Topographie des Terrors
Vor 25 Jahren, am 28. Januar 1992, gründete der Senat von Berlin die Stiftung „Topografie des Terrors“. Träger sind heute das Land Berlin und die Bundesrepublik Deutschland. Aufgabe der Stiftung ist die „Vermittlung historischer Kenntnisse über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen“ sowie die „Anregung zur aktiven Auseinandersetzung mit dieser Geschichte, einschließlich ihrer Folgen nach 1945“.
Renate Feyerbacher
besuchte Ende 2016 das „Dokumentationszentrum Topographie des Terrors“ der Stiftung in der Berliner Niederkirchnerstraße. Zum heutigen Holocaust-Gedenktag (27. Januar) ihr Bericht mit persönlichen Eindrücken und Erinnerungen:
Fotos mit dem Text über die Hinrichtung von elf „Fremdarbeitern“ verschiedener Nationalitäten durch Beamte der Kölner Gestapo ziehen mich in Bann. Es war in Köln-Ehrenfeld im Oktober 1944, nicht weit von meinem Elternhaus entfernt. Unter den Fotos liegen Prozessakten aus den Unterlagen der Kölner Staatanwaltschaft vom 14. September 1967. Angeklagt waren ein ehemaliger Gestapo-Beamter, der als Augenzeuge dabei war, und ein ehemaliger Mitarbeiter der Staatspolizeistelle Köln. Dieser hatte die Todesurteile verlesen. Er wurde vom Staatsanwalt gefragt, ob er versucht habe, die Verlesung des Papiers abzulehnen. Nein, das habe er weder versucht noch erwogen. Zwei Jahre später wurde das Verfahren eingestellt, weil ihm keine Straftat nachgewiesen werden konnte. Zu sehen sind die Dokumente in der Topographie des Terrors in Berlin.
Dokumentationszentum Topographie des Terrors; Foto: Bildwerk / Stiftung Topographie des Terrors
„Zentrale des Terrors“ – dieser Name hätte es ursprünglich sein sollen, aber er war bereits vergeben. Nun heisst das Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“. Warum dieser aussergewöhnliche Name für eines der meist besuchten Museen in Berlin? Der Begriff kommt aus der Karthographie. Die geografische Lage bestimmte den Namen. Es ist der „Ort der Täter“. Das Gebäude der „Topographie des Terrors“ liegt heute in der Niederkirchnerstrasse, der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße, die an die Wilhelmstraße stösst.
Wie Pilze schossen hier 1933 die NS-Terror-Organisationen aus dem Boden: die Gebäude der Gestapo, der SS, das Reichssicherheitshauptamt und das „Hausgefängnis“ der Gestapo-Zentrale. Die Gebäude wurden im Krieg stark zerstört, ihre Reste 1956 abgerissen. Der Ort geriet in Vergessenheit, wozu auch die Teilung der Stadt beitrug. Zwei Jahrzehnte hat es gedauert, bis der heutige Bau stand. 1987 begann es mit einem provisorischen Pavillon. Es war ein trostloser Zustand. Dann gab es einen Architektur-Wettbewerb, den der Schweizer Stararchitekt Peter Zumthor 1993 mit seinem aufwändigen, spektakulären Entwurf gewann. Im Jahr 2000 begannen die Bauarbeiten, die jedoch bereits nach vier Jahren wieder beendet wurden – die bereits gebauten Treppentürme wurden abgerissen. Urheberrechtsfragen wollte man umgehen. Ein Berliner Schildbürgerstreich, wie er sich beim Bau des Flughafens, der 2011 fertig sein sollte, zu wiederholen droht. Grund war die Explosion der Kosten, die der Bund und die Stadt Berlin nicht mehr tragen wollten, aber auch unterschiedliche Auffassungen vom Gebäude, das ein architektonisches Highlight geworden wäre. Ihm sei eine Hütte lieber gewesen als ein Palast, so der Historiker, Publizist und Rabbiner Professor Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, in einem Interview. Er fand die Architektur nicht angebracht. Dass das Projekt nicht komplett scheiterte, ist unter anderem dem Druck einer Bürgerinitiative und dem Verein Aktives Museum zu verdanken.
Dokumentationszentum, Innenhof; Foto: Stefan Müller / Stiftung Topographie des Terrors
Das heutige Areal mit seinem bescheidenen Bau in direkter Nachbarschaft des Martin-Gropius-Baus grenzt an das Baudenkmal Berliner Mauer. Unmittelbar davor sind noch Reste der Kellerräume zu sehen. Das Dokumentationszentrum wurde von der Berliner Architektin Ursula Wilms realisiert und 2010 eröffnet. Seine Bescheidenheit ist angebracht: ein Flachbau, der in die Tiefe geht, mit grossen Glasfronten, die den Blick ins Innere möglich machen, kein freundliches Grün drum herum, sondern körniger Steinbelag. Symbol dafür, dass kein Gras über den grauenhaften geschichtsträchtigen Ort wachsen darf. Dunkle Gebäude in Sichtweite vermitteln eine bedrückende Atmosphäre.
