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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Deutsches Architekturmuseum (DAM) präsentiert höchst erfreuliche Jahresbilanz

Vielfältige Aktivitäten, variationsreiche Ausstellungen, ungewöhnliche Ideen

Von Uwe Kammann

Präsentierten die Jahresbilanz des DAM: Direktor Peter Cachola Schmal und Stellvertreterin Andrea Jürges; in der Mitte: Anna-Maria Mayerhofer (Recherche Protestarchitektur), Foto: Petra Kammann

Auf die Idee muss man erst einmal kommen: Baumhäuser, Waldhütten, Dreigestelle aus Pfählen oder vertrackte Holzgerüste in Aktivitätsgefilden wie zuletzt dem Dannenröder Forst, dem Fechenheimer Wald oder in Lützerath nicht als ephemere Gebilde deutscher Klimakämpfer zu sehen, sondern als architektonische Formen in einer langen Tradition – angefangen bei den Barrikaden der 1848 Revolution über Camps in Washington, so bei der May-Days-Bewegung, bis zu Hunsrück-Frauenlagern. Nun, das Deutsche Architekturmuseum (DAM) hat genau diesen (Rück-)Blick eingenommen und zu einer eigenen Perspektive mit einem Bandwurm-Ausstellungstitel verarbeitet. „Protest / Architektur. Barrikaden, Camps und Smartphones – Konflikte im öffentlichen Raum zwischen 1848 und 2023“ lautet er, und das Ergebnis wird ab Mitte September diesen Jahres für vier Monate zu sehen sein.

Dass es sich bei dieser Ausstellung nicht um ein zeitgeistgefüttertes Kuriosum handelt, sondern mit offenem (und neutralen) Blick praktische wie spezifische gesellschaftliche Ausdrucksformen erkundet werden, ist schon an der Unterstützung durch die Kulturstiftung des Bundes, das Kulturstaatsministerium und die Wüstenrot Stiftung abzulesen – womöglich, weil das Ganze auch als Seismograph gesehen wird. Zudem als ein Phänomen, das sich durch allfällige mediale Vermittlung inzwischen in seinen globalen Ausfächerungen beobachten lässt: sei es bei den Zeltstädten des Arabischen Frühlings, den Igluzelten der Occupy-Bewegung oder den aus zigtausenden Schirmen gebildeten Farbdächern über Demonstrationszügen in Hongkong.

Oliver Elser zeigt Einzelheiten der SOS-Brutalismus-Ausstellung 2017 im DAM am Schaumainkai, Foto: Uwe Kammann 

Wie immer, so lässt sich leicht feststellen, beweist das DAM mit diesem von Oliver Elser kuratierten Vorhaben sein besonderes Geschick, auch in vermeintlichen Nischen seine Themen zu finden. Und es belegt damit natürlich ebenfalls seine Grundlinie, ein breites Spektrum zu öffnen und in einer verblüffend großen Vielfalt seine Aktivitäten auszubilden, auszuformen und auszubreiten und an das Publikum heranzutragen. Dabei hat es sich auch nicht durch die noch andauernde Auslagerung in ein Ausweichquartier am Danziger Platz im Frankfurter Ostend hemmen lassen.

DAM-Direktor Peter Cachola Schmal, Foto: Petra Kammann

Natürlich, die Besucherzahlen haben gelitten, so musste es DAM-Direktor Peter Cachola Schmal bei der Jahrespressekonferenz seines Hauses nüchtern konstatieren (ohne das verantwortliche Hauptstichwort, Corona, zu unterschlagen). Immerhin, es waren im vergangenen Jahr knapp 70.000, eine wieder stark aufsteigende Tendenz im Vergleich zu den knapp 13.000 Besuchern im ersten vollen Pandemie-Jahr, aber natürlich noch immer nicht in Reichweite der 110.000er-Zahl aus dem Jahr 2018.

