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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Luk Percevals Inszenierung von „Oblomow revisited“ – frei nach Iwan Gontscharows Roman

Hybrides Nichtstun auf der Bühne?

Von Simone Hamm

Als Gastregisseur arbeitete der flämische international renommierte Autor und Regisseur Luk Perceval für die Münchner Kammerspiele, die Deutsche Staatsoper Berlin, die Wiener Festwochen, die Salzburger Festspiele, die Ruhrtriennale und auch am Schauspiel Frankfurt. „Sein Oblomov“ hatte jetzt am Kölner Schauspiel Premiere. Die Frage, was das Theater heute leisten kann und soll, steht im Raum.

Luana Velis zugeschaltet auf dem Bildschirm in „Oblomow revisited“ , Regie: Luk Perceval, Bühne: Philip Bußmann, Foto: Schauspiel Köln

Im Roman von Iwan Gontscharoff ist Oblomow ist ein träger, fauler russischer Adeliger, der ganz darin aufgeht, überhaupt nichts zu tun. Theater darf alles mögliche, aber eines sollte es nicht, es sollte nicht langweilen. Deshalb ist es ein mutiges, vielleicht sogar irres Unterfangen, die Langeweile auf die Bühne zu bringen. Aber so etwas kann gelingen. In Köln gelang es nicht.

Mit einer halbstündigen, geplanten Verspätung fing der Theater Abend im Kölner Schauspielhaus an. Den Zuschauern und Zuschauerinnen wurde ein Schnaps angeboten. Wohl dem, der beherzt zugriff. Der Abend sollte zeigen, wie bitter nötig die Schnäpse waren.

Die Darstellerin des Oblomow Luana Velis, also eine Oblomowa verweigert sich. Dem Stück. Den Proben. Sie wollte zu Haus beiben.  Wenn Oblomow faul ist, so befand sie, müsse die Schauspielerin das nicht nur spielen, sondern so sein. Und blieb zu Hause. Und ließ sich per Video zuschalten. Fast zwei Stunden lang blieb sie stumm.

Sie streamt den Abend live über den Streamingdienst Twitch.

Die Diskussion darüber, ob ein Schauspieler, eine Schauspielerin sich mit ihrer Rolle identifizieren sollen, ist bis zum Überfluss geführt worden. Muss Oblomow gar nichts tun, noch nicht einmal sprechen? Muss Othello von einem Schwarzen gespielt werden, weil nur der fühlen kann, was ein Schwarzer fühlt? Sollte Gretchen eine Jungfrau sein? Julia 17 Jahre alt?

Auf der Bühne stehen drei Schauspieler mit Blättern in der Hand, die auch nichts tun wollen. Zähe drei Stunden lang klagen sie darüber, dass sie nun Oblomow gar nicht aufführen könnten. Sie werden von zwei Kameraleuten mit Handkameras begleiten, die zeitversetzt streamen. Auch ihre Haltung ist Verweigerung. Sie spielen das Stück nicht, sondern berichten von ihren Problemen. Ihre Befindlichkeit ist wichtiger als das Stück.

Dieser Abend dient der Selbsterfahrung der Schauspieler. Ich gönne jedem Schauspieler, jeder Schauspielerin einen Selbsterfahrungsworkshop. Von Herzen. Nur möchte ich dabei nicht zusehen müssen.

Das Theater, forderte Luana Velis müsse sich neu erfinden. Denn nach der Pandemie seien  19 % weniger Besucher in die Häuser gekommen. Neue Formen müssten her. Die Form, die sie findet, ist die der Verweigerung. Was bedeutet das heute: Nichtstun? Sprengt es das System?

Es folgt ein schier endloser Videodialog zwischen der Oblomow Schauspielerin, die den Oblomow verweigert und dem Regisseur Luk Perceval. Sie sprechen darüber, wie es ist, im Hamsterrad zu sein, fragen, wie es komme, das so viele Menschen sich über die Arbeit definieren. Es ist eine sehr simple Unterhaltung in sehr einfacher Sprache. Sie spielen das nicht, sie nehmen das leider ganz ernst. Wir sehen eine Videokonferenz vom 3. November. Allgemeinplätze werden ausgetauscht.

Der Abend endet mit einem langen Horrorfilm, Treppen, Blut. Die Sprache läuft schneller.

Ob es nur ein PR Gag war oder Luana Velis wirklich entschieden hat, nicht zu spielen, sondern auf der Couch liegen zu bleiben, ist dabei nicht von Bedeutung.

Am Ende kommt sie, die wir ja zu Hause vermuteten, dann doch auf die Bühne, sitzt da – und schweigt. Und das wirft die Frage auf, ob diese Premiere wohl vielleicht die erste und einzige Aufführung von „Oblomow revisited“ ist. Denn Luana Velis ist ja aufgestanden und gekommen, hat ihre Verweigerung beendet.

Luk Perceval gehört zu den großen Regisseuren, die immer neue Formen gefunden haben. Was er sich bei diesem Oblomow gedacht hat, bleibt sein Geheimnis. Wie aber zeigt man Langeweile? Ganz sicher nicht mit Videoscreens, auf denen sehr schlichte Unterhaltungen gezeigt werden. Und auch nicht, in dem über persönliche Befindlichkeiten gesprochen wird. 19 % weniger Zuschauer sind nach der Pandemie ins Theater gegangen. Wenn es noch mehr solcher Produktionen gibt, dürfte diese Zahl sich drastisch erhöhen.

 

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