Der Teppich von Bayeux
Gestickte Kriegsgeschichte des 11. Jahrhunderts – Der Teppich von Bayeux
Text und Fotografien: © Renate Feyerbacher
Das Original ist im Frankfurter Archäologischen Museum nicht zu sehen. Denn das archäologisch-historische Welterbe aus dem 11. Jahrhundert darf aus konservatorischen Gründen nicht transportiert werden. Es grenzt überhaupt an ein Wunder, dass dieses textile Bilddenkmal des frühen Mittelalters, der „Teppich von Bayeux“, nach fast eintausend Jahren in einem so guten Zustand ist. Er befindet sich heute noch an dem Ort, für den er geschaffen wurde: im normannischen Bayeux – zwar nicht mehr im Dom, der 1077 eingeweiht wurde und für den er wahrscheinlich bestimmt war, sondern seit über 60 Jahren im Centre Guillaume le Conquérant hinter schützendem Glas.
Wilhelm spricht seinen Truppen Mut zu, als Helden zu kämpfen
In der Ausstellung „Die letzten Wikinger“ zeigt das Archäologischen Museum Frankfurt die vollständige Wiedergabe des Bildteppichs als Grossdiapositiv in halber natürlicher Grösse.
Das Original: Der ursprünglich über 70 Meter lange und zwischen 48 und 53 Zentimeter hohe Wandbehang erzählt in 58 Szenen englisch-normannische Geschichte zwischen 1064 und 1066, Kriegsgeschichte. Das Ende des Teppichs fehlt. Vermutlich würde die letzte Szene die Krönung des Normannenherzogs Wilhelm – des Eroberers – zum König von England zeigen.
Offizielle Verhandlungen zwischen Wilhelm und Harold
Die Normannen, auch Wikinger genannt, Bewohner Skandinaviens, eroberten als Seeräuber und Kaufleute vom Ende des 8. bis Mitte des 11. Jahrhunderts Westeuropa. Dänische Wikinger überfielen England und drangen in die Normandie ein. 1066 versuchte der norwegische König Harald III. Hardrade, England zu erobern. Der englische König aus anglodänischem Haus Harald (Harold) II. Godwinson besiegte und tötete ihn. In dieser Schlacht fiel auch Tostig, sein Bruder, der auf Seiten der Norweger kämpfte. Nur drei Wochen später liess dieser Harald II. Godwinson in der berühmten Schlacht von Hastings im Jahre 1066 sein Leben. Sieger war der normannische Herzog Wilhelm, der spätere englische König, dessen Vorfahre auch ein Wikinger war. Alles nur Verwandtschaftskriege mit vielen familiären Toten.
Eduard beauftragt Harold
Von Eduard, Wilhelm I. und Harold II. Godwinson erzählt die Bildergeschichte des Wandteppichs. Sie beginnt im Jahre 1064. Da schickt der englische König Eduard (Edward), der Bekenner, den Earl (Jarl) Harold, zu Herzog Wilhelm in die Normandie mit der Nachricht, dass er diesen zum Nachfolger auf dem englischen Thron bestimmt hat. Eduard war ein Cousin von Wilhelms Vater.
Harold begibt sich zur Küste
Die Schiffe Harolds geraten in einen Sturm. Er wirft sie an feindliches Ufer. Der dortige Graf, Wilhelm abtrünnig, nimmt Harold gefangen. Die sich bauschenden Segel zeigen die stürmische Überfahrt.
Der Wind wirft die Schiffe ans Land des Grafen Guy de Ponthieu
Herzog Wilhelm erwirkt durch Verhandlungen seiner Unterhändler mit dem Grafen von Ponthieu schliesslich Harolds Freilassung. Diesem verspricht Wilhelm nach dessen Ankunft sogar seine Tochter Aelfgyve zur Heirat. Diese Szene zeigt eine der drei einzigen, weiblichen Figuren des Teppichs.
Aelfgyve, Tochter von Wilhelm, wird Harold zur Heirat versprochen
Es kommt zum Krieg zwischen dem normannischen Herzog Wilhelm und dem bretonischen Herzog Da Conan. Harold zieht mit Wilhelm in den Krieg. Das normannische Heer erobert die Stadt Dinan.
Angriff auf Dinan
Der Treueid – ein Meineid
In die Normandie zurückgekehrt, schlägt Wilhelm seinen Mitstreiter Harold zum Ritter und dieser schwört auf den Reliquienschreinen von Bayeux den Treueid. Somit verpflichtet Wilhelm, seinen ärgsten Konkurrenten um den englischen Thron, seiner Treue. Diese Szene des Teppichs ist eine Schlüsselszene. Wilhelm thront breit und übergross mit seinem Schwert, das er wie ein Zepter hält. Mit der linken Hand gebietet er, Harold den Eid zu leisten.
Auf zwei Reliquienschreinen leistet Harold Wilhelm seinen Eid
Der Engländer wendet sich dem Herzog zu und schwört mit beiden ausgestreckten Armen auf zwei Reliquienschreinen. Der für den Herzog sichtbare Schwur ist für die Eidablegung korrekt, aber mit der linken Hand täuscht er, sie sagt nichts aus. Harold leistet einen Meineid. Der linke Schrein wird von einem glatt herunter hängenden, grünen Brokat verziert, der rechte hat einen blutroten, unruhig flatternden Umhang – ein Hinweis auf Zukünftiges.
Anfang des Jahres 1066 stirbt Eduard, der übrigens auf dem Sterbebett dem Drängen der Edeln nachgegeben haben soll, Harold als seinen Nachfolger zu bestimmen.
