home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Nominierungen für den Deutschen Hörbuchpreis 2022

DIE FINALISTEN

Zum 20. Mal  wird in diesem Jahr die begehrte Auszeichnung zum Deutschen Hörbuchpreis vergeben. Rund 70 Verlage, Rundfunksender und Produzierende bewarben sich mit insgesamt mehr als 300 Titeln. Nun stehen die 18 Nominierten für den Deutschen Hörbuchpreis 2022  fest.  Auf Grundlage der Longlist hat die Nominierungsjury jeweils drei Titel pro Kategorie für den Deutschen Hörbuchpreis 2022 nominiert. Hier stellen wir die Finalisten mit einer inhaltlichen Kurzbeschreibung und einer Hörprobe vor:

Die Titel der Nominierten für den Deutschen Hörbuchpreis © WDR

Finalisten Beste Interpretin:

In der Kategorie Beste Interpretin haben folgende Schauspielerinnen und Sprecherinnen eine Chance auf den Preis: Martina Gedeck liest „Nastjas Tränen“ von Natascha Wodin (Argon Verlag), Milena Karas interpretiert „Wo der Wolf lauert“ von Ayelet Gundar-Goshen (ebenfalls Argon Verlag) und Jördis Triebel „Was wäre wenn“, den neuen Roman von Lizzie Doron (Der Audio Verlag).

Martina Gedeck

Kurzbeschreibung: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kommt Natascha Wodin aus Kiew nach Berlin. Das Schicksal ihrer ukrainischen Putzfrau Nastja, mit der sie sie sich nach und nach anfreundet, weckt Erinnerungen an das Leben ihrer Mutter: Im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt, nimmt sie einfache Tätigkeiten an, bemerkt zu spät den Ablauf ihres Visums und schlittert unversehens in das Leben einer Illegalen, die schließlich an ihrem Heimweh zerbricht.

Begründung der Nominierungsjury: Kongenial dem Text folgend und der Wirkung lebendiger Bilder bewusst, setzt Martina Gedeck ihre Stimme ein. Intensiv, vorantreibend und dann auch wieder behutsam und verhalten nimmt sie uns in „Nastjas Tränen“ mit in eine Geschichte extrem gegensätzlicher Welten – eine Geschichte, die einen durch das geschriebene Wort und dessen exzellente sprachliche Umsetzung stellenweise atemlos zurücklässt.

Martina Gedeck »Nastjas Tränen «Argon Verlag

Jördis Triebel

Kurzbeschreibung: Lizzie erhält einen Anruf aus dem Hospiz: Ihr Kindheitsfreund Yigal, den sie seit vierzig Jahren nicht mehr gesehen hat, bittet sie, sein letzter Besuch zu sein. Seine Erfahrungen in der israelischen Armee hatten Yigal zum politischen Aktivisten werden lassen. Als Tochter einer Holocaust-Überlebenden hielt Lizzie ihn für einen Verräter und wandte sich von ihm ab. Jetzt fragt sie sich, wer damals wen verraten hat, und macht sich auf den Weg, um von Yigal Abschied zu nehmen.

Begründung der Nominierungsjury: Jördis Triebel führt uns mit ihrer lebendigen und ausdrucksstarken Stimme durch Lizzies Vergangenheit. Sie übernimmt dabei oftmals die Rolle der Chronistin im hörbaren Wechsel zu Gefühlen des Bedauerns und der Betroffenheit. Jördis Triebel vermag all diesen Ebenen mühelos den nötigen Raum zu geben – in einer Erzählung, die auch den Blick zulässt auf ein Stück Weltgeschichte des zurückliegenden Jahrhunderts.

Lizzie Doron / Markus Lemke (Übers.)
Der Audio Verlag

Milena Karas

Kurzbeschreibung: Lilach Schuster hat alles – ein Haus mit Pool im Herzen des Silicon Valley, einen erfolgreichen Ehemann und das Gefühl, angekommen zu sein in einem Land, in dem man sich nicht in ständiger Gefahr wähnen muss wie in ihrer Heimat Israel. Doch dann stirbt auf einer Party ein Mitschüler ihres Sohnes Adam. Je mehr Lilach über die Umstände des Todes erfährt, desto größer wird ihr Unbehagen. Ist es möglich, dass Adam irgendetwas damit zu tun hat?

