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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

goEast – Festival des mittel-und osteuropäischen Films in Wiesbaden

Brückenschlag zwischen Ost und West und zwischen den Generationen

von Renate Feyerbacher

Festival-Leiterin Heleen Gerritsen, Foto: Renate Feyerbacher

Am Mittwoch, den 10. April 2019, beginnt zum 19. Mal das bedeutende Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden.

Zehn Spiel- und sechs Dokumentarfilme – darunter sieben Filme von Frauen –  konkurrieren dann um die Goldene Lilie für den Besten Film, was mit 10.000 Euro dotiert ist. Die Wettbewerbs-Filme kommen aus Ungarn, Rumänien, Russland, Kasachstan, aus der Tschechichen Republik – Slowakischen Republik, aus Belarus – Polen, Litauen, Estland, aus der Ukraine – Polen, aus dem Kosovo – aus Albanien – Nordmazedonien. Aserbaidschan kooperiert mit Deutschland und Georgien, die Filme aus Kanada und den Niederlanden mit Bosnien und Herzogowina. Frankreich und Portugal sind ebenfalls beteiligt.

Außer Konkurrenz läuft am Eröffnungsabend der Film „God exists, Her name is Petrunya“ in Anwesenheit der Regisseurin Teona Strugar Mitevska, die aus einer Künstlerfamilieamilie in Skopje stammt. Er erhielt auf der Berlinale den „Preis der ökumenischen Jury“. Die Filmemacherin ist die diesjährige Jury-Präsidentin des Wettbewerbs.

Werke aus acht Jahrzehnten von der Gegenwart bis zurück ins Jahr 1932 kommen auf die Leinwand. Insgesamt sind es 109 Filme aus 39 Ländern, davon 23 Deutschlandpremieren. „Generationskonflikte,“ so Festival Leiterin Heleen Gerritsen bei der Pressekonferenz, „spielen in mehreren Filmen eine Rolle. Überall lehnen sich  Jugendliche gegen die ältere Generation auf. Im Osten wird der Konflikt noch dadurch verschärft, dass die Generationen in unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Systemen aufgewachsen sind“. So stehe das Verhältnis der Jungen zu Familienangehörigen und Autoritäten im Fokus, aber auch die Frage: „warum junge Menschen bereit sind, Opfer zu bringen für ihre politischen Überzeugungen.“

Der neue Film von Krzysztof Zanussi „Ether“ (Äther) aus dem Jahre 2018 ist einer der Deutschland-Premieren – eine Gemeinschaftsproduktion von Polen, Ukraine, Ungarn, Litauen und Italien. Der polnische Filmproduzent und Regisseur, der zunächst in Warschau Physik, in Krakau Philosophie und schließlich Regie an der Filmhochschule in Lodz studiert hat, feiert am 17. Juni 2019 seinen 80sten Geburtstag. Er ist einer der bedeutenden polnischen Film-Regisseure unserer Zeit und goEast widmet ihm in diesem Jahr eine Hommage mit einigen seiner Werke.

Zanussi, der erste Jury-Präsident von go East 2001, 2014 erneut dabei im Rahmen des Symposiums „Nouvelle Vague Polonaise“, stellt sich am Sonntag, den 14. April, im Museum Wiesbaden den interessierten Fragen des Publikums zu Werdegang und Werk. Und abends,  um 18.30 Uhr, wird dort in seiner Anwesenheit der neue Film „Ether“ in polnischer Sprache mit englischen Untertiteln gezeigt.

Es handelt sich um ein psychologisch düsteres Kapitel. Denn es geht in dem Historiendrama um den Missbrauch durch die Wissenschaft. Obwohl die fiktionale Geschichte sich um einen skrupellosen Arzt aus dem Jahr 1912 dreht, hat sie immer wieder aktuelle Bezüge. Mir kamen gleich solche Nazi-Ärzte wie Josef Mengele in den Sinn, der sich nach dem Kriegs durch Flucht entzog, oder Karl Franz Gebhardt, der an KZ-Häftlingen experimentierte. Gebhardt wurde in den „Nürnberger Prozessen“ verurteilt und hingerichtet.

