Das Ungeheuer von Loch Steuer
Paul Kirchhof – unfassbar naiv
Von Hans-Burkhardt Steck
Rechtsanwalt, Dipl.-Soziologe
Da ist er wieder – dieser seltsam-freundliche, ein wenig kindlich wirkende Mensch, Professor immerhin. Und ehemaliger Verfassungsrichter. Also ein wichtiger, kluger, umfassend gebildeter Zeitgenosse. Und der kommt uns schon zum zweiten Mal mit einer – derselben – seltsam-freundlichen, ein wenig kindlich wirkenden Idee. Lasst uns doch, lockt er, ganz einfach alle steuerlichen Absetzmöglichkeiten streichen und dafür die Einkommensteuer auf einen ganz niedrigen einheitlichen Satz senken.
Was fällt uns da als erstes ein? Genau: Warum sich auf dem Fußballplatz um den Ball streiten? Gebt doch jedem einen! Will sagen: a) Dasjenige für das Problem halten, was auf den allerersten flüchtigen Blick wie das Problem aussieht, b) die erstbeste Radikalremedur anwenden und sich c) dann wundern, dass mit dem Problem auch gleich die ganze Veranstaltung in den Orkus geht.
Ulkigerweise sollte das ja mal ein Wahlkampfschlager werden. Jawohl – W a h l. Die Menschen sollten CDU wählen, die würde das dann sofort beschliessen, und alles wäre gut. Dann könnte man so richtig schön in Ruhe regieren. Durchregieren, wie Frau Merkel das mal – vor langer, langer Zeit – nannte. Nur – wie?
Regieren heisst ja nun mal Macht ausüben. Macht ausüben heisst, Menschen dazu zu bringen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun wollten. Befehlen lassen wir uns schon lange nichts mehr, also bleiben nur Verbote und Verlockungen = Straf- und Steuerrecht. Die Möglichkeiten des Strafrechts sind begrenzt. Im Steuerrecht sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt.
Die Leute rauchen, obwohl es ungesund ist? Tabaksteuer rauf! Sie verpesten die Umwelt mit ihren Stinkeautos? Steuervorteile für Katalysatoren! Man macht die erstaunliche Entdeckung, dass Kernkraft gefährlich ist – schon hagelt’s steuerliche Förderung für Raps, Wind und Sonne! Wo kann man Klassenarbeiten in Ruhe korrigieren? Nur im absetzbaren häuslichen Arbeitszimmer!
Steuerliches Locken und Schrecken ist nunmal das wichtigste Arbeitsmittel der Politik. Natürlich gibt’s auch dabei die grössten Irrsinnigkeiten, aber Kirchhof will ja nicht nur die abschaffen, sondern die steuerliche Absetzbarkeit als Prinzip. Wie dann noch Politik machen? Und warum? Er schlägt der Politik die Beine weg und will dafür auch noch gelobt und gewählt werden. Seltsame Vorstellung.
Mindestens ebenso eigenartig: Der Gedanke, ein einheitlicher Steuersatz bei Streichung aller Absetzmöglichkeiten sei irgendwie gerecht und genüge dem grundgesetzlichen Gleichheitsgebot. Ja, wenn die Menschen alle gleich wären, dann vielleicht. Aber das sind sie ja glücklicherweise nicht, und das Grundgesetz verlangt auch nur, dass sie vom Staat gleich behandelt werden. Dazu gehört aber grade, ihre Unterschiede durch unterschiedliche steuerliche Behandlung zu mildern. Den Behinderten weniger Einkommensteuer abpressen. Die Kunstbegabten durch niedrigere Mehrwertsteuer fördern, weil die Kunst unendlich vielfältige positive Wirkungen für die Menschen hat, sich aber gar nicht so gut verkauft. Und so weiter. Nur weil zahlreiche Absetzmöglichkeiten ungerecht, unsinnig und unzweckmässig sind, ist es doch noch unsinniger, die sinnvollen gleich mit abzuschaffen. Und auch noch diesen Weg, Chancengleichheit zu fördern, komplett in die Luft zu sprengen.
