„Rubens. Kraft der Verwandlung“ im Städel – faszinierender Blick auf Meisterwerke des Barock
Großmeister der kreativen Neuinterpretation – farbstarke Gemälde von sinnlicher Fülle und überwältigender Vitalität
Von Hans-Bernd Heier
Peter Paul Rubens hat die europäische Barockmalerei geprägt wie kaum ein anderer Künstler. Er war bereits im 17. Jahrhundert ein „Star“. Seine meist großformatigen, farbstarken Bilder von sinnlicher Fülle und überwältigender Vitalität sind in aller Welt gezeigt worden. Seine „Sex and Crime“-Darstellungen haben auch in den letzten Jahrzehnten ein Millionenpublikum angelockt. Das Städel Museum rückt in der gerade eröffneten großen Schau „Rubens. Kraft der Verwandlung“ erstmals einen anderen, ebenso faszinierenden Aspekt von Rubens‘ künstlerischer Bedeutung in den Fokus: Das flämische Malergenie war ein Meister der kreativen Neuinterpretation. Seinen Ruhm verdankt er einem einfachen Erfolgsrezept: Für die eigenen Bilderfindungen ließ er sich von Kunstwerken aus der Antike und Renaissance inspirieren und trat mit ihnen in einen intensiven Dialog.
Peter Paul Rubens „Das Urteil des Paris“, um 1639, Öl auf Leinwand, 199 x 381 cm; Madrid, Museo National del Prado
Rubens kopiert allerdings seine Vorbilder nicht einfach, sondern sein Ziel ist eine kreative Anverwandlung seiner Vorlagen für eine unverwechselbar eigenständige und neue Bildlösung. Dazu erklärt Mit-Kurator Prof. Jochen Sander, stellvertretender Städel-Direktor: „Rubens war einer der produktivsten und spannendsten Künstler des Barock, der nicht nur zahlreiche nachfolgende Künstlergenerationen beeinflusste, sondern auch selbst verschiedene Quellen für seine Bilderfindungen förmlich in sich einsaugte. Unsere Ausstellung bietet die einmalige Gelegenheit, diesen kreativen und schöpferischen Prozess nun direkt nachzuvollziehen“. Bei seinen Techniken handelte es sich nicht um ein simples „copy-paste“-Verfahren, sondern darum, wie Sander erläutert, „die Vorbilder zu studieren, geistig zu erfassen und zum Ausgangspunkt für etwas vollkommen Neues, Anderes und Eigenes zu machen“.
Peter Paul Rubens und Jan Brueghel d. Ä., „Pan und Syrinx“, 1617, Öl auf Holz, 40 x 61 cm; Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister
Dabei ist Rubens‘ Bezugnahme auf Werke von Künstlern unterschiedlicher Epochen häufig erst auf den zweiten Blick zu erkennen. In der aufwendig inszenierten Städel-Schau können Besucherinnen und Besucher dank geschickter Hängung der Bilder und Platzierung der Skulpturen sowie verständlich formulierter Wandtexte die zuweilen überraschenden Korrelationen im Detail nachvollziehen. Beispielhaft verdeutlicht wird Rubens‘ kreativer Arbeitsprozess gleich im ersten Ausstellungsraum anhand seiner Darstellung Christi als „Ecce homo“ (um 1612): Bei der Bildfindung ließ er sich von der römischen Marmorskulptur „Der von Cupido gezähmte Kentaur“ inspirieren. Von der Plastik fertigte Rubens zunächst mehrere Zeichnungen an, die er anschließend in dem Gemälde weiterentwickelte: In einer vollständigen ikonografischen Neubestimmung verwandelte er das antike Vorbild des ungezügelten, animalischen Kentauren in eine Darstellung des leidenden Christus. Mit Rückgriff auf die Antike wird der Leib Christi so auf überraschende Weise inszeniert und mit seinem athletisch gebildeten Oberkörper regelrecht zur Schau gestellt.
Mittels dreier Exponate wird diese metamorphosische Verwandlung der antiken Skulptur eines Kentauren zu dem leidenden Christus-Tableau beeindruckend veranschaulicht.
