home

FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Mission Rimini“ – grandiose Inszenierung für Prunkstück des Liebieghaus

Aufwändig restaurierter Altar kehrt in Skulpturensammlung zurück

Von Hans-Bernd Heier

Der Rimini-Altar, gefertigt um 1430, ist weltweit eines der bedeutendsten spätmittelalterlichen Kunstwerke aus Alabaster und ein Hauptwerk der Liebieghaus Skulpturensammlung. Nach aufwändiger Restaurierung wird er wieder in der Schausammlung des Museums präsentiert. In den letzten vier Jahren wurden an dem vielteiligen Figuren-Ensemble umfangreiche konservatorische und restauratorische Eingriffe durchgeführt, vornehmlich eine besonders schonende Oberflächenreinigung durch Lasertechnologie sowie durch gipsgesättigte Agar-Gel-Kompressen. Zudem erfolgte eine umfassende kunsttechnologische Untersuchung des Werks, dessen Geschichte an einen kunsthistorischen Detektivroman erinnert.

Ausstellungsansicht; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Unter dem Titel „MISSION RIMINI Material, Geschichte, Restaurierung. Der Rimini-Altar“ ist das Prunkstück – laut Direktor Dr. Philipp Demandt: “unsere Nofretete“ – bis zum 24. April 2022 in einer Sonderausstellung des Skulpturen-Museums in Frankfurt zu bewundern. „Es war eine große Mission, zu der wir uns vor mehr als vier Jahren entschieden haben: die Restaurierung des Rimini-Altars, eines der weltweit bedeutendsten und fragilsten Kunstwerke der Liebieghaus Skulpturensammlung aus Alabastergestein. Durch intensive Forschungs- und Restaurierungsarbeit im Frankfurter Liebieghaus, dem Austausch mit führenden internationalen Wissenschaftseinrichtungen und der großzügigen Unterstützung unserer Förderer konnte die ‚MISSION RIMINI‘ schrittweise gelingen. Mit der Ausstellung und der begleitenden Publikation möchten wir die gesammelten Erfahrungen und Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Liebieghaus hat einen neuen Glanzpunkt in seiner Sammlung“, betont Demandt.

Bei den umfassenden Recherchen konnten nicht nur grundlegende Erkenntnisse zum werktechnischen Aufbau des Altars gewonnen werden, sondern es gelang auch, durch weitere naturwissenschaftliche Forschungen des BRGM (Bureau de Recherches Géologiques et Minières) in Orléans das Abbaugebiet des Alabastergesteins nachzuweisen. Isotopenmessungen zufolge stammt der Alabaster aus fränkischen Lagerstätten in Ickelheim im Steigerwald. Von dort gelangte das Gipsgestein in die südlichen Niederlande, vermutlich nach Brügge, eine der erfolgreichsten und wichtigsten Handelsmetropolen des damaligen Europa. Dort hatte man sich auf die Verarbeitung dieses Materials spezialisiert.

„Der jährliche Markt, der als angesehene wirtschaftliche Drehscheibe diente, die internationalen Kontakte, die Anbindung an den Seehandel und das engmaschige Handelswegenetz boten einzigartige Bedingungen für die europaweite Verbreitung der kleinformatigen Bildwerke. Ebenso sprechen motivische Verbindungen zu Malern wie Jan van Eyck oder dem Meister von Flémalle für Brügge“, erläutert Dr. Stefan Roller, Sammlungsleiter Mittelalter im Liebieghaus. Von dort führte der Weg des Meisterwerks zu der Wallfahrtskirche Santa Maria delle Grazie in Rimini-Covignano. Nach diesem Aufbewahrungsort wurde das kostbare Figuren-Ensemble als Rimini-Altar benannt.

