Museum Giersch präsentiert „Romantik im Rhein-Main-Gebiet“
Intime Bilder, die Geschichten erzählen
Von Hans-Bernd Heier
„Impuls Romantik“ – so lautet das umfassende Schwerpunktthema des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Seit drei Jahren fördert der Kulturfonds herausragende Kunst- und Kulturprojekte der Romantik in den Sparten Literatur, Musik, Bildende Kunst und Gartenkunst in der Region. Insgesamt hat die gemeinnützige Institution in dieser Zeit annähernd 50 Projekte unterstützt, die die bedeutende Rolle der Romantik in der Rhein-Main-Region belegen. „Dabei ging es um mehr als das bloße Abbilden einer kunsthistorischen Epoche: Die Projekte haben gezielt dazu beigetragen – gemeinsam mit der Diskussion um den Bau eines Romantikmuseums – , dass sich die Region der prägenden Kraft dieser Epoche bewusst geworden ist“, so Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds. Viele Projekte hätten sich ohne die Unterstützung des Fonds überhaupt nicht oder aber nicht in diesem Umfang und dieser Qualität realisieren lassen.
Edward Jakob von Steinle „Bildnis der Tochter Karoline von Steinle“, um 1840/45, Öl auf Leinwand, 41,5 x 32,5 cm; Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Foto: Jürgen Karpinski, Dresden
Großartiger Abschluss dieses vielbeachteten Veranstaltungsreigens ist die Überblicksausstellung „Romantik im Rhein-Main-Gebiet“, die jetzt im Museum Giersch der Goethe-Universität in Frankfurt zu sehen ist. Über 150 Werke versammelt das Museum und präsentiert damit die Kunst der Romantik der Region in noch nie gezeigter Breite. Zu sehen sind Arbeiten von bildenden Künstlern, die hier wirkten und zumindest zeitweilig lebten.
Heinrich Funk „Landschaft mit Kirche am See“, 1838, Öl auf Leinwand, 25 x 34 cm, Sammlung Giersch, Frankfurt am Main; Foto: Sammlung Giersch
Landschaften, Porträts und Genrebilder, Zeichnungen und Ölstudien, religiöse und literarische Motive vermitteln einen umfassenden Eindruck von der Wirkung romantischer Ideen auf die bildende Kunst der hiesigen Kulturlandschaft. Die Werke einflussreicher Künstlerpersönlichkeiten wie Peter Cornelius, Moritz von Schwind, Philipp Veit, Franz Pforr, Carl Philipp Fohr oder Johann Heinrich Schilbach werden ergänzt durch Arbeiten einer Vielzahl weniger bekannter Künstler. Diese prägten den einzigartigen Charakter der Romantik im Rhein-Main-Gebiet entscheidend mit und sind es wert, wieder entdeckt zu werden. Die beeindruckende Präsentation ist bis zum 19. Juli 2015 zu sehen.
Franz Pforr „Selbstbildnis“, um 1810, Öl auf Leinwand auf Pappe, 23 x 17 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Dauerleihgabe der Frankfurter Künstlerschaft; Foto: U. Edelmann – Städel Museum/Arthotek
Die Romantik ist eine der bekanntesten und populärsten Kunstepochen der Kunstgeschichte. Als eine Bewegung, die Kunst und Gesellschaft gleichermaßen durchdrang, breitete sich die Romantik etwa ab 1800 in Europa aus. Eine ganze Generation von Philosophen, Literaten, Malern und Musikern prägte diese Kunstrichtung, die mit dem Vernunftgebot brach und dem eigenen Gefühl vertraute. Mit der Abkehr von der akademischen Malerei und der abnehmenden Bedeutung der fürstlichen Höfe und Kirchen als Auftraggeber änderte sich auch der Stellenwert der Kunst. Die Romantiker ließen die Grenze zwischen Kunst, Leben und Werk durchlässig werden. Ihre Einstellung zu Freundschaft und Liebe, ihr Naturverständnis und ihre Vorstellung vom Künstlerdasein prägen unser Denken bis heute.