Römisch, „Der von Cupido gezähmte Kentaur“, 1.–2. Jh. n. Chr., Marmor,147 x 107 x 52 cm; Paris, Musée du Louvre; Peter Paul Rubens „Kentaur von Cupido gezähmt“, um 1601/02, schwarze Kreide auf Papier, 48 x 37 cm; Köln, Wallraf-Richartz-Museum; Peter Paul Rubens „Ecce homo“, vor 1612, Öl auf Holz, 126 x 96 cm; The State Hermitage Museum, Sankt Petersburg © The State Hermitage Museum
Ein weiteres prägnantes Beispiel für die Anverwandlung ist die antike römische Skulptur einer kauernden Venus, die sich auf ein Bad vorbereitet: Rubens verwandelt sie mit identischer Haltung, aber völlig anderem Gemütszustand nicht nur in eine frierende Venus, die „Venus Frigida“ (1614), sondern auch in die ihren toten Geliebten Adonis beklagende Liebesgöttin („Venus um Adonis trauernd“, um 1614).
Tizian „Venus und Adonis“, 1555-1560, Öl auf Leinwand, 160 x 196,5 cm; Los Angeles, The J. Getty Museum
Die grandiose Präsentation im Ausstellungshaus des Städel, die bis zum 21. Mai 2018 zu sehen ist, zeigt anhand von rund 100 Arbeiten – darunter 31 Gemälde und 23 Zeichnungen des flämischen Meisters -, wie tief der geniale Maler in den Dialog mit Kunstwerken berühmter Vorgänger und Zeitgenossen eingetreten ist und wie intensiv dies sein fünfzigjähriges Schaffen geprägt hat. Die Gattungsgrenzen überschreitende Schau vereint Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Skulptur und Werke der angewandten Kunst. Neben Originalplastiken von der Antike bis zur Renaissance sind auch Gemälde und Grafiken von Rubens‘ Vorläufern und Zeitgenossen zu sehen, darunter Schlüsselwerke von Tizian, den er zeitlebens verehrte und der als erster Künstler in den Adelsstand erhoben worden war, wie übrigens später Rubens auch. Gezeigt werden auch Meisterkompositionen von Tintoretto, von Goltzius, Rottenhammer und Elsheimer. Städel-Direktor Philipp Demandt schwärmt: „Mit diesem groß angelegten Ausstellungsprojekt können wir unserem Publikum die Genialität eines außergewöhnlichen Künstlers in all ihren Facetten präsentieren. Die umfassende Schau eröffnet einen faszinierenden Blick auf Meisterwerke des Barock, die den Betrachter – damals wie heute – in ihren Bann ziehen.“
Peter Paul Rubens „Venus und Cupido“, um 1628, Öl auf Leinwand, 137 x 111 cm; Madrid, Museo Thyssen-Bornemisza
Der direkte Vergleich von Vorbildern und Rubens-Werken ermöglicht einen tiefen Einblick in die Arbeits- und Denkweise des Künstlers: in seine geistreichen Bildgenesen und überraschenden Motivverwandlungen, aber auch in das intensive Ringen um das richtige Format und die rechte Form. Gerade den bewussten Rückgriffen auf identifizierbare Vorbilder, die Rubens dabei noch – im Sinne der kunsttheoretischen „Aemulatio“ – zu überbieten suchte, verdanken seine Schöpfungen häufig ihre dynamische Erscheinung. Am Ende eines jeden dieser Verwandlungsprozesse stehen Werke, die den Betrachter damals wie heute unmittelbar ansprechen. Rubens erweist sich als Meister der Aemulatio, wie beispielsweise der künstlerische Wettstreit mit dem bedeutendsten venezianischen Maler des 16. Jahrhunderts, Tizian, verdeutlicht. Mit der Wahl von Tizians Abschied des Adonis von Venus hatte Rubens sich bewusst eine der berühmtesten Kompositionen des großen Venezianers ausgesucht, die dieser in mehreren Varianten ausgeführt hatte. „Rubens kopierte sie nicht, sondern interpretierte sie neu, indem er Tizians Figuren aus der jeweils entgegengesetzten Blickrichtung ins Bild setzte: Wo Tizian Venus als Rückenfigur und Adonis von vorn zeigt, kehrt Rubens die Betrachter-Perspektive auf die Figuren um und verändert damit zugleich ihre emotionale Aufladung: Während Tizians Adonis zum Aufbruch entschlossen ist, scheint Rubens´ Jäger seine Entscheidung noch einmal zu überdenken“, erläutert Sander.
