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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Der 9. Internationale Dirigentenwettbewerb Sir Geog Solti in der Alten Oper Frankfurt

Drei unterschiedliche Finalisten:

Tianyi Lu – temperamentvoll, Johannes Zahl –ruhig, Gábor Hontvári – körperbetont

von Renate Feyerbacher

Nach welchen Kriterien wird ein Dirigent, eine Dirigentin beurteilt? Ist es die Schlagtechnik, die Körpersprache, die Ausstrahlung, die Persönlichkeit? Wahrscheinlich muss es eine Mischung von allem sein. Die Musiker müssen zum Beispiel die Bewegungen des Dirigierenden eindeutig verstehen können. Wichtig ist zu wissen, wie die einzelnen Musikgruppen reagieren. So brauchen die Bläser Zeit ebenso die Harfinisten*innen.

Die in Neuseeland aufgewachsene und in Shanghai geborene Dirigentin Tianyi Lu; Foto: Tibor-Florestan Pluto / Alte Oper

Einbezogen in die Beurteilung werden die Proben. Ein Stück darf nicht „zerprobt“ werden. Und die Persönlichkeit, das Charisma? Das Publikum lässt sich vor allem von der Ausstrahlung faszinieren. Beim diesjährigen Dirigentenwettbewerb ist alles anders. Zweigeteilt war die Veranstaltung: es gab das finale Wettbewerbskonzert und danach das Preisträgerkonzert, bei dem die Gewinner bereits feststanden.

Johannes Zahn, Publikumspreis; Foto: Tibor-Florestan Pluto / Alte Oper

Eine Frau und zwei Männer, die sich aus 437 Bewerbern aus 56 Ländern, von denen 13 nach Frankfurt eingeladen wurden, aber nur zehn corona-bedingt kommen konnten, bestritten das Finale. Sie mussten sich im Wettbewerbskonzert der 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven (1770-1827) widmen. Wer welchen Satz spielen musste, wurde ausgelost.

Die in Shanghai geborene, in Neuseeland aufgewachsene Tianyi Lu interpretierte den 1. Satz, der in München geborene Johannes Zahn den 2. und den 3. Satz. Lu und Zahn sind Jahrgang 1990, der Ungar Gábor Hontvári Jahrgang 1993. Ihm wurde der 4. Satz zugeteilt. Bei diesem Konzert, gespielt vom Frankfurter Opern-und Museumsorchester, wurde auch über den Publikumspreis entschieden. Er ging an Johannes Zahn, der bis zum nächsten Dirigentenwettbewerb den von Georg Solti signierten Taktstock, den er in Frankfurt ließ, sein eigen nennen darf. Alle drei Finalisten haben schon feste Engagements und wurden mit Preisen bedacht.

Preisträgerin Tianyi Lu strahlt; Foto: Renate Feyerbacher

Tianyi Lu gewann soeben in Turin den Guido Cantelli Conducting Competition, einen Preis, den namhafte Dirigenten vor ihr erhalten haben. Guido Cantelli, der sich geweigert hatte, die Nazis zu unterstützen, wurde in einem Arbeitslager inhaftiert und konnte sich mit Hilfe eines Priesters befreien. Nach dem Krieg dirigierte er bereits mit 25 Jahren in der Mailänder Scala. Arturo Toscanini war begeistert von ihm und lud ihn zu Konzerten nach New York ein. Wenige Tage vor seinem Tod wurde er zum Chefdirigenten der Mailänder Scala ernannt. 36-jährig kam er bei einem Flugzeugabsturz in Paris ums Leben.

Zurück zum Solti-Dirigentenwettbewerb: Die Jury – leider fehlte krankheitsbedingt die Vorsitzende Lady Valerie Solti – die auch die Probenzeit in ihre Beurteilung mit einbezieht, vergab den 1. Preis an Tianyi Lu, Preisgeld 15.000 Euro. Johannes Zahn sowie Gábor Hontvári wurden gleichwertig für den 2. Platz bedacht. Für den 2. Platz gibt es 10.000 Euro.

Preis und Geld sind wichtig. Ebenso wichtig sind aber auch die Einladungen zu Dirigaten des Frankfurter Museumsorchesters und des hr-Sinfonieorchesters. Auch weitere Orchester haben Gastdirigate oder Assistenzen in Aussicht gestellt.

Ich habe die Finalisten des 9. Solti Dirigentenwettbewerbs nur im Preisträgerkonzert gesehen und gehört. Den Preisträgern waren Beethoven-Ouvertüren zugewiesen worden: Coriolan, interpretiert von Gábor Hontvári. Seine Körperbewegungen erinnerten mich an Leonhard Bernstein. Er hüpfte, tanzte, ging in die Knie, aber er konnte auch sehr ruhig sein.

Der ungarische Dirigent Gábor Hontvári, 2. Preis, Foto: Alte Oper

Geradezu mit stoischer Ruhe widmete sich Johannes Zahn der Ouvertüre zum Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“. Sparsam ist seine Mimik. Das gefiel mir sehr gut.

