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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Für mich ist der Architekt wie ein Regisseur“ – Ein Interview mit Christoph Ingenhoven

Der international arbeitende Architekt zu Fragen des Städtebaus, zu Rekonstruktionen und zur Sanierung der Städtischen Bühnen Frankfurt

Von Uwe Kammann

Der Architekt Christoph Ingenhoven, Foto: Petra Kammann 

FeuilletonFrankfurt Ein Großteil der Architekten hat die Rekonstruktion eines Areals der Frankfurter Altstadt als Beleidigung empfunden, so jedenfalls – zugespitzt – ist mein Eindruck. Haben Sie dafür Verständnis, oder sehen Sie die Frage dieser Rekonstruktion offener?

Christoph Ingenhoven Ich habe sicher Verständnis für gewisse Sehnsüchte, aber nicht für die Entscheidung selbst. Man hätte auch das Technische Rathaus in einer gelungenen Form weiterverwenden können. Ich bin auch nicht sicher, ob die Rekonstruktion angesichts unserer derzeitigen gesellschaftlichen Verfassung die richtige Antwort ist, ganz unabhängig von der Frage nach dem Stil und der Berechtigung von Rekonstruieren oder Historisieren. Weiter gilt in diesem Fall: Es sind alles Häuser von heute, mit heutigen Methoden gebaut.

Was ist denn der Kern Ihrer Kritik?

Ich glaube, dass unsere heutige Gesellschaft mit dieser Antwort eine bürgerliche Stimmigkeit lediglich vortäuscht. Man mag bedauern, dass es sie nicht mehr gibt. Aber genau mit dieser Frage nach der gesellschaftlichen Wirklichkeit – die ein großes Spektrum umfasst – muss man sich beschäftigen. Ich habe das Gefühl, dass wir nicht stärker zueinander kommen oder einen Weg zur Mitte finden. Insofern frage ich generell: Ist ein solches Stilexperiment die richtige Antwort? Wird damit wirkliche Teilhabe ermöglicht? Nein, sicher nicht. Ich sehe das Ganze eher als das Errichten einer kulturellen Mauer.

Offene Arbeitsatmosphäre im Düsseldorfer Architekturbüro, Foto: Petra Kammann

Lange herrschte ein dogmatischer Streit zwischen Modernisten und Traditionalisten vor. Gibt es ihn noch in der alten scharfen Form?

Die Moderne ist kein Stil. Das ist ein Missverständnis. Wäre es so, ginge es ja nur um ein formales Handwerkzeug. Die Moderne ist vielmehr ein Projekt, auf Endlos angelegt, mit zunehmender Erkenntnis.

Sie ist also unauflösbar mit dem Gedanken des Fortschritts verbunden?

Selbstverständlich. Auch mit einem Überwinden des jeweiligen vorherigen Zustands. Insofern finde ich auch: Wenn das bestehende Rathaus nicht mehr die beste Lösung ist, ist es legitim, einen solchen Zustand zu überwinden.

Stimulierende Fotos im Büro von ingenhoven architects, Foto: Petra Kammann

Könnte eine solche Offenheit dann nicht auch heißen, frühere Elemente wieder aufzugreifen, von der Kleinteiligkeit als Bebauungsmaßstab bis zu bestimmten Formen der Fassadengestaltung?

Natürlich kann parzelliertes Bauen für Vielfalt stehen, aber es gibt auch nicht parzellierte Städte, die schön sind.  Ein gutes Beispiel ist London, dessen Grundstücke nach dem Landlord-Prinzip verteilt sind. Was heißt, dass die Häuser oft Reihenhäuser sind, die auf großen Entwicklungsgrundstücken gebaut sind. Auch das Paris von Haussmann ist nicht im eigentlichen Sinne parzelliert, viele Häuser haben Fassaden von gut 40 Metern Länge. Natürlich gilt auch: Wenn man nicht parzelliert baut – also mit der Teilhabe vieler am Bauen –, und stattdessen die Bebauung in großen Einheiten plant und errichtet, dann sind die Fehler natürlich auch große Fehler.

Was viele Menschen als schön und damit wünschenswert finden, ist die Wiederkennbarkeit, ist die Vielfalt eigenständiger Fassaden.

Natürlich kann man sich Vereinbarungen bei der Gestaltung vorstellen, beispielsweise beim Material. Auch die Höhe kann man natürlich festlegen, mit Variationen. Nochmals: Ich verstehe viele der Fragen, die hinter dem Wunsch nach kritischer Rekonstruktion stecken, aber ich verstehe die Lösung nicht.

Bei einer Ausstellung zu den einst sehr angesagten Bauten des Brutalismus wurde der renommierte Architekturkritiker Wolfang Pehnt gefragt, warum die Ablehnung so groß ist – das hat man ja auch in Frankfurt beim Technischen Rathaus und dem Historischen Museum gesehen. Seine Antwort: Es ist eine Architektur der Architekten. Verstehen Sie, was er damit meint?

Auch mich fasziniert diese Architektur des Brutalismus, allerdings nicht dessen brutale Seite. Mich interessiert das als Stil. Ein Haus von Marcel Breuer am Lago Maggiore, gebaut mit brutalistischen Stilmitteln, mit Beton brut, ist wunderschön. Was hingegen am Pranger steht, das sind Siedlungen wie Robin Hood von den Smithons in England – wobei versucht wurde, sie zu erhalten. Da verwechselt man etwas. Nämlich den Stil dieses großen Gebäudes, der gerade auch Jüngere fasziniert, mit den sozialen Gegebenheiten der Siedlung. Sozial ist das eher eine Katastrophe. Und von solchen Gebäuden und Siedlungen gibt es leider sehr viele.

