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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Martha oder der Markt zu Richmond“ von Friedrich von Flotow an der Oper Frankfurt

Heiratsmarkt damals und heute – komisch und ernsthaft

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Barbara Aumüller / Oper Frankfurt (3), Renate Feyerbacher (1)

Vor 169 Jahren wurde die romantisch-komische Oper „Martha oder der Markt zu Richmond“ von Friedrich von Flotow (1812-1883) in Wien uraufgeführt. 120 Jahre hielt sie sich tapfer auf deutschen und auch auf internationalen Bühnen. Selbst Enrico Caruso sang die Partie des Lyonel. „Martha“ war sogar eines der meistgespielten Stücke bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. In Erinnerung ist mir eine hübsche, leichte Aufführung an der Kölner Oper. „Martha, Martha, Du entschwandest“ und „Die letzte Rose“ blieben zeitlebens im Kopf. Welch musikalische Neuentdeckung des Werkes beschert nun die Oper Frankfurt, das am 16. Oktober Premiere hatte, dirigiert von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Er soll der Motor für die Neuentdeckung gewesen sein, Intendant Bernd Loebe liess sich mitreissen, ebenso die Regisseurin Katharina Thoma, die das Opus nicht kannte. Für sie wurde es ein „Goldklumpen“, den es zu heben galt, was ihr gelang.

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Maria Bengtsson (Harriet/Martha) sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller

„Martha“ habe sich im Laufe der Proben als „ein gut gebautes Stück“ erwiesen, so die Regisseurin. Die Dialoge, die Friedrich Wilhelm Riese nach einer Ballett-Story schrieb, haben Substanz. Die menschlichen Konflikte und die daraus erwachsenden Emotionen sind realistisch und immer erneut möglich.

Die Handlung ist um 1710 in der Regierungszeit von Queen Anne angesiedelt, da spielten die Klassenunterschiede und die Standeszugehörigkeit noch eine grosse Rolle – aber auch noch 1847, dem Jahr der Uraufführung und auch heute. Die neue Heiratsstatistik vermeldet: Arzt heiratet Ärztin, nicht mehr Krankenschwester, Jurist Juristin und nicht mehr die Fachangestellte – wir bleiben unter uns.

Worum geht es in „Martha“? Lady Harriet, ein englisches Edelfräulein, langweilt sich. Vom Verlieben, wie es ihre Vertraute rät, will sie nichts wissen. Vor allen Dingen nicht von ihrem Vetter Lord Tristan Mickleford (Barnaby Rea), der um sie herum scharwenzelt. Als die Lady den Gesang der Mägde hört, die zum Markt ziehen, um sich einem Pächter zu verdingen, beschliesst sie, sich inkognito, folkloristisch verkleidet, unter die Mägde zu mischen. Nancy und Mickleford müssen sie begleiten und mitspielen.

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v.l.n.r. Maria Bengtsson (Harriet/Martha), Barnaby Rea (Tristan) und Katharina Magiera (Nancy/Julia) sowie Ensemble; Foto © Barbara Aumüller

Turbulent geht es auf dem Markt von Richmond zu. Die Mägde stellen sich vor, und wenn sie das Handgeld, das ein Pächter bietet, annehmen, dann sind sie verpflichtet ihm zu folgen. So besagt es der Brauch. Pächter Plumkett und sein Stiefbruder Lyonel, dessen Herkunft unbekannt ist, entdecken die beiden Pseudo-Mägde, die sich Martha und Julia nennen, und sprechen sie an. Diese lassen sich tatsächlich das Handgeld aufschwatzen und folgen den beiden auf den Hof, obwohl sie vollkommen ungeeignet sind für bäuerliche Tätigkeiten, die von ihnen verlangt werden. Lyonel, der einen vom Vater geerbten Ring trägt, der ihm Rettung in der Not verheisst, entflammt in Liebe zu Martha und macht ihr sogar einen Heiratsantrag, nachdem sie das Lied „Die letzte Rose“ (2. und 4.Akt) gesungen hat. Sie aber weist ihn ab. Martha – alias Lady Harriet – und Julia – alias Nancy – gelingt die Flucht. Vergebliche Suche der beiden Männer nach ihnen. Wie es denn nun kommen muss: Lyonel, der in der Natur Trost sucht, begegnet plötzlich Lady Harriet. Sie verleugnet ihn und erklärt ihn vor der adeligen Gesellschaft, an deren Landpartie sie teilnimmt, für verrückt. Nun kommt der Ring ins Spiel: er enthüllt, dass Lyonel der Sohn eines Grafen ist. Einer Liaison stünde nun nichts mehr im Wege. Lady Harriet, die Lyonel insgeheim liebt, bereut ihren Verrat und bittet ihn um Verzeihung. Tief gekränkt, weist er ihre Hand zurück. Um ihn umzustimmen, verkleidet sie sich noch einmal in Martha und bekennt sich zu ihm. Auch Plumkett und Julia finden zusammen. So gibt es natürlich ein Happy End. „An Rheumatismen und an wahre Liebe glaubt man erst, wenn man davon befallen wird“: Marie von Ebner-Eschenbach.

