Uralte Steine, Wälder und Meer: Legenden und Magie in der Bretagne
Von Petra Kammann
Hohe Himmel und enge Gassen – weites Land und paradiesische Sandstrände, aber auch bedrohliche Klippen, wie an der „Wilden Küste“ der Halbinsel Quiberon, am Cap Fréhel oder an der Pointe du Raz: In der Bretagne wechseln je nach Region mehr oder weniger hohe Steilküsten mit herrlichen Sandstränden, fjordartigen Flussmündungen (bretonisch: abers) und Feucht- und Brackwasserzonen ab. Für die Franzosen ist die Bretagne mit ihren scheinbaren Widersprüchen von jeher eine exotische Provinz mit ebenso dickköpfigen wie herzlichen Bewohnern, den Bretonen. Als Land der Legenden, der Poesie und der Traditionen verfügt die Bretagne (auf bretonisch: Breizh) in ihren fünf Départements (Ille et Vilaine, Côtes d’Armor, Finistère, Morbihan, Loire Atlantique) über eine Vielzahl an Landschaften von außergewöhnlicher Schönheit, deren rauem Charme man sich einfach nicht entziehen kann.
Herrliche Sandstrände neben den wilden Küsten
Neben der Côte d’Azur ist die Bretagne mit ihrer ca. 2500 km langen, facettenreichen Küstenlinie die meistbesuchte Region Frankreichs. Zu den auf 27.208 Quadratkilometer verteilten 2,8 Millionen Einwohnern gesellen sich jährlich rund drei Millionen Touristen in der äußerst vielfältigen und reizvollen bretonischen Landschaft.
Kleine charmante Häfen wie Le Bono an den Fjorden des Golf von Morbihan
An der Küste sowie auf den zahlreichen Inseln zwischen Saint-Malo, Brest und Quimper gibt es jede Menge Badeplätze mit feinen Sandstränden, die einander abwechseln mit wilden felsigen Küsten. Alte Fischerorte und Städtchen wie Perros-Guirec, Erquy, Concarneau oder Quiberon verwandeln sich im Sommer in Badeziele, in denen auch so angesagte Trendsportarten wie Funboard, Kitesurfen, Tauchen und Kajakfahren ebenso ausgeübt werden wie das Segeln auf Booten, Yachten und Katamaranen. Echte Liebhaber kommen inzwischen sogar gerne außerhalb der Saison. Für sie ist die Bretagne nicht nur „Ar mor“, das Land am Meer, mit den Stränden und Buchten der Küste, sondern auch „Argoat“, das Waldland mit den Resten des sagenhaften „Fôret de Paimpont“ („Forêt de Brocéliande“).
Wälder an der Öffnung des Golfs von Morbihan zum Atlantik hin
Im Sommer feiern die Bretonen bei heiterer Stimmung in ihren Trachten die legendären „Fest Noz“, die „geselligen Feste mit Spiel und Tanz bei Nacht“. Da kann jeder mitmachen. Man tanzt gemeinsam in großen Gruppen
Heute werden nicht nur zivilisationsmüde Pariser von der Gastfreundschaft und Lebensqualität der Bretonen angelockt, sondern auch Engländer, Niederländer, Belgier und Deutsche. Diese Touristen lieben das Land nicht zuletzt auch wegen seiner mythischen Vergangenheit. Denn in Europa steht die Bretagne als einzigartig da, was die Zahl der religiösen Denkmäler betrifft. Allüberall trifft man auf Kreuze, Kapellen, Kirchen und Kathedralen, die von der allgegenwärtigen Kraft der im Volk seit zahllosen Generationen tief verwurzelten Religion zeugen. Berühmt und typisch für die bretonischen Traditionen sind daher die „Pardons“, die Wallfahrten. Immer noch ziehen die gläubigen Bretonen wie ihre Vorväter mit Heiligenbannern und -bildern bei den großen Wallfahrten zu einsam gelegenen Kapellen, um ihrem Lokalheiligen zu huldigen. Dabei kann man noch immer die Spitzenhauben und die alten Trachten bewundern, die im Alltag längst aus dem Straßenbild verschwunden sind. Es ist anrührend, wenn man Zeuge einer Hochzeit, Beerdigung oder Messe in einem Hafen wird. Bretonische Seemannslieder gehören in vielen Fällen dazu.
