home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ im Klimawandel – Harald Lesch und das Merlin Ensemble in Kronberg

Bedrohlich, lehrreich und unterhaltsam zwischen Erde und Orbit

Von Petra Kammann

Harald Lesch und Antonio Vivaldi nahmen uns in der Kronberger Stadthalle mit auf eine musikalische und wissenschaftliche Zeitreise, beginnend mit der Entstehung der Erde und ihrer Jahreszeiten bis hin zum gegenwärtigen Klimawandel. Das exzellente Wiener Merlin Ensemble setzt diese Reise in der Kronberg Academy um. Vom Orbit aus betrachtete der Astrophysiker und Wissenschaftsjournalist Harald Lesch die dramatischen Veränderungen der Erde und unseres Klimas bis hin zur drohenden Apokalypse, und dies gespickt mit kleinen Seitenhieben auf die Tagespolitik.

Das Merlin Ensemble mit Harald Lesch am Pult als „Erzähler“ des Klimawandels; Foto: Petra Kammann

Der klimatisch drohenden Katastrophe wurde musikalisch so engagiert wie gekonnt entgegengearbeitet. Der Wissenschaftsjournalist und Buchautor Harald Lesch begeisterte das Publikum mit viel Wissen und das Merlin Ensemble aus Wien mit seinem expressiven Spiel von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“. Daher fiel der Applaus in der Kronberger Stadthalle nicht nur für die Musiker stark aus, sondern auch für den Naturwissenschaftler Harald Lesch, der seine Texte überlegt und aufklärerisch in die „Jahreszeiten“ einflocht und dem man die schiere Freude an der Musik anmerkte. Und so bekam jeder und jede einzelne der acht klassischen Musiker und Musikerinnen des Merlin Ensembles Wien zum Dank eine langstielige Rose überreicht, so elegant wie verdient, eben auch der Erzähler Harald Lesch, der die Musiker und uns, das Publikum voller Begeisterung angestachelt hat, genau hinzuhören.

Einleitende Worte von Raimund Trenkler, dem Vorsitzenden des Vorstandes der Kronberg Academy Stiftung; Foto: Petra Kammann

Raimund Trenkler, der Vorsitzende des Vorstandes der Kronberg Academy Stiftung sowie der Rostropovich Cello Foundation und der Gidon Kremer Stiftung, ließ in seiner Begrüßungsansprache durchblicken, dass Lesch selbst auch Klavierspieler sei, er habe vor dem Konzert auf dem Cembalo gespielt. Ja, das thematische Einbinden der Musik war ein Experiment und gewissermaßen eine Premiere. Trenkler teilte dem Publikum mit, dass es demnächst öfter solche thematischen Konzerte im klimaneutralen neuen Gebäude des Casals Forums, das im kommenden Jahr eröffnet werden soll, geben werde. Man darf also in zweifacher Hinsicht gespannt sein, auf das neue Gebäude des Architekten Volker Staab, das einen minimalem CO2 Footprint hinterlassen wird, und auf den Klang des darin realisierten Programms.

Und dann stimmte zunächst einmal – gewissermaßen als nachdenkliche Prolegomena – ein minutenlanger musikalisch-meditativer Loop in h-Moll mit Vivaldis Al Santo Sepolcro („Am heiligen Grabe„) ein, overvoiced durch Harald Leschs Worte mit astrophysikalischen Erläuterungen. Stille im Saal. Lech schaute aus den „galaktischen Chroniken“ vom Urknall mit der Entstehung von Sonnensystemen, Planeten und der Entstehung der Jahreszeiten auf die Erde herab. Humorvoll erläuterte er, um die Atmosphäre nicht allzu weihevoll werden zu lassen: Der Merkur, „das arme Schwein“, ist zu nah an der Sonne und somit zu heiß. Die Venus, „fast so wie die Erde, es hätte was werden können“, aber „bei 450 Grad Celsius und einer Atmosphäre voller Kohlendioxid mit Schwefelsäurewolken“ dann eben nicht.