Blick in das Büro und Aussicht auf den Medienhafen, Foto: Petra Kammann

Wie verhakt ist denn das alles?

Es wäre schön, wenn man sich mit Innovationskraft dem Bauen widmen würde. Nehmen wir mal Montparnasse, die ganze Peripherie von Paris: Wenn ein Andreas Gurski das fotografiert, sieht das eindrucksvoll aus. Doch heißt das auch, dass wir das noch einmal bauen sollten? Nein, natürlich nicht. Es ist nur ein Teil unserer Wirklichkeit, aber kein Modell. Es geht doch nicht um Äußerlichkeiten.

Bei der Brutalismus-Ausstellung hieß es, die künftigen Bewohner von Robin Hood hätten schon bei der Eröffnung vehemente Kritik an der brutalen Erscheinung der Großsiedlung geübt, zur Überraschung und zum völligen Unverständnis der Urheber. Leben Architekten in ihrer eigenen Welt, sozialisiert vor allem mit ihren eigenen professionellen Maßstäben?

Nun, es gibt es von den Heroen der 60er Jahre auch richtig schöne Häuser. Richtig ist aber auch, dass nicht wenige Architekten nur ein eingeschränktes Repertoire haben. Mit dieser Einschränkung versuchen sie, ihre Aufgaben und ihre Lebensprobleme zu lösen. Denn natürlich ist es leichter, wenn man sich ein enges Korsett anzieht. Für mich lehne ich das ab. Ich möchte frei sein und frei entscheiden können, was für mich wichtig ist. Das hat nichts mit Stil zu tun. Stil kann sich bei relativ konstanten Lebensbedingungen herausbilden, wie zum Beispiel in der Renaissance, im Barock oder in der Romanik. Dort wurde jeweils etwas vorgedacht und dann weitertransportiert, die Stilmuster mäanderten anschließend durch Europa. Und dies auf der Grundlage einer gewissen Homogenität, einer gemeinsamen Konstante. Das ist heute aber gar nicht mehr vorhanden.

Diverse Bauprojekte von ingenhoven architects im Düsseldorfer Büro

Wo setzen Sie dann jeweils an, woran orientiert sich Ihre jeweilige Entscheidung für die Konzeption und die Formfindung bei einer Bauaufgabe?

Natürlich gehören die Menschen mit ihren Bedürfnissen an den Anfang der Überlegungen, dann geht es um Bedingungen wie Umgebung, wie die Natur, wie das Klima. Viele machen sich hier wenig Mühe, sind schnell fertig mit dem Entwerfen. Ihr Bestreben ist eher ein darstellerisches. Mit aufwendigen Zeichnungen und Modellen. Meine Frage ist dagegen zuerst: Was kann ich als Architekt beitragen?

Gibt es bei diesem Prozess – der ja auch eine Interaktion von Bauherren und Architekten bedingt – einen grundsätzlichen Mangel: nämlich die eingeschränkte Vorstellungskraft der meisten Menschen?

Da liegen sicher große Gefahren. Auch bei den Architekten ist die Vorstellungskraft oft nicht unendlich. Sie tun aber eher so, als ob sie wüssten, was am Ende als Bau herauskommt. Bei den am Computer erzeugten Darstellungen, den Renderings, verwechselt der Betrachter oft deren Anschaulichkeit und Verständlichkeit mit Qualität. Er sieht etwas und meint es zu verstehen. Darauf reagieren viele Menschen mit Zustimmung. Dabei wird mit diesen Darstellungen sehr viel Augenpulver gestreut, das mit der späteren baulichen Qualität nichts zu tun hat.

Christoph Ingenhoven im Gespräch mit Uwe Kammann, Foto: Petra Kammann

Als Lokaljournalist habe ich Anfang der 70er Jahre viele Stadtplanungsentscheidungen verfolgt. Das waren vorwiegend große Siedlungen mit Punkthäusern oder in Großbauten verdichtete Zentren für modern aufgeräumte Städte. Auf den Modellen wirkte das aus der Vogelperspektive oft interessant, man erkannte ein grafisches Muster. Die beteiligten Entscheidungsträger waren davon in der Regel angetan bis begeistert. Die gebaute Wirklichkeit war dann in der Regel furchtbar, ohne erkennbare Strukturen und erfahrbare Räume. Auch da wieder die Frage: Ist es so schwer, sich räumliche Wirklichkeiten vorzustellen?

Natürlich ist das schwierig. Aber man muss auch immer die Bedingungen sehen, unter denen geplant und gebaut wurde. In der Phase des Wirtschaftswunders gab es viele Bauaufgaben, die von wenigen erledigt werden mussten. Wer als Architekt in den 70er Jahren nicht erfolgreich war, musste sich schon anstrengen. Es wurde einfach viel zu vieles zu hektisch und zu schnell entworfen, und das mit einem für mich unverständlichen enormen Selbstbewusstsein. Oft von Leuten, die zuvor mit den Nazi-Machthabern kooperiert hatten und jetzt auf einmal die Moderne ausriefen. Was ist in der Nachkriegszeit nicht alles kaputtgemacht worden, oft mit großer Brutalität. Heute sind wir vorsichtiger geworden und nicht mehr so selbstsicher wie vorherige Generationen, die 68er nicht ausgenommen.

