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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Die Nacht, in der Kasimir Malewitsch das Schwarze Quadrat klaute..“

Traxlers höchst wundersame, vergnügliche Kunstgeschichten

von Hans-Bernd Heier

Mit der „schönsten Schau im schönsten Museum der Welt“, so Museumsleiter Achim Frenz, gratulierte vor drei Jahren das Museum für Komische Kunst dem als einen seiner „Hausgötter“ verehrten Künstler Hans Traxler zum 90. Geburtstag. Im Laufe von mehr als sieben Dekaden äußerst kreativer Tätigkeit hat der vielseitige Zeichner, Maler, Cartoonist, famose Illustrator und humorvolle Autor ein breites Spektrum künstlerischer Felder durchmessen. Bei der grandiosen Schau im Caricatura kündigte der vitale Meister der komischen Kunst bereits an, weiterarbeiten zu wollen: Denn „ich wüsste nicht, was ich sonst mit meiner Zeit anfangen sollte“. Jetzt liegt sein neustes, noch druckfrisches Werk vor „Die Nacht, in der Kasimir Malewitsch das Schwarze Quadrat klaute..“.

Hans Traxler; © Verlag Antje Kunstmann

In acht kurzweiligen Geschichten beleuchtet er Künstler und den Kulturbetrieb auf höchst vergnügliche Weise, die selbst Kunstexperten verblüffen dürfte: beispielsweise wie Piet Mondrian durch eine Verwechslung zum berühmtesten holländischen Maler seit Rembrandt aufstieg oder wie Krimtataren Joseph Beuys zunächst beinahe umbrachten und ihn anschließend zum Weltkünstler machten.

Der niederländische Maler Piet Mondrian (1872–1944) zählt – gemeinsam mit Kasimir Malewitsch und Wassily Kandinsky – zu den prominentesten Vertretern der abstrakt-geometrischen Kunst. Das Landesmuseum Wiesbaden widmete ihm vor drei Jahren eine groß angelegte Retrospektive, in der auch das Spätwerk zu bewundern war. „Die in jener letzten Schaffensperiode entstandenen Arbeiten gelten heute als Ikonen der modernen Kunst. Mondrian prägte mit dem von ihm erfundenem strengen Raster und der strikten Konzentration auf die Farben Rot, Gelb und Blau aber nicht nur die Malerei des 20. Jahrhunderts, sondern auch grenzüberschreitend Innenarchitekten, Typografen oder Modedesigner“, erläuterte Dr. Roman Zieglgänsberger, Kurator der großartigen Ausstellung.

Doch warum beschränkte sich der Maler, der zu den wichtigsten Künstlern der Klassischen Moderne gehört, in seinen streng geometrisch ausgeführten Werken zumeist lediglich auf die Primärfarben und die dicken schwarzen Raster-Linien? Die Antwort kennt Hans Traxler: Bei seinen intensiven Recherchen hat er herausgefunden: Die gute, aber etwas zerstreute Fee Grietje hatte Piet ein Kästchen, das eigentlich für seinen Drillingsbruder Kees gedacht war, in die Wiege gelegt – mit einem kleinen Lineal, einem rechten Winkel, einem Bleistift, vier Pinseln und vier Fläschchen mit den Farben Rot, Blau, Gelb und Schwarz. Öffnen durfte Piet es erst zu seinem 33. Geburtstag. Nach anfänglicher Enttäuschung über den Inhalt des Kästchens machte sich Piet sogleich ans Werk und schuf eines seiner weltberühmten Spätwerke. Wäre Piet Mondrian zu solchem Ruhm gekommen, hätte die zerstreute Fee sich nicht geirrt?

Eines der Markenzeichen von Joseph Beuys – der Filzhut, hier dozierend vor der Düsseldorfer Kunstakademie; Foto: Inge Sauer 

Nicht weniger spannend und hintergründig liest sich die Geschichte über Joseph Beuys, dessen Geburtstag sich 2021 zum 100. Mal jährte. Museen in ganz Deutschland erinnerten an den Ausnahmekünstler. Nur wenigen Zeitgenossen ist es gelungen, so nachhaltig einen Platz in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts einzunehmen wie der Mann mit dem Filzhut und der Anglerweste. „Es ist ein einzigartiges Verdienst von Joseph Beuys, mit der von ihm und seinem Werk ausgehenden Erweiterung des Kunstbegriffs (Stichwort »soziale Plastik«) bis heute – und sicherlich noch bis weit ins 21. Jahrhundert – als wirkmächtige Messlatte für die Gegenwartskunst zu dienen. Erfahrungen aus dem eigenen Leben, aus der Natur und der Kunst hatte der Künstler zu »seinen« Themen gemacht und in seinen Werken, Werkgruppen und Aktionen und Performances künstlerisch verarbeitet“, war in FeuilletonFrankfurt zu lesen.

