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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Le sacre du Printemps“ als Flamenco in Köln, als Wassermusik in Dortmund, dort auch Strawinskys „Petruschka“

Die Verwandlung von Strawinskys Tanzklassikern

Von Simone Hamm

„Le Sacre du Printemps“ zu choreografieren ist eine ungeheure Herausforderung. Es ist eines der bekanntestes Stücke der Ballettliteratur. Die Uraufführung 1913 in Paris, in der Vasall Nijinsky tanzte, geriet zum Skandal. Die „Bilder aus dem heidnischen Russland“, das Frühlingsopfer, eine junge Frau, die rhythmische Musik Strawinskys, die stampfenden Tänzer“, das alles kam nicht gut an. Über fünfzig Jahre alt ist inzwischen Maurice Béjarts stark erotisch aufgeheizte Version. Sie wird immer noch getanzt. Unvergessen ist auch, wie Pina Bausch die Tänzer und Tänzerinnen 1975 durch knöchelhohe Erde laufen ließ. Tanz/Köln hatte den großen Erneuerer des Flamenco, Israel Galván, eingeladen, seine Version des „Sacre“ zu zeigen. In Spanien wird er der „Nijinsky des Flamenco“ genannt.

Der Klassiker in Pina Bauschs Tanztheater: „Sacre du printemps“, Wuppertal 2007, Foto: Petra Kammann

Während einer Probepause für ein anderes Ballettstück hatte die Komponistin und Pianistin Sylvie Courvoisier ein paar Takte aus „Sacre“ gespielt. Galván war begeistert. Zu diesen Rhythmen wollte er tanzen, seinen Körper zum Percussionsinstrument werden lassen.

Israel Galván tanzt „Sacre“, Foto: Theater Dortmund

Zwei Pianisten Sylvie Courvoisier und Cory Smythe begleiten ihn in Köln dabei. Zunächst improvisieren sie, zupfen an den Saiten, klopfen auf die Flügel, die Tasten. So stimmen sie Zuschauer und Zuschauerinnen darauf ein, dass dies alles andere als ein gewöhnlicher Flamencoabend werden wird.

Im Dunklen schlurft Galván auf die Bühne. Er ist ganz in schwarz gekleidet, erhebt einen Arm, als wolle er die Klavierspielerinnen um Ruhe bitten, beginnt dann einen rasanten Flamenco und geht doch wie darüber hinaus. Überall auf der Bühne sind Klanginseln gebaut, meist aus Holz. Mit seinen Hacken trommelt und knallt Galván auf Holz, Stahl und Kies. Steinchen kratzen, Staub wirbelt auf. Er will, so sagt er kein artifizielles „Sacre“, er will Geräusche imitieren, die von der Straße kommen.

Gerade, als man zu glauben beginnt, ein veritabler Torero stünde auf der Bühne, betont Galván seine feminine Seite. Jetzt trägt er ein weites, schwarzes Kleid, thront auf einem Hocker und schnippt mit den Fingern, als halte er Kastagnetten in den Händen. Dann beginnt er mit den Füßen zu stampfen. Immer schneller. Er spielt mit den Geschlechterrollen, dem Pianisten und der Pianistin, dem Publikum. Überrascht immer wieder mit neuen, schellen Tanzschritten, nimmt mühelos die komplette Bühne des Staatenhauses  ein.

Das Experiment, aus „Sacre du Printemps“ einen atemberaubenden Flamencoabend zu machen, ist Israel Galván mehr als gelungen.

Sae Tamura (Opfer) Ensemble, Aufführung Dortmund; Foto: Leszek Januczewski 

Ein andere, aber nicht minder aufregende Choreografie von „Le Sacre du Printemps“ sowie Strawinskys „Petruschka“ ist in Dortmund zu sehen. Edward Clug hat sich von Nijinskis Choreografie inspirieren lassen. Der hatte sich mit den Werken des Bildhauers Nikolai Roerich beschäftigt. Bisweilen wirkten Nijinskys Tänzer wie getanzte Skulpturen. Auch Clugs Tänzer winkeln Arme und Beine an, als seien sie Statuen. Zudem tragen sie hautfarbene Trikots. Das verstärkt den Eindruck des Plastischen.