„Unsere“ realen Jahreszeiten werden durch den vierzigtausend Kilometer entfernten Erdtrabanten Mond bewirkt, durch den Gegensatz von Terra und Luna und dem sich im Laufe eines Jahreszyklus verändernden Neigungswinkel, indem sich die Erde um die eigene Achse dreht. Lesch macht es so klar verständlich und so humorvoll wie möglich, schließlich ist der Professor für Physik an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität Lesch nicht nur als Buchautor bekannt, sondern vor allem auch durch seine Fernsehauftritte, u.a. durch seine Terra-X-Sendungen, in denen er sich mit archäologischen Rätseln ebenso beschäftigt wie mit der Psychologie des Hasses, um auf „Klima-Leugner“ zu reagieren. Fragen wie: „Werden wir uns schon bald an so etwas wie den Jahres-Zyklus nur noch erinnern?“ „Gehört das Gefühl für ein zeitliches Kreisen demnächst der Vergangenheit an?“, beschäftigen auch uns, wenn wir die Augen vor den Entwicklungen nicht verschließen. Und daran appellierte er.

Martin Walch, musikalischer Leiter des Merlin Ensembles,  folgt den Erläuterungen Harald Leschs; Foto: Petra Kammann

Und dann ging es musikalisch und mit Vivaldis um 1720 entstandenem Werk an die erste der vier Jahreszeiten, den Frühling, in dem alles zu sprießen beginnt. Im ersten Allegro erwacht die Natur gewissermaßen: Die Vögel trillern und zwitschern. Besonders strahlend und virtuos kommen hier die Violinen zur Geltung. Sie kündigen die milden Winde des Frühjahrs, akustisch hörbar durch die sanft säuselnden Blätter an, Frühjahrsmüdigkeit wird spürbar, bevor die Hirten und Nymphen einen heiteren Reigen tanzen.

Und dann nimmt der Astronom und Physiker Lesch, dessen Forschungsschwerpunkte auf den Gebieten kosmische Plasmaphysik, Schwarze Löcher und Neutronensterne sind, knapp anderthalb Stunden lang das Publikum rasant mit auf seine galaktische Reise durch Raum und Zeit, in deren Kontext er Vivaldis Klangmalerei stellt. Das blieb auch nicht ohne Wirkung auf die Musiker.

Bisweilen glaubte man dank derer großen Verve beim Spiel von Vivaldis mega-bekannten Klassiker einem zeitgenössischen Konzert beizuwohnen, so modern, entstaubt wirkte ihr aufgerautes Spiel. Kein Wunder, dass das achtköpfige Merlin Ensemble, welches in der Harnoncourt-Tradition steht, auch regelmäßig bei den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival oder dem Beethovenfest Bonn zu Gast ist.  Als „Ensemble in Residence“ begeistert es seit 2015 auch bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden.

Mit der Energie der Musiker erlebt man in Kronberg ganz plastisch die ersten Frühlingsgewitter, die drückende Sommerhitze, „es brennt, es kommen heiße Zeiten auf uns zu“ (Lesch), weil die Erde verdorrt, dann erleben wir das fröhliche Feiern der Bauern zu Erntedank, bevor die herbstliche Treibjagd beginnt und das dünne Eis des Winters zu brechen droht, wenn im zarten mittleren Largo das Pizzicato der Solovioline an Schneeflocken erinnert. Schließlich fröstelt es einen im f-Moll-Gewand des Winters, einer dissonant wirkenden Tonart, im Finale. Vivaldi hatte seine Jahreszeiten nach Sonetten komponiert, die er vermutlich selbst verfasst hat.

Wenn Lesch von den heißen Zeiten, die sich aufgrund des sich verflüchtigenden Permafrosts in Sibirien oder in Grönland ergeben, spricht, spielt die Musik hoch dramatisch und klingt bisweilen  wie „heavy metal“, wie Lesch es publikumswirksam kommentiert. Daneben gibt es wunderbar elegische Passagen mit den Soli von Violine und Cello. Wenn der Meeresspiegel steigt, dann steht uns „das Wasser bis zum Hals“. Man merkt, dass die anfänglich abwartend verhaltene Reaktion des Publikums nun in Anteilnahme übergeht. Lech hat mit seinen Bemerkungen, welche die Musiker unmittelbar umsetzen, das Publikum wachgerüttelt, damit es nicht im Nichtstun verharrt.