Der Leichnam Eduards wird zur Sankt Peterskirche getragen
Harold lässt sich zum König krönen. Aber der kurz danach erscheinende Halleysche Komet verkündet Unheil. Es ist die erste bildliche Darstellung dieses Gestirns. Als Wilhelm von der Krönung erfährt, gibt er den Auftrag zum Bau einer Flotte, um in England an Land zu gehen. Noch im gleichen Jahr stechen die Schiffe in See.
Die Flotte sticht in See in Richtung England
Die folgenden zehn Szenen erzählen vom Landgang, davon, dass die Schiffe durch Pferde gezogen wurden. Ein Oberaufseher bewacht die Köche. Es wird Fleisch gebraten und Geflügel serviert. Beim Ehrenmal ist Wilhelm von seinem Halbbruder, dem Bischof Odon umgeben, von dem angenommen wird, dass er den Auftrag gab, den Teppich zu sticken. Er ist immer wieder in entscheidenden Bildern vertreten. Ein Lager wird gebaut, ein Haus niedergebrannt, das dem normannischen Heer im Wege steht, dann rüstet sich Wilhelm zum Kampf mit Harold. Die Normannen rücken in Schlachtordnung vor.
Die Normannen rücken in Schlachtordnung vor
Harold wird in der entscheidenden Schlacht von einem Pfeil im Auge getroffen. Der letzte angelsächsische König stirbt. Wilhelm und seine Normannen siegen am 14. Oktober 1066 in der Schlacht bei Hastings über die Angelsachsen. Äusserst grausam muss diese Schlacht gewesen sein, die neun Stunden gedauert haben soll. Wilhelm wird zum König von England erhoben.
14. Oktober 1066: Schlacht bei Hastings; der Sieg über die Angelsachsen macht Wilhelm zu „Wilhelm dem Eroberer“
Künstlerische Ausführung
1982 konnte die Rückseite des „Teppichs von Bayeux“ näher untersucht werden. Es wurde gesehen, dass die Stickarbeiten mit Wollgarn in zehn Farben ausgeführt und auf neun Leinwandbahnen genäht wurden. Verschiedene Stichtypen wurden erkannt.
Vermutlich hat der Künstler zehn Jahre zur Herstellung des Teppichs gebraucht. Die direkten Kenntnisse von der Schlacht lassen vermuten, dass der Entwurf von einem Mann war. Er scheint das „Gospel Book of St. Augutine“ in der Abtei von Canterbury gekannt zu haben. Seine Stilmittel lassen das vermuten. Ausgeführt wurde das Werk jedoch von mehreren Personen.
Letzte Mahlzeit auf englischem Boden
Körpersprache und Handlung sind mit tiefem psychologischen Verständnis wiedergegeben, und der Zeichner weiss genau, was jede der einzelnen Personen ausdrücken soll – und sie tun es auch! „Man ist von der Würde einer Kirchenprozession zur Körpersprache des Theaters übergegangen, so dass man in den Bildern beinahe die Worte hören und die Antworten und Gedanken lesen kann“, so heisst es im Kapitel „Hand und Gestus auf dem Teppich von Bayeux“ des Begleitbuches. Der Wandbehang ist zusätzlich mit lateinischen Texten versehen und wird an den Rändern von Ornamenten und Tierdarstellungen eingerahmt.
Faszinierend ist die Gestik der Hände. Die Finger sind feingliedrig. Gebietende, abwehrende, gestikulierende, aggressive Fingerzeige sind deutlich auszumachen. Es geht um Macht. Gebeugte Schultern zeigen die Stellung des Handelnden.
Harold erstattet dem König Bericht über seine Botschaft in der Normandie
In dieser Szene tritt Harold nach seiner Rückkehr aus der Normandie vor Eduard, der gebieterisch mit seinem Zeigefinger auf ihn deutet, und Harold wirkt unterwürfig, demütig, verunsichert. Ist es die Haltung eines Verschwörers mit schlechtem Gewissen? „Der Künstler des Bayeux-Teppichs hat hier auf sehr subtile Weise einen Mann wiedergegeben, der sich noch für eine Handlung verantworten muss, die ihm nicht zur Ehre reicht,“ interpretiert der Text im Katalog.
Die beiden Gruppen sind durch ihre Frisuren deutlich zu unterscheiden: Bei den Angelsachsen reicht das Haar bis unter die Ohren und bis in die Stirn. Die Normannen haben den Nacken rasiert. Auch in der Kleidung unterscheiden sich die Parteien. Ethnische und soziale Unterschiede werden deutlich. Zum Beispiel: die Gewänder der Mächtigen haben gestickte oder angewebte Borten.
Um alle diese Feinheiten des Teppichs zu sehen und zu erkennen, müsste man nach Bayeux reisen, um das Original zu sehen. Dennoch – auch die fotografische Reproduktion des „Teppichs von Bayeux“ im Archäologischen Museum Frankfurt motiviert, sich mit diesem von der UNESCO anerkannten Weltkulturerbe auseinanderzusetzen. Dabei hilft auch das Begleitbuch „Die Letzten Wikinger: Der Teppich von Bayeux und die Archäologie“ . Faszinierend und spannend ist die Beschäftigung mit der Geschichte der Wikinger, ihrem Schiffbau, ihrer Kultur, ihrem Jagdwesen und ihrem Kriegshandwerk. Das Museum bietet – noch bis zum 14. März 2010 – immer wieder spezielle Vorträge, Führungen und Kurse, auch für Kinder.
Archäologisches Museum Frankfurt, Karmelitergasse 1, 60311 Frankfurt am Main.
(Grossdiapositive © Archäologisches Museum Frankfurt/Bildrechte: Stadt Bayeux)
14. Februar 2010 19:56
Sehr gut beschrieben, denn der besuch des originals
war mir bisher nicht geglückt. Schöner ersatz.