Das neue Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts
Ein Wegweiser in der dualen Rundfunkordnung der Bundesrepublik Deutschland
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts
(Bildnachweis: Bundesverfassungsgericht)
Zugegeben – ich schnitze jetzt ein wenig gröber ins Holz. Aber im Vergleich beispielsweise zu zwei oder drei Redakteuren der FAZ, die seit Jahr und Tag gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk leider meist mit dem Vorschlaghammer wüten, ist mir – und sicherlich auch Ihnen, geneigte Leserinnen und Leser – das Schnitzmesser lieber.
Worum geht es? Um nichts weniger als einen der wertvollsten Schätze des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland – eben den öffentlich-rechtlich verfassten Rundfunk. Dessen unverzichtbare Funktion hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts jetzt mit seinem jüngsten Urteil vom 11. September 2007 ein weiteres Mal überzeugend bestätigt und untermauert.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hatte es seit jeher schwer in Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg und den bitteren Erfahrungen mit dem gleichgeschalteten nationalsozialistischen Propagandarundfunk von den Alliierten gemäss dem Vorbild der britischen BBC eingeführt, missfiel er alsbald mit seiner offensiven und unabhängigen Berichterstattung den herrschenden politischen Kreisen. Dies blieb noch lange so, egal ob bei Schwarz, Rot, Blaugelb oder wem auch immer: Viele Politiker mögen nun einmal keine Kritik, schon gar nicht durch ein so wirkmächtiges Massenmedium wie den Rundfunk. Auch Konrad Adenauer, der verehrte erste Bundeskanzler unserer jungen Demokratie, fand wenig Gefallen an den öffentlich-rechtlichen Landessendern und schon gar nicht an deren Zusammenschluss, der Arbeitsgemeinschaft ARD und dem ersten Fernsehprogramm. Was tat er? Er gründete die Deutschland-Fernsehen GmbH, die in Trägerschaft zunächst der Bundesrepublik mit einem regierungsfreundlichen Programm für die rechte Stimmung im Land sorgen sollte. In seinem europaweit berühmten ersten Rundfunkurteil untersagte das Bundesverfassungsgericht 1961 die Rundfunk-GmbH als verfassungswidrig und legte mit dieser richtungweisenden Entscheidung die Grundlagen für den Fortbestand des freien, unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Von Beginn des Fernsehens an standen auch die Printmedien, namentlich die Zeitungsverleger, auf Kriegsfuss mit der öffentlich-rechtlichen Struktur dieses neuen attraktiven Massenmediums: Sie befürchteten einen Niedergang der Zeitungslandschaft und beanspruchten deshalb ein eigenes Verlegerfernsehen. Da Zeitungsverlage Tendenzbetriebe darstellen, die keinem Gebot zur Ausgewogenheit unterliegen, waren auch diesen Bestrebungen verfassungsrechtliche Schranken gesetzt.
Sieben weitere Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zum Rundfunk folgten bis zu seiner jüngsten, nunmehr neunten Entscheidung. Sie waren notwendig geworden, weil die Länder im Zuge der rundfunktechnischen Entwicklungen – Kabel- und Satellitenverbreitung sowie Digitalisierung – den privatwirtschaftlich-kommerziellen Rundfunk einführten, allerdings unter der Aufsicht öffentlich-rechtlicher Landesmedienanstalten. Es liegt auf der Hand, dass diese privaten Rundfunkveranstalter allein ihre Geschäftsmodelle verfolgen – nämlich mit Rundfunkprogrammen Gewinne zu erzielen – , und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk deshalb als unliebsame Konkurrenz ansehen, die es zu bekämpfen und zu minimieren gilt. Einige händeringend nach der Schaffung neuer Arbeitsplätze strebende Bundesländer unterstützten den kommerziellen Rundfunk nach Kräften und balgten sich geradezu darum, entsprechende neue Standorte für die Medienwirtschaft einzurichten. Dabei vernachlässigten manche nicht selten die Belange des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ihre vorläufigen Höhepunkte fand diese Entwicklung in dem gescheiterten Bemühen der baden-württembergischen und der bayerischen Landesregierung, der ARD ihr seinerzeit erstes Satellitenfernsehprogramm zu verbieten, sowie in dem von der Telekom und der Bundesregierung unterstützten, aber ebenfalls gescheiterten Versuch des Medienmoguls Leo Kirch, mit seinen speziellen Empfangsgeräten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von der künftigen digitalen Programmverbreitung fernzuhalten.
Schliesslich erhofften sich manche Landesregierungen vom kommerziellen Rundfunk eine ihnen genehmere politische Berichterstattung – vergeblich, wie auch sie später einsehen mussten (ausserordentlich lesenswert die Analyse und Bewertung des renommierten FAZ-Journalisten Georg Paul Hefty „Der Fernsehtraum der Union“, FAZ vom 8. Januar 2004).
Das Bundesverfassungsgericht wirkte diesen Trends mit seiner von Entscheidung zu Entscheidung weiter konkretisierten Rechtsprechung entgegen: Es erklärte den kommerziellen Rundfunk unter der Aufsicht öffentlich-rechtlicher Medienanstalten für zulässig, aber nur unter der Voraussetzung, dass in dieser dualen Rundfunkordnung der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine für die umfassende Meinungsbildung im demokratisch verfassten Staatswesen unabdingbaren Aufgaben – Verbreitung von Programmen für alle Teile der Bevölkerung in der ganzen Breite des klassischen Rundfunkauftrags, also Information, Bildung und Unterhaltung – uneingeschränkt erfüllen kann. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprach es deshalb die „Grundversorgung“ der Bevölkerung mit diesem klassischen Programmangebot zu, ferner eine umfassende „Bestands- und Entwicklungsgarantie“.