Ausstellungsansicht; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Georg Swarzenski (1876 – 1957), der angesehene Städeldirektor und Gründungsdirektor des Liebieghauses, der von einem römischen Kunsthändler auf das exzellente Figurenkonvolut angesprochen wurde, weil die Franziskaner-Mönche den Altar aus finanziellen Gründen verkaufen wollten, erkannte sofort den unschätzbaren Wert des größten und qualitätsvollen spätmittelalterlichen Skulpturenensembles aus Alabaster, das er 1913 für das Skulpturenmuseum erwarb. Bis heute ist es das teuerste Kunstwerk, das je die Stadt Frankfurt für die umfangreiche Liebieghaus-Sammlung erworben hat. Ostern 1914 konnte der stolze Gründungsdirektor das aus zwölf Apostelstatuetten und einer figurenreichen Kreuzigungsdarstellung bestehende Ensemble im Galerieraum der Villa präsentieren. „Ohne Swarzenskis Sachverstand und Hartnäckigkeit wären diese beeindruckenden Bildwerke, die entscheidend zum internationalen Renommee des Liebieghauses beitragen, wohl kaum in ihrer Gesamtheit für die Frankfurter Sammlung gesichert worden“, schreibt Demandt in dem fundierten, 300 Seiten starken Begleitbuch. Und Kurator Roller ergänzt: „Wir haben es beim Rimini-Altar mit einem Zeugnis wahrhaft europäischen Ranges zu tun: in den südlichen Niederlanden aus deutschem Alabaster für Italien geschaffen und schließlich nach Frankfurt verkauft“.

Christus, Detail aus Rimini-Altar; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Seine Einzigartigkeit verdankt der Altar nicht nur der überragenden künstlerischen und handwerklichen Qualität seiner Bildwerke und der Vollständigkeit des Ensembles, sondern auch seinem besonderen Material: Alabaster – der „Diva unter den Steinen, so Harald Theiss, Leiter der Liebieghaus-Restaurierungswerkstatt. Das Ausnahmegestein, eine Art Gips, zählt zu den empfindlichsten Steinsorten überhaupt. Als eine kristalline Form des Minerals Gips ist es wasserlöslich und nicht hitzebeständig sowie extrem druck- und bruchanfällig. Vom Erscheinungsbild ähnelt er Marmor, aber ist weicher und daher leichter zu bearbeiten. Außerdem kommt Alabaster nur in Stücken von maximal 60 Zentimeter vor, während Marmor in wuchtigen Blöcken aus dem Fels herausgehauen werden muss. Aufgrund seiner speziellen Materialeigenschaften stellt das Gipsgestein hohe Anforderungen sowohl an die Bildhauer als auch bei der Präsentation der Kunstwerke. „Alabasterskulpturen sind aufgrund ihrer Wasserlöslichkeit und Hitzeempfindlichkeit nicht für den Außenbereich geeignet, wo sie Regen und Sonne ausgesetzt sind. Auch sollte ein griffgeschützter und stoßsicherer Standort gewählt werden, da sich das druckempfindliche Gipsgestein rasant abgreift und schon bei geringen Stößen brechen kann“, so Theiss.

Maria, Detail aus Rimini-Altar; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Welche künstlerisch-ästhetischen Möglichkeiten dieses Material jedoch den Bildhauern bietet, zeigt der Rimini-Altar mit seinem filigranen Figurenensemble höchst beeindruckend. Das Zentrum des Kunstwerks bildet eine aus mehreren Blöcken gearbeitete Kreuzigung Christi, flankiert von jeweils sechs Aposteln. „Auf die große kunsthistorische Bedeutung und die Einzigartigkeit des Rimini-Altars verweist die Tatsache, dass das Werk für einen Großteil der Alabasterskulpturen des beginnenden 15. Jahrhunderts international namensgebend ist. So findet sich die Künstlerzuschreibung „Meister des Rimini-Altars“ in Museen und Kunstsammlungen von Warschau, Berlin und München über Barcelona, Paris und London bis nach New York und Los Angeles“, sagt Kurator Roller.

