Die „Türckische Cammer“ in Dresden
Selbst auf dem Kriegsschauplatz höfische Pracht
Die „Türckische Cammer“ in Dresden
Von Renate Feyerbacher
Im März 2010 wurde die „Türckische Cammer“ im Dresdner Residenzschloss feierlich eröffnet. Ihr Bestand ist eine der prachtvollsten Sammlungen ihrer Art. Beutestücke aus Schlachten gegen die Osmanen, gegen das osmanische Reich, zu dem nicht nur Türken, sondern auch Kurden, Georgier und Armenier gehörten, erzählen von der Faszination des Orients.
Residenzschloss Dresden, Innenhof, Foto: Kolossos, wikimedia commons GFDL
Das Augusteische Zeitalter
In allem war er masslos: im Essen, im Trinken, im Sex und in der Sammelleidenschaft, die uns Nachgeborenen heute zugute kommt. Die Rede ist von Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen, besser bekannt als August der Starke (1670 bis 1733). Er wurde 1694 – nach dem plötzlichen Tod seines älteren, kinderlosen Bruders, Kurfürst Johann Georg IV., durch eine Blattern-Epidemie – Herrscher über die Sachsen und 1697 als König August II. von Polen gekrönt. Dazu hatte er die polnischen Adeligen kräftig bestochen und war zuvor, obwohl er Oberhaupt der evangelisch-lutherischen Landeskirche war, zum Katholizismus übergetreten. Der polnische König musste katholisch sein. Sachsen verlor dadurch die Führungsrolle unter den evangelischen Reichsständen, aber die Religionsfreiheit blieb garantiert. In religiösen Fragen handelte August äusserst pragmatisch. Selbst die Kaiserkrone strebte er an.
Seine Ehefrau blieb eine überzeugte Protestantin. Nie betrat sie polnischen Boden.
Pompös nach seinem Vorbild König Ludwig XIV. von Frankreich präsentiert sich der Kurfürst und König auf einem Wandbild, dem „Fürstenzug“ am Langen Gang des „Stallhofs“ des Residenzschlosses, das Wilhelm Walther als Sgrafitto 1876 vollendete. Da es schnell verwitterte, wurde es Anfang des letzten Jahrhunderts auf 25000 Fliesen aus Meißner Porzellan übertragen und überstand 1945 fast unbeschadet die Bombennacht.
Recht kühn sieht er aus, dieser Kurfürst, aber die Rolle des grossen Feldherrn, die von ihm erwartet wurde, erfüllte er nicht. 1702 wurde das sächsisch-polnische Heer nördlich von Krakau und wenige Jahre später erneut bei Fraustadt durch die Schweden besiegt. August verlor sogar zeitweilig die polnische Krone, die er erst 1716 zurück erhielt. An den weiteren Kriegshandlungen der Nordischen Kriege, die noch fünf Jahre dauerten, war das sächsische Heer kaum noch beteiligt.
„Goldener Reiter“: Reiterstandbild (1732/1736) August des Starken von Ludwig Wiedemann auf dem Dresdner Neumarkt, Foto: © Renate Feyerbacher
Ein cleverer Unternehmer, Waffennarr und Kunstliebhaber war der Kurfürst. Er lässt die Porzellanmanufaktur Meißen gründen, nachdem Johann Friedrich Böttger (1682 bis 1719) die Herstellung von Porzellan gelungen war, ebenso die Olbernhauer Waffenschmiede. Er beschäftigt unter anderem die Barockarchitekten George Bähr (1666 bis 1738), der die Frauenkirche erbaut, und Matthäus Daniel Pöppelmann (1662 bis 1736), der ihm den herrlichen Zwinger entwirft. Balthasar Perlmoser (1651 bis 1732) kommt als Hofbildhauer in die Residenzstadt. Der bedeutendste Orgelbauer seiner Zeit, Gottfried Silbermann (1683 bis 1753), ist nicht nur in Dresden, sondern in den Kirchen ganz Sachsens aktiv. Die Italienische Oper gelangt auch in Dresden zu höchster Blüte.
Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) wirkt in Leipzig, von wo aus – nach Heidelberg – auch das Universitätswesen in Deutschland seinen Anfang nimmt.
Der Sohn August des Starken, sein Nachfolger Friedrich August II. Kurfürst von Sachsen und König August III. von Polen, führt dieses Mäzenatentum weiter. Ihm ist der Reichtum der Gemäldegalerie Alter Meister zu verdanken.