Bei der Pressekonferenz (von rechts): Helmut Müller, Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, Manfred Großkinsky, Leiter Museum Giersch der Goethe-Universität, Kuratorin Mareike Hennig sowie Pressesprecherin Christine Karmann; Foto: Hans-Bernd Heier
„Mit der Romantik wurde die Rhein-Main-Region bisher selten in Verbindung gebracht, dennoch gab sie der Epoche wichtige Impulse“, betont Manfred Großkinsky, Leiter Museum Giersch der Goethe-Universität. Das mag auch mit dem unscharfen Profil dieser Kunstrichtung zusammenhängen. „Denn Romantik ist“, wie die Kuratorin der Ausstellung, Mareike Hennig, es formuliert, „ein ‚Wundertierchen‘ unter den Stilepochen: Jeder hat seine Meinung dazu – oft sehr unterschiedliche. Es gibt geradezu ein romantisches Dickicht“.
Edward Jakob von Steinle „Die Romanzen vom Rosenkranz“, 1853/54, Aquarell, Deckfarbe auf Karton, 123 x 160 cm, Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum; Foto: © Freies Deutsches Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum
Im frühen 19. Jahrhundert fand sich in der Kunst zwischen Frankfurt, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden, Odenwald und Schwalm romantisches Denken und Lebensgefühl auf vielfältige Weise. Mit der anspruchsvollen Schau leistet das Museum „einen weiteren wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Kunst- und Kulturgeschichte der Region. Während in den üblicherweise mit der Romantik in Verbindung gebrachten Städten wie Dresden, Hamburg, Heidelberg oder Jena einzelne herausragende Künstlerpersönlichkeiten das Erscheinungsbild der Romantik dominieren, zeichnet sich die Romantik im Rhein-Main-Gebiet durch eine Heterogenität sowohl im Kunstschaffen als auch bei den Kunstschaffenden aus. Dieses heterogene Spektrum auszubreiten ist Ziel unserer Ausstellung“, erläutert Großkinsky.
Joseph Anton Nikolaus Settegast „Doppelbildnis zweier Mädchen“, 1850, Öl auf Leinwand, 49 x 61 cm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; Foto: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 2014, Photo by A. Fischer/H. Kohler
In der facettenreichen Präsentation in der neoklassizistischen Villa am Schaumainkai sind neben sorgfältig ausgeführten Gemälden und flüchtigen Ölskizzen auch Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphiken und Skizzenbücher von mehr als 50 Künstlerpersönlichkeiten zu sehen. Sie belegen das gesamte Spektrum und die Komplexität der Romantik im Rhein-Main-Gebiet.
Franz Carl Richard „Landschaft“, 1839, Öl auf Karton, 14 x 23 cm, Museen der Stadt Aschaffenburg; Foto: © Museen der Stadt Aschaffenburg/I. Otschick
In Frankfurt waren alteingesessene Künstlerwerkstätten bis weit in das 19. Jahrhundert aktiv und verbanden romantische Impulse mit Traditionsbewusstsein. Gleichzeitig bot das 1815 gegründete Städelsche Kunstinstitut als erste akademische Ausbildungsstätte der Region für die romantische Kunstrichtung der Nazarener eine neue Heimat. In Darmstadt profitierte eine Generation junger Künstler von den Förderungen eines kunstliebenden Großherzogs und gaben der Landschaftsmalerei neue Perspektiven. In Mainz entstand nach dem Wegzug von Adel und Klerus ein bürgerlicher Kunstmarkt. Abseits der Zentren formierte sich in der Schwalm eine der frühesten Künstlerkolonien.
Mit dem Schwinden der finanzkräftigen Auftraggeber Kirche und Hof veränderte sich auch die Rolle der Künstler. Für die Maler wurden neue Themenfelder bedeutsam, die stärker mit dem eigenen Erleben zu tun hatten: Heimat, Freundschaft, Privatheit in Form von Porträts und Interieurs, Sehnsucht und Fernweh sowie Religion. Der Parcours dieser gut strukturierten Ausstellung folgt diesen Topoi.
