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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Second Life“ von Joos van de Plas im Museum Wiesbaden

Auf den Spuren von Maria Sibylla Merian – Wie viel Kunst steckt in der Natur?

Von Hans-Bernd Heier

Unter dem Titel „Second Life – Metamorphosis Insectorum Surinamensium revisited“ zeigt das Museum Wiesbaden bis zum 23. Februar 2014 Arbeiten der holländischen Künstlerin Joos van de Plas. „Zum ersten Mal präsentiert das Museum eine von Naturhistorikern des Hauses kuratierte grosse Kunstausstellung“, betont Alexander Klar, Direktor des Landesmuseums. Dabei stelle sich die Frage, wie viel Kunst in der Natur steckt und umgekehrt. Diese Schau ist passgenau für das Wiesbadener Zweispartenhaus mit seiner exzellenten Kunstkollektion und der im Mai dieses Jahres wieder eröffneten grossen naturkundlichen Sammlungen konzipiert.

Crysalis II, 2009, Acryl auf Leinwand, 120 x 160 cm; © Joos van de Plas

Insekten, besonders Schmetterlinge, faszinieren Joos van de Plas (1952 in ’s Hertogenbosch, Niederlande, geboren) schon von Jugend an. Sie machte bereits als junges Mädchen Bekanntschaft mit Maria Sibylla Merians Kupferstichen von Schmetterlingen. Wenn Joos ihre Grosstante in Mainz besuchte, erfreute sich sie an drei Merian-Grafiken, die im Esszimmer über der Sitzbank hingen. Die Drucke waren aus einem uralten Buch geschnitten und gerahmt worden

. „Schon als Kind machte es mir Freude, die Tafeln intensiv zu betrachten“, sagt sie. Besonders der Druck „mit der äusserst geschäftigen Szene auf einem Guavenzweig wurde für mich zu einer Märchenwelt, in der ich genauso frei ‚herumfliegen‘ konnte wie der blau kolorierte Schmetterling.“

Joos van de Plas vor einem Schmetterlingsbild; Foto: Gisela Heier

Ihre Familie war für solche Träume durchaus offen. Joos‘ Mutter liebte es, zu gärtnern und Pflanzen zu pflegen. Den Hang zur kultivierten Natur hat sie von ihr übernommen. „Meine Mutter weckte in mir die Liebe zu Schmetterlingen, Blumen und Farben, als ich noch ganz klein war. Schon früh hielt mich mein Vater, ein gefragter Porträtmaler, dazu an, meine Gartenfunde zu zeichnen und zu malen. Mit 16 Jahren entschied ich mich, selbst Künstlerin zu werden. Zurückblickend auf meine Jugend, meine Lehrzeit und die Jahre meiner künstlerischen Arbeit denke ich, dass mich die kleinen Dinge, die mir als Kind so viel Freude machten, immer begleitet haben“, erzählt sie.

Maria Sibylla Merians Werke – Hauptinspiration von Joos van de Plas’ Kunst

Seit der ersten Begegnung mit Arbeiten von Maria Sibylla Merian sind Leben und Werk dieser herausragenden Künstlerin und Naturforscherin die Hauptinspiration von Joos van de Plas’ Kunst.

Maria Sibylla Merian – 1647 in Frankfurt geboren und 1717 in Amsterdam gestorben – verdankt ihre künstlerische Ausbildung ihrem Stiefvater, Jacob Marrel (1614 – 1681), einem Schüler des Stillleben-Malers Georg Flegels. Zusammen mit ihrem Mann Johann Andreas Graff gibt sie in Nürnberg ihre ersten Bücher heraus. Nach dem „Neuen Blumenbuch“ 1675 folgen weitere Ausgaben und 1679 der erste Teil ihres dreiteiligen Werkes über die Metamorphose der Raupen. Nach ihrer Scheidung kann die exzeptionelle, hochbegabte Frau sich und ihre beiden Töchter in Amsterdam als Malerin, Lehrerin, Verlegerin und Händlerin von Malutensilien und Insektenpräparaten ernähren. Merians aussergewöhnliche Kunst geniesst schon zu ihren Lebzeiten höchste Anerkennung.

Jacobus Houbraken (1698 – 1780), Maria Sibylla Merian, Kupferstich (um 1700); Bildnachweis: wikimedia commons/Das Insektenbuch, Insel Verlag Leipzig Frankfurt am Main 1991, PD-Art

Merian ist vor allem aufgrund ihrer detaillierten, lebensnahen Darstellungen von Insekten und Pflanzen bekannt, deren wissenschaftliche Beobachtung und Ästhetik von beispielloser Qualität sind. Sie war unter Naturforschern eine der ersten, die die Metamorphose von Raupen zu Schmetterlingen dokumentierte. Zu einer Zeit, in der die mittelalterliche Betrachtung der Natur nur langsam einer wissenschaftlichen wich, errang sie mit der Erforschung der Entwicklung von Insekten neue Erkenntnisse über die Entstehung von Leben.