Das Stichwort Stuttgart 21 darf nicht fehlen. Sie sind der entwerfende und planende Architekt dieses sehr komplexen und kühnen Umbaus des bestehenden Bahnhofs. Nervt Sie die Kritik an dem Vorhaben immer noch sehr, eine Kritik, die oft an den Kosten aufgehängt wird, während die städtebaulichen und architektonischen Aspekte in der öffentlichen Diskussion völlig unterbelichtet sind?

Verbindung von Alt-und Neubau des Projekts Stuttgart 21 © ingenhoven architects

Ja, das Letztere nervt mich tatsächlich. An die grundsätzlichen Diskussionen kann man sich hingegen gewöhnen. Wobei oft die Falschen gegen das Falsche protestieren. In der Wahrnehmung kommen die städtebaulichen und architektonischen Fragen tatsächlich viel zu kurz. Es geht ja nicht um einen isolierten Bahnhofsneubau oder das Tunnelprojekt für die Tieferlegung des Schienenverkehrs. Es geht vielmehr um einen erheblichen Beitrag zu einem Umbau der Stadt. Der Umbau des Bahnhofs ist dafür die Voraussetzung, er ermöglicht erst das ganze Projekt mit einem erheblichen Flächengewinn für die Innenstadt. Das allerdings ist noch nicht erlebbar, kann physisch also noch nicht nachvollzogenwerden. Aber das Ganze müsste jetzt in einer wirklichen Reifephase durchdacht werden. Sonst wird wieder nur hektisch geplant und gebaut. Doch diese Phase fehlt, die Zeit ist fast zu weit fortgeschritten.

Wo liegen die Gründe? Sind auch die Medien an dieser Unterbelichtung beteiligt?

Die Leute sind überfordert. Es mangelt an Vorstellungskraft, es fehlt die Voraussehbarkeit. Man muss bei solchen Projekten in langen Zeiträumen denken können, um dabei schrittweise die richtigen Entscheidungen zu treffen. Fragen der Infrastruktur, der Klimafolgen, der Erschließung, der Größe und der Nutzung der Bebauung, auch solche zum wirtschaftlichen Rahmen und natürlich auch zur städtebaulichen Ordnung, zur Architektur: Das alles wäre jetzt in Schichten zu betrachten und zu bearbeiten. Doch das überfordert die Leute. Städtebauliche Projekte dieser Größenordnung wurden früher oft von nur drei, vier Leuten entschieden.

Sind heute zu oft die falschen, sind in der Regel zu viele Leute involviert?

Heute haben wir es mit Gremien zu tun, deren Mitglieder insgesamt in die Hunderte, ja Tausende gehen. So viele Volksvertreter waren bei Stuttgart 21 sicher beteiligt – von den kommunalen Gremien bis zur Ebene des Bundes, darüberhinaus auch Europas. Da reden wir noch nicht einmal von den Gremien der Unternehmen oder der diversen Beiräte. Der gesamte Apparat der Beteiligung ist gigantisch. Wobei natürlich die jeweilige Vorstellungskraft der an der Diskussion Beteiligten begrenzt ist. Ein kleines Gedankenspiel gefällig? Ganz einfach: Wir konstruieren die Neunte Symphonie von Beethoven in einem demokratischen Prozess …

Christoph Ingenhoven, Leidenschaftliche Diskussion über Stuttgart21, Foto: Petra Kammann

Wird die Sache gleichwohl zu einem guten Ende kommen?

Ja, das glaube ich schon. Wobei ich selbstbewusst sage: Das ist dann zu einem guten Teil unserem Büro, uns als Architekten, zu verdanken. Die Leute, die in Stuttgart die Sache in die richtige Richtung gelenkt haben, lassen sich dagegen an den Fingern einer Hand abzählen. In Amt und Würden ist von denen ohnehin keiner mehr.

Ist das ein spezifisch deutsches Problem, dass Großprojekte so schwer zu realisieren sind?

Es ist eine Kombination von Faktoren. Mit der Kernfrage: Wie demokratisch ist ein solcher Prozess zu handhaben? Der Stift auf dem Papier ist natürlich nicht demokratisch. Die Bedingungen dafür aber hängen selbstverständlich von demokratischen Voraussetzungen ab. Wenn man zwei Drittel der Gremien, die bei Stuttgart 21 beteiligt waren, blind gestrichen hätte, wäre das ganze Vorhaben immer noch ausreichend demokratisch legitimiert. Heute wird dies alles maßlos übertrieben. Dazu kommt: Wir sind eine immer älter und wohlhabender werdende Gesellschaft, die dabei immer ungleicher wird. All das wirkt zusammen. Ob man zehn Minuten schneller den Flughafen erreicht, interessiert beispielsweise nur verhältnismäßig wenige Menschen, die das professionell nutzen. Wer älter wird, scheut eher die Veränderungen. Eine reiche Gesellschaft wiederum scheut das Risiko, hat Angst, etwas zu verlieren. Alle diese Faktoren zusammen wirken negativ auf Großprojekte ein.

Trifft das in dieser Form auch auf den neuen Berliner Flughafen zu, oder sind da viele Blockaden auch hausgemacht?

Die Architekten und Planer sind auch mitverantwortlich, das darf man nicht vergessen. Es liegt also nicht nur an den Gremien oder einer unverständigen Bevölkerung. Hätte man frühzeitiger definiert, was man will, dann hätte man in der Kombination eines guten Generalplaners mit einem erfahrenen General-Bauunternehmen sowie einem überschaubar großen Kontrollgremium sowohl die Planung  als auch das Bauen und die Finanzierung sicher im Griff gehabt, bei klarer Verantwortlichkeit.