Aber dann: sechs Paare tanzen mit- und gegeneinander, werfen sich zu Boden, heben andere Tänzer mit weiten Armen in die Höhe. Und doch ist das kein wildes Wirbeln, klare Bewegungen, geometrische Linien sind zu sehen. Die Tänzer sind eine Gruppe, keine Individuen. Sie sind nicht frei.

Tanzen auf Erde in Pina Bauschs „Sacre du printemps“, Wuppertal 2007, Foto: Petra Kammann

Pina Bausch hatte das Element Erde auf die Bühne gebracht, Edward Clug verwendet das Element Wasser. Wasser stürzt auf die Bühne. Alles wird anders. Das Wasser wirkt reinigend und gefährlich zugleich. Denn es macht den Tanzboden spiegelglatt.

Die Männer zerren die Frauen über den nassen Boden. Dann werden ihre Schritte vorsichtiger. Bei Clug wird keine junge Frau ein Opfer heidnischer Rituale. In Dortmund wird eine junge Frau von der Gemeinschaft verstossen. Alisa Uzunova tanzt sie meisterhaft. Verzweifelt kämpft sie gegen die Verbannung an. Clug stellt die Frage, wie weit Individualität gehen darf. Was wird toleriert wird von der Gemeinschaft? Wo ist sie viel zu engstirnig? Wo läßt sie zu viel laufen? Wen bestraft sie gnadenlos fürs Andersein? Brennende Fragen der Gegenwart, die zeigen, das „Sacre“ nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Beim Tanzabend in Dortmund wird neben „Sacre“ auch „Petruschka“, eine andere Ballettmusik von Igor Strawinsky, getanzt. Xin Peng Wang hat weniger den Liebeskummer Petruschkas, er hat vielmehr dessen Einsamkeit, dessen Ausgeschlossensein, betont und damit eine Brücke zum „Sacre“ gebaut.

Höhnisches Lachen ist zu hören am Anfang und am Ende von „Petruschka“. Xin Peng Wang hat aus dem bemitleidenswerten Petruschka eine Mischung aus Harlekin und  „Joker“, Batmans Erzfeind, gemacht. Er ist nicht die bemitleidenswerte Rummelplatzfigur, er ist der Ausgestoßene, der ewige Verlierer, der gedemütigt, verprügelt wird. Guillem Roje i Gallego gibt dem unglücklich Verliebten eine melancholische Note. Dann wieder springt er clownesk über die Bühne und wirkt fast frei.

Mühelos meistert er den Übergang vom Freude bringenden Clown zum traurigen Verstoßenen. Amanda Vieira – in der Rolle der angebeteten jungen Frau – gibt sich unschuldig und verschwindet doch mit dem reichen Verehrer auf dem Segway. Petruschka bleibt mit gebrochenem Herzen zurück. Ein Polizist verfolgt ihn. Offenbar will Petruschka sich wehren, zieht eine Pistole. Doch der Polizist ist schneller. Und erschießt Petruschka.

So sollte „Petruschka“ eigentlich enden. Doch Xin Peng Wang  gibt Petruschka ein anderes Ende. Die wankelmütige Geliebte kehrt zurück, greift zur Pistole des toten Petruschka, zielt auf den Polizisten. Und aus dem Lauf fällt eine rote Rose. Er war eben doch nur ein Clown.

Derzeit ist Strawinskys Musik zu „Petruschka“ und „Sacre“ wegen Corona und Coronabestimmungen nur vom Band zu hören. In der kommenden Spielzeit werden die Dortmunder Philharmoniker wieder dazu spielen. Darauf dürfen wir uns jetzt schon freuen.

 

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