Begründung der Nominierungsjury: In diesem Hörbuch lauert der Wolf überall. Dafür sorgt nachdrücklich die sehr wandlungsfähige Stimme von Milena Karas. Sie versteht es meisterlich, sowohl die vielschichtigen dramatischen Ereignisse wie auch die innere Spannung der Erzählerin Lilach, einer sich um ihren Sohn sorgenden Mutter, nuanciert hör- und mitunter fast körperlich erlebbar werden zu lassen.

Ayelet Gundar-Goshen / Ruth Achlama (Übers.), »Wo der Wolf lauert«, Argon Verlag
—————————————————————————————————–

Finalisten Bester Interpret:

Mit Jens Harzer, Edgar Selge und Devid Striesow wetteifern drei prominente Schauspiel­kollegen um die Ehre als Bester Interpret. In „Paul Celan / Jens Harzer: Eine Annäherung“ (speak low) erschließt sich den Hörer:innen die stimmliche Aneignung der Gedichte als intellektueller Prozess, Edgar Selge liest seinen autobiografischen Roman „Hast Du uns endlich gefunden“ (Argon Verlag) und Sprecher Devid Striesow konnte die Jury mit Fridolin Schleys Roman „Die Verteidigung“ überzeugen (Random House Audio). 

Devid Striesow

Kurzbeschreibung: Ernst von Weizsäcker, SS-Brigadeführer und Spitzendiplomat, wird 1947 bei den Nürnberger Prozessen angeklagt. Zu seinen Verteidigern zählt sein Sohn Richard, der vier Jahrzehnte später als Bundespräsident in seiner Rede zum 8. Mai über Kriegsschuld und die Befreiung Deutschlands von den Nationalsozialisten sprechen wird. Verkörpert durch Vater und Sohn, stoßen das alte schuldbeladene Deutschland und die gerade entstehende Bundesrepublik aufeinander.

Begründung der NominierungsjuryDevid Striesow wird in seiner Interpretation diesem hochkomplexen Roman in sämtlichen Facetten gerecht. Er gibt allen Ebenen eine eigene Klangfarbe und leuchtet jeden Winkel des Textes aus, ist dabei gleichzeitig zurückhaltend und intensiv. So hält und verdeutlicht er über die gesamte Länge den Spannungsbogen zwischen der persönlichen Perspektive – der Auseinandersetzung mit der Frage nach der persönlichen Schuld – und der zeithistorischen Dimension und führt die Hörer*innen in das Zentrum des beschriebenen Konflikts hinein.

Fridolin Schley »Die Verteidigung«, Random House Audio

Edgar Selge

Kurzbeschreibung: In einem bürgerlichen Haushalt der Fünfziger Jahre wächst ein Junge heran. Noch unter dem Eindruck des Krieges versuchen die Eltern, durch Hingabe an klassische Musik und Literatur nachzuholen, was zwischenzeitlich verloren schien. Überall spürt der Sohn Risse in dieser geordneten Welt. Gebannt verfolgt er die politischen Auseinandersetzungen, die seine Brüder mit Vater und Mutter führen. Aber er bleibt Zuschauer und flüchtet sich immer häufiger in die Welt der Fantasie.

Begründung der Nominierungsjury: Unsentimental und mit fein ironischem Unterton liest Edgar Selge seinen autobiografischen Roman, der so grausam wie zärtlich sein Aufwachsen beschreibt. Mit gemischten Gefühlen folgt man etwa dem Kind in die surreale Atmosphäre eines Hauskonzerts mit Gefängnisinsassen, erlebt den moralischen Druck, der auf seiner Pubertät lastet. Selge rückt den politischen Streit im Elternhaus über die Schatten der NS-Zeit ebenso in die Gegenwart wie die Trauer der Eltern über den Tod der Brüder. Dabei kippt sein Ton nie ins Selbstmitleidige.