Bei der Elbphilharmonie, dem dritten vieldiskutierten und lange umstrittenen Großprojekt, hat sich die Empörung fast vollständig gelegt.

Aber es müsste eigentlich allen schmerzlich bewusst sein, dass da von der physischen Substanz her kein Bau für 800 Millionen steht, sondern für 450 Millionen. Mithin ist fraglich, wo die übrigen 350 Millionen der Gesamtsumme geblieben sind.Vieles steckt sicherlich im Verfahren, von den Umplanungen bis zu den Finanzierungsvarianten.

An der Diskussion im Chagall-Saal um die Zukunft der Städtischen Bühnen Frankfurt nahm auch Christoph Ingenhoven teil, Foto: Petra Kammann

Kommen wir zu einem Streitthema in Frankfurt: die Sanierung von Schauspielhaus und Oper, beide Häuser sind derzeit in einer sogenannten Doppelanlage verbunden. Sie waren an einer der vorbereitenden Diskussionen zur Frage des Ob und Wie beteiligt, kennen somit auch die Grundzüge der Machbarkeitsstudie, die mit Ihrer 900-Millionen-Kalkulation Angst und Schrecken verbreitet hat. Ihr Architekturkollege Christoph Mäckler bezeichnet diese Studie als absurd. Teilen Sie dieses Urteil?

Soweit ich es überblicke, hat das Hamburger Architekturbüro PFP eine Studie erstellt, welche zur Voraussetzung hatte, praktisch nichts abzubrechen, sondern alles Bestehende im Grundzug zu erhalten, bei entsprechender Erneuerung, und das alles bei laufendem Betrieb. In dieser Kombination sind alle Schwierigkeiten gebündelt. Am Ende stehen dann die 900 Millionen, eine Zahl, vor der jeder erschrickt, ich auch.

Lässt sich diese Zahl erklären?

Ich glaube, das Ganze enthält einen Konstruktionsfehler. Mit weniger Aufwand und gröberen Mitteln hätte man entscheiden müssen, ob man Teile dieses Gebäudes unbedingt erhalten will. Sei es, weil man sie für schön hält oder auch, weil sie in einem guten Zustand sind und funktionieren. Emotionslos hätte man auch sagen können, welche Teile – selbst wenn sie neu sind – man nicht erhalten will, schlicht, weil sie jetzigen architektonischen oder kulturellen Ansprüchen nicht mehr genügen.

Und Ihre Position dazu?

Nach meiner Auffassung wird man nicht 100 Prozent des jetzigen Doppelhauses erhalten wollen oder müssen. Vielleicht bewegt sich das weit darunter, möglicherweise ist es nur die Hälfte. Eingestehen sollte man auch, dass manche Teile in der äußeren Wirkung so entsetzlich sind, dass man sie in jedem Fall verändern muss. Wie beispielsweise die autistische Seite zur Neuen Mainzer Straße hin.

Und sonst?

Eines ist für mich klar: Den überragend guten Standort würde ich nicht aufgeben. Auch nicht in Richtung Ostend mit der Europäischen Zentralbank, wo es vielleicht noch Grundstücke gibt. Theater und Oper sollten in der Stadt gespielt werden, sie gehören zur Stadtgesellschaft. Das müssen wir verteidigen. Manche werden das spießbürgerlich finden. Aber tatsächlich bieten beide Institutionen, gerade in Frankfurt, hohe Qualität, sie brauchen den öffentlichen Raum, den Austausch mit der Öffentlichkeit. Insofern: Eine bessere Stelle ist nicht zu finden.

Also für beide Häuser?

Ja. Wenn man dann am Ende für beide Häuser mit allen Ihren Funktionen 600, 700 oder 800 Millionen ausgeben müsste, dann wäre das sicher realistisch. In Köln kommt man bei der Sanierung von Schauspiel und Oper, ohne Nebenfunktionen, auf rund 500 Millionen – wobei unklar ist, wie sich diese Summe genau zusammensetzt. Die Elbphilharmonie hat über 850 Millionen gekostet, bei einer tatsächlichen Bausubstanz, wie eben gesagt, von vielleicht 450 Millionen.

Modell von Schauspielhaus und Köbogen 2 in Düsseldorf mit Blick auf den Medienhafen, Foto: Petra Kammann

Sie selbst bauen gerade Teile des Düsseldorfer Schauspielhauses um, sanieren auch dessen Fassade. Das sieht alles überschaubarer aus.

Das Düsseldorfer Theater ist kleiner, mit sehr begrenzten Probemöglichkeiten für den Großen und den Kleinen Saal. Auch Requisite und Werkstätten sind teils woanders untergebracht. Es ist aber ein Gesamthaus, kein Konglomerat, wenn auch insgesamt in relativem schlechtem Zustand. Vor 15 Jahren wurden 43 Millionen reingesteckt, dann noch einmal 21 Millionen für eine Techniksanierung. Wir stecken jetzt noch einmal 25 bis 30 Millionen rein. So kommt man in der Addition locker auch auf 100 Millionen Sanierungskosten, für ein 1970 fertiggestelltes Haus. In Frankfurt habe ich davor gewarnt, eine so hohe Summe wie die in der Studie genannte auszugeben, um dann am Ende doch mit dem Ergebnis unglücklich zu sein. Das Bestehende zu reproduzieren, nur ‚in neu’, darin sehe ich keine vernünftige Empfehlung.