Drei Apostel, nach, während und vor der Restaurierung (v.l.n.r.); Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Die stark idealisierten Bildwerke des Rimini-Altars folgen noch weitgehend der charakteristischen Formästhetik des sogenannten Schönen Stils, der aufgrund seiner europaweiten Verbreitung zwischen ca. 1380 und 1430 als „Internationaler Stil“ bekannt ist. In der realistischen Wiedergabe mancher anatomischer und physiognomischer Details der Schächer deute sich, laut Roller, jedoch ein stilistischer Wandel an. Hier zeige sich ein neuartiges Interesse an Naturbeobachtung, das sich auch in der damaligen niederländischen Malerei Jan van Eycks, Robert Campins oder Rogier van der Weydens beobachten lässt und wegweisend für die Kunst der folgenden Jahrzehnte war.

Restaurator Miguel González de Quevedo Ibáñez bei seiner akribischer Arbeit; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

In der höchst beeindruckenden Präsentation wird das vom Restauratoren-Team Harald Theiss und Miguel González de Quevedo Ibáñez entwickelte und von externen Naturwissenschaftlern geprüfte Restaurierungsverfahren mit Laser und gipsgesättigten Agar-Gel-Kompressen auch für Laien verständlich erklärt und mit zahlreichen Arbeitsproben nachvollziehbar illustriert. Für die Reinigung des hochempfindlichen Materials erwarb das Museum eigens einen Laser. Dadurch konnten bedenkliche konservatorische Ergänzungen am Kunstwerk in der Vergangenheit sichtbar und entsprechend behoben werden. Schritt für Schritt wird spannend dargestellt, wie mit dem anspruchsvollen Laser-Verfahren eine Reinigung des heiklen Alabasters möglich wurde und wie die revisionsbedürftigen Ergänzungen aus jüngerer Zeit sowie die zahlreichen Bruchklebungen entfernt und erneuert wurden. So wurde das Kreuz beispielsweise bei einer früheren Restauration um rund 50 Zentimeter verlängert. Diese Verlängerung musste  wegen der Fragilität des Werks höchst mühsam wieder herausgenommen werden.

Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Der heute farblose, vollständig steinsichtige Zustand der Figuren ist das Ergebnis eines drastischen Reinigungsbades, das möglicherweise im Barock vorgenommen wurde. Im Zuge dessen wurde nicht nur Schmutz, sondern auch die damals unmodern gewordene Bemalung von den Skulpturen entfernt. Nur minimale, in Formtiefen festsitzende Farbpartikel haben diese Prozedur überstanden; ein teilbemaltes Modell vermittelt einen ersten Eindruck der farbigen Gestaltung

In einem eigenen Saal im Liebieghaus erstrahlt jetzt das restaurierte Meisterwerk in seiner vollen Pracht. Für die ansprechende Präsentation des Figuren-Ensembles wurde eigens ein 4,0 × 3,5 Meter großer Aufbau maßgefertigt, dessen Form sich an den damals üblichen niederländischen Altären orientiert. Dazu Stefan Roller: „Die neue Präsentation wird dem bedeutenden kunsthistorischen Rang des Rimini-Altars gerecht. So wie Kalvarienberg und Apostel durch die Restaurierung ästhetisch ungemein gewonnen haben, so profitieren die Bildwerke nun auch durch das neue Display. Es rahmt, gliedert und akzentuiert, und stellt – ganz im Sinne der mittelalterlichen Auftraggeber und Bildschnitzer – vor allem der Szene der Kreuzigung als zentralem Inhalt der christlichen Heilsgeschichte nun auch einen angemessenen Bühnenraum zur Verfügung, der die Wirkung der Darstellung ins Dramatisch-Bildhafte steigert.“

Detail-Ansicht; Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – bpk

Die Ausstellung „MISSION RIMINI“ wurde großzügig gefördert durch den gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain und die vorbereitende Restaurierung sowie die Publikation durch die Ernst von Siemens Kunststiftung. Auch der Städelsche Museums-Verein unterstützte das aufwändige Projekt.

Die faszinierende Schau „MISSION RIMINI. Material, Geschichte, Restaurierung. Der Rimini-Altar“ ist bis zum 24. April 2022 in der Liebieghaus Skulpturensammlung in Frankfurt zu sehen

Weitere Informationen:
www.liebieghaus.de

 

Comments are closed.