Schon früh hatte die Politik ein weiteres Mittel zur Hand, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk dennoch in seinen Entfaltungsmöglichkeiten zu beschränken: seine notwendige Finanzierung mit Rundfunkgebühren. Die allgemeine Kostenentwicklung machte natürlich auch vor dem Rundfunk nicht halt, und die Kosten für Film- und Sportrechte stiegen sogar explosiv. Bei ihrer jüngsten Gebührenanpassung – die jetzt Gegenstand des neunten Urteils war – entschieden sich die Länder mit grossenteils verfassungswidrigen Begründungen gegen den Erhöhungsvorschlag der zuständigen unabhängigen Fachkommission. Die entsprechenden Landesgesetze erklärte jetzt das Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz. Dazu betonte das Gericht unter Verweis auf seine frühere Rechtsprechung: „Da das Programmangebot auch für neue Inhalte, Formate und Genres sowie für neue Verbreitungsformen offen bleiben muss, der Auftrag also dynamisch an die Funktion des Rundfunks gebunden ist … , darf der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand in programmlicher, finanzieller und technischer Hinsicht beschränkt werden … Die Finanzierung muss entwicklungsoffen und entsprechend bedarfsgerecht gestaltet werden“.
Der unabhängige, dem Gemeinwohl verpflichtete deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunk wird darüber hinaus seit Jahren von – einer neoliberalistischen Weltanschauung verhafteten – Beamten und Mitgliedern der EU-Kommission bedroht. Diese Kreise wollen oder können sich nicht vorstellen, dass Rundfunk, jedenfall der öffentlich-rechtliche in Deutschland, in vorderster Linie ein kulturelles Ereignis und erst nachrangig ein Wirtschaftsgut darstellt, das dem Wettbewerbsreglement der EU unterworfen werden kann. Rundfunksendungen sind nun einmal etwas völlig anderes als Automobile, Badewannen, Zahnpasta oder Schuhwichse. Sie dürfen deshalb nicht zum Spielball eines ungezügelten Marktgeschehens werden. Die deutschen Bundesländer sehen dies genauso. Aber weitere Konflikte lassen sich nicht ausschliessen. Das neunte wird also nicht das letzte Rundfunkurteil aus Karlsruhe gewesen sein – ungut wäre es allerdings, wenn insoweit der Europäische Gerichtshof ins Spiel käme, bei dem manche besorgt sind, dort eine ebenfalls noch primär von der neoliberalistischen Doktrin geprägte Grundhaltung anzutreffen.
Das Bundesverfassungsgericht gründet seine seit 1961 fortentwickelte Rechtsprechung auf die Rundfunkfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes. Diese komplexe verfassungsrechtliche Materie würde eine eigene Darstellung bedingen. Zum Abschluss deshalb lediglich einige wesentliche Feststellungen des Gerichts in seinem jüngsten Urteil zum kommerziellen Rundfunk:
Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht die „herausgehobene Bedeutung, die dem Rundfunk unter den Medien wegen seiner Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft zukommt“, namentlich die „Möglichkeit der Beeinflussung großer Bevölkerungsteile“. „Rundfunk kann für die Verfolgung nicht nur publizistischer, sondern auch wirtschaftlicher Ziele eingesetzt werden. Der publizistische und ökonomische Wettbewerb führt jedoch nicht automatisch dazu, dass für die Unternehmen publizistische Ziele im Vordergrund stehen“. Weiter betont es, dass „bei einer Steuerung des Verhaltens der Rundfunkveranstalter allein über den Markt das für die Funktionsweise einer Demokratie besonders wichtige Ziel der inhaltlichen Vielfalt gefährdet ist“. Das Gericht sieht die „Risiken einseitiger publizistischer Betätigung und damit Einflussnahme“. „Der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das publizistische Bemühen um die immer schwerer zu gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen beispielsweise häufig zu wirklichkeitsverzerrenden Darstellungsweisen, etwa zu der Bevorzugung des Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand nur das Besondere, etwa Skandalöses, zu entnehmen“.
Das Gericht verweist auf die Gefahren „des erheblichen Konzentrationsdrucks im Bereich privatwirtschaftlichen Rundfunks. Rundfunk wird nicht nur durch herkömmlich ausgerichtete Medienunternehmen veranstaltet und verbreitet. Zunehmend werden im Rundfunkbereich auch andere Unternehmen, neuerdings etwa Kapitalgesellschaften unter maßgeblicher Beteiligung von internationalen Finanzinvestoren tätig. Auch engagieren sich Telekommunikationsunternehmen als Betreiber von Plattformen für Rundfunkprogramme.“ Einher gehen damit „Risiken einer einseitigen Einflussnahme auf die öffentliche Meinungsbildung“.
Das Urteil ist veröffentlicht unter:
www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20070911_1bvr227005.html,
eine zusammenfassende Pressemitteilung des Gerichts fonden Sie unter: www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg07-090.htm.