Auf dem nach Bildmotiven und Themen klar strukturierten Rundgang im Städel-Ausstellungshaus treffen die Besucher auf altbekannte mythologische Sujets wie Venus und Adonis, das Paris-Urteil oder den an den Felsen geschmiedeten Prometheus, aber auch auf zentrale Themen des Alten oder Neuen Testaments wie die Enthauptung des Holofernes oder die Grablegung Christi.
Peter Paul Rubens und Frans Snyders (Adler) „Prometheus“, 1611/12 -1618, Öl auf Leinwand, 243 x 210 cm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Art
Peter Paul Rubens, 1577 im westfälischen Siegen geboren und 1640 in Antwerpen gestorben, wurde bereits 1598 in die angesehene Antwerpener Malerzunft, die Lukasgilde, aufgenommen. Schon als junger Mann fand er internationale Anerkennung und war als außerordentlich innovativer Künstler weit geschätzt. Sein Name gilt bis heute als Markenzeichen – nicht nur dank des enormen Umfangs und der Qualität seines erhaltenen malerischen Œuvres sondern auch aufgrund seiner unverwechselbaren Malweise. Nach einem rund achtjährigen Italienaufenthalt und Rückkehr nach Antwerpen wurde er 1609 Hofmaler der Erzherzöge Albrecht und Isabella.
Rubens, der inzwischen zu einem der meist gefragten Maler Europas aufgestiegen war, erhielt so viele Aufträge, dass er diese ohne Hilfe gar nicht ausführen konnte. Er eröffnete deshalb einen gewaltigen Atelierbetrieb, in dem Hunderte von Bildern produziert wurden, ohne dass der Großmeister wesentlich mitgewirkt hätte, wie manche Kunstexperten kritisieren. Der geniale Meister mit dem Faible für das füllige Schönheitsideal war der große Impuls- und Ideengeber, der Bildszenen erfand. Ausgeführt wurden diese dann oft von Mitarbeitern, teils von hoch spezialisierten Malern, die ihm bei besonderen Aufgaben, wie Landschafts-, Tier- und Blumendarstellungen, assistierten, u.a. Jan Bruegel d. Ä., Anthonis van Dyck und Frans Snyders. „Zeitgenossen berichten, dass Rubens den Bildern mit einigen Pinselstrichen noch den letzten Schliff gegeben hat“, sagt Sander. Alles, was aus seiner Werkstatt kam, sei autorisiert gewesen. Kompositionen für hochkarätige Auftraggeber hat er selbst ausgeführt. Im Städel werden vorrangig die eher seltenen, überwiegend eigenhändig ausgeführten Werke von Rubens gezeigt.
Peter Paul Rubens „Venusfest“ nach Tizian, 1636/37, Öl auf Leinwand, 230 x 350 cm; Wien Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie
Typisch für Rubens Malstil sind die prall mit kraftvollen Figuren gefüllten großen Bildformate, mit starken Gebärden, wuchtigem Pathos und enormer plastischer Kraft. Seine üppigen Frauendarstellungen mit viel nackter Haut strahlen für viele Betrachter eine sublimierte Sinnlichkeit aus. Johann Joachim Winckelmann, der bedeutende Kunstgelehrte, der entscheidend den deutschen Klassizismus beeinflusste, war kein „Rubens-Fan“. Er war aber begeistert davon, wie dieser Haut mit beeindruckenden Farbnuancen malte. Kritiker bemängeln dagegen, dass die drallen Schönheiten Orangenhaut aufwiesen. Dem tritt der Kurator deutlich entgegen: „Rubens malte nie Orangenhaut“. Dieser Effekt sei den Restaurierungsarbeiten geschuldet.