Carl Philipp Fohr „Ansicht von Zwingenberg am Neckar“, 1815/16, Öl auf Leinwand, 22 x 27 cm, Hessische Stiftung Kronberg; Foto © Hessische Stiftung Kronberg
Die Romantik besaß einen starken Hang zum Erzählen. Sowohl in Illustrationen oder Historienbilder wie auch in Landschaften, Genredarstellungen oder Interieurs zeigen sich häufig erzählerische Elemente. Diese romantische Vorliebe verband Nazarener wie Edward von Steinle oder Alfred Rethel mit Landschaftsmalern wie Wilhelm von Harnier und Carl Philipp Fohr oder mit den Spätromantikern wie Moritz von Schwind und Leopold Bode. Die romantischen Künstler griffen dabei auf einen breiten Fundus an literarischen Stoffen zurück – aus der Bibel, der Geschichte, der Welt der Märchen, der Sagen und des Mittelalters sowie der aktuellen, zeitgenössischen romantischen Literatur. Oft erfanden sie aber auch eigene Geschichten, die sie phantasievoll inszenierten.
Friedrich Maximilian Hessemer „Vision einer islamischen Stadt“, um 1830, Aquarell, Feder auf Papier, 33 x 46 cm; Städel Museum, Frankfurt am Main, Foto: © Städel Museum/Arthotek
Die Landschaftsmalerei spielte bis zum 19. Jahrhundert in der Hierarchie der Gattungen eine untergeordnete Rolle. Sie erlangte erst in der Romantik einen neuen Stellenwert und entwickelte sich auch im Rhein-Main-Gebiet zu einem bevorzugten künstlerischen Sujet. Beiläufige Motive wie Wiesenränder oder schlichte Walddarstellungen hielten die Künstler zunächst in Gouachen oder Ölskizzen fest. Doch bald entstanden auch ausgeführte Ölgemälde mit Motiven aus dem Odenwald, dem Taunus, von der Bergstraße und aus dem Neckartal.
Die Maler der Romantik sahen aber nicht nur Natur und Landschaft, sondern auch Städte und Dörfer ebenso wie die Architektur mit neuem Blick. Für sie war in erster Linie die persönliche Beziehung zu einem Motiv bildrelevant: Nicht die topografisch naturgetreue Wiedergabe, sondern atmosphärische Momente erschienen ihnen wichtiger: eine bestimmte Tages- oder Jahreszeit, eine Lichtstimmung oder ein vielleicht unspektakulärer Blickwinkel, der doch die Eigenart einer Szenerie einfing und den Charakter eines Ortes hervorhob.
Carl Morgenstern „Maler in italienischer Landschaft“, 1836/37, Öl auf Leinwand, 27 x 32 cm; Privatsammlung; Foto: Ursula Seitz-Gray, Frankfurt am Main
Mit dem Aufkommen des Bürgertums als wichtigster gesellschaftlicher Gruppe ergab sich für die Künstler die Notwendigkeit, neue Porträtformeln zu entwickeln. Die Zurschaustellung von Reichtum und Macht durch tradierte Bildmuster wie herrschaftliche Posen oder kostbare Attribute entsprach weder dem Selbstverständnis der Dargestellten noch ihrer gesellschaftlichen Position. Die porträtierten Bürger ließen ihre eigenen Wertvorstellungen ins Bild setzen: So verweist ein Schreibtisch auf die Umtriebigkeit des erfolgreichen Geschäftsmannes, Schreibzeug, Bücher oder Globen stehen für die Ideale von Bildung, Weltläufigkeit und Erziehung. Und die altdeutsche Stube, in der eine junge Frau porträtiert wurde, zeugt sowohl von romantischer Mittelalterverehrung als auch vom Frauenideal jener Zeit, mit dem sich Häuslichkeit, Bescheidenheit und Privatheit verbinden. Porträts in geordneten Innenräumen spiegeln das Ideal der Geborgenheit und des privaten Glücks wider. In diesen „Innenwelten“ offenbart sich ein neues Lebensgefühl mit seiner Hinwendung zum Privaten und Intimen. Der Innenraum wird als ein in sich geschlossenes Refugium verstanden, das den Betrachter außerhalb der Welt des Dargestellten belässt.
