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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Vom Verbergen“: Ausstellung im Museum Angewandte Kunst Frankfurt (MAK)

Von Erhard Metz

Nur noch zwei Wochen, bis 6. März 2016, ist eine besondere und höchst bemerkenswerte Ausstellung im Frankfurter Museum Angewandte Kunst MAK zu sehen, die keineswegs versäumen sollte, wer sie noch nicht besucht hat. „Vom Verbergen“ lautet ihr vielversprechender Titel – und die Ausstellung hält, was der Titel verspricht. Für Idee, Konzept und Gesamtleitung zeichnen Julia Koch und Museumschef Matthias Wagner K verantwortlich, unterstützt von Juliane Duft als kuratorischer Assistentin.

Wagner K - Duft

Matthias Wagner K, Direktor des Museums Angewandte Kunst MAK, und Juliane Duft, kuratorische Assistentin der Ausstellung, in der seinerzeitigen Pressekonferenz

Der Mensch ist neugierig – vielleicht zählt diese Neugier mit zu den Überlebensstrategien im Rahmen seiner evolutionären Entwicklung. Auch wir bekennen uns zu Neugier, und der Wunsch, Geheimnisse zu lüften, scheint allgegenwärtig. Wenn da ein Kistchen steht – wer hätte sich nicht schon mal bei dem Gedanken ertappt, in einem unbeobachteten Moment den Deckel zu lupfen und hineinzuschauen, den Schlüssel einer Schranktür zu drehen und einen verstohlenen Blick in das Innere des Mobiliars zu riskieren? Und ist es nicht so, dass – je mehr verhüllt, verschlossen und versteckt wird – umso grösser der Wunsch gerät, des Verhüllten und Verschlossenen ansichtig zu werden? Gerade die Mode weiss um den Reiz und Eros des textilen Verbergens. Und beinhaltet nicht ein Verhüllen und Verschliessen auch ein Verbot an Dritte, das Verhüllte und Verschlossene zu sehen, und ist es nicht lustvoll, solchem Verbot zuwider zu handeln?

Sage und schreibe 30 Positionen, genauer gesagt Installationen und Inszenierungen, stellt das MAK zur Schau, ersonnen, kuratiert und kommentiert von nicht weniger als ebenfalls 30 einschlägig mit dem Ausstellen und Gestalten befassten Persönlichkeiten aus Museen und der Kulturszene, unter ihnen beispielsweise der MAK-Direktor selbst wie auch Evelyn Brockhoff, Leitende Direktorin des Frankfurter Instituts für Stadtgeschichte, oder der stellvertretende MMK-Direktor Peter Gorschlüter. Ausgehend von der Sammlung des Museums fragt „Vom Verbergen“ nach Geschichten, die in Objekten verborgen sind oder sein können.

Aus den 30 Inszenierungen greifen wir als ein Beispiel eine heraus: den „Frankfurter Schrank“ von Evelyn Brockhoff.

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„Frankfurter Schrank“ (Nasen-/Wellenschrank), Frankfurt um 1760, Weichholz, Furnier Nussbaum, Eisenschloss, Messingbeschlag, Museum Angewandte Kunst Frankfurt

Brockhoff suggeriert den Besuchern sich vorzustellen, dieser Schrank habe im Frankfurter Römer im „Peinlichen Verhöramt“ gestanden und Akten in Strafsachen aufbewahrt, so auch diejenige der Kindsmörderin Susanna Margaretha Brandt, die seinerzeit als Dienstmagd im Gasthof „Zum Einhorn“ in der Klostergasse arbeitete. Die von einem unbekannten Wandergesellen geschwängerte Waise und Analphabetin sah in ihrer Scham und Not nur den Ausweg, ihr Neugeborenes zu töten; sie wurde nach einem entsprechenden Prozess am 14. Januar 1772 an der Hauptwache öffentlich hingerichtet. Auch der junge, frisch examinierte Rechtsanwalt Johann Wolfgang Goethe verfolgte mit grosser Anteilnahme den Prozess. Das Schicksal der Unglücklichen inspirierte ihn zu der Gestalt der Margarete („Gretchen“) im Urfaust und im späteren Faust-Drama.

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Gretchenakte mit Schere, Criminalia 8589, 1771, Nr. 62, angelegt von Ratsschreiber Claudi, 335 Seiten, Frankfurt 1771/72; Papier, Handschrift, Karton, Metall, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main;
aufgeschlagen ist die Seite 328 mit dem Urteil des Frankfurter Rates. Daneben liegt das Corpus Delicti, die Schere, mit der Susanna Margaretha Brandt ihr Neugeborenes „traktiert“ haben soll. Gestorben ist das Kind wohl, weil die Mutter es gegen ein in der Waschküche stehendes Aschefass geschlagen hat (Ausstellungstext)

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Das Richtschwert der Stadt Frankfurt, Frankfurt 17. Jahrhundert, Stahl, Messing, Holz, Metall, Lederscheide; Historisches Museum Frankfurt
Der auf dem Richtschwert eingravierte Spruch lautet: „Wan Dem Sünder wirdt abgesprochen Das Leben, So wirdt Er mir unter Meine handt Gegeben.“ Auf der anderen Seite: „Die herren steuern dem Unheil, Ich exequiere Ihr Endts urteil.“ Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde mit diesem Schwert Susanna Margaretha Brandt hingerichtet (Ausstellungstext)

Evelyn Brockhoff bereichert die Installation zusätzlich mit einem Kupferstich der Katharinenpforte, historischen Ansichten des Römerbergs und der Steinernen Brücke über den Main, einem Stadtplan von Matthäus Merian d.Ä. und einer Ausgabe des „Urfaust“ (Der Tragödie ursprüngliche Gestalt), letztere aus den Beständen des Freien Deutschen Hochstifts/Goethe-Museum Frankfurt.

Vom Verbergen, Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main, bis Sonntag, 6. März 2016; an diesem Tag, um 16 Uhr, findet eine thematische Führung mit Juliane Duft „Von weissen Mäusen und anderen Leerstellen. Verbergen und Zeigen im Museum“ statt

Fotos: Erhard Metz

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