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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Preisverleihung Deutscher Jugendliteraturpreis 2021  auf der Buchmesse

Eine Vielfalt großartiger Bücher

von Renate Feyerbacher inklusive Fotos

Seit 1956 gibt es diesen Preis, der mit 72.000 Euro dotiert ist und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen gestiftet und vom Arbeitskreis Jugendliteratur ausgerichtet wird. Etwa 8.000 Titel kommen im Jahr auf den deutschsprachigen Buchmarkt. Davon wurden 667 Neuerscheinungen geprüft, die von den Verlagen eingereicht wurden, 250 Neuerscheinungen gesichtet und zunächst 30 Titel nominiert.  Viel Arbeit für die Kritikerjury, die Jugendjury und Sonderpreisjury, die 5801 Seiten gelesen haben.

Bronzene Preis-Skulptur „Momo“ – gestaltet von Detlef Kraft, Fotos: Renate Feyerbacher

Festlich und stimmungsvoll nach den Entbehrungen durch Corona ging es im Saal Harmonie des Congress Centers der Messe zu.

Ministerin Christine Lambrecht, unabkömmlich wegen der Koalitionsverhandlungen, aber vertreten durch eine Videobotschaft, hatte ihre Staatssekretärin Juliane Seifert geschickt, die begeistert die Umschläge der Gewinner und Gewinnerinnen öffnete. Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, waren zur Begrüßung gekommen und sprachen über die Bedeutung des Kinder- und Jugendbuchs.

Die Lesebegeisterung von Kindern und Jugendlichen hat zugenommen. Lesen macht nicht nur Spaß und Freude, sondern beflügelt auch die Fantasie, mobilisiert die Kreativität, ist ein Rückzugsort und ein gedanklicher Aufbruch in ferne Welten. Unverzichtbar ist das Vorlesen für die Vorschulkinder. Jeden Abend eine Gute-Nacht-Geschichte – so war es bei mir.

Obwohl der Sonderpreis fürs Gesamtwerk erst am Ende verkündet wurde, soll er bevorzugt hervorgehoben werden.

Pünktlich zur Buchmesse gab es das neue Asterix Album Nr.39 „Asterix und der Greif“ – ein Renner in der Buchhandlung.

Gudrun Penndorf

Wer übersetzte lange Zeit die Sprechblasen der Akteure? Die Diplom-Übersetzerin und Dolmetscherin Gudrun Penndorf, die sich 1968 dem Asterix-Erfinder René Goscinny in Paris vorstellte. Der deutsche Verlag, der damals händeringend nach einer Übersetzerin suchte, hatte sie dorthin geschickt. Nach kurzem Gespräch war Gudrun Penndorf verpflichtet. Die damals Dreißigjährige, die auch Lucky Luke übertrug, hat über zwanzig Jahre die „phänomenale sprachschöpferische Leistung“ (so die Jury) erbracht. Die Jury hebt ihren akribischen Rechercheeifer, ihre treffenden Wortspiele, ihre kreativen Umbenennungen des Comicpersonals, ihre ikonischen Übersetzungen von Begriffen und Sprüchen und ihren genialen Umgang mit diversen Sprachebenen hervor. Kein Zweifel lässt die Jury daran, dass Comics Literatur sind. Beklagt wird die fehlende Würdigung dieser Übersetzungen: „eine Lücke in der deutschen Literaturgeschichte“.

Gefragt, was sich Gudrun Penndorf wünsche: das Bundesverdienstkreuz hat sie, jetzt den Sonderpreis Gesamtwerk des Arbeitskreises Jugendliteratur. Ihr fehlt die französische Anerkennung.

„Momo“ – Video Jurga Vilè zugeschaltet aus Vilnius /Litauen

Der Preis fürs beste Bilderbuch ab 4 Jahren ging an „Unsichtbar in der großen Stadt“ des kanadischen Autors und Illustrators Sydney Smith. Es macht Kindern Mut, auch in schwierigen Situationen selbständig und zuversichtlich zu denken und zu handeln.

Die Norwegerin Marianne Kaurin erhielt den Preis für ihren Kinderroman „Irgendwo ist immer Süden“ (ab 10). Ina, die mit ihrer arbeitslosen Mutter in einer Sozialsiedlung lebt, kann nicht wie andere Kinder in den Süden verreisen, tut aber so, als wäre das der Fall. Vilmer, der neue Mitschüler, befreit sie aus dieser Notlüge. Es gelingt ihnen, sich durch Freundschaft und Kreativität ihren eigenen „Süden“ zu schaffen.

Aus dem Litauischen kommt das Gesamtkunstwerk „Sibiro Haiku“, das an ein bewegendes Kapitel europäischer Vergangenheit erinnert.

Neben mir bei der Preisverleihung sitzt Saskia Drude, die das Jugendbuch der Autorin, Übersetzerin und Journalistin Jurga Vilè (* 1977) ins Deutsche übertragen hat.

Es geht um die Verschleppung ganzer Familien aus Litauen in ein sibirisches Lager. Der junge Algis schildert das Leiden, aber auch das Miteinander der Deportierten.

Die ebenfalls in Vilnius lebende Illustratorin Lina Itagaki schafft kluge Bild-Text-Verknüpfungen. „Eine Graphic Novel, die ergreift, ermutigt und beeindruckt“, so die Jury. (ab 13)

Außergewöhnlich ist das Sachbuch „100 Kinder“ (ab 9) des heute in San Francisco lebenden freien Journalisten und Autors Christoph Drösser, das die in Hamburg lebende Illustratorin, Infografikerin und Designerin Nora Coenenberg klug gestaltet hat.

Stellvertretend für die zwei Milliarden Kinder wurden die Lebensumstände und der Alltag  von 100 Kindern durchleuchtet: 52 Jungen und 48 Mädchen -davon nur sechs in Europa, vier in Nordamerika, eins in Australien, 25 in Afrika und 56 in Asien.

Jurybegründung: „das Buch [..]  entwirft ein umfangreiches Tableau an gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Aspekten, zeigt Diversität, benennt Unterschiede und Gemeinsamkeiten, spricht Probleme und Ungereimtheiten an…“

Auf dem Sofa – Nora Coenenberg – Christoph Drösser

Die Jugendjury entschied sich für „After the Fire“ des englischen Autors Will Hill (ab 14). Eine spannende Geschichte.

Und den Sonderpreis Neue Talente erhielt die „Sprachzauberin“ Lena Dorn, die „Tippo und Fleck. Über Fleckenteufel und andere Kobolde“ aus dem Tschechischen übersetzte. „Solange Lena Dorn uns weiterhin Übersetzungen schenkt, muss uns vor dem Verfall der deutschen Sprache nicht bang sein.“ (Jury)

Natürlich wurden an diesem beeindruckenden Abend alle nominierten Bücher vorgestellt.

Das hohe Niveau, die oft realistischen Alltagsthemen, die historischen Geschichten, die kreativen Ideen und das Gespür und die Achtung vor der Sprache begeisterten. Kinder und Jugendliche werden ernst genommen.

Informationen: www.jugendliteratur.orginfo@jugendliteratur.org

 

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