Jetzt soll eine Arbeitsgruppe nochmals prüfen, wie eine Minimalsanierung aussehen könnte, wobei man nicht auf das Allerbeste und das Maximale setzt, von den heutigen Baunormen und -auflagen bis zu den Funktionsanforderungen. Könnte es nicht auch als Modell sinnvoll sein, dass die Stadt eine Handvoll einschlägiger Architekturbüros beauftragt, einmal freihändig und nach selbstbestimmten Kriterien jeweils einen eigenen Vorschlag zu Sanierung und Neugestaltung zu entwickeln? Christoph Mäckler sagte uns, dabei würde er sofort mitmachen.

Das ist ein guter Vorschlag. Auch ich finde das reizvoll und würde es anpacken. Besonders überzeugend ist dabei, dass man frei wäre von Vorgaben wie Total- oder Minimalsanierung. Diese Freiheit wäre eine gute Voraussetzung, als Architekt wäre man nicht eingeengt, und das beflügelt. Vieles ist ja vorstellbar, auch ein Amalgam von Neuem und Altem und dem, was Bürger am Haus lieben. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass viele Menschen sicher auch bereit wären, für eine gute Lösung Geld auszugeben und sie hinterher auf das Ergebnis stolz wären. Aber sie müssen eben vorher überzeugt werden. Das kann die Politik in dieser Form nicht. Es gibt ja kein Bild, das zeigt, wofür die vielen Millionen ausgegeben werden können oder sollen. Und damit noch einmal zurück zum eben skizzierten Modell: Es wäre sicher sinnvoll, drei, vier, fünf Büros einen Vorschlag machen zu lassen. Dafür muss man auch nicht viel Geld ausgeben. Es würde ein Bruchteil der bald 7 Millionen Euro ausreichen, welche die Machbarkeitsstudie gekostet hat.

Köbogen 2, Platzgestaltung vor dem Schauspielhaus © ingenhoven architects

Ihr bereits erwähnter Kollege Christoph Mäckler hat bei uns im Interview beklagt, dass ein Umstand die Arbeit des Architekten wesentlich erschwere: dass nämlich heute immer nahezu drei Dutzend Gewerke mit am Tisch säßen, wenn es um die Planung und Realisierung im Einzelnen gehe. Teilen Sie diese Kritik? 

Für mich ist der Architekt wie ein Regisseur. Der hat von den einzelnen Teilen bei der Realisierung eines Stücks nicht die meiste Ahnung, aber er hat das Privileg, von allem etwas zu wissen, und er hat eine Idee vom Ganzen. Das haben womöglich die Teilexperten nicht. Ein Regisseur ist nicht unbedingt der beste Kameramann, Schauspieler, Finanzjongleur oder Drehbuchautor, aber er ist der einzige, der weiß, wo es mit dem Film hingehen und was er ausdrücken soll. Das gilt in der Übertragung auch für den Architekten. Wir müssen genau solche Dirigenten sein wollen. Bei Mäckler hört es sich ein wenig so an, als ob er außerhalb des Prozesses stünde. Hier sage ich mit meinen Erfahrungen: Mehr Ingenieure und Berater als in Stuttgart kann man nicht mehr haben. Wir haben dort als Generalplaner insgesamt 70 Ingenieursverträge. Mit allergrößter Mühe schaffen wir es, alle diese Büros konzertant zusammen spielen zu lassen. Aber es ist eben unser Job, genau dies zu tun. Nein, ich sehe mich nicht als Opfer dieser Leute. Sie nerven zwar schon mal, machen auch manchmal das Falsche. Aber es liegt an mir, sie das Richtige spielen zu lassen.

Herausragend und nachhaltig: Für „Marina One“ in Singapur gab es den MIPIM -Preis, Foto: ©ingenhoven architects / HGEsch

Sie haben gerade zwei neue spektakuläre Projekte realisiert, eines in Australien, eines in Singapur. Ist die Position des Architekten dort anders, auch hinsichtlich der Durchschlagskraft? Sind dort die Beziehungen zu den Behörden andere, oder ist es ähnlich strukturiert und organisiert wie bei uns?

Es hängt von den Arbeitszielen ab. In Deutschland will man mehr, will man alles detaillierter. Hier repräsentiert der Architekt ein volles Leistungsbild, nahe am Generalplaner. Er ist für den ersten Entwurf, für die Genehmigung, für die Baustelle zuständig. Entsprechend zäh ist die Sauce, die wir hier rühren, es hängt ein großes Paket an uns. Viele wundern sich, dass deutsche Architekten weltweit nicht so einen Auftritt haben wie Kollegen aus anderen Ländern. Das liegt eben daran, dass wir mit einem solch’ großen Paket ankommen, ein Paket, dass die Welt so nicht bezahlen, sprich honorieren will. Dies auch, weil sie einen anderen Anspruch hat. Gewollt ist anderswo mehr der Architekt als Visionär, nicht hingegen als Ausführungsspezialist. Das kann man als Vorteil, aber auch als Nachteil sehen.

Lässt sich das in Zahlen ausdrücken?

In Australien etwa sind wir organisatorisch und wirtschaftlich beteiligt, 85 Prozent des dortigen Leistungsbildes entsprechen 100 Prozent des Leistungsbildes bei uns. Dort haben wir wiederum einen Partner, der von unseren Leistungen ungefähr die Hälfte erbringt. Nimmt man das zusammen, so erbringen wir dort rund 40 Prozent unserer hiesigen Leistungen. Was heißt, dass man an andere abgeben kann. Beim Ergebnis ist die Detailhaftigkeit vielleicht geringer, aber damit natürlich auch die Beschwernis. Man fliegt freier daher. Das hat durchaus auch Vorteile.