↑ Blick auf die Kellerreste des Nordflügels der ehemaligen Gestapozentrale, dahinter das Baudenkmal Berliner Mauer, dahinter das 1935/36 erbaute ehemalige Reichsluftfahrtministerium, heute Sitz des Bundesfinanzministeriums; Foto: Renate Feyerbacher
↓ Dauerausstellung Topographie des Terrors: Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße; Foto: Uwe Bellm / Stiftung Topographie des Terrors
Im Innern: Die Dauerausstellung zeigt keine Nachstellungen von Folterkammern oder wie in Auschwitz Sammlungen von Brillen oder Schuhen der Ermordeten, sondern grosse Tafeln, Dokumente und Fotografien. Sie gliedern den Geschichtsablauf der Jahre 1933 bis 1945: Prolog: der historische Ort 1933-1945, 1. Nationalsozialistische Machtübernahme, 2. Institutionen des Terrors, 3.Terror, Verfolgung und Vernichtung im Reichsgebiet, 4. SS und Reichsicherheitshauptamt in den besetzten Gebieten, 5. Kriegsende und Nachkriegszeit, Epilog: Der historische Ort nach 1945.
Eine Vielzahl von Faksimiledokumenten und Fotografien ist jeder Abteilung zugeordnet. Es braucht viel Zeit, die Geschichtsfakten, personifiziert durch Einzelschicksale, zu lesen. Sie beginnen mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933. Im offenen Wagen fährt er an diesem Tag durch die Wilhelmstrasse. Knapp vier Wochen später, am 27. Februar, brennt der Reichstag. Die Greueltaten haben begonnen.
Ausstellungsansichten (li.) Besprechung in Heinrich Himmlers Dienstzimmer im Gebäude des Geheimen Staatsdienstes in der Prinz – Albrecht – Straße 8, Berlin um 1936 (Werner Lorenz, später Leiter der „Volksdeutschen Mittelstelle“, Reinhard Heydrich, Heinrich Himmler und Karl Wolff, Chef des Persönlichen Stabes Reichsführer SS; (re.) Terror, Verfolgung und Vernichtung im Reichsgebiet – Deportation von Juden in Lörrach, 22. Oktober 1940: Juden aus Lörrach und Umgebung in der in einem Schulgebäude eingerichteten Sammelstelle der Geheimen Staatspolizei; Fotos: Renate Feyerbacher
Der 5. Abschnitt endet, wie dargestellt, mit der Nachkriegszeit. Jahrzehnte haben sich die Zeitgenossen als „Verführte“ gesehen und Nazi-Aktive sassen wieder in Regierungschefsesseln. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (1867-1967) nahm den Verwaltungsjuristen Hans Globke, ehemals zuständig für Staatangehörigkeitsfragen und Mitarbeiter am Kommentar der „Nürnberger Rassegesetze“, in seine Regierungsmannschaft.
Lange kam es zu keinen Täter-Prozessen. Warum? Das kann in dem Buch „Die Akte Rosenburg – Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit“ gelesen werden. Geschrieben wurde es von den leitenden Mitgliedern der unabhängigen wissenschaftlichen Kommission, Manfred Görtemaker und Christoph Safferling, beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Die „Rosenburg“ in Bonn war ab der Gründung der Bundesrepublik bis 1973 Sitz des Vorgängerministeriums. Die Karrieren der Beamten und Mitarbeiter vor und nach dem Krieg werden dokumentiert und zeigen, was für eine Belastung sie für die junge Republik waren. 1960 hatte der Bundestag den Antrag auf Verlängerung der Verjährungsfrist für Tötungsverbrechen, die 20 Jahre betrug, abgelehnt. Kein Wunder also, dass 1968 zehntausende von Strafverfahren gegen NS-Täter, die auch getötet hatten, eingestellt werden mussten.
Viele Täter hätten sich auf Befehle berufen, die sie hätten befolgen müssen, um nicht selbst bestraft zu werden. Kein Fall sei bekannt, wo das passiert sei. Unlängst hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass auch die „kleineren Rädchen“, die eine zentrale Rolle beim Völkermord an den Juden hatten, sich aber auf Befehl und Gehorsam berufen, auch nach 70 Jahren verurteilt werden können.