DAM-Stammhaus am Schaumainkai – Baustelle voraussichtlich bis zum Jahreswechsel; Foto: Uwe Kammann

Unabhängig davon: Zur jetzigen Bilanzierung bei der Jahrespressekonferenz gehörte eine eindrucksvolle Transparenz für das gesamte Zahlenwerk, also auch bei jenen Daten, welche das Finanzierungsgerüst betreffen. Für 2022 standen (vom Kulturamt übernommene) Festkosten in Höhe von 1,12 Millionen zu Buche, der Ausstellungsetat lag bei knapp 1,6 Millionen Euro. Eine solche, in den Unterabteilungen von Einnahmen und Ausgaben sehr detaillierte Darstellung ist bei Kulturinstitutionen (hier, nochmals: der städtischen Hand) mehr als selten. Und von der Vielfalt, auch von der Dynamik des DAM – und dies gilt in jeder Hinsicht – können andere Häuser in Frankfurt nur träumen (wenn sie es denn überhaupt wollen).

Zum Kern der Arbeit gehören natürlich die großen, auch international beachteten Preise, speziell für die besten Hochhäuser (weltweit) und die (architektonisch) besten Bauten in Deutschland. Deren besonderer Wert besteht auch darin, dass diese sorgfältig jurierten Vor-Bilder (und genau das steckt ja in solchen Auszeichnungen als Grundmotiv) nicht nur in Ausstellungen per Modell und Fotos anschaulich präsentiert werden, sondern dass sie durch ebenso sorgfältig erstellte Publikationen begleitet werden, in den die Kriterien und auch die sich abzeichnenden Trends erläutert und vorgestellt werden – ein speziell für die Branche unschätzbarer Dienst, aber natürlich auch eine wertvolle Übersetzung für die interessierte Öffentlichkeit. Wobei der vermittelnde Blick sich noch weiter differenziert: so über Auszeichnungen für die besten Architekturbücher oder für herausragende Architekturfotografie.

Annette Becker ist Kuratorin der Ausstellung „Schön hier“ im Hessenpark, Foto: Petra Kammann

Im letzten Jahr gehörte auch ein Ausflug in den Hessenpark zum Programm, mit einer Ausstellung, die noch durch weitere Orte wandern wird (auch international); und mit einem Thema, das sich erst in letzter Zeit in den Vordergrund geschoben hat, auch in das Zentrum vieler Debatten vorgedrungen ist: Leben und Bauen auf dem Land. „Schön hier“, so hieß und heißt der programmatische Titel. Denn es geht auch noch um diesjährige Gegenwart, weil die Ausstellung wegen des großen Interesses (knapp 50.000 Besucher im Hessenpark) bis zum 2. April verlängert wird. Welche Qualitäten auf dem Land zu entdecken und zu fördern sind, das wird an vielen Beispielen gezeigt.

Annette Becker, welche die Land-Ausstellung für das DAM kuratiert hat, zeigte sich von der Kooperation mit dem Hessenpark ausgesprochen angetan, denkt auch angesichts der „großen Synergie“ an künftige Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Um dort auch jenes Momentum spezifisch auszuschöpfen, das sich abzeichne: „Der ländliche Raum ist unglaublich zukunftsträchtig.“

Der umfangsreiche Katalog (unter eben dem Haupttitel und mit dem Nachsatz „Architektur auf dem Land“ im Verlag Hatje Cantz erschienen) wiederum erlaubt, die inzwischen vielfältig verdichteten Diskussionen im Kreis der Fachleute wahrzunehmen und in allen Auffächerungen nachzuvollziehen. Dabei handelt es sich keineswegs um Überlegungen im theoretischen Elfenbeinturm, sondern vor allem um ganz handfeste Erfahrungsberichte – die allerdings die Schlussfolgerungen, Praxis-Perspektiven und Desiderate immer deutlich formulieren. Wie bei allen Architekturbüchern, die unter der Herausgeberschaft des DAM firmieren, ist die Mischung aus gewinnbringenden Texten und überaus anschaulichen Fotos und Grundrisszeichnungen der Projekte von großem Gewinn: Man mag mit dem Lesen und Schauen gar nicht aufhören.

Hochhaus-Preis 2022 an Kim Herford Nielsen, Gründer des dänischen Architekturbüros 3XN, und Fed Holt (2. und 3. v.r.) im Turm der Frankfurter DekaBank, Foto: Petra Kammann

Überhaupt, am Beispiel des DAM lässt sich belegen, wie vielfältig die Aktivitäten sein können, wenn sie ortsbeweglich gedacht und exekutiert werden. Ob das Ausprobieren städtischer Lebensformen in Werkstatt-Form an der Frankfurter Hauptwache, ob das Modellieren von Architektur im Kleinen und mit Kleinen (auch Erwachsene sind willkommen) mit Lego-Bausteinen in einer Karstadt-Etage, ob das Gastspiel der Hochhaus-Preis-Ausstellung im Museum Angewandte Kunst, ob die Vermittlung kultureller Teilhabe in Kooperation mit dem Senckenberg-Museum und dem Weltkulturen-Museum – das alles steht für die konzeptionell-praktische Offenheit des Architekturmuseums.