Damit aber nicht genug. So eine dahingeschwätzte Radikalkur birgt noch ganz anderen Sprengstoff.
Bekanntlich leidet die Politik, vor allem die deutsche, unter der Wahnvorstellung, das Wichtigste seien immer neue Gesetze, und mit denen lasse sich das Handeln der Menschen halbwegs zuverlässig steuern, planen und voraussehen. Die Forschung über die Auswirkung geplanter Gesetzesänderungen steckt in den Kinderschuhen. Von erfahrenen Steuerberatern und geläuterten Steuerhinterziehern, die sich im Vorfeld im Auftrag der Gesetzesmacher die gemeinsten Steuertricks ausdenken und ausprobieren, hört man nie was. Ob’s die überhaupt gibt?
Jedenfalls liest und hört man doch niemals von grossangelegten Simulationen geplanter Gesetzänderungen. Mit anderen Worten: Niemand weiss, und niemand kümmert sich darum, wieviel nach dem Kirchhofumsturz in die Staatskasse fliessen wird. Werden wir uns noch die vielen Minister und Staatssekretäre leisten können? Was ist mit Besuchen des US-Präsidenten? Wie sollen wir die Munition bezahlen, um unter afghanischen Bürgerverbrechern aufzuräumen? Wovon Cracks wie Oberst Klein bezahlen? Ja, da heisst’s sparen! Da müssen eben auch mal die Faulpelze und Tagediebe vom Hartz IV ran!
Ob der Herr Kirchhof wohl weiss, dass die Staatseinnahmen bis auf einen verschwindend geringen Teil aufgrund langfristiger gesetzlicher Regelungen fest verplant sind und die Begünstigten Rechtsansprüche auf diese Leistungen haben? Zum Beispiel der Herr Kirchhof auf sein Gehalt! Keine Regierung, nicht mal die tolle mit Herrn Kirchhof als Kanzler, könnte je sicherstellen, daß der Staat nach einer radikalen Umstellung des Steuerrechts noch genug Knete einfährt, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können.
Und wozu das Ganze? Der einzige Effekt ist doch der, dass man Nutzen und Schaden der einzelnen Absetzmöglichkeit nicht mehr prüfen muss. Aber: Gibt es nichts mehr abzusetzen, müssen eben die Einnahmen runter, sagte der Steuerberater und ersann in Windeseile die schönsten Modelle zum Steuersparen durch Miniaturisierung der Einnahmen. Jetzt geht’s nicht mehr nur Herrn Kirchhof an die Pension, jetzt können Fluglotsen, Feuerwehrleute und Krankenhausärzte in die Röhre gucken. Brauchen wir alle nicht, meint Herr Kirchhof. Verdienen sowieso viel zu viel. Und arbeiten nichts.
Jaaa, wird argumentiert, das ist doch alles Quatsch. Wir haben doch den neuen Steuersatz so kalkuliert, dass die Staatseinnahmen am Ende genau so hoch wie bisher bleiben. So blöde sind wir auch nicht!
Nur – was wird da verglichen? Die realen, bisherigen Staatseinnahmen, in denen natürlich auch alle gelungenen Hinterziehungen und Tricks stecken, und die fiktiven künftigen nach dem neuen System, bei denen niemand weiss, zu welchen Tricks sie animieren.
Eins ist allerdings klar: Die Einnahmenseite ist für den Staat viel schwerer zu überprüfen als die absetzbaren Ausgaben, denn letztere muss der Steuerbürger beweisen und belegen – Mehreinnahmen über die deklarierten hinaus dagegen der Staat. Prompt vergrössert sich die Schattenwirtschaft. Schönster Knalleffekt dabei: Da die Bereitschaft zur Schwarzarbeit logischerweise bei nicht steuerlich absetzbaren Leistungen viel höher ist als bei absetzbaren, für die man eine Rechnung braucht, fördert das Streichen aller Absetzmöglichkeiten zwangsläufig und heftig die beliebte Arbeit „ohne Rechnung“ – denn die brauch ich ja nicht mehr. Gute Nacht!
(Fotos: FeuilletonFrankfurt)