Berühmt sind die zahllosen Kalvarienberge (calvaires) und kleinen umfriedeten Kirchhöfe, die „enclos paroissiaux“. Die „Calvaires“ mit ihren verwitterten Figurengruppen in grauem Granit und die ummauerten Friedhöfe sind sogar erstaunlich stimmungsvoll, wenn der Regen den Stein dunkel färbt, der Wind die Blätter aufwirbelt oder der Nebel über allem wabert. Das gilt auch für die sagenumwobenen Steinreihen (Alignements de Menhirs) von Carnac im südlichen Teil der Bretagne, an dem der Golfstrom vorbeifließt, die aber auch inmitten von blühendem gelben Ginster einen einmaligen geheimnisvollen Zauber entfalten, zumal ihr Rätsel noch immer nicht entschlüsselt ist.
Allüberall trifft man auf kleine Kirchen in grauem Granit
Das Morbihan mit seinen hübschen Fischerdörfern und Badebuchten an der französischen Atlantikküste hatte wohl immer schon eine eigene magische Ausstrahlung mit seiner jahrtausendalten Geschichte. Es schließt südlich an das Finistère (von „Finis terrae“ – das „Ende der Welt“) an. Die nach Süden gerichtete Küstenlinie des Morbihan wurde ebenso wie das Département nach dem bretonischen Namen des gleichnamigen Golfs, „Mor Bihan“ benannt, was so viel wie „kleines Meer“ heißt.
Im „Golfe du Morbihan“ wird das „kleine Meer“ dann durch die Halbinsel von Locmariaquer und die Halbinsel Rhuys vom Atlantik getrennt. In diesem Binnenmeer liegen fast 60 kleinere und größere Inseln – der Volksmund behauptet sogar, es gäbe so viele Inseln wie Tage im Jahr. Auf ihnen stößt man auf bedeutende Megalithmonumente und -zeichnungen.
Das Meer ist geprägt vom Wechsel von Ebbe und Flut, was neben dem atlantischen feuchten Klima die Landschaft und das Leben der Menschen im Morbihan nachhaltig bestimmte. Das ständig bewegte frische Meerwasser, die sattgrüne Natur an den Küsten und der ständig sich verändernde Himmel mit den ziehenden Wolken verschafft dem Besucher eine Vielzahl von oft einmaligen Eindrücken. So inspirierte der weite Himmel mit seinen ständig wechselnden Wolkenformationen auch schon etliche Maler wie zum Beispiel Gauguin oder Monet.
Menhire an der Spitze der Halbinsel Quiberon
Außerdem ist die Gegend um den Golf von Morbihan besonders reich an prähistorischen Zeugnissen und geschichtlichen Spuren. Man findet dort zahlreiche megalithische Denkmäler in Form von Menhiren, Dolmen, Hügelgräbern oder Steinkreisen wie etwa in Carnac und Locmariaquer, St. Pierre-Quiberon oder auf den Inseln des Golfe du Morbihan wie Gavrinis. Mehrere tausend Monolithen, die in der Region vor rund 7.000 Jahren aufgestellt wurden, bilden in Carnac seit der Vorgeschichte eine der spektakulärsten Megalithanlagen der Welt. Nach den jüngsten archäologischen Forschungen wurde die Stätte in mehreren Phasen errichtet. Im fünften Jahrhundert v. Chr. war sie durch eine offene Bauweise gekennzeichnet. Einzelne Steine und auch Steinreihen weisen auf einen heiligen Ort hin. Um 4.000 v. Chr. entstanden außerdem Grabstätten. Diese waren zunächst Einzelgräber wie der „Tumulus d’Er Grah“. Später wurden dann auch Kollektivgräber wie der Dolmen „Table des Marchand“ in Locmariaquer mit seiner tonnenschweren Abdeckplatte aus Granit errichtet.