Natürlich, dessen derzeit aufgrund gründlicher Sanierungsarbeiten blockiertes, angestammtes Haus am Schaumainkai hat – schon wegen seiner bevorzugten Lage am Museumsufer, natürlich auch wegen seiner im besten Sinne prominenten Fassade – eine besondere Anziehungskraft. Doch ist das eben nur ein Faktor, was Bedeutung und Arbeitsfähigkeit betrifft. DAM-Direktor Schmal jedenfalls unterstreicht, verbunden mit dem Hinweis auf „sehr gut laufenden Veranstaltungen“ und ganz ohne falsche Koketterie: „Wir sind sehr glücklich im jetzigen Interim“. Was er dann später mit dem Nachsatz ergänzt, mit Blick auf die für Anfang 2024 geplante Rückkehr vom Ostend an den Schaumainkai: „Es wird einen sanften Umzug geben“ – was nur zu interpretieren ist als Überlegung, die jetzigen Räume im ehemaligen Telekom-Komplex in bestimmten Formen weiter in die Arbeit einzubeziehen.

Blick in die Ausstellungsräume des DAM-Interimsquartiers im Ostend, Foto: Petra Kammann

Mit wenigen Mitteln – vor allem der gelb-schwarz akzentuierten Farbgestaltung – entwickeln die derzeitigen DAM-Räume im Vergleich zum edlen Ambiente der Anfang der 80er Jahre von Oswald Matthias Ungers umgestalteten Großvilla am Schaumainkai einen eigenwilligen Charme, der Improvisation verströmt, natürlich auch Werkstatt-Atmosphäre. Doch das liegt ohnehin im gegenwärtigen Trend, entspricht dem, was in der gerade zu Ende gegangenen Ausstellung „Nichts Neues. Besser Bauen mit Bestand“ unter vielen Aspekten vielfältig erkundet und programmatisch-perspektivisch vorgestellt wurde; einzuordnen unter den Schlagworten Um-, An- und Weiterbau statt Abriss und Neubau.

Blick auf den Telekom-Komplex von 1951 am Danziger Platz, Foto: Uwe Kammann

Beim jetzigen, in sich verschränkten Bestandskomplex vom Anfang der 50er Jahre scheint in dieser Hinsicht vieles möglich, nachdem ein früherer Investor – der eben nach altem Muster Abriss und Neubau plante – abgesprungen ist. Und nun die neuen Investoren (die Münchner Projektentwickler Isaria) in eine andere Richtung denken. Schmal: „Sie wollen wahrscheinlich große Teile erhalten“, und: „Da lässt sich eine Menge machen.“

Praktisch bedeutet die Neuorientierung: Die Mietverträge der jetzigen Nutzer werden bis 2027 weitergeführt, mithin um eine Zeitspanne verlängert, die ein gründliches, vor allem aber auch phantasieoffenes Nachdenken erlauben, dem dann eine ausreichend großzügige Planungsphase folgen kann. Besucher von außen werden, unabhängig von den Zukunftsplänen, sicher parallel immer denken und hoffen: dass auch die Stadt sich endlich des unmittelbar angrenzenden Danziger Platzes annimmt – er ist an Gestaltarmut und Trostlosigkeit kaum zu überbieten.

Stadtraum in Frankfurt: Der Danziger Platz, Foto: Uwe Kammann

Auch beim Stichwort Stadt – sozusagen der architektonischen Über-Figur – ist das DAM nicht untätig, das Museum stellt sich dem Großthema „STADTplus „.  So lässt es in einer vierteiligen Vortragsreihe unter dem Titel „Kontext Kontrast Kontinuität“ wichtige Themen diskutieren. Zuerst Wie können Städte bezahlbaren Wohnraum schaffen? (27. April), dann Planungsinstrumente damals und heute (4. Mai), weiter Masterpläne und Masterplanungen (1. Juni) und schließlich Wohnen und Nachhaltigkeit (6. Juli). Die Besonderheit dabei: Dies geschieht in Kooperation mit dem Liebling Haus in Tel Aviv, der Frankfurter ernst-may-gesellschaft und mit ICOMOS (der Berater-Kommission der Unesco bei der Welterbekonvention).

