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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Kunst und ihre Kritik: eine geschlossene Positiv-Gesellschaft?

Der Museums- und Kunst-Experte Uwe Rüth zu einer Kritik an der Kritik

Wie kritisch ist die Auseinandersetzung mit moderner Kunst? Steht sie – anders etwa als Literatur, Film, Theater – in einem Schonraum? Damit beschäftigt sich der Museumsexperte Uwe Rüth, der viele Jahre das Skulpturenmuseum in Marl geleitet hat. Ausgangspunkt sind aktuelle Vorgänge am Kunstmarkt. Und ein vehementes journalistisches Plädoyer in der Neuen Zürcher Zeitung, das auch für die Kunst das Recht auf Verriss fordert.

Ist das Kunst oder kann das weg? Szene im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt; Foto: Uwe Kammann

Feuilleton Frankfurt: Selbst die kulturenthaltsame „Tagesschau“ sprang auf den Kunst-Zug. Und berichtete, dass gerade ein Bild für mehr als 19 Millionen Euro vom Auktionshaus Sotheby’s versteigert worden war. Und dies drei Jahre nach einer spektakulären Aktion, bei der dieses Werk des englischen Künstlers Banksy durch einen eingebauten Mechanismus im Rahmen zur Hälfte geschreddert worden war ­ – und trotzdem für einen Millionenpreis seinen Käufer fand.

 Wer den globalen Kunstmarkt mit all seinen Facetten, Finessen und Extremen nicht kennt, wird sich verwundert die Augen reiben: Kann das sein? Banksy selbst hatte den Zerstörungsmechanismus in seinem (sehr banalen) Bild als ironisierende Kritik am inzwischen milliardenschweren Kunstmarkt verstanden wissen wollen. Also als kritische Intervention. Welche der Markt auf seine spezifische Art beantwortete.

 Genau an Kritik aber, so hat es der so renommierte wie kenntnisreiche Kulturjournalist Christian Saehrendt in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) voller Vehemenz formuliert, fehle es bei der Gegenwartskunst. Deshalb sollten sich „alle, die nicht von Kunstmarktinteressen geleitet werden, die Frage stellen, wie man die Gegenwartskunst vom Sockel steriler Selbstbeweihräucherung stürzen kann.“

 Er sieht die Kunstszene beherrscht von einem „regelrechten Grundrauschen allseitiger Zustimmung und Ermutigung“, von einer „weitläufigen, komplex institutionalisierten Fankultur“, von „kleineren oder größeren Begeisterungsgemeinschaften für bestimmte Künstler, Kunstrichtungen und kuratorische Konzepte“. Seine Schlussfolgerung aus diesem Befund: ein „Plädoyer für den Verriss“. Vielleicht in der (tatsächlich sehr seltenen) Art, wie ihn Florian Balke gerade am Beispiel eines Pariser Werkes des millionenschweren Kunstmarktfürsten Damien Hirst in der FAZ exerziert hat: „Sieht aus wie rosa Kotze“?

 In Frankfurt gibt es jede Menge Anschauung, wie Gegenwartskunst im inneren Zirkel der Macher verbal dargestellt und im Kreis der Kritiker journalistisch begleitet wird. Texte zu Werkschauen, Installationen, Interventionen, Performances und die publizistische Vermittlung: tatsächlich wirkt das über weite Strecken selbstbezüglich und hermetisch, einer scharfen oder auch nur sanften Kritik entzogen – ganz anders als in der Literatur, im Film, im Theater. Ist das also alles ein in sich geschlossener Insider-Diskurs, oder, böse ausgedrückt, eine beschützende Kunst-Werkstatt?

 Wir baten Uwe Rüth um seine Einschätzung dieses Befundes aus der NZZ. Ist das Verriss-Plädoyer gerechtfertigt? Rüth ist nicht nur versierter Kunstkenner, sondern auch international anerkannter Kunst-Organisator. Er hat das Skulpturenmuseum „Glaskasten“ der Stadt Marl aufgebaut und viele Jahre geleitet, eine Sammlung, die viele der großen Namen der Moderne vereint. Sein besonderes Anliegen war, Kunstwerke dauerhaft im öffentlichen Raum zu zeigen, ihnen durch Standorte an vielen Stellen der Industriestadt Marl im Alltagsleben eine diskussionsanregende, ständig sichtbare Gegenwart zu verleihen – eine vielbeachtete Kunstvermittlung der ganz direkten Art. Jetzt, im Ruhestand und damit völlig frei und unabhängig von Institutionen, lebt Uwe Rüth heute in der Kunststadt Köln.

Dr. Uwe Rüth, langjähriger Direktor des Skulpturenmuseums „Glaskasten“ in Marl; Foto: privat

Hier nun die Überlegungen von Uwe Rüth zum Status der Kunstkritik

Der Grundbefund des NZZ-Journalisten – dass es ein weitgehendes Einverständnis in der Kunstszene gibt – ist nicht falsch. Jedem fällt dies auf; und jeder, der Teil dieser Szene und dieses Business ist, hat dabei ein schlechtes Gewissen. Aber müsste nicht der freie, an sich unbeteiligte Kritiker hier der erste Ansprechpartner sein, wenn fehlende Kritik in der Gesamtszene beklagt wird?