August der Starke, ein Orient-Begeisterter
Die „Türckische Cammer“ ist kein neues Museum im Dresdner Residenzschloss, sondern Teil einer historischen Sammlung, die bisher in der Rüstkammer ihr Zuhause hatte. Sie ist eine authentische Neuerfindung, die mit den Ausstellungen der anderen Räume: der Rüstkammer, des „Neuen Grünen Gewölbes“, des „Historischen Grünen Gewölbes“ und den Festräumen, deren Gestaltung noch geplant ist, den höfischen Prunk und Glanz des Barock und der Renaissance im Residenzschloss präsentieren soll.
Türckische Cammer, Residenzschloss Dresden, Wandvitrine im Aufbau: osmanische Waffen des 16. Jahrhunderts u. v. m., © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Foto: Hans-Peter Klut und Elke Estel
Der Name „Türckische Cammer“ wurde erstmals 1614 genannt. Die Sammlung geht also nicht auf August den Starken zurück, sondern hat ihre Wurzeln schon im 16. Jahrhundert. So erhielt Kurfürst Christian I. zu seiner Machtübernahme orientalische Geschenke, vor allem Prunkwaffen, die aus Italien kamen, und immer mehr diplomatische Präsente kamen hinzu. Besondere Kostbarkeiten der frühen Sammelzeit sind die Bögen mit Originalbespannung von 1586 und faltbare Ledertrinkbecher.
Türckische Cammer, Residenzschloss Dresden, Foyer, Johann Geord Spiegels diplomatische Mission 1712 bis 1714, Zeltfragment, Schnappschlossgewehr, Sättel, Steigbügel, Pusukan (Streitkolben), Karbatsche (Peitsche), © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Foto: David Brandt
Woher kam diese Leidenschaft für osmanische Waffen und Gegenstände? Denn befreundet waren sie ja nicht, die Osmanen mit den Habsburgern und den Sachsen. Die erste Belagerung Wiens durch die Türken war 1529, die zweite 1683, bei der die sächsischen Truppen Seite an Seite mit den kaiserlichen kämpften und siegten. In den Jahren danach kam es immer wieder zu Kämpfen, aber August der Starke, Befehlshaber des kaiserlichen Heers, war zunächst nicht siegreich, erst wieder 1698 mit seinem polnischen Heer. Der Frieden von Karlowitz stand bevor. Als „Türkenbezwinger“ liess er sich feiern.
Freundschaft ist also nicht das Motiv der grossen Sammelleidenschaft. War sie nur eine Marotte absolutistischer Herrscher? Bewunderung des Feindes? War sie ein Modegag der Zeit? Von „Türkenmode“ war die Rede. Zeitweilig verkleidete sich der Kurfürst als Sultan. Die Figur hatte er dazu. Oder war es doch schon der Beginn eines Kulturaustausches? Turgut Saner, Wissenschaftler an der Universität Istanbul, glaubt das nicht: „Formen eines imaginären Orients werden niemals ein ernsthafter Teil der visuellen Kultur Europas“, umgekehrt gehen „europäische Formen im Osmanischen Reich hingegen … über eine blosse Mode hinaus“. Ein einseitiger Kulturaustausch? Peter-Klaus Schuster, ehemaliger Generaldirektor der Staatlichen Museen in Berlin, formuliert es so: „In Dresden ist Weltkultur als Hofkultur sesshaft geworden.“
Impressionen wie bei 1001 Nacht
Im ersten Raum, der Sammelleidenschaft August des Starken gewidmet, schlägt den Besucher sofort ein lebensnah gestalteter Araberhengst in seinen Bann. Prächtig ist sein Zaumzeug. Pferde und Kamele, aber auch orientalische Ankäufe und Geschenke hatte er seine Kammerdiener in der Türkei erwerben lassen.
Sechzig Pferde wurden im kurfürstlichen Stallgebäude gehalten. Sie wurden so bewundert und geschätzt, dass hölzerne Ebenbilder nach genauen Farbangaben, Merkmalen etc., die man auch schriftlich festhielt, geschaffen wurden. Im Laufe der Jahrhunderte reduzierte sich die Zahl dieser Holzexemplare, die letzten verbrannten 1945.
Nun wurden wieder für die Türckische Cammer Pferde, jedes ein Unikat, originalgetreu laut Aufzeichnungen durch den Bildhauer Walter Hilpert geschnitzt. Acht sind in der Ausstellung zu sehen, geschmückt mit prächtigem Reitzeug.