Gibt es Gründe für diese Unterschiede?

Viele beziehen das auf das politische System, mit der Vorstellung, dort würde einfach durchregiert. Das kann ich nicht bestätigen. Singapur beispielsweise ist ein hochkomplexer Stadtstaat, mit enormen Ansprüchen, oft mit strengeren Gesetzen als bei uns. Die Ansprüche in Bezug auf ökologisches Bauen sind dort durchaus vergleichbar, wenn nicht sogar höher. Leichter ist es in der Praxis, weil es lediglich eine einzige zuständige Behörde gibt, die Urban Redevelopment Authority. Stadtplanung, Bauaufsicht, Immobilienmanagement – alles liegt da in einer Hand, das ist hilfreich. Noch einmal: Die Rolle des entwerfenden Architekten steht bei solchen Auslandsprojekten stärker im Vordergrund. Bei uns kann es passieren, wie in Stuttgart, dass selbst ich in meiner Funktion und Position in viel stärkerem Maße in halbadministrativer, organisatorischer, wirtschaftlicher Art unterwegs bin, und das behindert natürlich manches.

v.l.n.r.: Kommunikationschef Michael Kuhn, Christoph Ingenhoven und Uwe Kammann im Gespräch, Foto: Petra Kammann

Gilt das auch für die Kommunikation, für die Vermittlung nach außen?

Klar, aber das ist auch im Ausland eine wichtige Aufgabe. Kommunikation, inklusive Präsentation und Marketing, das ist gerade in angelsächsischen Ländern noch viel stärker entwickelt als bei uns.

Für den Singapur-Komplex „Marina One“ haben sie den MIPIM-Preis bekommen, für das beste innovative Gebäude („Best Innovative Green Building“), auch hier ist dieses Projekt positiv herausgestellt worden, so gerade beim DAM-Architekturpreis. Nun gerade vor ein paar Wochen nochmals den Architecture Review Future Projekct Award für Ihr Hochhausprojekt 505 George Street in Sydney, ein Wohnhochhaus im Herzen der Stadt. Was ist in Ihren Augen das entscheidende Kriterium unter dem Stichwort innovativ? Sie waren bei diesem Aspekt schon immer vornedran, man denke nur an den RWE-Turm in Essen.

Man könnte viele Dinge aufzählen, die mehr technischer Natur sind, wie Wasserkreislauf, Fassadensysteme, Verschattungslösungen. Darin steckt viel Arbeit, das machen die Wenigsten. Der besondere Punkt ist aber ein anderer, etwas, was in Singapur noch nicht existierte, was auch in Deutschland nur selten vorkommt. Nämlich Funktionen wie Arbeiten, Wohnen, Ausbildung komplett zu integrieren, auch Freizeit und Einzelhandel. Es handelt sich um ein wirklich gemischtes innerstädtisches Projekt, dazu von hoher Dichte, mit einem Bebauungsfaktor von 16, bezogen auf das Grundstück.

Ein extrem hoher Nutzungsfaktor also?

Der ist hier ziemlich genau fünfmal höher als der Faktor, den die deutsche Bauordnung vorsieht, aus vielerlei Gründen. Auch in anderen Ländern gibt es diese hohe Grundstücksausnutzung kaum. Und in der Regel neigt man dazu, die Funktionen zu trennen, also entweder ein Wohnhaus oder ein Bürogebäude zu errichten. Ich bin überzeugt: Beide Faktoren – die große Mischung und die hohe Dichte – werden die Stadt der Zukunft ausmachen. Eine  Flächenstadt wie Los Angeles wird es nicht mehr geben. Auch nicht wie Berlin, das ja eine geringe Dichte hat, mit vielen oft schlecht genutzten Freiflächen. Das können wir uns angesichts des Bevölkerungswachstums in den Städten nicht mehr leisten. Verdichtung finden wir fast überall in der Welt, auch in Europa. Die Frage ist natürlich, wie wir diese Verdichtung organisieren. Die Altstadt von Frankfurt jedenfalls ist keine Lösung.

Modell für Deutschland? Höchste Verdichtung in Singapur© ingenhoven architects

Nun gibt es in Frankfurt ein Projekt ganz anderer Art, mit hoher Verdichtung und der Mischung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Handel in einem einzigen Straßenquartier mit vier Hochhäusern und einem durchbrochenen Block-Sockel auf einem geschlossenen Areal der Deutschen Bank: „Four“, architektonisch konzipiert von Ben van Berkel mit seinem UNStudio. Daran gibt es viel Kritik. Das sei alles, mit dem auf dem Grundstück schon errichteten Omniturm, viel zu dicht bebaut. Verbunden mit dem Urteil: Die klassische europäische Stadt könne das auch leisten. Der ehemalige Berliner Senatsbraudirektor Stimmann sieht das Ganze als reine Designarchitektur ohne wirkliche städtische Qualitäten. Können sie das verstehen?

Das kann ich vielleicht schon, aber ich möchte hier nicht die Arbeit der Kollegen kommentieren. Allerdings: Kopenhagen, Amsterdam oder Paris haben bei europäischem Stadtmuster eine viel höhere Dichte als Frankfurt oder auch Berlin.

