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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Dresden trifft Frankfurt: im ATELIERFRANKFURT

Meisterklasse Martin Honert an der Hochschule für Bildende Künste Dresden zu Gast in Frankfurt

Anheimelnd scheint sich dieses gemütliche Eckchen zu geben, das Su-Ran Sichling in den zarten Farben von Delfter Blau bzw. des weitgereisten Zwiebelmusters gestaltet hat. Die vermeintliche Funktionalität täuscht, unsere Assoziationen spielen uns einen Streich. Wollten wir nämlich Platz nehmen, würden wir eines anderen belehrt: das Kissen ist aus Keramik und verheisst dem einen Sitz Begehrenden allenfalls Rückenschmerzen. So ziehen wir es also vor, zu stehen.

Sollten wir uns nun, Bequemlichkeit suchend, in das Zelt von Nora Herrmann begeben? Wir sind zwar Vogelfreunde, aber noch lange keine Ornithologen. Und die Sache hat ohnehin einen Haken: Dach und Rückseite des Zeltes sind dick mit Vogelfutter belegt. Halten wir uns am Zelt auf, wird kein scheuer Vogel kommen; begeben wir uns ins Zelt hinein, werden wir die gefiederten Freunde picken und klopfen hören, aber nicht zu Gesicht bekommen. Da sitzen wir eben in der Falle.

Zwei schön ausgeführte Arbeiten von Esprit und feiner Ironie.

Nora Herrmann, Ornithologenfalle, 2011, Stoff, Holz, Silikon, Streufutter, 200 x 150 x 150 cm

Bei Katja Wiechmann hört jeglicher Spass auf: Eine junge Frau liegt auf zwei Decken schlafend am Boden, in eine weitere Decke gehüllt. In Lebensgrösse, aus Epoxydharz gefertigt; in einem akribischen, unglaublich aufwendig erscheinenden Arbeitsprozess hat die Künstlerin die Skulptur mit Buntstiften farbig gefasst. Die Liegende: eine Obdachlose, vertrauter Anblick auch (und gerade) in der reichen Finanzplatz-Metropole Frankfurt am Main? Das feine, einen inneren Frieden und fast schon Seligkeit kündende Antlitz könnte auf eine Heiligenfigur schliessen lassen. „Die Farben schillern“, sagt Katja Wiechmann, „wirken greifbar und doch entrückt. Wie der Schlaf und die Nacht“.

In Stephanie Keitz‚ skulpturaler Installation dagegen ist der Mensch gar gänzlich – geisterhaft? – verschwunden, die Decken, unter denen er lag und die er schützend um sich legte, lassen lediglich noch seine Konturen ahnen. Die Künstlerin fertigt von ihren Protagonisten dünnwandige Abdrucke, die sie anschliessend mit den Decken überzieht. Fragen nach dem, was bleibt, eine Ahnung von Vergänglichkeit, von Entrückung stellen sich ein: ein Kunstwerk auch als ein Memento mori.

Katja Wiechmann, o. T., 2007, Epoxydharz und Buntstift, 180 x 135 cm

ATELIERFRANKFURT-Projektleiterin Corinna Bimboese hat die Gastausstellung im aktuellen ersten Ausstellungsblock des Jahres 2012 kuratiert und dazu zehn Schülerinnen und Schüler der Meisterklasse von Professor Martin Honert, Hochschule für Bildende Künste Dresden, von der Elbe an den Main eingeladen. Das Ergebnis, zu betrachten in den Räumen des Erdgeschosses, kann sich sehen lassen. „Irgendwie kommt Kunst doch auch noch von Können“, sagt sie, und wir stimmen ihr uneingeschränkt zu. „Die Absolventen der Fachklasse Dreidimensionales Arbeiten der Hochschule für Bildende Künste Dresden zeigen“, so schreibt sie, „handwerkliche Meisterstücke, die den Betrachter überraschen. Zu sehen sein werden Objekte, Installationen und skulpturale Arbeiten, die es auf solch hohem Niveau selten zu sehen gibt“.

Selbstverständlich versteht sich solche Handwerklichkeit, der Tradition der rund 250 Jahre alten Hochschule verbunden, fern allen Kunsthandwerks oder Kunstgewerbes (das wir hier keinesfalls kleinreden möchten, hat es doch an anderer Stelle seinen Platz). Sie ist vielmehr Ausdruck einer ausserordentlich intensiven Befassung mit den Materialien und einer ebenso intensiven Auseinandersetzung mit den eigenen menschlichen und künstlerischen Möglichkeiten, gepaart mit einem hohen Anspruch an künstlerische Präzision und Qualität gegenüber sich selbst.