Die Menhire von Kerbourgnec in Saint-Pierre Quiberon sind zu einem Cromlech angelegt
Zweifellos eines der imposantesten Monumente der europäischen Megalithkultur: Man vermutet, dass das jungsteinzeitliche Bauwerk „Table des Marchand“ in Locqmariaquer südlich von Auray am Golf von Morbihan aus der Zeit um 4500 v.Chr. als Kultplatz genutzt wurde
Bevor die Steine im 19. Jahrhundert von Archäologen erforscht werden konnten, wurden sie fälschlicherweise den Kelten zugeschrieben, die allerdings zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch gar nicht existierten. Da aber über der Kultur der Kelten ein ebenso großer Zauber liegt, sind sie mit dieser archaischen Frühkultur verwoben. Der Volksglaube sah daher den Ursprung der Megalithen im Unsichtbaren, Wunderbaren und Heiligen. Die Magie – gewissermaßen das „Markenzeichen“ der Kelten – war in diesem Teil der Bretagne wie auch im Finstère schon immer besonders stark. Die keltischen Druiden fühlten sich dort hingezogen. In keiner anderen Region Frankreichs stehen mehr Menhire. Diese Steinsymbole sind zu tausenden in der Landschaft verteilt. Über die Funktion und Bedeutung dieser Steinreihen wird jedoch bis heute wild gerätselt. In Carnac sind sie auf jeden Fall Zeugnis einer jahrtausend alten architektonischen Anlage. Die einen halten sie für Fruchtbarkeitssymbole, die anderen für astronomische Zeichen. Andere wiederum sehen in ihnen Opferplätze. Die Bretonen haben dazu ihre eigene Erklärung: Ihrer Legende nach wurde hier vor langer Zeit eine Armee versteinert. Feen sollen sie verzaubert haben.
Die Table des Marchand ist berühmt für die Gravuren auf einem Tragstein. Die große Stele in Spitzbogenform, die schon vor dem Bau des Grabes aufgestellt wurde, ist mit Gravuren in Form von Krummstäben in vier Reihen versehen und symbolisiert vermutlich eine Gottheit. Eine andere Deutung geht von Ähren eines Kornfeldes aus
Waren es die geheimnisumwitterten Druiden, die über geheimes und verborgenes Wissen verfügten? Erzählten sie diese wundersamen Geschichten über die „Anderwelt“, über Elfen und Feen, über magische Schwerter, sprechende Steine und am Ende sogar die Legende um König Artus? Die Mythologie der Kelten, die in der Antike durch Europa wanderten, durchzieht auch unsere Kultur, wenngleich ihr Ursprung vielen von uns nicht mehr zugänglich ist. Es mag vor allem daran liegen, dass die Kelten selbst keine schriftlichen Zeugnisse hinterließen.
Der 28 Tonnen schwere Grand Menhir brisé in der Archölogischen Zone von Locmariaquer, der größte Menhir der Welt, war 18 Meter hoch und zerbrach in vier Teile
Über das Leben der Kelten erfahren wir etwas aus der Sicht der Römer wie zum Beispiel aus dem berühmten Cäsar-Buch „De Bello Gallico“. In der Schilderung des Gallischen Krieges beschreibt der römische Feldherr das Aussehen und Verhalten der Kelten, die den Weg aus dem Orient bis in die äußersten Spitzen der Britischen Inseln zurückgelegt haben. So brachten keltische Übersiedler von den britischen Inseln den christlichen Glauben in die Bretagne-Regionen und gründeten dort die ersten Pfarreien. Doch erst 700 Jahre später ging das bretonische Christentum vollständig im päpstlich-römischen Katholizismus auf. Dafür behauptet sich der Glaube im französischen Westen heute noch umso stärker. So fanden auch während der Französischen Revolution Priester Unterschlupf bei den widerständigen Bretonen. Die bretonischen Heiligen heißen in abenteuerlichen Viten dann „Cadoc“, „Iltud“ oder „Winnoch“, und so leben keltische Sagen und Mythen weiter.
Nach dem Zerfall des Römischen Reiches besiedelten die Kelten die Halbinsel Bretagne gleich noch einmal, sie brachten die keltische Sprache (das Bretonische) mit und gaben Menhiren und Dolmen ihre Namen. Diese wiederum wurden dann von französischen Archäologen erst im 18. Jahrhundert verwandt. Wenn auch jungsteinzeitliche Bauern und Hirtenstämme die Menhire und Dolmen in der Bretagne errichteten, so werden heute oft die monumentalen Hinterlassenschaften von den Kelten vereinnahmt. Gleichzeitig besinnen sich Kelten aus Wales, Irland und der Bretagne der gemeinsamen Kultur. So findet man einen „Irish Pub“ oder eine „Taverne irlandaise“ auch in der tiefsten bretonischen Provinz.
