Preis der Literaturhäuser 2022 für Sasha Marianna Salzmann
Ein Preis zur rechten Zeit
In ihrem Roman Im Menschen muss alles herrlich sein, der im vergangenen Jahr auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis, auf der ORF-Bestenliste sowie auf Platz 1 der SWR-Bestenliste stand, erzählt Sasha Marianna Salzmann von Umbruchzeiten, von der „Fleischwolf-Zeit“ der Perestroika bis ins Deutschland der Gegenwart. Sie erzählt, wie Systeme zerfallen und Menschen vom Sog der Ereignisse mitgerissen werden. Dabei folgt sie vier Lebenswegen und spürt der unauflöslichen Verstrickung der Generationen nach, über Zeiten und Räume hinweg. Bildstark, voller Empathie und mit großer Intensität.
Sasha Marianna Salzmann bei den 50. Römerberggesprächen; Foto: Uwe Kammann
Wie aber soll man „herrlich“ sein in einem Land, in dem Korruption und Unterdrückung herrschen, in dem nur überlebt, wer sich einem restriktiven Regime unterwirft? Wie soll man diese Erfahrung überwinden, wenn darüber nicht gesprochen wird, auch nicht nach der Emigration und nicht einmal mit der eigenen Tochter? „Was sehen sie, wenn sie mit ihren Sowjetaugen durch die Gardinen in den Hof einer ostdeutschen Stadt schauen?“, fragt sich Nina, wenn sie an ihre Mutter Tatjana und deren Freundin Lena denkt, die Mitte der neunziger Jahre die Ukraine verließen, in Jena strandeten und dort noch einmal von vorne begannen. Lenas Tochter Edi hat längst aufgehört zu fragen, sie will mit ihrer Herkunft nichts zu tun haben. Bis Lenas fünfzigster Geburtstag die vier Frauen wieder zusammenbringt und sie erkennen müssen, dass sie alle eine Geschichte teilen.
Vielleicht versteht man nach der Lektüre des Romans (Suhrkamp Verlag, 24 Euro) etwas besser die aktuelle Lage in der Ukraine
In der Begründung der Jury zum Preis der Literaturhäuser heißt es nun : „Salzmann versteht es in vor Erzählfreude sprudelnden Texten mit leichter Hand historische Bögen zu spannen, die ›Zentrifugalkräfte der Geschichte‹ sinnlich fassbar zu machen und, wie in Im Menschen muss alles herrlich sein, beispielsweise den Niedergang des sowjetischen Imperiums mit den Versuchen der Romanfiguren, ein eigenes selbstbestimmtes Leben zu führen, miteinander zu verschränken. Zudem weiß Salzmann virulente Themen wie ›Identität‹ und ›Geschlechterzugehörigkeit‹ so perspektivenreich und komplex zu verhandeln, dass nie der Verdacht aufkommt, die Texte wollten vor allem einen Diskurs begleiten. Auf der Bühne versteht es Salzmann, den unverwechselbaren Ton ihrer Erzählungen brillant zu vermitteln und im Gespräch mit hoher Präsenz und Eloquenz Einschätzungen so zu formulieren, dass das Publikum sofort in Bann gezogen wird. In Essays und aktuellen Feuilletondebatten gelingt es Salzmann zudem, ihre Einsichten luzide und ideologisch nie festgefahren darzulegen.“
Der Preis wird jährlich von den bei literaturhaus.net zusammengeschlossenen Literaturhäusern vergeben. Er beinhaltet eine Lesereise in diesem Netzwerk und ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro dotiert. Die Verleihung findet am 17. März im Rahmen einer Veranstaltung in Leipzig statt. Am 11. Mai 2022 werden Werk und Autor:in mit einer Veranstaltung im Literaturhaus Stuttgart gewürdigt.
Sasha Marianna Salzmann
Sasha Marianna Salzmann ist Theaterautorin, Essayistin und Dramaturgin. Für ihre Theaterstücke, die international aufgeführt werden, hat sie verschiedene Preise erhalten, zuletzt den Kunstpreis Berlin 2020. Ihr Debütroman Außer sich wurde 2017 mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung und dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Er ist in sechzehn Sprachen übersetzt.