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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Meine Buchmesse

Fünf Tage leben auf einem anderen Stern

Text und Fotografien: © Ingrid Malhotra
Buchautorin und Fotografin

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Heute war der erste Tag.

Vorherrschender Eindruck: meine Füsse tun weh!

Nein, daran darf ich nicht denken, wie unwichtig, wie trivial, wie banal!

Aber wenn sie doch so weh tun! Sie drängen sich wirklich sehr in den Vordergrund …

Also, noch einmal von vorn – vorherrschender Eindruck: Es gibt nur Menschen, die sich mit Büchern befassen. Es gibt Autoren, Lektoren, Verleger, Kritiker … Nichts anderes existiert mehr.

Und alle hasten, drängeln, eilen. Bis auf die, welche mit langen Gesichtern an ihren Ständen sitzen, und alles hastet, drängelt, eilt vorbei.

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Es fing ja ganz gemütlich an mit einer Preisverleihung der GAD, der Gastronomischen Akademie Deutschlands für besonders gelungene Kochbücher. Man traf alte Bekannte, knüpfte neue Kontakte, bewunderte das eine Buch und lächelte über ein anderes. Aber dann kam die Hiobsbotschaft! Auf der A3 sind die Wildschweine los, viele werden sich verspäten, alles steht still.

Und dabei hatte ich mir die Zeit voller Vorfreude so gut eingeteilt. Nach der Preisverleihung ein gutes Glas Wein und irgend etwas Wunderbares zum Essen, dann gemütlich über die Buchmesse schlendern. Schon mal schauen, wen man kennt, was es Neues gibt, was die Konkurrenz so treibt. Ob in Halle 8 nicht doch wieder der Verlag zugange ist, der früher so nett Probedrucke zum Mitnehmen ausgelegt hat.

Es tat weh, aber das Essen musste ausfallen!

Buchmesse geht vor – vor allem, wenn zuhause ein Hund sitzt, der möglicherweise platzt, wenn man zu lange weg bleibt.

Also, statt genüsslicher Mahlzeit schnell ins Auto, in die Tiefgarage unter dem Congress Center und hinein ins Gewühl.

Erst mal in Halle 8 – keine Probedrucke! Aber viele interessante Neuerscheinungen. Natürlich habe ich weder Zettel noch Stift dabei, muss also Verlagskataloge schleppen, damit ich nicht vergesse, was ich mir alles kaufen will.

Dann haste, drängle, eile ich in Halle 4 – hier gibt es so viel Interessantes, dass ich mich total verlaufe. Nachdem ich mit der Sichtung der Hörproben fertig bin, finde ich aber immerhin noch die Ecke mit den antiquarischen Büchern. Dort könnte ich eigentlich übernachten. Was sind die schön!

Aber der Hund …

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Inzwischen ist es höchste Zeit. Den Besuch in Halle 3 verschiebe ich auf morgen und haste zum Ausgang ins Congress Center. Aber dort ist die Welt verriegelt und verrammelt. „Hier komme Se heut nemmer dursch!“

Sollte mein erster Eindruck richtig gewesen sein – es gibt nur noch die Welt hier drinnen?

Nein, draussen stehen viele starke Men in Black und bewachen viele Limousinen – irgendwelche VIPs sind gekommen und zwingen mir einen gewaltigen Umweg auf.

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Zweiter Tag:

Heute habe ich in der FAZ gelesen, wer mir und vielen anderen diesen Riesenumweg aufgezwungen hat: Köhler und Gül, na ja.

Ausserdem hat Michael Hierholzer, auch in der FAZ, mich von meinem Irrglauben befreit, dass alle anderen hier wissen, wo sie hin wollen oder müssen. Heute habe ich dann auch erfreut festgestellt, dass viele beim Hasten, Eilen, Drängeln doch recht verwirrt aussehen – so, als wüssten sie nicht wohin, aber dahin dann doch bitte schnell! Genau wie ich.

Heute habe ich gewaltig gesucht – ich dachte ja, dass ich hier eine Gelegenheit finden würde, einmal alle derzeit auf dem Markt befindlichen e-books in die Hand zu nehmen, die Wiedergabequalität zu begutachten, die Grösse und das Gewicht; bin also zielstrebig hinauf in Halle 4.2 zum Forum Innovation – nichts! Weiter zum Digital Market Place – auch nichts. Niemand wusste etwas. Irre ich mich so sehr? Ich hätte doch gedacht, dass die Buchmesse der richtige Ort ist, um solche Innovationen unverbindlich vorzustellen und einem breiten Publikum die Möglichkeit des Vergleichs zu bieten …

Schade eigentlich.

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Und immer wieder tolle Ausblicke durch die Glaswände der Verbindungsgänge, architektonische Messeüberraschungen, Spiegelungen – draussen regnet es. Hier drinnen ist es warm.

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Ich ging dann hinunter in die Kochbuchabteilung und habe nach bestem Wissen und Gewissen Networking betrieben – noch ein paar alte Bekannte getroffen, noch ein paar neue Kontakte geknüpft; vielleicht nützt es ja, und es kommt ein Auftrag dabei heraus? Ich würde doch so gerne mal wieder ein Kochbuch schreiben, das macht einen Riesenspass und gibt mir eine gute Ausrede, mich ab und zu einmal richtig satt zu essen.

Dann ging es weiter zum Forum, wo sich dieses Jahr die Türkei literarisch vorstellt.

