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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allen Poe

Ein Beitrag zur Eröffnung der Ruhrtriennale

von Simone Hamm

Kokereien, Maschinen-, Gebläse-, Gießhallen , ein Salzlager, ein Dampfgebläsehaus. Die Spielstätten der Ruhrtriennale sind die Industriedenkmäler der Region. In der schönsten Spielstätte der an schönen Spielstätten reichen Ruhrtriennale, der Maschinenhalle Zwecken in Gladbeck, vor einer großen, stillgelegten Fördermaschine fand der Eröffnungsabend statt: „Der Untergang des Hauses Usher“ von Edgar Allen Poe, eine Koproduktion mit dem Burgtheater.

Der Untergang des Hauses Usher, Barbara Frey. Von links Tommy Hojsa, Josh Sneesby © Matthias Horn / Ruhrtriennale 2021

Die Schweizer Regisseurin Barbara Frey, die für die kommende drei Jahre die Ruhrtriennale leiten wird, inszenierte selbst.

Über die großen Fenster sind Latten geschlagen, nur wenig Licht dringt durch.

Auf der Bühne vor der riesigen Fördermaschine mit unterschiedlich großen Antriebsrädern Gerde mal ein paar Stühle, Bücher, ein paar Schlaginstrumente, zwei Flügel. Mehr nicht.

Zu Beginn schlagen zwei Pianisten synchron die immer gleichen Akkorde an – und wandern langsam auf den Tasten von der Höhe in die Tiefe. Fünfzehn lange Minuten. Sie geben damit einen Vorgeschmack auf das, was kommen wird: wenige, oft synchrone, meist sehr langsame Bewegungen.

Sechs dunkel gekleidete Figuren, drei Männer, drei Frauen, erscheinen. Sie rühren sich kaum, wirken verängstigt, paralysiert. Sie lösen sich voneinander, rezitieren aus dem „Untergang des Hauses Usher“ .

Und als ob die düstere Geschichte der Zwillinge Roderick und Madeleine nicht schon schaurig genug wäre, deklamieren sie auch aus anderen Poewerken, etwa dem „Doppelmord der Rue Morgue“ (Michael Maertens mit Affenhänden), aus der Kerkergeschichte „Die Grube und das Pendel“ (Annamária Long erwacht als Scheintote), aus der „Feeninsel“ (Deborah Korley erzählt von einer, die verschwindet), aus Berenice (noch eine Scheintote).

Frey setzt ganz auf Sprache. Die Schauspieler vom Burgtheater sprechen deutsch, englisch und ungarisch. Aber sie sind limitiert in Bewegungen und Gesten, zu limitiert.

Nur selten kommt durch, was sie doch für herausragende Schauspieler wären, wenn man sie nur spielen ließe, und nicht nur rezitieren. Der Abend soll wohl  gruselig, tiefenpsychologisch und schaurig sein – und berührt dennoch nicht. Er verunsichert auch nicht, so wie es die Lektüre von Edgar Allen Poe vermag.

Manchmal singt unsichtbar der Ruhrkohle Chor dazu. Das sind die schönsten Momente: die untergehende Sonne wirft ihr Licht durch die Ritzen der Bretter, mit denen die Fenster zugenagelt sind.

Nur ganz leise kommen die Klänge in der Halle an. Das hat etwas Unwirkliches und passt wunderbar zur geheimnisvollen, unergründlichen Welt des Edgar Allen Poe.

Bählamms Fest © Volker Beushausen / Ruhrtriennale 2021

„Bählamms Fest“ – Eine Bearbeitung von Olga Neuwirth und Elfriede Jelinek nach Leonore Carringtons Komödie  „Das Fest des Lamms“

Es ist kalt, unablässig fällt Schnee. Eine karge echte Heidelandschaft, die durchaus an King Lear erinnern soll, ein kleiner, zugefrorener Teich, wabernde Nebel. Schafe grasen vor einer Hütte, blöken. Wölfe heulen. Ausstatterin Nina Wetzel hat ein wirklich beeindruckendes Bühnenbild in der Jahrhunderthalle in Bochum geschaffen.

In der Hütte sitzt wie in einem Spielzeughaus Mrs. Carnis im Rollstuhl. Sie tyrannisiert ihre Familie, den saufenden Sohn, die Schwiegertochter Theodora, die dessen gierigen Umarmungen entflieht und sich in den Wolfsmenschen Jeremy verliebt, mit dem sie sich im Kinderzimmer zu einem Stelldichein trifft. Hinzu kommt die verlassene Ehefrau, blind vor Rache. Ein kopfloses Schaf, ein kopfloser Schäfer. Ein echter Hund.

„Das Fest des Lamms“ heißt die surreale Komödie, die Leonore Carrington 1940 geschrieben hat. Die Komponistin Olga Neuwirth und die Schriftstellerin Elfriede Jelinek machten 1999 eine Oper daraus: “Bählamms Fest“. Jetzt hat sie in einer Neuinszenierung des irischen Theaterkollektivs „Dead Centre“ (Ben Kidd und Bush Moukarzel) Premiere bei der Ruhrtriennale.

Die Botschaft ist klar und simpel. Opfer sind Frauen und Lämmer. Aber auch ein aus Lust mordender Schäfer. Männer unterdrücken Frauen und die Menschen die Tiere.

Aber Bählamms ist so viel mehr! Auf dieses Fest sollte man sich einlassen. Die Bilder der tanzenden Lämmer auf sich wirken lassen. Das Blut der Lämmer, das den See rot färbt. Zottelige Monster, die Geister der Toten, die miteinander kämpfen. Batman und Superman, die herzhaft lachen.

Ein widerlicher Widder, dem die Schafe zu Diensten sind, vor allem das Schaf Maria. Eine Hetzjagd. Hundepolizisten, die auf allen vieren daherkommen. Mord und Totschlag bleiben ungesühnt. Die Geister der Vergangenheit werden wieder und wieder in düsteren Traumbildern heraufbeschworen.

Das Ensemble modern spielte dazu unter der Leitung von Sylvain Cambreling. Und es spielt phänomenal. Rein und transparent klingt die Musik, manchmal fast spätromantisch, dann wiederganz gegenwärtig.

Live-elektronische Zuspielungen kommen hinzu und das sogenannte Morphing, mit dem Olga Neuwirth Mensch- und Tierstimmen mischt. Kathrin Barts als Theodora und Hilary Summers als Mrs. Carnis, Gloria Rehm als rachsüchtige Exfrau überzeugen ebenso wie Dietrich Henschel als Philip und Andrew Watts. Der englische Tenor gibt dem Werwolf Jeremy seine Stimme.

Der Abend ist musikalisch überaus gelungen. Wer sich auf das wilde Bühnenspiel „Bählamms Fest“ einlassen konnte und nicht allzu oft nach Sinn und Verständnis fragte, kann den Abend in vollen Zügen genießen.

 

Mehr unter:

www.ruhrtriennale.de

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