Die erste Leonoren-Ouvertüre war Tianyi Lu vorbehalten. Die zierliche Frau in ihrem schwarzen Anzug mit roter Bluse, die ihre roten Armbündchen zeigt, dirigiert temperamentvoll. Ihre Handbewegungen sind graziös,  ihr Minenspiel ist ausdruckstark Überzeugend. Bescheiden bedankt sie sich und hofft, dass sie sich eines Tages in deutscher Sprache bedanken kann.

Georg Solti (1912-1997), ursprünglich György Stern, war ein Dirigent, der nicht nur alle wichtigen Eigenschaften des Dirigierens , sondern auch Charisma in sich vereinigte. Warum die einen dirigieren können, die anderen nicht, das bleibe ein Geheimnis, hatte er einmal gesagt. „Musik ist mein Leben“, begeisterte er sich in einem Gespräch 1994, in dem er auch betonte, dass er den diktatorischen Stil von Toscanini ablehnte. „Freundschaftliches Bitten“ nannte er seine Art, mit den Musikern zu reden. Ein kosmopolitischer Dirigent war er zeitlebens.

Dass der Solti Dirigentenwettbewerb in Frankfurt stattfindet und nicht in London, wo Solti zu Hause war, ist Karl Rarichs zu verdanken. Er hatte sich wohl daran erinnert, dass Georg Solti ab 1952 neun Jahre lang als Generalmusikdirektor an der Oper Frankfurt wirkte.

Karl Rarichs in der Alten Oper Frankfurt, Foto: Renate Feyerbacher

Rarichs, Chorleiter, Kapellmeister, Verlagsleiter, war der Erfinder und Motor des Internationalen Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti, der 2002 erstmals stattfand. Rarichs kam um 1960 nach Frankfurt, wo er musikalische Schwerpunkte setzte. Er starb  in diesem Jahr neunzigjährig.

Dass heute endlich mehr junge Frauen an dem Wettbewerb teilnehmen, ist auch auf seine lebenslangen musikalischen Bemühungen zurückzuführen. Immerhin waren unter den 437 Bewerbern 59 Frauen. Das ist natürlich immer noch viel zu wenig. Großartige weibliche Talente wie Mirga Gražinyte Tyla, die Nachfolgerin von Andris Nelsons beim City of Birmingham Symphony Orchestra, oder Joana Mallwitz, Generalmusikdirektorin in Nürnberg, die in diesem Jahr als erste Frau in Salzburg eine Oper dirigieren durfte, sollten Mut machen, sich zu bewerben. Mallwitz  war schon zweimal zu Gast an der Oper Frankfurt.

Tianyi Lu ist die zweite Frau, die den Hauptpreis des Internationalen Solti Dirigentenwettbewerbs gewann. Sie tritt ein in den Kreis der ausgezeichneten Dirigentinnen.

„Es gibt inzwischen spezielle Förderprogramme für Dirigentinnen: Ich selbst arbeite regelmäßig als „Dirigentin in Residence“ an der National Welsh Opera in Cardiff – ein Förderprogramm, das die traurigen „Unter-Zehn-Prozent“ an Dirigentinnen weltweit gezielt ansprechen soll“, so Tianyi Lu.

Burkhard Bastuck, der diesjährige Leiter des Wettbewerbs, Vorsitzender der Frankfurter Museumsgesellschaft, freute sich über den erfolgreichen Abschluss: „Dass wir wieder ein so hochkarätiges Teilnehmerfeld hatten, hat uns alle, die Wettbewerbspartner, (Anmerkung der Autorin: zu denen die Alte Oper, die Oper und der Hessische Rundfunk gehören) ebenso wie die Juroren, natürlich sehr gefreut. Am meisten gefreut hat uns aber, dass der Wettbewerb in diesen Zeiten überhaupt stattfinden konnte. Das grenzt schon an ein kleines Wunder.“ An diesem Wunder haben auch Sponsoren mitgewirkt, die die durch Corona geschwächte Kulturszene unterstützen.

So wurden die Preisgelder vom Unternehmer und Vorstandsvorsitzenden der EINTRACHT Philip Holzer, Sohn des ehemaligen FR-Chefredakteurs Werner Holzer, gestiftet. Sein Motto „Kultur ist Klebstoff für die Gesellschaft.“

Die Feith-Stiftung, der Bankier Thomas Rüschen gehören zum Kreis der Sponsoren sowie weitere Institutionen. Besonders erwähnt wurden auch drei Vereine: die Freunde und Förderer des hr-Sinfonieorchesters, der Patronatsverein für die Städtischen Bühnen Frankfurt – Sektion Oper und die Gesellschaft der Freunde der Alten Oper. Hier kann jede und jeder Mitglied werden und Mini-Mäzen sein.

Die gemeinsame Feier mit den Preisträgern fiel natürlich aus. Schade, denn die menschliche Begegnung, auch mit Lady Valerie Solti, nach dem Konzert war immer ein weiterer Höhepunkt.

 

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