Türckische Cammer, Residenzschloss Dresden, Bärengartenflügel, osmanische und orientalisierende Waffen des 16. und 17. Jahrhunderts; links: Rossharnisch und Panzerhemd (spätes 15./Anfang 16. Jahrhundert), rechts: Reitzeug Johann-Michael-Garnitur (Prag 1610 bis 1612), © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Foto: David Brandt
Die abgedunkelten Räume, die fast nächtliche Atmosphäre, die das Dresdner Architektenbüro Peter Kulka gestaltete, vermitteln orientalische Faszination. Das reduzierte Licht schont die textilen Exponate. Andere werden durch gezieltes Licht besonders hervorgehoben. Wunderbar heben sich die Objekte vom dunkelblauen Hintergrund ab. Allerdings erschlägt ihre Fülle den Besucher.
Höhepunkt dieser auf rund 750 m² Ausstellungsfläche präsentierten, etwa 600 Objekte wie kostbarste Prunkreitzeuge, Panzerhemden, Helme, Fahnen, Waffen, Gewänder und Kunstwerke umfassenden Schau ist der dritte Raum, eine lange Galerie. Hier sind die zwei reich verzierten Wesir-Zelte aus dem Besitz August des Starken zu bewundern. Jetzt glaubt man wirklich, in 1001 Nacht einzutauchen – nach all den vielen waffenklirrenden Objekten ein wirkliches Erlebnis. Entspannung und Bewunderung kommt in diesem – wie ein osmanisches Heiligtum anmutenden – Zelt auf.
Türckische Cammer, Residenzschloss Dresden, Zeltgalerie: das grosse Dreimastzelt (20 m lang, 8 m breit, 6 m hoch), osmanisch, 17. Jahrhundert, © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Foto: David Brandt
Ein Fest für die Augen ist das zwanzig Meter lange, acht Meter breite und etwa sechs Meter hohe Hauptzelt, dessen Innenraum mit flächendeckenden Blütenranken, blütengefüllten Medaillons und goldenen Wolkenbändern verziert ist.
Diese Ausschmückung nimmt Bezug auf die Gärten des Paradieses, wie es Muslime sich vorstellen. Applikationen aus verschiedenfarbigem Atlas, aus Baumwolle und aus vergoldetem Leder sind die Materialien.
August der Starke brauchte das Zelt zum Repräsentieren und Feiern, wohl kaum zum paradiesischen Meditieren. Glanzvolle Feste waren die Hochzeit seines Sohnes mit der Kaisertochter 1719 und elf Jahre später seine grosse Truppenschau, das so genannte Zeithainer Lager, an dem König Friedrich Wilhelm I. von Preussen wie auch Janitscharen und Ulanen teilnahmen. Sie waren ausgerüstet mit osmanischen und sächsischen Waffen, angefertigt in lokalen Werkstätten im orientalischen Stil.
Türckische Cammer, Residenzschloss Dresden, Zeltgalerie: das grosse Dreimastzelt (20 m lang, 8 m breit, 6 m hoch), osmanisch, 17. Jahrhundert, © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Rüstkammer, Foto: David Brandt
Wie konnten diese Zelte die Jahrhunderte und vor allem den Zweiten Weltkrieg überdauern? Bis 1939 wurden sie im Lichthof des Johanneums gezeigt, dann verpackt und ausgelagert und waren 70 Jahre lang der Öffentlichkeit verborgen.
Von Oktober 1994 bis März 2009 wurden die Zelte von fachkundigen Textilrestauratorinnen in der Paramentenwerkstatt der Veltheim-Stiftung in Helmstedt unter Leitung von Friederike Ebner von Eschenbach restauriert. Bis zu 34 Mitarbeiterinnen waren an den Zelten beschäftigt. Londoner Textilrestauratoren hatten zuvor den Auftrag abgelehnt, weil sie ihn für unausführbar hielten. Wie neu erscheinen die floralen Ornamente. 38 Restaurierungsgemeinschaften haben insgesamt an den Exponaten der Türckischen Cammer gearbeitet.
Ein Lob verdient der Oberkonservator der Rüstkammer, Holger Schuckelt. Die Neuschaffung der Türckischen Cammer ist sein Lebenswerk. 20 Jahre hat der Dessauer, studierter Orient-Archäologe, geforscht und geplant, gesucht und zusammengetragen (denn die Exponate waren auf mehrere Depots verteilt), beauftragt und mitgestaltet. Eine Meisterleistung.
Fürstenzug, Residenzschloss Dresden, Stallhof, Langer Gang, nach dem 1876 vollendeten Sgraffito von Wilhelm Walther neu hergestellt von der Königlichen Porzellan-Manufaktur Meißen 1905-1906, Foto: © Renate Feyerbacher
Die Darstellung zeigt Johann Georg IV., Friedrich August I. bzw. König August II. von Polen sowie Friedrich August II. bzw. König August III. von Polen.