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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Daphne“ von Richard Strauss an der Oper Frankfurt

Erinnerung als Paradies und als Raum erfahrenen Unglücks:

„Daphne“ von Richard Strauss an der Oper Frankfurt

Eindrücke von Renate Feyerbacher

Eine alte Frau betritt zögernd die Bühne und schreitet durch die hohen, heruntergekommenen Räume. Claus Guth, der Opernregisseur, bekannt für seine psychologischen Interpretationen, lässt die gealterte Daphne den Ort ihrer Kindheit und Jugend, wo der Missbrauch stattfand, aufsuchen. „Der Tag, der sie veränderte, sie erstarren liess, taucht wiederum vor ihren Augen auf.“ Das Thema beschäftigt derzeit unsere Gesellschaft landauf, landab. Es sind viele, die zur Zeit aus ihrer Erstarrung aufwachen, sich erinnern und reden wie der Frankfurter Schriftsteller Bodo Kirchhoff: „Keinem der Betroffenen sieht man an, wie viel in ihm kaputt ist.“

Dieser Gedanke schwebt über der Aufführung.

In der griechischen Mythologie erstarrt Daphne, die Nymphe, zum Lorbeerbaum, als Gott Apollo hinter ihr her ist und nicht von ihr ablässt. Das Thema hat Schriftsteller (Ovid, Petrarca, Martin Opitz, Sylvia Plath, Sarah Kane – beide Dichterinnen nahmen sich das Leben – ), Komponisten (Monteverdi, Gluck, Mozart), Maler, Philosophen und Psychoanalytiker wie Sigmund Freud nicht losgelassen. Freud interpretierte die Geschichte als Deflorationsangst des Mädchens und Feindseligkeit gegenüber dem Mann, die krankhafte Züge annehmen kann.

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Lance Ryan (Apollo), Daniel Behle (Leukippos) und Maria Bengtsson (Daphne); Bildnachweis: Oper Frankfurt, Foto: © Barbara Aumüller

Richard Strauss war ein Freund Griechenlands. 1892 besuchte er die Insel Naxos, auf der Dionysos, Gott des Weines, geboren und verehrt wurde. Auch Ariadne lebte hier. Richard Strauss schuf zusammen mit Hugo von Hofmannsthal die Oper „Ariadne auf Naxos“. Auch diesmal wollte der Komponist mit Hofmannsthal die „Daphne“ erarbeiten, aber der Freund starb unerwartet 1929. Stefan Zweig übernahm die Librettistenaufgabe, aber die Nazis liessen dieses Bündnis von Komponist und Dichter nicht zu. Zweig empfahl Joseph Gregor, einen Bücherwurm, Bibliothekar und Archivar, der die Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek gegründet hatte und sich hin und wieder als Poet betätigte. Die Briefe, die Strauss ihm schrieb, zeugen von der mühsamen Arbeit am Libretto. Er forderte laufend Veränderungen und sprach von „schlecht imitiertem Homerjargon“. Er liess das Projekt schliesslich zu mit den Worten, „dass aus dem hübschen Sujet und manchen hübschen Details der Bearbeitung nicht doch noch ein netter Einakter werden kann“. „Daphne“, die bukolische Tragödie in einem Akt, wurde am 15. Oktober 1938 in der Semper-Oper in Dresden uraufgeführt. Bukolik ist die griechische Hirtendichtung.

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Lance Ryan (Apollo) und Maria Bengtsson (Daphne); Bildnachweis: Oper Frankfurt, Foto: © Barbara Aumüller

Die Oper beginnt mit den Vorbereitungen auf das Dionysos-Fest. Leukippos, der Jugendfreund, umwirbt Daphne und kommt ihr nah, doch sie schreckt plötzlich zurück. Mutter Gaea, mythologisch Mutter Erde, ist besorgt. Apollo, verkleidet als Hirte, ist von dem jungen schönen Mädchen (Nymphe) angezogen. Daphne ist berührt von seinen Liebesworten, umarmt und küsst ihn, dann schreckt sie vor Angst zurück. Beim Fest erscheint Leukippos als Mädchen verkleidet, um Daphne nahe zu sein. Diese Entweihung des Festes und der Betrug erzürnen Apollo: Er stört mit Donner und Blitz die Festlichkeiten und stellt den jungen Nebenbuhler zur Rede. Daphne muss den doppelten Betrug erkennen. Leukippos befreit sich selbst von den Frauenkleidern, Apollo offenbart sich und fordert die Geliebte auf, mit ihm zu gehen. Als Leukippos ihn einen Lügner nennt und Daphne sich weigert, mitzugehen, kommt es zum Kampf. Apollo tötet Daphnes Jugendfreund und bittet die Götter um Vergebung. Daphne möchte er zurück gewinnen – nicht in Menschengestalt, sondern als immer grünenden Lorbeerbaum. Daphne verwandelt sich.

Der Text dieser musikalisch eindringlichen Oper erscheint manchmal verquast und artifiziell. Man muss sich auf die Musik konzentrieren mit ihren wunderschönen Momenten: „Hier sind behutsame Regungen und Stimmungen der Naturverbundenheit in Klänge gefasst, die man so leicht nicht vergisst“, schreibt Ernst Krause (zitiert nach dem Programmheft). Fasziniert ist er, wie Strauss Daphnes Verwandlung in den Lorbeerbaum musikalisch umsetzt, die sich in „schleierzartem Fis-Dur vollzieht, wie der Klang sich aus dem reinen Holz emporwachsend immer mehr in das viel verästelte Farbenflimmern der geteilten Streicher, der Harfe und der übrigen Instrumente auflöst … „, der Klang sich in den „vogelhaft-zwitschernden Koloraturen des frei schwebenden Soprans“ fortspinnt. Das ist einmalig. Strauss hat mehr als einen netten Einakter geschaffen.

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Maria Bengtsson (Daphne); Bildnachweis: Oper Frankfurt, Foto: © Barbara Aumüller

Claus Guths einleuchtende, psychologisch-durchgängige Regiearbeit steht im Einklang mit der musikalischen Realisation.

Die Schwedin Maria Bengtsson singt Daphne. Ihr zarter, lyrischer Ton begeistert, ihr Spiel ist eindringlich. Ihr einleitender Monolog „O bleib, geliebter Tag“ lässt erahnen, welches Potential diese Stimme birgt, die in der Klage um den toten Freund einen Höhepunkt erreicht. Heldentenor Lance Ryan hat in „Daphne“ sein Debüt als Apollo. Trotz gesundheitlicher Probleme am Premierenabend gab der Kanadier einen grandiosen Einstand an der Oper Frankfurt. Er verlieh diesem liebesbesessenen und machtorientierten Gott kraftvolle Töne, manchmal bewusst etwas schrill. Martin Behle ist Leukippos. Sein jugendlicher, strahlender Tenor, makellos in den Höhen, besticht.

Matthew Best als Vater Peneios und Tanja Ariane als Gaea überzeugen wie auch die anderen Sängerinnen und Sänger, die als Schäfer und Mägde agieren.

Generalmusikdirektor Sebastian Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester musizieren sehr dynamisch: lebendig beim Fest, einfühlsam bei den Naturimpressionen.

„Daphne“ – ein Opernabend, den man schon wegen Maria Bengtsson nicht verpassen sollte: Vorstellungen gibt es am 4., 10., 18., 23. und 25. April sowie am 19. und 26. Juni 2010, jeweils um 19.30 Uhr.

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