Zu vergrößern hingegen scheinen sich dagegen die Gegensätze zwischen den Bewohnern von „Armor“ und „Argoat“. Während die innere Bretagne im Zeichen der Landflucht in einen Dornröschenschlaf verfällt, werden die verschiedenen Regionen dieser Landschaft und Küstenstädte wie St. Malo, Roscoff und andere dank der gut ausgebauten TGV-Verbindungen zu Wochenendzielen für Pariser, die wegen ihrer althergebrachten Vorurteile oft nicht so beliebt sind.
Wenn es heißt, „Bretonen trinken so viel, wie es regnet“, dann kann man nur feststellen, dass Alkohol in ganz Frankreich zum alltäglichen Essen gehört. In der Bretagne ist es dann vor allem der „Cidre“, der Apfelwein, der die landestypischen hauchdünnen Pfannkuchen, die „Crêpes“, begleitet.
Bemerkenswert ist, dass viele der mystisch verklärten Orte in der Bretagne wirklich existieren und heute immer noch ihren Zauber verströmen, auch wenn vieles, was als keltisch gilt, inzwischen kommerzialisiert wird. Das Triskel (aus dem griechischen triskelês = „mit drei Beinen“, wobei die drei Kreuzarme für die Elemente Erde, Feuer und Wasser stehen), das einstige Erkennungszeichen der Kelten, steht seit langem als das Symbol für die Bretagne und es ist das äußere Zeichen für die Zugehörigkeit zum „Keltentum“. Von den Touristen wird es gern als Halsschmuck oder als Emblem auf T-Shirts oder Cloggs getragen. Manchmal ziert es auch als Tattoo die Haut.
Legendär sind auch die Steinreihen, die „Alignements de Menhirs“ in Carnac (Ménec) mit ihren über 2800 Steinen auf einer Fläche von 40 Hektar und einer Länge von 4 Kilometern. An die Alignements de Ménec schließen sich in östlicher Richtung zwei weitere Anlagen an: Die Alignements de Kermario mit 1029 und die Alignements de Kerlescan mit 540 Menhiren. Vermutlich ging die gesamte Anlage noch weiter bis Kerzerho, enthielt über 4000 Steine und war 8 km lang. Die Anlagen sind allerdings mittlerweile eingezäunt und können zwischen April und September nur noch im Rahmen von Führungen betreten werden. Durch diese Regelung soll der Erhalt der Anlagen gefördert werden
Aber es gibt sie eben auch immer noch, die magischen Orte wie im Falle der Geschichte des Zauberers Merlin. In der Bretagne mischen sich Historisches mit Geschichten und Legenden, Mythologie und Märchen. Die größte Legende spielt auf halber Strecke zwischen Rennes und Lorient im Wald von Brocéliande, dem heutigen Wald von Paimpont, dem größten Überrest des einstigen riesigen Forstes, der die Bretagne bedeckte. Vom Mittelalter an wird Brocéliande in der Literatur mit den Abenteuern des König Artus und seinen Rittern der Tafelrunde auf der Suche nach dem Gral in Zusammenhang gebracht. Merlin, Freund von König Artus, hatte sich im Wald von Brocéliande in den Netzen seines eigenen Zaubers verfangen und wurde zum ewigen Gefangenen der Fee Viviane, der Herrin vom See. Er hatte Viviane nördlich des Dorfes Beauvais am Brunnen Barenton getroffen und sich in sie verliebt. Als Beweis seiner Liebe errichtete er eine Zitadelle aus Kristall, die auf dem Grund des Sees von Schloss Comper stehen soll. Sein Werben wurde erhört, woraufhin die Liebe der Fee so groß war, dass sie ihn nicht wieder gehen lassen wollte und ihn auf alle Ewigkeit in neun Zauberkreisen gefangen hielt. So wurde das angebliche Grab von Merlin im Norden des Waldes von Brocéliande inzwischen zum echten Kultort.
