz vorher zusammengekommen, um gemeinsam zu musizieren: der Pianist Robert Neumann und der Cellist Philipp Schupelius, Foto: Petra Kammann

Schon die Atmosphäre im Arkadensaal war eine besondere, kamen doch im Veranstaltungssaal im Großen Hirschgraben die Teilnehmenden vor dem Konzert, in der Pause oder auch im Anschluss bei einem Glas Wasser oder Wein zu ganz persönlichen Gesprächen und Begegnungen. In diesem Rahmen erlebt man die Musik und auch die Musiker als Persönlichkeiten ganz unmittelbar und intensiv.

Johann Sebastian Bach, der in Casals Leben eine große Rolle gespielt hat, war dann auch der Einstieg in das besondere, von den Musikern zusammengestellte Programm, das bis in die Gegenwartsmusik reichte. Es begann jedoch nicht mit einem der bekannten Cellokonzerte von Bach, sondern mit dessen  weniger bekannten Gambensonate Nr. 2 in D-Dur, BWV 1028. Diese wie auch Beethovens Cellosonate C-Dur für Klavier und Violoncello, op. 102,1 hatte Casals 1958 vor den Vereinten Nationen gespielt, um dort sein Engagement für Frieden und Freiheit zu dokumentieren. Und Casals, der Deutschland eigentlich nicht mehr besuchen wollte, spielte es 1958 auch in der Beethovenstadt Bonn.

Gelungen – der musikalische Dialog, Foto: Petra Kammann

In dieser Sonate mussten sich die beiden Musiker unterschiedlichen Temperaments – der Pianist Robert Neumann, eher zurückhaltend, cool und präzise im Anschlag, und der Cellist Philipp Schupelius, bewegt und voll emotionaler Verve –, die vor dem Konzert nur wenig Zeit hatten, um sich einzuspielen, erst einmal zueinander finden. Das gelang ihnen jedoch schon beim ersten Andante.

Schupelius moderierte auch die Stücke an, Foto: Petra Kammann

Über der Auswahl der gespielten Stücke – Schupelius, der nach dem ersten Stück dann auch die Moderation übernahm –, standen für die Musiker in Zeiten des Ukraine-Kriegs bewegende Fragen und Themen im Mittelpunkt, welchen Beitrag  Musik im Krieg überhaupt leisten und was Musik einem Krieg entgegensetzen könne.

Auch dafür war Beethovens eher introvertierte Cellosonate Nr. 4 in C-Dur op. 102,1 für Klavier und Violoncello durchaus geeignet. Sie entstand 1815 nach dem Wiener Kongress und dem entgültigen Sieg über Napoleons Herrschaft in Europa. Musikalisch war es für den Komponisten bedeutsam, dass anders als in der noch absolutistisch geprägtenten Barockzeit, beide Instrumente ihre jeweils eigenständige Berechtigung haben. Diesen Ansatz ganz im Stil einer „freien Fantasie“ spielten die Interpreten voll aus. 

Im Andante der Sonate konnte Schupelius unmittelbar mit seinem warmen Celloton die konzentrierte Aufmerksamkeit des Publikums bannen, bevor es in ein freies kadenzartiges Spiel überging und Klavier und Cello sich in manchen Passagen spielerisch imitierten, die Musiker einen lebhaften musikalisch-rhythmischen Schlagabtausch eingingen und sich gegenseitig förmlich überboten, bis ihr dialogisierendes Zusammenspiel in einem lebensfrohen Allegro vivace endete und kulminierte. Schon hier war die ungeheure Spielfreude der beiden jungen Musiker einfach mitreißend und ihr musikalischer Dialog vollends gelungen. Da konnte der Applaus nun mal nicht ausbleiben.

Plakat der Uraufführung 1941 im Gefangenenlager Görlitz 

Ganz konzentriert und still im Saal wurde es beim fast meditativen Spiel der „Louanges“ (Lobpreisungen)  für Cello und Klavier aus dem „Quatuor pour la fin du temps“ (Quartett für das Ende der Zeit) des französischen Komponisten Olivier Messiaen (1908-1992), dessen Aktualität spürbar wurde, da auch wir uns in einer Zeit des Krieges befinden, welche die Welt gerade dramatisch verändert.