Die Unterschiede sind frappierend: 21.000 Menschen pro Quadratkilometer in Paris, in Berlin sind es 4.000, in Frankfurt sogar nur 3.000.

Was bedeutet, dass es auch beim Modell der europäischen Stadt eine enorme Bandbreite gibt. Wenn man sie ausreizt, wären auch sehr hohe Dichte-Faktoren und eine hohe Kompaktheit möglich, auch ohne große Hochhäuser. Frankfurt hat da eine Sonderstellung, wobei die Hochhäuser aus anderen Gründen gebaut wurden, nicht zuletzt der Selbstdarstellung wegen.

Nun hat die Frankfurter Innenstadt tatsächlich auch nur eine geringe Fläche.

Dazu kommt die Besonderheit der enorm hohen Pendlerrate, mit Konsequenzen für die Innenstadt und deren funktionaler Ausstattung. Inzwischen sind die Hochhäuser dort kontextuell eingebunden. Deshalb ist es nicht falsch, dort, wo es sie bereits gibt, weiter zu verdichten. Es wäre eher komisch gewesen, auf dem Areal der Deutschen Bank jetzt eine sechsgeschossige Bebauung vorzusehen.

Modell für ein 2005 eröffnetes Kaufhaus in Lübeck, Foto: Petra Kammann

Alles richtig also mit den fünf Hochhäusern auf engstem Raum?

Meine Prognose: Es könnte sein, dass wir nicht zufrieden sind, wenn die fünf Türme fertig sind. Grundsätzlich gilt: Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, und hier geht es um eine der reichsten Städte der Republik, das alles in einer Zeit mit niedrigsten Zinsen für Investitionen, mit höchsten Verkaufspreisen für Wohnungen und Mieten für Büros. Doch trotz aller dieser Voraussetzungen ist die Qualität des Gebauten relativ bescheiden. Da stimmt etwas von der Gesamtökonomie nicht, da ist vieles ziemlich schiefgegangen. Sprich: Wenn man schon mit dieser Dichte und dieser enormen Ballung dort bauen darf, dann muss man die höchsten Ansprüche an den öffentlichen Raum stellen, an die gestalterische Qualität, an die Materialien und an jedes Detail und nicht zuletzt muss es einen Beitrag zum öffentlichen Raum, zum öffentlichen Wohl geben, den ich fast überall bei diesen Projekten vermisse.

Warum ist denn soviel schiefgegangen? Gehört zu den wesentlichen Gründen, dass die politischen Vorgaben fehlen oder nicht ausreichend sind?

Zu den Hauptgründen gehört die Gier der Grundstücksbesitzer, auch die der Entwickler und der Vermarkter. Es ist eine Addition, daran sind alle beteiligt, auch die Stadt oder generell die öffentliche Hand. Auch sie verkauft Grundstücke für astronomische Summen. Durch die Grundstücksvermarktung wird schon der ganz große Teil des Gewinns bei Bauvorhaben vom Tisch genommen. Die anderen Beteiligten laufen dann hinterher, um irgendwie noch Qualität zu produzieren. Pauschal gesagt: In dieser Form ist das Ganze zum Scheitern verurteilt.

Der neue Frankfurter Planungsdezernent benennt das Problem genauso, will auch gegensteuern. Aber er sieht auch ein Grundversäumnis der Politik. Sie habe in weiten Teilen keinen Sinn für Städtebau, habe lange Zeit keinen Grund zum Eingreifen gesehen. Städtebaulich, ästhetisch, ökonomisch, ökologisch, strukturell: Alles eher ein Laissez-aller, ein Laufenlassen.

Man kann es so nicht mehr laufen lassen.

↑↓ Poetisch und markant: das Grundelement der „Lichtaugen“ des Projekts Stuttgart 21 © ingenhoven architects

Gibt es denn positive Gegenbeispiele?

Eher bei einzelnen öffentlichen Bauherren. Nehmen wir das Stuttgarter Projekt. Die Bahn wird dort einen teuren Bahnhof bauen, ja. Aber das ist positiv zu sehen. Denn es wird ein schöner, solider, guter Bahnhof.  Deshalb kommt es nun darauf an, was auf den in der Folge gewonnenen städtischen Grundstücken realisiert wird, da liegen Chancen. Was aber bislang im Umfeld gebaut wurde, ist billig, blöd, schlecht nutzbar, das wollen wir in 20 Jahren nicht mehr sehen. Alles ist da bislang schiefgegangen. Auch beim Berliner Hauptbahnhof hat sich die Bahn Mühe gegeben. Dagegen das Gebiet drumherum: Wer von den Investoren und Grundstücksbesitzern hat sich im Umfeld des Bahnhofs vergleichbare Mühe gegeben? Niemand. Das gebauteöffentliche Wohl, die res publica war ihnen vollkommen egal.

Aber auch da ist die Politik beteiligt. Die Berliner Baudirektorin wird nicht zuletzt wegen der Fehlleistungen um den Bahnhof vielerorts als völlig inkompetent kritisiert, ohne jedes Gespür für intelligenten und schönen Städtebau. Aber es gibt noch einen wichtigen Faktor: die Bürger. Viele reagieren auf jede Planung renitent, lehnen die kleinste Veränderung ab, stellen sich militant quer. Wie kann man damit umgehen? Heute heiß begehrte Viertel, gerade die der Gründerzeit, sind nicht mit breiten Beteiligungsstrukturen entstanden.