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Wunderschöne alte Handschriften, links viele Grossfotos wohl von Altmeistern der türkischen Literatur (die Bildunterschriften zu lesen, war ich leider zu faul!). Viele würdevolle, bedeutungsvolle alte Männer und ein paar wenige Frauen. Dann kam ich auf die andere Seite: auch hier Männer, aber darunter nur wenige, die offensichtlich schwer an ihrer eigenen Bedeutung zu tragen hatten, viele junge, denen ihre Bedeutung unübersehbar egal war, solange sie nur sagen konnten, was sie zu sagen hatten – und ganz, ganz viele Frauen …

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Wie erfrischend! Vielleicht gibt es ja doch Fortschritte.

Und dann fand ich etwas sehr Durchdachtes, was viel Spass machte und mich leider ein kleines Vermögen kosten wird: viele, viele Regale mit Büchern türkischer Autoren in verschiedenen Sprachen. Man konnte sie anschauen, man konnte ein paar Zeilen oder auch Seiten lesen – und jetzt habe ich eine lange Liste von Büchern, die ich unbedingt lesen will!

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Dritter Tag:

Gestern Abend habe ich noch einmal im Internet nachgesehen, denn die Geschichte mit den e-books liess mir keine Ruhe und tatsächlich, es gab etwas – nur nicht da, wo ich es erwartet hätte. Zuerst fand ich den iRex, der schon einen recht guten Eindruck macht, noch ein bisschen schwer, aber Buchformat, und man kann bequem handschriftliche Notizen machen. Den könnte ich mir als Reiselektüre gut vorstellen. Und dann gibt es unten in 4.0 noch einen Stand, an dem verschiedene e-books angeschaut werden können. Er ist heiss umlagert, aber durch Lücken im Gedränge und über die Schultern aller anderen hinweg kann ich doch sehen, dass mir da keines gefällt: vor allem zu klein. Man ist nun mal als Leseratte an bestimmte Buchformate gewöhnt, und einen Roman in Spickzettelgrösse lesen – nein, das würde mir keinen Spass machen. Das ist wohl eine Anschaffung, die noch warten muss, bis die verschiedenen Modelle ausgereift sind – und etwas günstiger im Preis!

Heute habe ich auch endlich Zeit, die Hallen 5 und 6 mit den meisten internationalen Verlagen anzuschauen. Spannend! Am chinesischen Gemeinschaftsstand fallen mir viele Faltblätter zu Tibet auf. Darin rühmen sie, wie viel sie in Tibet für den Naturschutz, die wirtschaftliche Entwicklung, das Schulwesen getan haben und noch immer tun, und wie viel besser es den Tibetern heute geht als vor der „friedlichen Befreiung“.

Auf dem blauen Sofa zwischen den Hallen sitzt jede halbe Stunde ein anderer Autor oder sonstiger Literat und äussert seine Meinung zu irgendeinem Thema. Nahe dabei sitzen die Autoren, die schon durch sind, und warten auf Leser, die von ihnen ein Buch signiert haben wollen. Der Andrang ist nicht so sehr gross, wann immer ich vorbei komme. Und sie sehen auch nicht alle so richtig glücklich aus …

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Aber immerhin, sie sind gedruckt und veröffentlicht, das ist doch auf jeden Fall ein Grund zur Zufriedenheit. Wie viele Autoren, die hier herumlaufen, können davon nur träumen?

Und heute scheint draussen die Sonne – viele schöne Fotogelegenheiten …

Vierter Tag:

Ich denke, den Samstag lasse ich aus. Erstens tun meine Füsse inzwischen richtig sehr weh, und zweitens ist das der erste Publikumstag – keine Gelegenheit mehr für Gespräche, aber dafür um so mehr Betrieb, Gedränge und Geschiebe; wenn schon die Fachbesucher, die jedes Jahr hier herumstolpern, Orientierungsschwierigkeiten haben, wie soll es dann erst den Lesern gehen? Aber sie werden viel Schönes sehen, ganz egal, wo sie dann landen.

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Fünfter Tag:

Heute geht die Buchmesse zu Ende, und heute muss ich noch einmal hin. Denn heute kann man Bücher kaufen! Nicht überall, aber doch an ausreichend vielen Ständen, um die Mitnahme eines Rollköfferchens erforderlich zu machen. Und selbst, wenn diese Buchmesse keinen Auftrag ergibt – alleine für all die schönen, neuen Bücher lohnt es sich so sehr, hier gewesen zu sein!

Allerdings fielen mir doch ein paar Sachen heute sehr unangenehm auf. Zum einen waren heute, am letzten Tag und einem von nur zwei Publikumstagen, viele Stände nicht mehr besetzt oder gar für Besucher gesperrt. Hie und da war man sogar schon voll mit Einräumen beschäftigt – vor allem in Halle 8, wo es besonders schmerzt, nachdem man vorher eine so intensive Taschenkontrolle durchlaufen musste. Das finde ich ausserordentlich unfair, denn wozu brauchten wir Autoren, Verlage oder Buchhändler, wenn es die Leser nicht gäbe. Ich denke, es wäre Aufgabe der Messe, künftig dafür zu sorgen, dass so etwas nicht passiert. Zum anderen fiel auf, dass die Messezeitung der FAZ – eigentlich eine sehr lobenswerte Angelegenheit – von Tag zu Tag seichter wurde. Sicher wird während der Buchmesse auch kräftig gefeiert – aber ist das wirklich (fast) alles, worauf es den FAZ-Autoren und -Fotografen ankommt?

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2 Kommentare zu “Meine Buchmesse”

  1. Ursula Günther
    25. Oktober 2008 14:21
    1

    Es sieht so aus, als wenn ich nichts versäumt hätte. D a s tröstet!

  2. Lemm Yamina
    1. November 2008 09:15
    2

    Sehr schön geschildert!!!So ist es mir mal
    auf eine Messe in München ergangen von der
    Erzählung.
    LG Lemm