Das Quartett hatte der gläubige Messiaen während des Zweiten Weltkriegs im Gefangenenlager Görlitz komponiert. Die unkonventionelle Besetzung des Quartetts hatte sich aus den im Lager verfügbaren Musikern ergeben, wie Schupelius erläuterte, aus dem Klarinettisten Henri Akoka, dem Geiger Jean Le Boulaire und dem Cellisten Étienne Pasquier. Messiaen selbst hatte man ein Klavier zur Verfügung gestellt. Und geprobt wurde in den Waschräumen des Lagers. Für uns heute fast unvorstellbare Bedingungen.

Die Louanges, die Lobpreisungs-Sätze, waren schon früher entstanden. Bei der Quartett-Kompostion hatte Messiaen sich von der Apokalypse des Johannes inspirieren lassen. Erstaunlich, mit welcher Reife die jungen Musiker etwas von der beklemmend-berührenden Atmosphäre vermitteln konnten. Ihnen gelang es, trotz fundamental anderer Bedingungen heute, etwas von der Stimmung und Atmosphäre der Uraufführung zu vermitteln: die Melancholie einer Endzeitstimmung, bei der man sich angesichts der Lage in der Ukraine in die Mischung aus Ängsten, Desillusionierung und Trauer hineinversetzen konnte. Damals, 1941 bei der Uraufführung, waren allerdings 500 Kriegsgefangene und Lagerpersonal die Zuhörer. „Casals Friedensvision und sein besonderes Musikverständnis, das wollen wir in unserem Konzert erkunden und laden dazu  ein“, so hatte auch das Credo der jungen engagierten Musiker bei der Planung des Konzerts gelautet.

Die Pause bot Anlass zu intensiven Gesprächen, Foto: Petra Kammann

Entsprechend lebhaft waren die anschließenden Diskussionen in kleinen Grüppchen im Arkadensaal. Die Begeisterung für die beiden Spieler war durchgängig. Was nach der Pause folgte, war noch einmal herausragend und von ungeheurer Dynamik, wegen der Spannweite des gespielten Klangraums der Cellosonate No.1 von Alfred Schnittke (1934-1998), dem russischen Komponisten mit deutsch-jüdischen Wurzeln. Sie entstand 1978 in Hamburg, wo der aus Moskaus Geflohene im Exil lebte, weil seine  avantgardistische Musik in Moskau als zu experimentell und zu westlich befunden wurde, als dass sie die Kulturpolitik der UdSSR hätte repräsentieren können. Die sowjetischen Kulturfunktionäre fanden, dass der „Geratwanderer zwischen Ost und West“ Schnittke für die Repräsentation der sowjetischen Zwecke unbrauchbar war. 

Alfred Schmittkes Mutter Maria, eine wolgadeutsche Katholikin und sein Vater Harry Schmitt, ein in Frankfurt am Main geborener Jude lettischer Herkunft, der als Journalist und Übersetzer in Moskau gearbeitet  hatte, war aber zeitweise auch nach Wien zurückgekehrt. Dessen Kriegstraumata lebte zweifellos im Sohn Alfred weiter, der schon früh in Wien studiert hatte und dort auf andere Avantgardisten getroffen war, die sich mit der Zerrissenheit der Moderne beschäftigten. Sie spiegeln sich in seiner Komposition u.a. in dessen nervöser Chromatik wieder, um nur ein Beispiel aus der technisch außerordentlich  herausfordernden Partitur herauszugreifen, welche die jungen Spieler mit Bravour meisterten. 

Große technische und emotionale Herausforderung für die jungen Musiker, Foto: Petra Kammann

Schnittke hatte 1973 den Begriff „Polystilistik“ geprägt, was für ihn bedeutete, dass sich historische Stile wie Tonarten nutzen lassen, um mit aktuellen Elementen eine gewaltige Spanne der Klangsprache zu entfalten, mit der ein Komponist nach Belieben und ästhetischem Sinn spielen und jonglieren kann. So entstand ein musikalischer Kosmos, in dem gegensätzliche Stile, Tonales und Atonales, Vergangenes und Gegenwärtiges, Vertrautes und Verfremdetes einander durchdringen und neue Deutungszusammenhänge schaffen. Seine erste Cellosonate ist ein solch polystilistisches Werk.