Führt uns Marco Miersch in die geheime Welt des Masustrismus  – oder in ein „Reich Masustrien“? Es ist sein Traumreich. Aus ihm rühren die Gegenstände und Konstruktionen seiner raumhohen Installation. Ein grosses Pendel schwebt von der Decke, es besteht aus einer Platte, auf der sich ein achaisch anmutendes Gefäss neben drei nach Art eines Baumkuchens aufeinander geschichteten reifenähnlichen Objekten befinden. Darunter ein kreisförmiger Ausschnitt einer vertrockneten, mit kleinen Steinen bedeckten Bodenfläche, auf der sich sechs Teller befinden, zwei davon sind leer, die vier anderen sind mit kleinen Gebilden gefüllt, die an Gemüsestreifen und andere zubereitete Lebensmittel erinnern. Im Zentrum der runden Scheibe liegen Scherben eines zerbrochenen Etwas. Alles besteht aus ungebrannter Keramik. Die Gegenstände muten uns nach einem Entwicklungsland an, das wir auf dem afrikanischen Kontinent verorten könnten. Und tatsächlich wurde der Künstler in Nairobi geboren und verbrachte seine ersten zehn Lebensjahre in Kenia. Nicht für alle ist der Tisch gedeckt, sind die Teller gefüllt. Auch das Gefäss ist leer. Mit nur drei Reifen kann kein Wagen gezogen werden, geschweige denn fahren.

Marco Miersch, Masustrisches Pendel, 2011, ungebrannte Keramik

Silke Wobst, o. T. / o. T., 2011/2012; Holz, Wachs, Farbe

Mit den Materialien Holz und Wachs arbeitet Silke Wobst. Die Künstlerin möchte Farbe und Form – letztere als dreidimensionalen Raum – in einen Zusammenhang bringen. Für die Künstlerin seien nämlich, erläutert die Kuratorin, Farben stets an eine Form oder einen Körper gebunden. Dabei solle Farbe als Material sichtbar gemacht werden, verkörpert in der Beschichtung des – seinerseits geschichteten – Holzes mit farbigem Wachs. Es entstehen kompakte abstrakte, hier wandhängende Skulpturen von hoher Ästhetik und Ausstrahlung in den Raum.

Ergänzend und in Kürze Biografisches zu den genannten Meisterschülerinnen und Meisterschülern von Professor Martin Honert: Nora Herrmann, 1977 in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz geboren, studierte an der HfBK Dresden Bildhauerei und bildnerische Medien; Stephanie Keitz wurde 1977 in Greifswald geboren und studierte zunächst an der Fachhochschule Potsdam Kommunikationsdesign und an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Animation, bevor sie Meisterschülerin von Martin Honert wurde; Marco Miersch, 1974 in Nairobi geboren, zog 1984 nach Deutschland und absolvierte in Flensburg eine Holzbildhauer-Lehre, bevor er bis 2009 Bildende Kunst an der HfBK studierte;  Su-Ran Sichling, 1978 in Nürnberg geboren, wurde zunächst Töpfergesellin und studierte später Bildhauerei an der HfBK; Katja Wiechmann, 1974 in Erfurt geboren, absolvierte zunächst die Ausbildung zur Holzbildhauerin; anschliessend widmete sie sich dem Lehramtsstudium an der TU Dresden und dem Studium der Bildhauerei an der HfBK; die 1982 in Dresden geborene Silke Wobst schliesslich begann an der Martin Luther-Universität Halle/Wittenberg interkulturelle Europa- und Amerikastudien, bevor sie bis 2010 an der HfBK Bildende Kunst studierte.

In der Ausstellung sind ferner ebenso beachtliche Arbeiten von Ayelen Coccoz, Janine Hönig, Moritz Liebig und Cosima Tribukeit zu sehen.

Meisterklasse Martin Honert (HfBK Dresden) zu Gast im ATELIERFRANKFURT, bis 12. April 2012

(abgebildete Werke © jeweilige Künstlerinnen und Künstler; Fotos: FeuilletonFrankfurt)

 

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