Edgar Selge, Hast du uns endlich gefunden, Argon Verlag

Jens Harzer

Kurzbeschreibung: Aus Paul Celans lyrischem Werk hat der Schauspieler Jens Harzer gemeinsam mit Barbara Wiedemann eine Auswahl getroffen, die sieben thematische Aspekte abbildet: Heimat, Liebe, Wahnsinn, Schmerz, Jüdisch-Sein, Schreiben und Aktualität. Indem sich Harzer suchend und tastend durch Celans Gedankenwelt bewegt, bildet er den Prozess der Durchdringung und sukzessiven Aneignung der Gedichte ab. Als Hörer*in ist man Zeuge dieser persönlichen „Annäherung“ an eine der bedeutendsten Stimmen europäischer Lyrik.

Begründung der Nominierungsjuy: Wie Jens Harzer sich stimmlich und oft in mehreren Anläufen an die bisweilen rätselhaften, aber auch sprachspielerischen Texte Paul Celans herantastet, Bildern und einzelnen Formulierungen nachlauscht, sie zu interpretieren sucht, sich hin und wieder dabei selbst ins Wort fällt und um Verständnis ringt: Das alles ist äußerst lebendig. Mit dem lauten Vor-sich-Hindenken nähert er sich den verschiedenen Bedeutungsebenen von Lyrik an und öffnet das Ohr für das, was sie von erzählender Prosa unterscheidet.

Paul Celan, Paul Celan / Jens Harzer – Eine Annäherung , speak low

——————————————————————–

Finalisten Bestes Hörspiel:

In der Kategorie Bestes Hörspiel kamen drei Literaturbearbeitungen in die Endrunde: Christiane Ohaus führte Regie bei der Adaption von John Steinbecks Epos „Jenseits von Eden“ (NDR / Der Hörverlag), Regisseurin Christine Nagel holte Jane Austens Klassiker „Überredung“ in die Gegenwart (hr / Der Hörverlag) und Regiekollegin Andrea Getto hat Lizzie Dorons Roman „Who the fuck is Kafka“ als Hörspiel inszeniert (NDR / Der Audio Verlag).

Jenseits von Eden

Kurzbeschreibung: Die Familie Trask ist in einem Teufelskreis gefangen: Charles, der jüngere der beiden Söhne, hasst den beliebteren Adam und schwängert dessen schöne, aber abgrundtief böse Frau Cathy. Ihr Sohn Caleb wiederum treibt seinen Zwillingsbruder Aron in den Tod. Erst auf dem Sterbebett kann Adam Caleb vergeben. Über drei Generationen hinweg, vom Beginn des Bürgerkriegs bis zum Ersten Weltkrieg, erzählt Steinbecks symbolträchtiger Roman von 1952 die biblische Geschichte von Kain und Abel neu.

Begründung der Nominierungsjury: Mit viel Sinn für die Abgründigkeit des Stoffes ist unter der herausragenden Regiearbeit von Christiane Ohaus ein autonomes Werk der Extraklasse entstanden. Sparsame Klang- und Soundeffekte, ein exzellentes Sprecherensemble und ein stimmiger Soundtrack versüßen das Hören. Eine perfekte dramaturgische Verdichtung dieses Kain und Abel-Konfliktes ohne Längen und mit geschliffenen Dialogen über mehr als neun Stunden.

John Steinbeck / Christiane Ohaus (Regie) / Stephanie Nilles (Musik), Jenseits von Eden, Der Hörverlag / NDR

Überredung

Kurzbeschreibung: Anne Elliot und Frederick Wentworth verlieben sich ineinander und wollen heiraten. Doch im England des beginnenden 19. Jahrhunderts ist es für die Tochter eines Baronet nicht standesgemäß, einen mittellosen Marineoffizier zu ehelichen. Anne lässt sich dazu überreden, den Heiratsantrag auszuschlagen, und Wentworth fährt zur See. Acht Jahre später fragt Jane Austen aus der Perspektive der gereiften Anne: Was ist aus den Herzenswünschen der Geliebten geworden?

