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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Wolf Böwigs Fotos, Collagen und Leporello in der Galerie-Peter-Sillem

„Nah ist das Land, das sie Leben nennen“

Palimpseste des Grauens und der Anteilnahme  – Doppelbelichtungen und Bild-Text-Überlagerungen aus Krisengebieten

von Petra Kammann

Der Foto-Reporter und Künstler Wolf Böwig, Foto:© Gustav Eckart

Der feine kleine Raum der Galerie-Peter-Sillem hat sich abermals in ein perfektes Gehäuse verwandelt für eine Schau, die dem Betrachter einen neuen Blick auf eine Welt des Leides in Krisengebieten ermöglicht, die den meisten von uns verborgen ist: Mit großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien und deren rauen Oberflächen, mit schmalen zusammengefügten Fotostreifen, die fast filmisch kleine Geschichten vom Balkankrieg, vom Afghanistankrieg und von Afrika, den Bürgerkriegen in Sierra Leone, Liberia, der Elfenbeinküste und Guinea-Bissau, erzählen. Wolf Böwig hat die Sicht darauf tagebuchartig dokumentiert, überblendet, mit Vorgefundenem überklebt und überkritzelt, in Boxen gepackt, so als wollte er damit das Grauen bannen und gleichsam außer Kraft setzen. Er hat seine fotografischen Erinnerungsspuren überschrieben und wie eine menschliche Anthologie komponiert und kommentiert, so dass sich unter deren Oberfläche Neues und Anderes entwickelt.

Galerist Peter Sillem erläutert in der neuen Ausstellung die Verschiedenartigkeit der Exponate und die Route der Grand Trunk Road, die Böwig bereist und auf eine Holzplatte übertragen hat, Foto: Petra Kammann 

Effizient wie in eine Schachtel gepackt sind die Exponate auf kleinstem Raum der Galerie ausgebreitet, von den Wandflächen bis hin zum Fußboden: allesamt Exponate des Grauens und der Anteilnahme. Eine komplexe Summe aus rund 30 Jahren getränkter Erfahrung des Kriegsreporters Wolf Böwig, der für führende Magazine und Zeitungen wie „Le Monde“, die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „New York Times“ gearbeitet hat und in Osttimor, Burma, Indien, Bangladesh, Sri Lanka, Pakistan, Afghanistan, Tadjikistan, Uzbekistan, Turkmenistan, Äthiopien, Somalia, Ruanda, DR Congo, Guinea Bissau, Sierra Leone, der Elfenbeinküste, Namibia, Südafrika, Cuba und auf dem Balkan unterwegs war.

Unterfüttert wird das auf diesen Reisen entstandene Bildmaterial durch weiterführende Literatur, die unter den jeweiligen Themen- bzw. Länderkomplexen in kleinen Bücherregalen zusammengestellt, aus denen man sich zusätzliche Informationen holen kann. In einem winzigen Nebenraum kann man sich in der Soundcollage „Reporting violence / Über Gewalt berichten“ der Live-Erlebnisse vergewissern. Vielfach wurden Böwigs Reportagen ausgezeichnet. Zurecht.

↑↓ Wolf Böwig, Doppelseite aus dem Tagebuch „Nordostpassage III“, verschiedene Materialien. (c) Wolf Böwig 

Er will nicht nur dokumentieren mit sensationsheischenden Bildern, sondern tiefer bohren, sich mit Menschen vor Ort und deren Schicksal konfrontieren, das Grauen an sich rankommen lassen. Und da es für Langzeitreportagen in den Zeitungen heute kaum mehr Platz gibt, arbeitet er  an mehreren Langzeitprojekten in Afrika, Asien sowie in Mittel- und Osteuropa. So führte ihn seine letzte große Reise 2017 fünf Monate lang als Beobachter auf die Grand Trunk Road, eine der ältesten und zugleich bedeutendsten Fernhandelsstraße Südasiens, von der Grenze Burmas über Bangladesch, Indien und Pakistan bis nach Kabul, durch eine Region, wo 70 Jahre nach der Unabhängigkeit der feindlichen Nachbarn Indien und Pakistan noch immer keine Ruhe herrscht. Die Route bildet eine rote Linie, die Böwig auf eine schlichte Holzplatte komprimiert übertragen hat.

Da Böwig zunehmend der Einzelaufnahme misstraut, hat er sie überschrieben, unverwechselbar gemacht durch seine Bild-Text-Überlagerungen, das Einkleben von Kartenmaterial, Zeitungsausrissen und Objekten wie Geldscheinen, Streichhölzern, Nägeln u.ä.., die er unterwegs gesammelt hat. Aber dazwischen entstehen, wie um nach tiefem und langem Atem auszuholen, auch poetische fotografische Momente und Eindrücke, so, wenn er notiert: „Mein Traum war …. der Regen hat aufgehört, über Makent in der Nordprovinz von Sierra Leone zu fallen. Die Sonne zeichnet blaue Lichtungen in den afrikanischen Monsun.“

In der Landschaft des Dazwischen zählt der einzelne Mensch
Wolf Böwig, Matebien. Timor Leste, 2009 (c) Wolf Böwig

Zur Ausstellungseröffnung am 7. November 2018 gab die ehemalige Kriegsreporterin und Friedenspreisträgerin Carolin Emcke, Berlin, eine sehr treffende Einführung in die Ausstellung, in der sie das Verstörende, wie die spezifische Brutalität eines Völkermords, einer ethnischen Vertreibung oder eines Bürgerkriegs beschrieb, aber auch das darin aufblitzende Vertraute, die verbindende Humanität, die Gemeinsamkeit der einen Welt. Die Foto-Dokumente laden natürlich den Betrachter dazu ein, die dahinterliegende ganze Geschichte zu dechiffrieren und zu verstehen. Das Besondere an Wolf Böwigs Fotos und Collagen sei, dass er sich selbst und die ganze Komplexität dieser versehrten Welt auch dem Betrachter zumute und sie nicht schlicht vereinfache. Gleichzeitig erzählte sie uns, dass das Leid immer etwas Besonderes, Außergewöhnliches sei, „ganz gleich wie häufig und alltäglich es sein mag, es ist immer spezifisch in einer bestimmten Wüste, einer bestimmten Stadt“. Für Böwig sei die Gewalt nichts Einheitliches, Überschaubares, „sondern sie ist verwirrend, disruptiv, vielgesichtig – und so sind eben auch diese Bilder von Wolf Böwig Ausdruck eines widerständigen Humanismus, der sich nicht gewöhnen will, der nicht vereinfachen, verschlichten, normalisieren will, was nicht normal sein darf.“

Gut auch, dass in diesem Jahr Freddy Langer, der passionierte Fotografie-Kenner und Verantwortlicher des Reiseteils der FAZ, Monat für Monat diesen collagierten Blättern eine Doppelseite widmet. Und das im Reiseteil, der häufig genug Genussbereitschaft und Eskapismus schürt. Da lässt sich dann nachlesen, was uns bei der Dechiffrierung der Welt ein winziges Stückchen weiterbringt und uns dazu auffordert, anders auf Reisen zu gehen. Für diejenigen, welche die Ausstellung von Wolf Böwig, „Nah ist das Land, das sie Leben nennen“ in der Galerie-Peter-Sillem, in Frankfurt, die leider nur noch bis zum 8. Dezember 2018 läuft, nicht mehr anschauen können, zwar ein kleiner Trost. Aber man sollte sich lieber die Zeit nehmen, nach Sachsenhausen in die Galerie Dreieichstraße 2 zu gehen und selbst zu sehen…

 

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