Maria Sibylla Merian, Kolorierter Kupferstich aus „Metamorphosis insectorum Surinamensium“, Bildtafel XXIII., Solanum mammosum, 1705, Bildnachweis: wikimedia commons/Das kleine Buch der Tropenwunder, Insel Verlag Leipzig Wiesbaden 1954, PD-Art

Zwei Lebensleistungen brachten ihr allerdings ewigen Ruhm ein: Als erste Künstlerin hat sie ausführlich beschrieben und gezeichnet, wie sich eine Raupe zur Puppe und die Puppe zum Schmetterling entwickelt. Dieses Phänomen, die Metamorphose, bot einen völlig neuen Blick auf die Natur“, schreibt Michael von Hoogenhuyze im Begleitkatalog zur Ausstellung. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Beobachtungen und Dokumentation der Biologie, Ökologie und Metamorphose von Insekten gilt sie heute als eine der bedeutendsten Entomologen (Insektenforscher).

Ihre Reise nach Suriname, um Insekten zu sammeln und zu studieren, kam zur damaligen Zeit einer Heldentat gleich. Auf Anregung von Cornelis van Aerssen van Sommelsdijck, dem damaligen Gouverneur von Suriname, einer südamerikanischen Kolonie der Niederlande, erhielt Merian 1699 im Alter von 52 Jahren ein Stipendium der Stadt Amsterdam, um mit ihrer jüngeren Tochter Dorothea nach Suriname zu reisen. Suriname galt als ein gefährliches Land und das Klima für Europäer als ungesund. Tatsächlich wurde Maria Sibylla Merian auch krank und musste nach zweijährigem Aufenthalt – früher als geplant – nach Amsterdam zurückreisen. Sie brauchte knapp vier Jahre, um ihre umfangreiche Ausbeute, die gesammelten und konservierten Tiere, ihre Skizzen und Aufzeichnungen für Veröffentlichungen auszuwerten und lebensgrosse Abbildungen anzufertigen. 1705 publizierte sie ihr grossformatiges künstlerisches und wissenschaftliches Hauptwerk „Metamorphosis insectorum Surinamensium“ mit sechzig wundervollen Kupferstichen. Ein prächtig koloriertes Exemplar ist auch in Wiesbaden zu sehen.

Joos van de Plas – Second Life; Ausstellungsansicht im Museum Wiesbaden; Foto: Ed Restle

Joos van de Plas, die nach dem Studium an der Tilburger Kunsthochschule und dem Abschluss an der Maastrichter Jan van Eyck Academie Indien und Nepal bereits bereist hatte, beschloss, auch Suriname zu besuchen, um auf den Spuren ihrer Protagonistin, Maria Sibylla Merian, zu wandeln: „Mit eigenen Augen wollte ich sehen, was eine andere Frau vor dreihundert Jahren erlebt hatte. Schliesslich konnten Bücher mir nicht alles erzählen. Wie viel mehr konnte ich erfahren, indem ich mich selbst auf Merians Spuren machte?“ Die Reise 2005/2006 entpuppte sich jedoch als Enttäuschung. Sie brachten ihr zwar viele Einsichten und Erfahrungen, wie ein Video belegt, „doch war sie Merian dabei kein Stück näher gekommen“, wie die Künstlerin einräumt.

Erfolgreicher erwies sich dagegen ein anderes Projekt van de Plas’: Sie besuchte über Jahre in Europa Bibliotheken, botanische Gärten, Kunst- und naturkundliche Kollektionen und verglich die Bilder Merians mit den in Europa verfügbaren Insektensammlungen. Speziell erkundete sie solche Sammlungen, die zu Zeiten der Naturforscherin bereits existierten. Dabei fand sie verblüffende Belege für die Arbeitsweise von Merian, die zwar hin und wieder Täuschungen zum Opfer fiel und manchmal Details schönte oder falsch interpretierte, aber sämtliche Beobachtungen stets in absoluter Deutlichkeit festhielt.

Joos van de Plas, „no titel II“, 2008, Acryl auf Leinwand; © Joos van de Plas; Foto: Ed Restle

Bei ihrer intensiven Recherche stiess die Holländerin auch auf die Gerningsche Insektensammlung aus dem 18. Jahrhundert im Museum Wiesbaden, die etwa 40.000 Präparate wirbelloser Tiere aus aller Welt umfasst. Der historische Grundstock dieser Sammlungsstücke geht auf die Sammlertätigkeit der Frankfurter Johann Christian Gerning (1745 – 1802) und dessen Sohn Johann Isaak von Gerning (1767 – 1837) zurück. Darunter befinden sich auch Exemplare aus den Händen Merians. Höchstwahrscheinlich standen einige davon auch Modell für deren Zeichnungen, wie Joos van de Plas durch genauere Nachforschungen herausfand.