Der hochgebildete Flame stammte aus wohlhabendem, großbürgerlichem Haus. Er war eine selbstbewusste Künstlerpersönlichkeit. Das spiegelt sich deutlich das Selbstporträt (um 1638) wider. Er stellte sich nicht als Künstler mit den üblichen Maleraccessoires, wie Pinsel, Farbpalette oder Leinwand, dar, sondern in der Pose eines gut situierten Patriziers.
Peter Paul Rubens „ Selbstporträt“, um 1638, Öl auf Leinwand, 110 x 85,5 cm; Wien Kunsthistorisches Museum
Doch Rubens war nicht nur Maler, sondern auch Kunsttheoretiker und -sammler, geschätzter Gesprächspartner europäischer Gelehrter und Fürsten sowie Gesandter in europäischen Diensten. Als Berater der Erzherzogin Isabella reiste der Sprachbegabte, der sechs Sprachen beherrschte, in diplomatischer Mission durch Europa und trug dazu bei, dass 1630 der Friedensvertrag zwischen Spanien und England unterzeichnet werden konnte. Bei seinen Reisen lernte er viele fürstliche Gemäldesammlungen kennen. Von den ihn interessierenden Werken fertigte er Zeichnungen an, die ihn häufig später zu eigenen schöpferischen Kompositionen anregten. Auch erhielt er von seinen Gesprächspartnern manchen Auftrag für ein Gemälde.
Peter Paul Rubens „Venus frigida“, 1614, Öl auf Holz, 145 x 186 cm; Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten
Rubens‘ Werke zählen zu den Prunkstücken jeder Galerie. Aus diesem Grunde trennen sich Museumsdirektoren nur sehr ungerne – wenn auch nur vorübergehend – von diesen Kunstschätzen. Umso höher zu werten ist, dass es dem Städel gelungen ist, für die anspruchsvolle Präsentation Leihgaben aus aller Welt zu erhalten: Zu den zahlreichen internationalen Leihgebern zählen unter anderem das Koninklijk Museum voor Schone Kunsten in Antwerpen, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die Uffizien in Florenz, das Israel Museum in Jerusalem, die National Gallery in London, das J. Paul Getty Museum in Los Angeles, der Prado und das Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, das Musée du Louvre in Paris, das Metropolitan Museum of Art in New York, die Staatliche Eremitage in St. Petersburg, die Vatikanische Museen und die National Gallery of Art in Washington.
Die sehr sehenswerte, von Prof. Dr. Jochen Sander, Dr. Gerlinde Gruber und Dr. Stefan Weppelmann (beide Kunsthistorisches Museum Wien) kuratierte Sonderausstellung ist eine Kooperation zwischen dem Städel Museum und dem Kunsthistorischen Museum in Wien, aus dessen umfassenden Rubens-Beständen alleine fünf Werke nach Frankfurt reisten. Auch Rubens-Werke aus dem Städelschen Bestand sind in die Ausstellung eingebunden, darunter die Ölskizze „Die Mystische Vermählung der heiligen Katharina“ (ca. 1628, Entwurf für den Augustineraltar in der Augustinerkirche in Antwerpen) sowie einige bedeutende Zeichnungen aus der Graphischen Sammlung.
Der opulente Ausstellungskatalog ist im Hirmer Verlag, München, erschienen und behandelt alle in der Ausstellung in Frankfurt und Wien gezeigten Werke. Er enthält Aufsätze internationaler Rubensforscher, die in das breitgefächerte Themenfeld einführen; 312 Seiten, Museumsausgabe 39,90 Euro.
Die Ausstellung wird durch die großzügige Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain (mit 300.000 €) und des Städelschen Museums-Vereins e.V. ermöglicht. Sie erfährt zusätzliche Förderung durch die Sparkassen-Finanzgruppe, vertreten durch den Sparkassen-Kulturfonds des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, die Deutsche Leasing, die Helaba Landesbank Hessen-Thüringen und die Frankfurter Sparkasse.
„Rubens. Kraft der Verwandlung“ bis 21. Mai 2018 im Städel Museum; weitere Informationen unter: www.staedelmuseum.de