Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt / 4
„Faust“ erster und zweiter Teil von Johann Wolfgang Goethe
Text: Renate Feyerbacher
Nur noch bis 21. Oktober 2012 sind beide Teile der Tragödie im Schauspiel Frankfurt zu sehen.
FAUST. ERSTER TEIL. Regie Stefan Pucher; Alexander Scheer (Mephisto), Marc Oliver Schulze (Faust): Foto © Birgit Hupfeld
Die Stücke sind stark, aber ihre Realisierung ist im ersten Teil nur stellenweise stark, im zweiten – leider – so gut wie gar nicht.
Geradezu vorzüglich ist in „Faust I“ der Mephisto. Schnell, gelenkig trotz des weiten schwarzen Mantels, bewegt sich dieser dürre Kerl. Sein Augenspiel geradezu „teuflisch“. Seine gelegentliche Schludrigkeit im Text, sein Kokettieren mit dem Publikum, sein Improvisieren, wenn etwas nicht klappt, zum Beispiel, wenn der Feuerstrahl an seiner Hand ausbleibt, gefällt. Ein Mephisto, der auch noch mit seiner Gitarre perfekt rockt, wird gespielt von Alexander Scheer. Kein Unbekannter. Lang ist die Liste seiner Filme („Sonnenallee“, Regie Leander Haußmann, 1999, Deutscher Filmpreis 2000 als „Bester Spielfilm“), noch länger die Liste seiner Theaterrollen. Und mehrere Preise, unter anderem „Schauspieler des Jahres“ 2009, nennt er sein eigen. Allein wegen ihm lohnt es sich bereits hinzugehen.
Den Faust verkörpert auch ein grossartiger Schauspieler, Marc Oliver Schulze, der aber diese Rolle nicht rüberbringt. Zuletzt faszinierte er als Jason in „Medea“ („Starke Stücke“ 3). Als Faust hat er starke Momente, aber im Grossen und Ganzen lässt er doch kalt, ist er unpersönlich. Die Szene mit Gretchen spielt er sehr distanziert. Es springt kein Funke über. Seine Sprache ist aber wie immer ausgezeichnet.
Das Gretchen kommt zunächst als kleine Nutte daher. Henrike Johanna Jörissen gewinnt dieser Rolle zum Ende aber beachtliche Kontur ab.
Josefin Platt gefällt als Marthe in fein anzüglicher Spielweise – gelungen das Tête à Tête mit Mephisto. Heidi Ecks, die zweite Frau, hat Format als Hexe.
Stefan Pucher, auch ein mehrfach ausgezeichneter Regisseur, verantwortet die Inszenierung. Sie hat starke Momente, gute Einfälle, manchmal feinen Witz, aber hinterlässt auch viel Ratlosigkeit. Das Publikum war gespalten, einige nannten die Inszenierung „katastrophal“. Das Urteil ist nicht gerechtfertigt.
Sehr störend ist die Musik, die anfangs den Text fein unterstreichend daherkommt, aber im Laufe des Stücks zu viel Priorität erhält und zeitweilig unerträglich wird. Das Bühnenbild in seiner Mehrstufigkeit, mit seinen verschiedenen Ebenen, die allerdings viel Gelenkigkeit von den Schauspielern verlangt, ist akzeptabel. In dieser Inszenierung ist manches zu viel und lenkt ab. Weniger wäre mehr gewesen.
FAUST. ZWEITER TEIL. Regie Günter Krämer; Constanze Becker (Mephisto), Wolfgang Michael (Faust); Foto © Birgit Hupfeld
Vollkommene Ratlosigkeit dann im Zweiten Teil. Günter Krämer, auch ein mehrfach ausgezeichneter Regisseur, steht als Lenker dahinter.
Nun ist Goethes „Faust II“ nicht einfach zu „konsumieren“. Es wird geredet, deklamiert, aber nichts bleibt im Kopf hängen. Wolfgang Michael als Faust wirkt manieristisch, seine Sprache näselnd, schwer ist er zu verstehen. Warum der Mephisto mit Constanze Becker, die eine grandiose „Medea“ spielt, besetzt wurde, bleibt mir unverständlich. Sie ist gut, aber kein Mephisto. Da hätte Alexander Scheer gut getan, auch Marc Oliver Schulze als Faust.
Warum hatte der Helena-Teil eine solche Bedeutung? Helena, Inbegriff der Schönheit, spielt Vera Tscheplanowa (fantastisch als Elisabeth in Schillers „Maria Stuart“). Sie musste komplett nackt inmitten ihres zwölfköpfigen, halbnackten Mädchen-Chores die schwierigen Passagen aufsagen. Warum mussten sie nackt sein? Hatte das mit dem im Programmheft beschriebenen Fortschritt zu tun?
„Goethes zweiter Faust stellt in allen Bereichen: in Ökonomie, Kultur, Wissenschaft, Technik und schliesslich Politik den sich in der Renaissance ereignenden Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit dar. Damit macht er zugleich den Fortschritt als Wesenszug der Neuzeit und die Folgen dieses Fortschritts für die Moderne zum Thema“, schreibt Jochen Schmidt in seinem grossen Aufsatz ebenda.
Sollte Fortschritt die Occupy-Gruppe mit ihren Zelten, vor denen ein Feuerwehrmann mit Schäferhund patrouillierte, oder der Bagger am Ende sein?
„Mir wird von alle dem so dumm,
Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.“
(Faust I, Studierzimmer, Schüler)
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