Begründung der Nominierungsjury: Christine Nagels Umgang mit einem Jane Austen-Klassiker ist sensationell. Angstfrei und kreativ befreit sie den Roman von seiner biedermeierlichen Patina, legt sein spannungsreiches vielschichtiges Beziehungsgeflecht offen und landet mitten im gegenwärtigen feministischen Diskurs um Selbstbestimmung und Liebesanspruch. Sie erreicht das durch eine große Genauigkeit und Sensibilität in der Schauspielführung und kühne dramaturgische Einfälle. Eine mutige, feinsinnige Hörspieladaption von hoher Klangqualität und ohne jedes Sentiment.

Jane Austen / Christine Nagel (Regie) / Peter Ehwald (Musik) »Überredung«, Der Hörverlag / hr

Who the Fuck is Kafka

Kurzbeschreibung: Auf einer Friedenskonferenz in Rom beginnt die ambivalente Freundschaft zwischen der israelischen Schriftstellerin Lizzie und dem palästinensischen Journalisten Nadim. Sie beschließen, die Welt des jeweils anderen zu erkunden – er filmend, sie schreibend. Aber das gegenseitige Misstrauen sitzt tief. Sie begreifen, dass sie dieselbe Irrenanstalt bewohnen, nur in verschiedenen geschlossenen Abteilungen. Wieder und wieder stockt das gemeinsame Projekt, bis Nadims Leben in Gefahr gerät.

Begründung der Nominierungsjury: Eine sensible, kluge Bearbeitung und Regie, ganz auf die beiden Protagonisten zugeschnitten. Ihre Innensicht, ihre Auseinandersetzungen und vorsichtige Annäherung – inszeniert als rasant wechselnde Schnittfolgen – ziehen den Hörer mitten hinein in das toxische Spannungsfeld um den palästinensisch-israelischen Konflikt. Die atmosphärische Dichte, sorgsam konzipierte wechselnde Schauplätze und die niemals illustrierende, spröde Komposition von Sabine Worthmann aus Oud und Gitarre machen die „heillos verfahrene Situation“ hautnah erlebbar.

Lizzie Doron / Andrea Getto (Regie) / Sabine Worthmann (Musik) »Who the Fuck Is Kafka«, Der Audio Verlag / NDR

——————————————————————————–

Finalisten Bestes Kinderhörbuch:

Als Bestes Kinderhörbuch stehen für die diesjährige Kinderjury zur Auswahl: die Grusel­geschichte „Biest & Bethany. Nicht zu zähmen: Eine ungeheuerliche Freundschaft“ von Jack Meggitt-Phillips, gelesen von Mechthild Großmann (Hörcompany), „Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt)“, gesprochen von Hanno Koffler (Argon Sauerländer Audio) und die Kinder-Roadstory „Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte“ von Julia Blesken, vorgetragen von Stefan Kaminski (Oetinger audio).

Biest & Bethany

Kurzbeschreibung: Ebenezer Tweezer wirkt zwar jugendlich, ist aber schon 511 Jahre alt. Auf dem Dachboden versteckt er ein Biest, mit dem er einen Pakt geschlossen hat. Das Biest bekommt, was auch immer es fressen will, und im Gegenzug erhält Ebenezer einen Trank, der ihm ewige Jugend und Unsterblichkeit verspricht. Doch mit den Jahrhunderten ist das Biest immer gefräßiger geworden, und jetzt möchte es ein saftiges Kind! Die Göre Bethany aus dem Waisenhaus kommt Ebenezer also gerade recht. Aber dann verdirbt Bethany dem Biest gehörig den Appetit.

Begründung der NominierungsjuryEin Biest mit „flauschig zischelnder Stimme“, die kratzbürstig rotzig-freche Bethany und der selbstsüchtige Ebenezer werden durch Mechthild Großmanns großartige Stimminterpretation zu einem atmosphärisch dichten Sprechorchester. Dank gekonnter Betonung, optimalem Timing und vielstimmig lustvoll vorgetragener Sprechkunst lauschen wir dieser faustisch gruseligen und dennoch mit viel Witz und Herzenswärme erzählten Geschichte.