Wobei dort nicht nur die Häuser überzeugen, sondern auch die gesamte städtebauliche Situation. Und die ist ganz bewusst gestaltet. Durch die Anlage der Straßen und der Plätze, durch die Parks, durch großzügige Allen. Es gibt immer Punkte, Gebäude, auf welche sich die Flächen dieser Viertel und die Anordnung der Häuser beziehen. Dies ist in allen europäischen Städten so. Diese räumlichen Bezüge, diese bewusst gestalteten Verhältnisse und Verbindungen sind uns abhandengekommen. In Mailand, der Parco Sempione, oder der Retiro in Madrid, der Parc Monceau in Paris, Gramercy Park in New York, es gibt so viele Beispiele für eine Contribution zugunsten öffentlichen Raums, warum so wenige in der heutigen Generation? Wir haben es verlernt die öffentliche Angelegenheit zu unserem privaten Anliegen zu machen, stattdessen beuten wir die öffentlichen Räume und die Natur zum privaten Profit aus.

Christoph Ingenhoven über Verdichtung im urbanen Raum, Foto: Petra Kammann

Ein Prozess ohne Aussicht auf Verbesserung?

Es geht um klar erkennbare Vorteile, die sich auch vermitteln lassen. Wenn man sagt, Verdichtung ist in Ordnung, dann muss auch klar sein, was die Menschen in der Stadt dafür bekommen. Und das ist in erster Linie ein überzeugender öffentlicher Raum. Er muss qualitätsvoll angelegt, sicher und sauber sein, man muss ihn als attraktiv und gut nutzbar erleben können. Und er darf nicht vom Verkehr zerstört sein oder werden. Wo diese Eigenschaften einigermaßen im Gleichgewicht sind, funktioniert die Stadt gut, auch dann, wenn sie sehr verdichtet ist.

Ihr Lieblingsbeispiel?

Amsterdam, eine der dichtesten Städte überhaupt. Die Häuser sind – bei aller Romantik – eigentlich klein, eng, auch dunkel. Wenn man allerdings eines dieser Häuser besitzt, nimmt man an einem öffentlichen Raum teil, der sensationell ist. Mit allen Bestandteilen wie Straßen, Grachten, Radwege, Plätze und Cafés; vieles ist zu Fuß zu erreichen, und das alles in einer nördlichen Stadt mit ähnlich vielen Regentagen wie bei uns. Bei so viel öffentlicher Qualität kann man nur blass vor Neid werden. Da müssen wir einfach viel besser werden.

Riedberg-Viertel in Frankfurt: wenig an die Stadtstruktur angeschlossen, Foto: Petra Kammann

Dann kommen wir zurück nach Frankfurt, zu den großen Neubauarealen wie Europaviertel und Riedberg. Bei beiden fällt sofort auf, dass sie die vorhandene städtische Struktur nicht einfach fortschreiben, nicht wirklich angeschlossen sind, so wie dies bei früheren Stadterweiterungen der Fall war. Jetzt soll ein neues Viertel an einer breiten Autobahn erschlossen werden. Ist das im Sinne des Fortschreibens sinnvoll und zu schaffen?

Viele der heutigen Neubaugebiete kann man vermeiden, indem man die vorhandenen Viertel intelligent entwickelt. Insofern sollte man zunächst bedenken, dass die Stadt aus ihrer Mitte heraus durchaus das Potential für Erweiterungen hat. Der schlimmste Fehler ist jener, den Druck aus der Mitte zu nehmen und vor allem auf Außenerweiterungen zu setzen. In Düsseldorf zeigen wir gerade mit dem von uns konzipierten Gesamtprojekt des Kö-Bogens rund um das Dreischeibenhaus, dass es möglich ist, die Stadt in ihrer Mitte neu zu entwickeln und wieder lesbar zu machen. Wir realisieren das allerdings mit modernen Mitteln. Die neuen Bauten sind hochmodern, aber sie schaffen neue Stadträume und Verbindungen.

Im Düsseldorfer Fall ist die Politik im Zuge vieler Diskussionen Ihrem weitreichenden Gesamtvorschlag von 1993 (!) gefolgt. Was ist zu tun, um Entscheidungsträger und auch die Bevölkerung gedanklich in Bewegung zu setzen und von bestimmten Visionen, Lösungsansätzen und Modellen zu überzeugen? Müssen sich die Architekten besser organisieren, ihre Modelle anschaulicher darstellen, müssen sie verständlicher und auch lauter sprechen?

Vor allem sollte es wieder richtige und gestandene Stadtbaumeister geben, mit allen entsprechenden Kompetenzen. Es braucht eine gut verankerte Zuständigkeit in den zentralen Fragen, dazu natürlich auch individuelle Durchsetzungsfähigkeit. Denn zur Regel gehört leider, dass viele Projekte zerredet und in Gremien zerrieben werden. Auch deshalb gilt: Stadtbaumeister, Baudirektoren müssen unbequem sein. Wer in dieser Funktion beliebt ist, hat etwas falsch gemacht.

Christoph Ingenhoven in seinem Düsseldorfer Büro, Foto: Petra Kammann

Unterm Strich: Kann etwas besser werden, wird etwas besser werden?

In Spanien, Skandinavien, Holland und Frankreich kann ich einige Beispiele mit beachtlichen Qualitäten des öffentlichen Raums erkennen. Aber hier, in Deutschland, sehe ich nur wenige Beispiele für einen Städtebau, bei dem etwas sichtbar Gutes entstanden ist. Da bin ich sehr skeptisch. Für ein Land, in dem so viel gebaut wird, ist das ein miserables Zeugnis.

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