Joos van de Plas, „Instinct“, 2009, Acryl auf Leinwand; © Joos van de Plas ; Foto: Ed Restle

Im Rahmen ihrer Arbeiten vor Ort, die sich mit Unterbrechungen über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckten, entstand das „Portfolio Wiesbaden“ – eine Art Zwischenbericht, in dem Van de Plas ihre Studien offen legt. Das „Portfolio Wiesbaden“ empfängt die Besucher gleich zu Ausstellungsbeginn. Es ist eingebettet zwischen den beiden Prachtbänden Merians „Der Raupen wunderbare Verwandlung und sonderbare Blumennahrung“ (1679) sowie „Metamorphosis insectorum Surinamensium“ – Leihgaben aus Amsterdam und Frankfurt am Main. Rund zwei Dutzend der herrlichen Blätter aus dem Portfolio sind auch gerahmt zu bewundern. Zu sehen sind im ersten Teil der originellen Schau des weiteren die Suriname-Schmetterlinge aus der Wiesbadener Sammlung, die die Betrachter mit den Bildern Merians vergleichen können.

Joos van de Plas, „Little life act“, 2010, Installation mit diversen Materialien, 50,5 x 24 x 24 cm; © Joos van de Plas

Zuletzt hat Joos van de Plas sich selbst an der Zucht von Raupen und Schmetterlingen versucht, um die Metamorphose der Insekten miterleben und noch genauer beobachten zu können. Ihre Forschungsergebnisse haben die äusserst vielseitige Künstlerin zu Installationen, Collagen, Zeichnungen, Gemälden und Filmen inspiriert, die im zweiten Teil der Ausstellung gezeigt werden, der ausschliesslich der Kunst gewidmet ist.

Joos van de Plas, „Little life act“, 2011, Installation mit diversen Materialien, 50,5 x 24 x 24 cm; © Joos van de Plas; Foto: Hans-Bernd Heier

Faszinierend sind van de Plas’ komplexe Zeichnungen, die mit feinstem Strich Lebensprozesse der Insekten darstellen. Ebenso überzeugen die zwölf Installationen in den seitlich offenen Materialkästen. In diesen finden sich neben präparierten Raupen und Schmetterlingen bemalte Falter aus Papier, Zweige sowie echte und aus verschiedenen Materialien nachgebildete Pflanzen – eine beeindruckende, aber auch verwirrende Mischung aus Imitation und Wirklichkeit.

Joos van de Plas, „Sleeping Beauty nr 7“, 2012, diverse Materialien, 105 x 70 x 25 mm; © Joos van de Plas

Die Kokons der Serie „Sleeping Beauty“ entstanden aus einem glücklichen Zufall. Als van de Plas’ Raupen zur Verpuppung bereit waren, musste schnell geeignetes Material gefunden werden. In der Natur nutzen die Tiere Holz und Baumrinde. Die Künstlerin bot ihnen an, was sie in ihrem Atelier fand: Pappe, Stoffreste, bunte Papierfetzen und dergleichen mehr. Die Raupen bauten daraus fantastische Gebilde. So sind die Tiere zu wichtigen „Mitarbeitern“ der Konzeptkünstlerin geworden.

In ihrer Malerei setzt Joos van de Plas sich mit den verschiedenen Transformationsstadien von Insekten auseinander. Wie eine Entomologin ein Insekt präpariert, so zerlegt sie in ihren farbenfrohen Gemälden den Gegenstand und rekonstruiert ihn beim Malen.

Joos van de Plas, „Butterfly Cloud“, 2012 ; © Joos van de Plas ; Foto: Hans-Bernd Heier

Eine der schönsten und aufwendigsten Arbeiten, die Installation „Butterfly Cloud“ aus dem Jahre 2012, bleibt dauerhaft im Museum. Hunderte von bunt bemalten Papierfaltern steigen an feinen Drähten  zu einer „Schmetterlingswolke“ auf.

Eine Raupe verwandelt sich über das Puppenstadium in einen Schmetterling – Metamorphosen können selten und nur mit grosser Ausdauer in der Natur beobachtet werden. Die faszinierende Naturerscheinung ist in einer grossformatigen Videoarbeit im dritten Ausstellungsraum in Wiesbaden zu erleben.

Die sehenswerte, vielseitige Schau, die laut Sammlungsleiter Fritz Grimm-Geller eine Premiere ist, wird von zwei grossformatigen Katalogbüchern begleitet: „Second Life – Metamorphosis Insectorum Surinamensium revisited“, Englisch / Holländisch, 114 Seiten, Preis: 25,00 Euro, und „Metamorphosis Insectorum Surinamensium – Eine Entdeckungsreise neu erlebt“, Deutsch / Englisch , 168 Seiten, Preis: 35,00 Euro; beide Kataloge als Paket kosten 50,00 Euro.

Second Life – Metamorphosis Insectorum Surinamensium revisited“, Museum Wiesbaden, bis 23. Februar 2014

Bildnachweis (soweit nicht anders bezeichnet): Museum Wiesbaden


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