Jack Meggitt-Phillips / Ulrich Thiele (Übers.) »Biest & Bethany. Nicht zu zähmen: Eine ungeheuerliche Freundschaft«, Hörcompany

Die ganze Wahrheit

Kurzbeschreibung: Die Familie Trask ist in einem Teufelskreis gefangen: Charles, der jüngere der beiden Söhne, hasst den beliebteren Adam und schwängert dessen schöne, aber abgrundtief böse Frau Cathy. Ihr Sohn Caleb wiederum treibt seinen Zwillingsbruder Aron in den Tod. Erst auf dem Sterbebett kann Adam Caleb vergeben. Über drei Generationen hinweg, vom Beginn des Bürgerkriegs bis zum Ersten Weltkrieg, erzählt Steinbecks symbolträchtiger Roman von 1952 die biblische Geschichte von Kain und Abel neu.

Begründung der NominierungsjuryIm Mittelpunkt dieses Kinderhörbuchs steht der sanfte und stille Außenseiter Mason Buttle, der von seinen Mitschüler*innen gemobbt wird. Trotz dieses schweren Themas gelingt es der Autorin Leslie Connor, eine spannende, berührende Geschichte über das Anderssein und die Kraft der Freundschaft zu erzählen, die Mut macht und Hoffnung vermittelt. Gelesen wird das Hörbuch von Hanno Koffler, u.a. bekannt aus „Krabat“, der die Hörer*innen emotional und sensibel durch Masons Geschichte trägt.

Leslie Connor / André Mumot (Übers.) »Die ganze Wahrheit (wie Mason Buttle sie erzählt) «, Argon Sauerländer Audio

Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte

Kurzbeschreibung: Jennifer Klar hat eine Mission. Sie muss die Asche ihres toten Opas in seinem Schrebergarten in Kolomoro verstreuen, schließlich hat Jennifer es ihm versprochen. Alle sind dabei: Katja Pfeiffer, die sich mit ihren Vätern gestritten hat, Fridi, der sich schon vor dem Mittagessen fürchtet, Zeck mit der ganzen Zeit der Welt und drei Euro fünfzig in der Tasche, Mustafa, der gerade aus Versehen seinen Wellensittich erdrückt hat, und die brave Polina. Aber: Wo ist bloß Kolomoro?

Begründung der NominierungsjurySechs Kinder aus sechs unterschiedlichen Milieus schließen sich zusammen, um selbstbestimmt und losgelöst von den Eltern einen Auftrag zu erfüllen. Stefan Kaminski schafft es mühelos, jedem Kind eine eigene Stimme zu geben, Verwechslungen sind ausgeschlossen. Da wird diskutiert, argumentiert, gebrüllt, geweint, abgehauen, weggerannt, um letztlich doch wieder gestärkt anzukommen. Kaminski jagt uns durch Berlin von einem Kiez zum anderen und erweckt diese Kinder-Road-Story zu einem wahren Hörerlebnis.

Julia Blesken »Mission Kolomoro oder: Opa in der Plastiktüte«, Oetinger audio
————————————————————————–

Finalisten Beste Unterhaltung:

Finalisten in der Kategorie Beste Unterhaltung sind die Autorenlesung „Charly Hübner über Motörhead oder Warum ich James Last dankbar sein sollte“ (tacheles! / ROOF Music), die Sozialkomödie „Ruslan aus Marzahn“ von Sebastian Stuertz mit Interpret Shenja Lacher (Der Hörverlag) sowie Paul Plampers Weihnachtshörspiel „Stille Nacht II“ (Hoerspielpark / WDR), das eine Patchwork-Familie pandemiebedingt im Videocall feiern lässt.