Das Künstlerselbstporträt spielte in der Romantik eine wichtige Rolle. Einer ganzen Künstlergeneration erlaubte diese Gattung eine neue Sicht auf sich selbst. Viele Selbstbildnisse konzentrieren sich ganz auf das Gesicht und den Blick des Malers, von dem möglichst wenig ablenken sollte. Überdies spiegeln die Gesichter der Protagonisten Sensibilität, Verletzlichkeit, Ängste und Zweifel wider. So finden sich in den Selbstporträts romantischer Künstler weniger strahlende Malerfürsten als vielmehr nachdenkliche Männer. Dies trifft beispielsweise für die kleinformatigen Porträts der Malerfreunde Franz Pforr und Friedrich Overbeck zu.
Gerhardt von Reutern „Selbstbildnis in Willingshausen“, zwischen 1825 und 1827, Aquarell auf Papier, 31,5 x 18 cm, Privatbesitz; Foto: Privat
Das Fernweh stellt eine ebenso bestimmende Konstante im Werk romantischer Künstler dar wie das Heimweh. England war für die deutsche Romantik in der Gartenkunst von Bedeutung. Die Alpen und die Schweiz gehörten bereits seit dem 18. Jahrhundert zum festen Kanon der Landschaftsmalerei. Die Romantik verschob allerdings die Perspektive vom Erhabenen und Panoramaartigen hin zur Erfassung des Kleinteiligen und Ausschnitthaften. Vom Orient ging ebenfalls eine große Anziehungskraft aus. Das klassische Sehnsuchtsziel romantischer Künstler blieb allerdings Italien. In Rom hatte sich eine deutsche Künstlergesellschaft zusammengefunden, in der junge Künstler sich für eine Weile unter Gleichgesinnten ihrer Kunst widmen konnten. Die zahlreichen hier entstandenen Landschafts- und Genrebilder – teilweise noch der Tradition der arkadischen Ideallandschaft verpflichtet – gehören zu den wichtigsten Arbeiten romantischer Malerei.
Der facettenreiche Parcours durch die Romantik in der Rhein-Main-Region endet im dritten Obergeschoss, wo unter dem Titel „Himmel und Erde“ nicht nur Werke der Nazarener versammelt sind. Der Rückgriff der Nazarener auf frühitalienische und altdeutsche Kunst ging mit einer neuen Schlichtheit und Innigkeit einher. Die Künstler verzichteten auf die Möglichkeit, Heilige und himmlische Szenen in virtuos-perspektivischen Wolken- und Engelsgruppen zu inszenieren. Die Heiligen der Nazarener agierten nicht mehr in himmlischen Sphären, sondern in Szenerien, die die zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Landschaftsmalerei spürbar werden ließ. Zeitgleich zur nazarenischen Strömung betrachteten andere Künstler den Himmel mit einem Blick, der bereits auf den Realismus vorausweist.
Kulturfonds-Geschäftsführer Müller wünschte bei der Pressekonferenz „den Besucherinnen und Besuchern, dass sie sich von der Ausstellung, die einen umfassenden Einblick in die unterschiedlichsten Darstellungsformen romantischer Kunst des 19. Jahrhunderts in der Region bietet, verzaubern lassen und gleichzeitig neue regionale Perspektiven der Romantik kennenlernen“. Dies ist nach Auffassung des Autors voll gelungen.
Zur Ausstellung ist ein profunder Katalog erschienen, den die Stiftung Giersch finanziell unterstützt hat. Ein umfangreiches Begleitprogramm rundet die sehenswerte Schau ab.
„Romantik im Rhein-Main-Gebiet“, Museum Giersch der Goethe-Universität, bis 19. Juli 2015
Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Giersch der Goethe-Universität
→ Carl Morgenstern, der “Frankfurter Italienmaler”
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