Eindrucksvoll zu erleben, wie in der geradezu maschinenhaften Bewegung des Mittelsatzes seiner Komposition plötzlich ein grotesk verzerrter Walzer aufblitzt oder trotz aller Atonalität die zwischen Dur und Moll changierenden ruhigen Rahmensätze wehmütige Erinnerungen an eine verlorene musikalische Heimat wachgerufen werden. Schnittkers Cellosonate ist ein ungeheuer faszinierendes zeitgenössisches Werk, das durch das ebenso kraftvolle wie melancholische Spiel der beiden viel verdienten Applaus erntete.

Glücklich über das Gelingen des Zusammenspiels, Foto: Petra Kammann

Dagegen wirkte das letzte Stück, die atemberaubend virtuose „Carmen Fantasie“ des Filmmusikkomponisten Franz Waxman (1906-1967) aus Oberschlesien (heute Chorzów, Polen), später Los Angeles, geradezu ranschmeißerisch, wenngleich das Spiel voller Elan dem nachdenklichen Abend eine neue lebensfrohe Farbe hinzufügte.

Neben Filmmusiken, die Waxman im Schatten der Starfabrik Hollywood geschrieben hat, komponierte er eben auch eine Reihe konzertanter Werke, zu denen die frei nach George Bizets Opéra comique „Carmen“ geschaffene Carmen Fantasie für Violine und Orchester (1947) zählt. In Erinnerung bleibt wohl die überschäumende Lebensfreude des Themas, die sich an diesem Abend auch auf die Musiker übertragen hatte und das Publikum zu einem gewaltigen Applaus anstachelte.

Begeistertes Publikum im gefüllten Arkadensaal, Foto: Petra Kammann

Bleibt die Zugabe wegen der großen Begeisterung, gewissermaßen „zur Beruhigung der Gemüter“,  wie Schupelius ansagte: Pau Casals „El cant dels ocells‘ (‚Der Gesang der Vögel‘). Sie rundete die Hommage an den Ausnahmemusiker ab. Er selbst hatte seit 1939 all seine Exilkonzerte ebenfalls mit diesem Lied beendet. Die Art und Weise, in der mehr als dreißig kleine und große Vogelarten die Geburt Christi feiern, basiert auf einer alten katalanischen Weise. Vom Komponisten Casals in die Moll-Tonart gesetzt, wurde diese Zugabe zu einer Art heimlichen Nationalhymne gegen das Franco-Regime und zur Feier der Musik selbst… Viva la Musica!

Die großartige Organisatorin und Pianistin Viviane Goergen im Gespräch mit dem Sponsor Prof. Dr. Dieter Borcke-Hoelzer (Hoelzer-von Borcke Musikstiftung), Foto: Petra Kammann

Die Interpreten 

Philipp Schupelius (* 2003) ist vielfach ausgezeichneter Cellist, u.a. erhielt er den „Discovery Award“ der International Classical Music Awards (ICMA) 2020 und im Herbst dieses Jahres den „Fanny Mendelssohn Förderpreis 2023“. Seine Debut-CD wird im Sommer 2023 erscheinen. Derzeit studiert Philipp Schupelius an der Kronberg Academy bei Wolfgang Emanuel Schmidt. Als Preisträger des Wettbewerbs des Deutschen Musikinstrumentenfonds spielt er seit Februar 2019 ein Cello mit Zettel Joseph Gagliano, Neapoli 1720. 

Robert Neumann (* 2001) ist Gewinner und Preisträger zahlreicher nationaler und internationaler Wettbewerbe, darunter des „International Classical Music Discovery Award 2017“. Er wird als „ein Ausnahmetalent“ und „eine der vielversprechendsten pianistischen Begabungen“ bezeichnet. Für sein Debüt-Album beim SWRmusic wurde Robert Neumann zum OPUS KLASSIK Nachwuchskünstler des Jahres 2021 gekürt.

 

 

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