Charly Hübner über Motörhead

Kurzbeschreibung: Mitte der Achtzigerjahre brach die Musik von „Motörhead“ wie eine Naturgewalt in Charly Hübners frühe Jugend ein. Seine Begeisterung für harte Rockmusik war eine logische Trotzreaktion auf sonntägliche Ausflüge mit den Eltern, aus deren Autoradio Schlager drangen. Hübners Buch ist eine Schatzkiste voller Anekdoten und Erinnerungen – ob als pickliger Jugendlicher in der Dorfdisko, wenn das erste Mal „The Hammer“ gespielt wird, oder bei der Party nach der ersten Filmpremiere: Immer ist „Motörhead“ als Soundtrack dabei.

Begründung der NominierungsjuryDank seiner kräftigen Stimme und seinem lakonischen Tonfall erleben wir, welche Befreiung die Musik, nicht zuletzt die Lautstärke einer knallharten Rockband wie „Motörhead,“ für den unangepassten Jugendlichen Charly Hübner in der zu Ende gehenden DDR bedeutete. Völlig authentisch bringt er uns die explosive Kraft von Heavy Metal, seinen Spaß an Tempo und Rhythmus sowie seinen Witz nahe. Fazit: Das rockt! Energiegeladen! Explosiv!

Charly Hübner »Charly Hübner über Motörhead oder Warum ich James Last dankbar sein sollte« , tacheles! / ROOF Music

Ruslan aus Marzahn

Kurzbeschreibung: Eigentlich läuft es gerade ziemlich gut für Ruslan. Abgesehen davon, dass er seinen Kleinen im Bällebad des Möbelhauses vergessen hat und seine Ex-Frau immer noch Ärger macht. Jetzt aber ist Ruslan auf dem besten Wege, ein verantwortungsvoller Vater zu werden. Doch dann taucht plötzlich sein Bruder bei ihm auf und mit ihm die gesamte russische Verwandtschaft. Wie soll man mit kleinkriminellen Mini-Onkels, zugelaufenen Kampfhunden und ein paar weniger wichtigen Explosionen noch ein vorbildliches und kindkonformes Leben führen?

Begründung der Nominierungsjury: Eine aberwitzige, pointenreiche Handlung, urkomisch und genial gelesen. Als tumber Tor stolpert Interpret Shenja Lacher durch diesen deftigen Schelmenroman. Mit seiner frischen, äußert wandelbaren Stimme erzeugt er geniales Ohrentheater, modelliert die oft recht schrägen, aber nie ordinären Figuren durch einen perfekten, blitzschnellen Wechsel von Dialekten, Sprecheigenheiten oder Akzenten. Das Hörbuch, zu dem er einen großen Teil seiner eigenen Erlebnisse beigesteuert hat, macht er zu einem facettenreichen Spiegelkabinett.

Sebastian Stuertz »Ruslan aus Marzahn«. Der Hörverlag

Stille Nacht 2

Kurzbeschreibung: Da sind sie wieder: Die alleinerziehende Mutter Amarillis und ihr pubertierender Sohn Arthur feiern diesmal die „Stille Nacht“ im weihnachtlichen Videocall mit ihren Lieben. Allerdings findet Oma Iris die Corona-Rücksicht übertrieben, sie wittert vielmehr mangelnde Bereitschaft, sich persönlich zu treffen. Und überhaupt ändert die sichere Distanz nichts an alten Streitigkeiten, Beziehungssackgassen und zwanghaften Mustern. Nicht mal die schiefen Blockflöten bleiben ihnen erspart.

Begründung der NominierungsjuryPaul Plamper at his Best: Gnadenlos karikiert sein fein ziseliertes Kammerspiel den endlosen weihnachtlichen Kreislauf der vergeblichen Suche nach Harmonie. Dialoge, die improvisiert wirken wie spontan geschleuderte Farbkleckse, ironisch, sarkastisch, aber nie bösartig. Ein wunderbar eingespieltes Sprecherteam aus Promis und Profis, aber auch spielfreudigen „Laien“ wirft einander genussvoll die Bälle zu. Rasant und unterhaltend, eine subtile Low-Budget Reihe für Gourmets, jeder neue Plot zum Dahinschmelzen.