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Björn Bürger (Plumkett) und Katharina Magiera (Nancy/Julia) sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt; Foto © Barbara Aumüller

Katharina Thoma hat sich viel Überraschendes und Witziges ausgedacht, ohne eine gewisse Ernsthaftigkeit zu vernachlässigen. Die Drehbühne, vergleichbar mit einer Spieldose, hält der Schweizer Bühnenbildner Etienne Pluss, erstmals in Frankfurt aktiv, in Bewegung. Ein Auto fährt durch die Menge, ein Wohnwagen dient als Behausung. Belebt wird die Inszenierung durch die choreografischen Einfälle von Michael Schmieder. Köstlich, gelegentlich schrill sind die Kostüme von Irina Bartels. Alles umspielt Olaf Winter mit seinem Licht-Design.

Der in der Nähe von Rostock geborene Friedrich von Flotow, ältester Sohn musikalischer Eltern, durfte die für einen preußischen Adeligen ungewöhnliche und auch unschickliche Laufbahn eines Komponisten einschlagen. Der Vater, ein Rittmeister, hatte für ihn zwar die diplomatische Laufbahn vorgesehen. Die Mutter drängte jedoch, dem Wunsch des Sohnes, Komposition zu studieren, nachzukommen. Der Vater begleitete den 16jährigen nach Paris, dem damaligen Musik-Zentrum der Welt, wo er unter anderem Rossini, Donizetti und Meyerbeer kennenlernte. Ihre Einflüsse sind in „Martha“ zu hören. Mit dem jüngeren Isaac Ben-Juda aus Köln alias Jacques Offenbach war er lebenslang befreundet, ebenso mit Charles Gounod. 20 Jahre war er in Paris und kehrte nach dem Tod des Vaters, der ihm das Gut vermacht hatte, nach Mecklenburg zurück. Die letzten drei Lebensjahre verbrachte er in Darmstadt in der Nähe seiner Schwester.

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Regisseurin Katharina Thoma; Foto: Renate Feyerbacher

Flotows Musik sie ist schön, elegant, mal lyrisch, mal dramatisch, mal komisch und hat anspruchsvolle Gesangspartien, die ausgezeichnete Sängerinnen und Sänger verlangen. Allen voran die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson, die in Frankfurt bereits durch ihre „Daphne“ begeisterte. Mühelos erklimmt die schöne, zarte Frau die geforderten Höhen der Martha-Rolle. Grossartig der amerikanische Tenor AJ Glueckert, seit dieser Spielzeit Mitglied des Ensembles, als Lyonel und Björn Bürger, der bei den BBC-Proms in London auftrat, als Plumkett; und last not least die Altistin Katharina Magiera als Nancy und Barnaby Rea als Lord Tristan Mickleford. Chordirektor Tilman Michael hatte die vortrefflichen Chor-Partien einstudiert. Viel Beifall für die stimmlichen Leistungen und für das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, aber auch für das Team um Katharina Thoma.

Weitere Vorstellungen am 22., 26. und 30. Oktober sowie am 5., 12., 18. und 25. November 2016, zu verschiedenen Uhrzeiten

 

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