Vom Künstler selbst kann man am allerwenigstens verlangen, sich in den Medien selbstkritisch zu präsentieren; schon lange nicht sein künstlerisches Werk, das er gerade der Öffentlichkeit mit Selbstbewusstsein und Überzeugung zeigen möchte. Aber auch die Galeristen kann man nicht anklagen, welche doch die Verantwortung für die ökonomische Vertretung der Künstler übernehmen, eine Funktion, die sie sonst sträflich gefährden würden.

Was heißt: Die Kritik des Galeristen sollte im Zwiegespräch mit dem Künstler stattfinden; sie findet dort auch häufig statt. Aber meist mit dem Inhalt oder dem Tenor, dass der Künstler ‚so-und-so’, also in bestimmter Form, arbeiten müsse, damit man die angestrebte Käuferschaft auch erreicht.

Insofern muss man hier einschränkend feststellen: Ja, es handelt sich um Kritik, aber eine, welche der Kunst häufig eher abträglich ist. Denn die so intern angesprochenen „Kunstproduzenten‘ werden sich mitunter aus Überlebensgründen nach ihr richten – richtiger vielleicht noch: nach ihr richten müssen! –, auch gegen die eigenen künstlerischen Zielsetzungen und Überzeugungen. Allerdings ist hier unbedingt hinzuzufügen: Es gibt viele verantwortliche Galeristen, die in einem fruchtbringenden Gespräch ihre Bedenken zur Kunst der von ihnen vertretenen Künstler einbringen und auf diese Weise vorsichtig zu lenken versuchen, ohne Zwang und gar Ausschließlichkeit.

Eine Skulptur von Richard Serra auf dem Rathausplatz in Marl, Foto: ©Skulpturenmuseum Glaskasten Marl; Foto: Carsten Gliese

Wie steht es nun um die Kuratoren oder Ausstellungsmacher, die ja eingeschlossen sind im Generalverdikt, eine Art Einverständniskartell zu bilden? Nach meiner Erfahrung ist es so: Wenn sie – ungebunden und aus eigener Überzeugung heraus – einen Künstler und dessen Kunst in einer Ausstellung vorstellen, sind sie in der Regel von der Qualität und Überzeugungskraft der gezeigten Werke und damit auch von der dahinterstehenden Theorie des Künstlers ganz überzeugt.

Natürlich, es gibt auch Ausnahmen. Dann stehen andere Gründe dahinter: häufig beispielsweise Vernetzungen mit Galeristen, mit Sammlern, mit anderen Museen und Ausstellungshäusern. Diese untergründigen, werkunabhängigen Verbindungen und Beziehungen sind natürlich eher negativ zu beurteilen. Allerdings gibt es auch positive, sagen wir: lautere Gründe. So beispielsweise die bewusste Unterstützung eines Künstlers, der ganz existenziell eine solche Unterstützung benötigt. Allerdings sollte sich an dieser Stelle ein Kurator verpflichtet fühlen, einen solchen Grund für die Ausstellung offen zu legen und ihn schon im Vorfeld rechtfertigen oder gegen mögliche Angriffe verteidigen.

Alle Museumsleiter, die auch der Öffentlichkeit gegenüber Verantwortung tragen, werden meiner in vielen Jahren gemachten Grunderfahrung beipflichten, dass in den Vorgesprächen zu Ausstellungen sehr kritische Diskussionen um die auszustellende Kunst stattfinden. Diskussionen also zwischen dem künstlerisch Verantwortlichen der Präsentation  – oft auch ein Team – und dem Künstler, deren Ergebnisse dann in die Ausstellung mit einfließen und anschließend von beiden Seiten offensiv vertreten werden.

Dass der Laudator der Ausstellung – oft, ja meist der Kurator – dann die gewählten Werke und die Gesamtpräsentation positiv darstellt und entsprechende Formulierungen prägt (die sich oft in Begleitkatalogen wiederfinden), ist wohl einzusehen. Eben, weil er diese Ausstellungssituation nach der vorhergehenden langen kritischen Zusammenarbeit mit dem Künstler-Partner engagiert vertreten kann, ja, muss. Eine Ausstellung sorgfältig und verantwortungsbewusst zusammenzustellen und diese dann öffentlich nach Schwachstellen zu untersuchen und diese womöglich am Tag der Eröffnung darzulegen: Das wäre mehr als schizophren: Denn die Präsentation beruht ja auf der vollen eigenen Überzeugung, die dann auch entsprechend positiv vorgestellt werden muss.