Solche und ähnliche Legenden entstanden meist im Schatten uralter Bäume oder im Nebel – und von beidem gibt es reichlich in der Bretagne. Heute ist der „Forêt de Brocéliande“ jedoch ein beliebtes Ausflugsziel. Auch die beliebten Comic-Geschichten von Asterix und Obelix haben dazu beigetragen, den intelligenten Druiden Miraculix und dessen Zaubertrank bekannt und attraktiv zu machen. In unterhaltsamen Bildern wird u. a. auch eine Zusammenfassung der wirklichen Funktion und Bedeutung der Druiden gegeben, die in der Bretagne und in den angrenzenden Siedlungsgebieten der Kelten Wissende waren und das Amt eines Priesters bekleideten. Sie waren angeblich mit übernatürlichen Kräften ausgestattet. Als eine Art kultische und geistige Elite in der keltischen Gesellschaft waren sie neben Fürsten und Anführern und dem Oberhaupt eines Clans unverzichtbarer Bestandteil der Gemeinde. Wegen ihrer hellseherischen und heilenden Fähigkeiten und auch wegen ihres außergewöhnlich großen Wissens um naturwissenschaftliche, kulturelle, historische und politische Zusammenhänge waren die Druiden die Berater der Clanführer und Dorfältesten. Sie tauchen in der keltischen Frühgeschichte ebenso auf wie in der Spätantike, vom früheren Britannien bis hin nach Irland. Auch wenn die genaue Herkunft des Wortes „Druid“ umstritten ist, so steht außer Frage, dass ein Druide als ein besonders weit „Sehender“ oder „Wissender“ in der bretonisch-keltischen Gemeinschaft verehrt wurde.
Großsteingrab bei Locmariaquer
Plinius der Ältere berichtete etwa vom weiß gekleideten Druiden, der mit der goldenen Sichel Mistelzweige von der Eiche schneidet – ein Bild, das sich in fast allen Asterix-Erzählungen beim Druiden Miraculix wiederfindet. Die Mistel wurde nachweislich von den Druiden als heilige Pflanze geschätzt – wohl, weil sie selbst im Winter grün und saftig bleibt. Auch Cäsar bezeichnet die von ihm stets bekämpften Druiden als Angehörige einer Adelsschicht, die sich dem Studium der Philosophie und Religion widmeten und in der keltischen Gesellschaft die Rolle des Priesterstandes innehatten. Druiden waren zu jener Zeit aber oft auch Intellektuelle und galten als Philosophen, Astrologen, Rechtsgelehrte und Magier. Sie berieten das einfache Volk und die Herrschenden und waren sowohl politisch als auch diplomatisch tätig – ein Friedensschluss oder sonstige wichtige Entscheidungen wurden stets mit dem Rat von Druiden getroffen.
Eine ganz andere Geschichte bestimmt die Hafenstadt Lorient. Schon im Namen steckt das Wort „L’Orient“ – Orient. Hier war der Heimathafen der französischen Ostindien-Kompanie. Von hier legten deren Handelsschiffe ab und segelten bis nach China und Indien. Hier liegt auch der Ursprung der Geschichte von König Artus und seiner Tafelrunde, dessen Ritter in den Wäldern der Bretagne nach dem Heiligen Gral suchten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass alljährlich im August gerade in Lorient das internationale Treffen der Kelten stattfindet, das „Festival Interceltique“. Dabei handelt es sich um ein Musikfestival, zu dem jedes Jahr tausende Musikfans in die Stadt kommen: vor allem Bretonen selbst, aber auch viele Engländer, Deutsche, Belgier und Spanier aus Galizien wollen an diesem Ereignis teilhaben. Die Stimmung innerhalb dieser großen Keltenfamilie ist dann einmalig. In der Altstadt von Lorient sowie im gesamten Morbihan sind kostenlose Konzerte und Musik-Events zu hören und zu sehen. Auf diesem Festival stehen neben Paraden in der jeweiligen Landestracht sowohl traditionelle keltische Musik der Bretagne als auch neues musikalisches Schaffen – Folklore mit neuen Elementen moderner Musik – auf dem Programm. Die Musiker und Barden kommen aus sämtlichen keltischen Ländern wie Irland, Schottland, Wales und Cornwall, von der Isle of Man, aber auch aus Norditalien, vom Mittelrhein, aus Ungarn und dem spanischen Galizien. Sie fühlen sich vor allem durch ihre Musik, aber auch durch ihre Sprache mit den Bagades-Gruppen, der keltischen Harfe oder dem Dudelsack verbunden. Hier feiert das Bretonische, das lange Zeit vom zentralistischen Paris verschmäht und offiziell verboten wurde, fröhliche Urständ‘.