Der Violinist Martin Walch erläutert sein kostbar altes Instrument; Foto: Petra Kammann

Daneben wird man aber auch von den Musikern über die Besonderheit der Instrumente aufgeklärt. So spielt etwa Martin Walch – virtuos die Sologeige  – auf einer kostbaren Violine aus Venedig von Mattheo Goffriller aus dem Jahre 1700. Der trockene Kommentar von Harald Lesch dazu: „Tja, und ich komme nicht aus Venedig, sondern schlicht aus der Nähe, aus dem Vogelsberg.“ Mit solchen Einschüben nimmt er dem möglichen Pathos gleich die Schwere, erreicht das Publikum und bringt es zum Lachen. Das ist wirkungsvoller als jeder abstrakte kluge Vortrag.

Das Violoncello des spanischen Cellisten Luis Zorita ist mit mehr als 300 Jahren das älteste; Foto: Petra Kammann

Der spanische Cellist Luis Zorita – hier stellt Lesch schnell die Nähe zum Namensträger des zukünftigen Konzertsaals „Pablo Casals“ her – spielt ein Cello von Giovanni Baptista Roggeri aus dem Jahre 1675, das einen wunderbar warmen Klang hat. Die besondere Bedeutung des Geigenbauers Francesco Ruggeri (1630-1698) aus Cremona hängt mit einer Entwicklung im Cellobau zusammen: Er baute ein kleineres Cello als es zu seiner Zeit üblich war. Wussten Sie das schon? Die klangschönen Instrumente  mit den vollen und eleganten Wölbungen des Korpus werden sogar noch heute wie vor 350 Jahren nachgebaut. Wie auch immer: Beide Instrumente sind geradezu Zeitzeugen dafür, dass sie den Klimawandel über drei Jahrhunderte lang überstanden haben.

Umso erstaunlicher, dass sich die Musiker nicht etwa auf „Klassische Barockmusik“ verlegt haben. Sie haben mit grenzüberschreitenden Konzerten schon Erfahrung gesammelt in kammermusikalisch und musikdramatisch realisierten Projekten mit großen Schauspielern der Gegenwart wie Hermann Beil, Peter Magic und Martin Schwab. Und sie widmeten sich immer auch zeitgenössischer Musik, taten sich mit grenzüberschreitenden Projekten wie Schönbergs „Pierrot Lunaire“ oder Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ in Fassungen mit Manfred Karge und mit Karl Markovics hervor. Mit ihren wunderbaren alten Instrumenten sind sie also durchaus in der Jetztzeit angekommen. Da wird einem um das künftige, auch jüngere Konzertpublikum nicht bange.

Das Merlin Ensemble Wien (MEW):

Das Merlin Ensemble Wien wurde 1991 u.a. von Mitgliedern des Chamber Orchestra of Europe zunächst als Oktett gegründet.
Später wurde der Kreis der MitspielerInnen erweitert, so dass das Ensemble in variablen Besetzungen auftreten kann. In Kronberg spielten:

Martin Walch, Solo-Violine & Leitung

Ingrid Friedrich, Violine

Cornelia Lörcher, Violine

Mechtild Sommer, Viola

Luis Zorita, Violoncello

Simon Hartmann, Kontrabass

Allen Smith, Fagott

Till A. Körber, Cembalo

Harald Lesch

Lesch lehrt zur Zeit in München an der Ludwig-Maximilians-Universität und an der Hochschule für Philosophie. Der Physiker, Astronom, Naturphilosoph und Autor wurde einem breiten Publikum durch populärwissenschaftliche TV-Sendungen bekannt. 1998 begann er beim TV-Kanal BR-alpha das Universum zu erklären. 2008 wechselte er zum ZDF. In mehreren Reihen brachte er den Zuschauern die Naturwissenschaften nahe. Seine Arbeiten wurden mit vielen wissenschaftlichen und journalistischen Preisen ausgezeichnet.

www.kronbergacademy.de

 

Comments are closed.