Eine ganz andere Frage betrifft den Charakter der ausstellenden Institution. Ein Kunstverein beispielsweise stellt neue Tendenzen vor: mit Künstlern, die eigene Wege gehen, Neues, auch Befremdendes bearbeiten und Zeit-Immanentes provozierend darstellen. Es ist eine Institution, die sich von ihrem Verständnis her als toleranter Ausstellungspartner des lebenden Künstlers zeigen sollte und müsste. Die Präsentation selbst ist bewusst der öffentlichen Kritik ausgesetzt. Diese respektvoll und einfühlsam wahrzunehmen, ist die eigentliche Aufgabe der Kunstkritiker.

Das allerdings ist leider an vielen Stellen nur noch in Ansätzen zu erkennen. So wie auf der anderen Seite Museen ihre eigentlichen Aufgaben stark vernachlässigen, sie sogar teilweise ganz bewusst ‚vergessen’. Diese zentrale Aufgabe eines Museums lässt sich leicht umreißen: Es geht darum, wissenschaftlich untersuchte und so weit wie möglich abgesicherte Werke in das kollektive Gedächtnis einer Entwicklung der Kunst einzubeziehen, es museal ‚einzuschreiben’: indem wohl begründet und – durch sinnliche, ästhetische und kunsthistorische Analogien und Beispiele fundiert – diese herausgehobene Stellung untermauert wird.

Vernissage im Skulpturenmuseum „Glaskasten“ in Marl, Foto: Petra Kammann

Nicht anders sieht es bei den Ankäufen eines Museums aus. Auch hier muss der Verantwortliche genau darstellen, warum er etwas der Sammlung hinzufügt: Das können und sollten mitunter auch Werke zweitrangiger, nicht so qualitätvoller Kunst sein. Hier muss dann der unmittelbar direkte und bedeutende Einfluss auf den jeweiligen ‚Zeitgeist‘ oder ein Moment des großen Einflusses auf die folgende Kunstentwicklung zur Begründung herangezogen werden – auch mit dem Instrument einer öffentlichen Darlegung und einer darauf aufbauenden kritischen Diskussion. Deshalb auch habe ich in meiner Stellung als Verantwortlicher für die Ankäufe des Marler Skulpturenmuseums darauf bestanden, in die Museumssatzung den Passus aufzunehmen, dass jeder Ankauf dem zuständigen Kulturausschuss der Stadt Marl vorgelegt und vor der Öffentlichkeit diskutiert werden muss.

Nun zur letzten und der eigentlichen Station bei der Einschätzung, wie es um die Kunstszene und den Willen oder die Fähigkeit zur Kritik steht: zur freien professionellen Kunstkritik, besonders zu jener, die medial publizistisch tätig ist.

In meinen Augen muss die Grundformel dieser Tätigkeit lauten: Verantwortung wahrnehmen. Das bedeutet: Der frei arbeitende, sich durch ‚Viel-Sehen‘, ‚Viel-Lesen‘ und ‚Viel-Nachdenken‘ herangereifte Fachkritiker übernimmt und trägt mit der Aufgabe, die Kunstwelt in all ihren Formen und Hervorbringungen zu beobachten und zu bewerten, auch die Verantwortung für eine nicht-verletzende, nachvollziehbare, verständliche und abgewogene Berichterstattung. Das heißt, dass sie durchaus nicht nur die positiven Aspekte darstellt, sondern auch die negativen. Dies kann, soll und dies wird auch in der Regel mit einer klaren eigenen Meinungsäußerung verbunden sein.

Dass der frei arbeitende, auch redaktionell fest installierte Kritiker durch eine auf Kritik abwehrend reagierende Kunstwelt von Informationen und Blicken in deren inneres Denken und Agieren tendenziell Anfeindungen ausgesetzt oder ganz manifest ausgeschlossen wird, ist durchaus eine Gefahr. Wie oft und in welcher subversiven Form sie auftritt, auch, wie Kritiker darauf reagieren oder ob sie sich gar eingeschüchtert fühlen und sich deshalb lieber konform zum ‚Mainstream’ der Kunstszene und des sich immer stärker auch international vernetzten Kunstmarktes verhalten: Das lässt sich nur schwer einschätzen.

Aber hier ist es mit der generellen Hoffnung zu halten. Nämlich, dass Beiträge, die gut recherchiert sind und ihre Urteile nachvollziehbar begründen, immer aufmerksame Leser finden werden. Dabei dürfen sie durchaus hart ausfallen, wohingegen spür- und lesbar bösartige Beiträge unter dem Oberbegriff Kritik in der Regel kontraproduktiv sind. Erwartet wird in der Szene – die ja auch viele Eigenheiten kennt, dazu bei aller Homogenität der Interessen auch eine ausgeprägte Konkurrenz – wahrscheinlich vor allem eines, ganz unabhängig vom kritischen Standpunkt: ein aufbauender Grundtenor. Damit im Sinne der Entwicklung einer lebendigen, anregenden und zur Qualität drängenden innovativen Kunst diese den Status haben und bewahren kann, der ihren Kern ausmacht: eben Kunst zu sein, in einer größtmöglich garantierten Freiheit.

 

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