Zwischen den Gross-Prospekten befindet sich eine Foto-Galerie von Widerstandkämpfern – darunter Adolf Grimme (1889-1963), Anfang der 1930iger Jahre preußischer Minister für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung, entlassen, 1942 verhaftet, weil er verdächtigt wurde, die kommunistische „Rote Kapelle“ unterstützt zu haben. Der Vorwurf wurde fallengelassen, dennoch wurde er zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er keine Anzeige erstattet hatte. Nach 1945 war Grimme zwei Jahre Kulturminister von Niedersachsen, dann Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), der später in WDR und NDR aufgeteilt wurde. Der berühmteste deutsche Fernsehpreis, gestiftet vom Deutschen Volkshochschulverband, wurde nach ihm benannt. Jedes Jahr wird er in Marl für ausgezeichnete Fernsehproduktionen verliehen.
Der in den 1970er und 1980er Jahren bekannte Fernsehshowmaster Hans Rosenthal (1925-1987) („Dalli Dalli“) überlebte durch die Hilfe von Nicht-Juden in Berliner Verstecken. Fast alle Mitglieder seiner Familie fielen dem Holocaust zum Opfer. Sein jüngerer Bruder wurde mit zehn Jahren nach Riga verschleppt. Hans Rosenthal sah ihn nie wieder.
Transparent zur Sonderausstellung; Foto: Renate Feyerbacher
Die Ausstellungsmacher der Topographie des Terrors werden nicht müde, über die Geschehnisse, vor allem die unbekannteren, zu informieren. Das tun sie immer wieder in Sonderausstellungen. Derzeit werden die Besucher mit den „Massenerschießungen – Der Holocaust zwischen Ostsee und Schwarzem Meer 1941-1944“ konfrontiert, die bis zum 19. März 2017 zu sehen ist.
Beim Begriff Holocaust wird primär an Auschwitz und die anderen Konzentrationslager gedacht, aber er fand schon früh überall im Osten Europas statt. Über tausend jüdische Gemeinden fielen ab 1941 der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in der besetzten Sowjetunion zum Opfer. Gruben und Waldstücke in der Nähe von Kiew, Minsk, Riga und Wilna waren über Jahre Stätten von Erschiessungen. Beim Massaker von Babij Jar in der Nähe von Kiew, das ein paar Tage zuvor von den Deutschen eingenommen worden war, wurden am 29. und 30. September 1941 33.771 Männer, Frauen und Kinder ermordet – diese Zahl wurde damals nach Berlin gemeldet. Bis zum Sommer 1943 erhöhte sie sich auf rund 100.000 Menschen. Es waren vor allem Juden, Roma und sowjetische Kriegsgefangene, die ermordet wurden. Kurze Zeit später müssen Häftlinge die Massengräber öffnen und die Leichen verbrennen, um Spuren zu beseitigen.
„Über Babij Jar stehen keine Denkmäler“, beklagt der Dichter Jewgenij Jewtuschenko 1961 das staatlich verordnete Schweigen des Massakers. Sein Gedicht „Babij Jar“, das der Komponist Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) in seiner 13. Sinfonie vertonte, wurde von der Bevöllkerung begeistert aufgenommen, von offizieller Seite jedoch kritisiert.
Ausstellung Berlin 1933-1945 – Zwischen Propaganda und Terror, Detail Ausstellungsgraben (2010); Foto: Stefan Müller / Stiftung Topographie des Terrors
14 Millionen Zivilisten wurden in der besetzten Sowjetunion von den Deutschen und ihren Helfern ermordet: erschossen, erhängt oder erstickt in sogenannten Gaswagen, das waren LKW mit abgedichtetem Laderaum. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, Familien ausgelöscht. Die Fotografien, die die Brutalität der Mörder dokumentieren, sind kaum zu verkraften. Namentlich wird über Einzelpersonen berichtet. Das Porträtfoto und die Geschichte des sechsjährigen jüdischen Michail Sidko berühren mich: Der Junge entkam zusammen mit seinem Halbbruder dem Massaker, bei dem Mutter und zwei jüngere Geschwister erschossen wurden. Ein Jahr später suchten eine Lehrerin und ihre Tochter nach der Zerstörung ihres Hauses Schutz im Keller eines anderen Hauses, wo sie die beiden Jungen treffen. Die Mutter gibt sie als ihre Söhne aus. Sie überleben und finden später ihren nichtjüdischen Vater wieder.
„Topographie des Terrors“ im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors; die Sonderausstellung „Massenerschießungen – Der Holocaust zwischen Ostsee und Schwarzem Meer 1941-1944“ ist bis zum 19. März 2017 zu sehen