Filmstill aus dem Film „Ether“ („Äther“),© goEast

Der Film beginnt mit einer langsamen Kamerafahrt über einen Ausschnitt, den Höllensturz aus „Das Jüngste Gericht“, einem Triptychon von Hans Memling, das sich in Danzig befindet. Das wird überblendet von den Namen der Filmschaffenden. Untermalt wird die Szene mit der Musik von Richard Wagner aus dem „Parsifal“. Diese zieht sich übrigens als leise Hintergrundsmusik leitmotivisch durch den gesamten Film.

Ein Provinzarzt betäubt seine Patientin, die ihn zurückweist, um sie unter dem Einfluss von Äther zu vergewaltigen. Aber die Dosierung ist zu hoch, und die junge Frau stirbt. Vergeblich versucht er zu fliehen, wird zum Tode verurteilt. Schon liegt die Schlinge des Galgens um seinen Hals, als die Begnadigung kommt. Er flieht. Mit neuer Identität wird er als Militärarzt in einer österreichisch-ungarischen Festung angestellt. Er will durch seine Experimente die Schmerzen der Patienten mit Hilfe von Äther stillen, so aber auch ihren Willen brechen. Denn so sein Credo: „Gott existiert nicht.“ Die Wissenschaft ersetzt die Religion.

Zanussi verbindet den Stoff mit Goethes „Faust“. Kann die Seele dieses gewissenlosen Arztes noch gerettet werden? Die Patientin Margarete betet für seine Erlösung. Schließlich rettet ihn die Liebe. Zanussi sieht in „Äther“ eine Metapher. „Äther“ wird zu „einem Werkzeug der Erlösung und Unterwerfung.“ Ein verwirrender Schluss. Die Bilder sind stark, die Schauspieler vorzüglich. Ein Film, der unter die Haut geht.

Ellen M. Harrington und Heleen Gerritsen bei der Pressekonferenz am 4. April, Foto: Renate Feyerbacher

Etwa 200 Filmschaffende werden zum Festival kommen, das am 16. April mit der Preisverleihung endet. Insgesamt werden sieben Preise im Gesamtwert von 36.000 Euro vergeben. Neu ist ein Recherche-Stipendium für dokumentarische Vorhaben zu den Themen Menschen- und Minderheitsrechte des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis.

Dem Thema  „Roma und das Kino Mittel- und Osteuropas“ widmet sich das diesjährige Symposium, das mit Filmen, Vorträgen und Gesprächsrunden die Roma-Kultur in Mittel- und Osteuropa aufgreift. „Hinschauen heißt die Devise. Einander ansehen und begegnen.“„Bleibt alles anders? – Die wilden Neunziger“ ist ein weiterer Höhepunkt des Festivals. Gemeinsam mit Cottbus, wo es seit 1991 das „Festival des osteuropäischen Films“ gibt, wird anlässlich des Mauerfalls von vor 30 Jahren der Blick zurückgelenkt auf die Wendezeit und auf die Zeit danach.

Darüberhinaus gibt es noch die neu geschaffene Veranstaltungsreihe „Paneuropäisches Picknick“. Bei einem echten Picknick auf dem Schlossplatz, mitten im Herzen der Stadt, sollen die Grenzen zwischen Ost und West überschritten werden und die Begegnungen dort die Menschen einander näher bringen.

Fast bei allen Wettbewerbsfilmen, die zunächst in der wunderschönen Wiesbadener Filmbühne Caligari präsentiert werden, sind die Regisseure, Schauspieler und Produzenten anwesend. Weitere Spielorte befinden sich innerhalb Wiesbadens und außerhalb in Darmstadt, Mainz, Gießen und in Frankfurt, wo allein zehn Filme aus dem Wettbewerb gezeigt werden.

Weitere Informationen über das vielfältige Programm unter:  www.filmfestival-goEast.de

 

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