Paul Plamper »STILLE NACHT II« , HOERSPIELPARK / WD

——————————————————————————

Finalisten Bester Podcast:

Zum vierten Mal wird beim Deutschen Hörbuchpreis der Beste Podcast des Jahres aus­gezeichnet. Hier entschied sich die Nominierungsjury für „Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen“ (Koproduktion Studio Bummens, NDR, rbb und K2H), für die Dokumentation „Hannes soll kein Russe werden“ (Audible) und den Gesprächspodcast „FREIHEIT DELUXE mit Jagoda Marinic“ (hr / Börsenverein des Deutschen Buchhandels).

Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen

Die informativ-spannende Dokumentar-Serie ragt aufgrund des Themas, des Recherche-Aufwands und der fesselnden Erzählung heraus und wurde als „Podcast des Jahres“ bereits mit dem Deutschen Reporter*innen-Preis 2021 ausgezeichnet.

»Cui Bono – WTF happened to Ken Jebsen«, Studio Bummens, NDR, rbb und K2H

Hannes soll kein Russe werden

Hannes wird als kleiner Junge sexuell missbraucht – sein Vater ist alkoholkrank. Hannes ist schwer traumatisiert und wird früh verhaltensauffällig. Er wird von einer Schule und Psychiatrie zur anderen gereicht, gilt als „Systemsprenger“. Mit Hilfe einer Maßnahme des Jugendamtes kommt er schließlich nach Russland in eine Gastfamilie und fängt dort langsam an, Fuß zu fassen. Dann beschließt das Jugendamt, die Maßnahme zu beenden …mit einem tragischen Ausgang.

Die Autoren Baran Datli und Anton Stanislawski haben zwei Jahre lang für den Podcast recherchiert und sind bis nach Kirgistan gereist. Durch authentische Stimmen, gelungenes Storytelling und einer sehr guten und klaren Einordnung rekonstruieren die Autoren Hannes’ traurige Geschichte. Ihre Recherche deckt Lücken in der Jugendhilfe und gesellschaftliches Versagen auf. Dabei verzichtet die Erzählung auf Effekthascherei. Sie bleibt still, was sie noch eindrücklicher macht. Angesichts der Pandemie und der hohen Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen hat der Podcast eine große thematische Brisanz. Und er verschafft denen Gehör, die sonst wenig Beachtung finden.

Freiheit de luxe

Jagoda Marinic führt in „Freiheit de luxe“ tiefgehende Gespräche rund um die Deutung und Bedeutung des Begriffs „Freiheit“ anhand von Themen wie Migration, Rassismus, Gender, Klima, Identität, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit. Ihre Gesprächspartner*innen sind auf ganz unterschiedliche Art und Weise in den gesellschaftlichen Debatten zu diesen Themen sichtbar.

Dramaturgisch gekonnt leitet sie jedes Gespräch mit von den Gesprächspartner*innen ausgewählten Zitaten zum Begriff „Freiheit“ ein. Unprätentiös und scheinbar en passant werden komplexe Debatten aufgeschlüsselt. Jagoda Marinic beherrscht die Kunst, das Gespräch zu strukturieren und sich gleichermaßen frei entwickeln zu lassen, nimmt ihre Hörer*innen mit in die Lebens- und Gedankenwelt ihrer Gesprächspartner*innen und erlaubt ihnen so, auch eigene Positionen in diesen Debatten zu reflektieren.

FREIHEIT DELUXE mit Jagoda Marinic, hr/ Börsenverein des Deutschen Buchhandels

————————————————–

Das „Beste Kinderhörbuch“ der Kinderjury:

Die „Hörwölfe“, eine fünfköpfige Kinderjury aus Wolfschlugen (Baden-Württemberg), prämieren im Jubiläumsjahr das „Beste Kinderhörbuch“. Die anderen Gewinner:innen werden von der Preisträgerjury bestimmt.

—————————————————

Die Preisverleihung:

Wie im Vorjahr werden alle Preisträger:innen erst am Abend der Preisverleihung bekannt gegeben, die als Live-Radioshow ohne Publikum stattfindet. Sie wird am 15. März 2022 ab 20.04 Uhr bei WDR 5 und den angeschlossenen Kulturwellen der ARD übertragen.

 

Comments are closed.