Fest Noz mit keltischen Musikern mit Dudelsack und und Oboen sind sehr beliebt
Auch wenn im Alltag der Anteil des Bretonischen eher wieder abnimmt, ist es heute selbstverständlich, dass die bretonischen Städtenamen auf den Ortsschildern zweisprachig ausgewiesen werden. Entgegen einer oft im Ausland anzutreffenden Meinung ist „Bretonisch“ eben nicht nur ein Dialekt der französischen Sprache, sondern gehört zur keltischen Sprachgruppe und ist damit eine vollständig andere, eigenständige Sprache mit einem eigenen Wortschatz, einer eigenen Grammatik, Syntax und Konjugation. Damit ist sie ein wesentlicher Bestandteil einer eigenen Kultur und der so vielfältigen bretonischen Traditionen. Bei den Nachkommen der keltischen Nachbarn (den Walisern in England, den Iren und den Menschen in Cornwall) werden heute noch ähnliche Sprachen wie das „Gallois“ gesprochen, weil diese Völker in der Vorzeit einen gemeinsamen Ursprung teilten. In etlichen Dörfern kann man auch als Urlauber die legendären „Fest Noz“, die nächtlichen Feste, mit keltischer Musik und Tanz erleben. Heute gehört die „Fest Noz“ zum Sommerprogramm: Einmal im Juli für die ersten Urlauber, ein weiteres Mal im August für die Nachzügler. Da wird geschmaust, gesungen und getanzt, was das Zeug hält, begleitet von Musik mit Dudelsäcken (binious oder cornemuse) und Oboen (bombardes), die mit dem Wiedererwachen der bretonischen Unabhängigkeitsbewegung in den 1960er Jahren in Mode kamen.
Die bretonische Flagge „Gwennha Du“ und Triskelenform aus der keltischen Kunst; Nachweis: wikimedia commons
Die Bretonen sind stolz auf ihre Eigenart und fühlen sich erst in zweiter Linie als Franzosen. Das hat nicht nur mit ihrem Charakter zu tun, der Eigensinn mit Phantasie paart, sondern insbesondere auch mit ihrer eigenen Geschichte fernab des französischen Zentralismus. Nach der Union mit Frankreich 1532 wurden den Bretonen die vertraglich zugesicherten Privilegien Stück für Stück beschnitten. Das ging so weit, dass den Kindern in der Schule verboten wurde, auch nur ein Wort Bretonisch zu sprechen. Wer dagegen verstieß, wurde hart bestraft und musste als Zeichen der Schande einen Holzschuh um den Hals tragen. Alle Versuche, ihre Freiheit zu verteidigen, scheiterten. Autonomie, ja Unabhängigkeit haben daher immer noch etliche Bretonen auf ihre schwarz-weiße Fahne geschrieben. Man will die alte Sprache und Kultur am Leben erhalten, schreibt Ortsnamen und Verkehrsschilder zweisprachig und trägt am Auto das Schild BZH für Breizh, Bretagne. Die bretonische Fahne, das Hermelin und das Triskell als wichtigste keltische Symbole sind ebenfalls ständige Begleiter in der Bretagne. Sie sind auf zahlreichen Alltagsgegenständen zu finden. Die Flagge mit ihren horizontal verlaufenden schwarzen und weißen Streifen heißt in bretonischer Sprache „Gwennha Du“ und symbolisiert seit 1923 die Bretagne als kulturelle und politische Region Frankreichs. Die Streifen stehen für die ehemaligen Länder oder Bistümer der Hochbretagne: Dol, Nantes, Rennes, Saint Brieuc und Saint Malo. Die vier Vertreter der Niederbretagne: Cornouaille, Léon, Trégor und Vannetais werden durch vier weiße Streifen symbolisiert. In der linken oberen Ecke der bretonischen Fahne befinden sich schwarze Hermeline auf weißem Grund.
So erlebt man am westlichen Zipfel Europas eine noch relativ authentische und bewusste Kultur mit einer ganz eigenen Sprache, an der nach wie vor festgehalten wird – „Trugarez“!
Ein paar Redewendungen in bretonischer Sprache
Demat – Guten Tag
Kenavo – Auf Wiedersehen
Krampouezh – Crêpe
Mat eo ar gvin – Der Wein ist gut.
Yec’hed mat! – Prosit! Auf Ihre Gesundheit!
Trugarez – Dankeschön!
Fest-noz – Festabend mit traditionellen Tänzen
Im prähistorischen Museum von Carnac kann man sich bestens informieren.
Fotos (soweit nicht anders bezeichnet): Petra Kammann
→ Auf den Spuren des Kommissars Dupin durch die Bretagne (1)
→ Goldene Bretagne