Das einschneidendste Erlebnis in Beuys‘ Leben war zweifellos sein Absturz mit dem Stukakampfbomber im März 1944 auf der Krim-Halbinsel. Dabei wurde der junge Unteroffizier lebensgefährlich verletzt. Krimtartaren, die den halbtoten Stuka-Flieger entdeckten, hätten ihn in Filzdecken eingewickelt, ihn mit Yakfett eingerieben und den Todgeweihten seinem Schicksal überlassen. So die Legende. Doch diesersei auf wundersame Weise gerettet und in ein großfürstliches Zarenschloss gebracht worden, wie Traxler zu berichten weiß. Dank des Verhandlungsgeschicks des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer konnte Beuys wie zehntausend weitere deutsche Kriegsgefangene wieder nach Deutschland zurückkehren. Zum Abschied erhielt er „als Souvenir eine Kiste mit Filz und ein Eimerchen mit Yakfett überreicht“.

Viele der Beuys-Aktionen sind in den Büchern des Sammlers und Verleger Lutz Schirmer dokumentiert, Verlag Schirmer & Mosel

Fürderhin sollten Filz und Fett eine „magische Rolle“ im Werk des Joseph Beuys spielen. Ein Schulfreund, der inzwischen berühmter Kunstkritiker geworden war, erkannte sofort dessen künstlerisches Potenzial und lancierte einen großen Artikel in einem mehrsprachigen Hochglanzmagazin über den „Schamanen vom Niederrhein“. Die Abbildung zeigte den Künstler mit einer Anglerweste und einem runden Filzhut mit hochgezogener Krempe – ein markanter Auftritt, den er sein Leben lang beibehielt. Diese Geschichte wurde in den nächsten Wochen in allen Feuilletons rund um den Globus verbreitet. „Beuys war ‚angekommen‘. Er war jetzt eine ‚Marke“, so Traxler.

Auch die weiteren köstlich-wunderlichen Geschichten des Meisters der komischen Kunst dürften selbst ausgewiesene Kunstexperten in Staunen versetzen, wie die satirischen Erzählungen über Kasimir Malewitsch und Niki de Saint Phalle: Hätte Malewitsch sein legendäres Schwarzes Quadrat geschaffen ohne diese heute vollkommen vergessene Gruppe anarchistischer Malschülerinnen an der Kaiserlichen Akademie zu St. Petersburg? Was ist mit dem kunstinteressierten Mann, der anlässlich einer Retrospektive von Niki de Saint Phalle eine Nacht in einer riesenhaften Nana verbringt und danach von einer fleischgewordenen Nana durch halb Europa verfolgt wird?

Hans Traxler 2019 im caricatura; Foto: Petra Kammann

Hans Traxler wurde am 21. Mai 1929 im nordböhmischen Herrlich geboren. Seine Mutter wollte ihn zum Musiker machen, „aber daraus wurde nichts“. Er entdeckte schon früh seine wahre Begabung: Als er mit fünf Jahren seine erste Bildergeschichte zeichnete – drei Bären fahren mit einer Draisine – und diese an seinen ältesten Bruder verkaufen konnte, gab dies wie Traxler schreibt, „den Ausschlag. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass man für etwas, das Spaß macht Geld bekommen konnte, um sich Dinge zu kaufen, die noch mehr Spaß machen, beschloss ich, nie mehr etwas anderes zu tun als komische Zeichnungen zu machen“. Später erweiterte er sein Repertoire um satirische Kurzgeschichten und Bücher.

Traxler hat F.W. Bernsteins berühmtesten Zweizeiler: „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche!“ bildlich umgesetzt. Seine Bronzeskulptur vor dem Eingang des Museums für Komische Kunst im historischen Leinwandhaus neben dem Dom begrüßt die Besucherinnen und Besucher. © Hans Traxler; Foto: Hans-Bernd Heier

Er studierte Malerei am Städel, war Mitbegründer der Satire-Magazine „Pardon“ und „Titanic“ und zählt zum Gründungkreis der mittlerweile legendären „Neuen Frankfurter Schule“. Laut Oliver Maria Schmitt, Biograph der „Neuen Frankfurter Schule“, gilt Traxler als der „bildmächtigste“ Zeichner der Gruppe und einer der breitenwirksamsten Satiriker, die Deutschland je hervorgebracht hat“. Der produktive Künstler schrieb und zeichnete bisher mehr als 70 Bücher, für die er oft ausgezeichnet wurde, z.B. mit dem Wilhelm-Busch-Preis und dem Deutschen Karikaturenpreis. Auch erhielt er den Satirepreis „Göttinger Elch“, die „Goetheplakette der Stadt Frankfurt“, den „Sondermann-Preis für Komische Kunst“, der als „Oscar für Cartoonisten“ gilt, und kürzlich den Friedrich-Stoltze-Preis. Mit der Wissenschaftsparodie „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“, die auch verfilmt wurde, konnte er seinen ersten großen Bucherfolg erzielen. Zuletzt profilierte sich Hans Traxler als Illustrator klassischer Texte, beispielsweise von Goethe, Schiller, Eichendorff oder Mark Twain. Seine Kinderbücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Sein Lebenswerk befindet sich im Frankfurter Caricatura-Museum und wird dort in halbjährlich wechselnden Ausstellungen gezeigt. Der rüstige Künstler lebt in Frankfurt und im Sommer am Ammersee.

Hans Traxler „Die Nacht, in der Kasimir Malewitsch das Schwarze Quadrat klaute…“ – acht Kunstgeschichten, 128 Seiten; Preis: 20,00 €; erschienen im Januar 2022; ISBN 978-3-95614-503-2

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