Aber es gibt auch ganz andere Aktivitäten und Formen, nicht zuletzt mobile, unter dem Stichwort „on Tour“. So wandern verschiedene frühere Ausstellungen (auch im internationalen Rahmen), so „SOS Brutalismus“, „Frau Architekt“ oder auch „Große Oper – viel Theater?“, welche eine Vielzahl neuer Bühnenbauten in Europa vorgestellt hat (speziell vor dem Hintergrund der Frankfurter Diskussion um Sanierung oder Neubau der Städtischen Bühnen). Andrea Jürges, stellvertretende Direktorin des DAM, ist sichtlich stolz auf diese Erweiterung des Radius – derzeit sind es acht Ausstellungen in zehn verschiedenen Orten –, doch muss sie auch schmunzelnd einräumen: „Das macht viel Arbeit“.

Blick in die Ausstellung „Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck“ (2019) , Foto: Petra Kammann

Aber natürlich steht das für eine anerkannte Ausstrahlung der eigenen Aktivitäten. Was auf der Gegenseite bedeuten kann, auch die ‚inneren’ Projekte zu stärken. Permanent sichtbar ist eines, das indirekt an eine frühere Ausstellung „Paulskirche. Ein Denkmal unter Druck“ anknüpft, nämlich die Baugeschichte der Paulskirche. Jetzt gibt es eine von Philipp Sturm kuratierte Dauerausstellung in deren unterer Wandelhalle. Sie besteht aus sechs in den Fensternischen platzierten Stationen, welche in digitaler Form die wechselvolle Baugeschichte der historischen Paulskirche und des heutigen Gebäudes zeigt. Außerdem bietet sie einen Überblick zur Frankfurter Nationalversammlung und deren Verfassungsgeschichte,  und sie stellt in Schlaglichtern mehr als 70 Jahre Debattenkultur vor. Abzurufen ist diese moderne Präsentation, welche (endlich!) die höchst angestaubt wirkenden früheren Schaukästen ersetzt, auf www.paulskirche.de.

DAM-Vize-Chefin Andrea Jürges, Foto: Petra Kammann

Welche Wirkung diese aktuelle Präsentation auf die Entscheidungen über die zukünftige Form des Erscheinungsbildes haben wird, ist natürlich nicht absehbar. Dass offene Aktivitäten vor Ort in städtische Prozesse eingehen können und sollen, das erläutert Andrea Jürges am lebendigen Projekt des vergangenen Jahres, das unter dem Etikett „Wohnzimmer Hauptwache 2022“ als „Reallabor“ des DAM Perspektiven für die Innenstadt entwickeln sollte. Mit Fragestellungen nach der Aufenthaltsqualität des Stadtraums, nach all’ dem, was ihn lebenswert macht, und auch nach dem, was jeder Einzelne zur Weiterentwicklung des städtischen Umfelds beitragen kann. Auf eigens angefertigten hundert „Making Frankfurt“-Hockern fanden sich bis zum herbstlichen Ende der Aktion viele mitmachfreudige Besucher ein (auch eine WG-Küche lockte) – mit einer Vielzahl von Rückmeldungen. Jetzt, so Andrea Jürges, würden die Ergebnisse der Aktionen ausgewertet, mit der viele Institutionen befasst gewesen seien.

Eine produktive Perspektive für die Innenstadt: Alleine das wäre schon aller Ehren wert, wenn das Deutsche Architekturmuseum etwa anfasst. Allein, der Kreis ist sehr viel größer. Sprechen wir ruhig vom Globalen Norden und vom Globalen Süden, wenn beispielsweise die Maßstäbe des Hochhaus-Preises gelten. Wobei immer mitzudenken ist: Metropolen sind nicht ohne das Umland, auch nicht ohne das Dorf als Modell zu denken.

Ungers-Postmoderne im unrenovierten „Altbau“, Foto: Uwe Kammann

Übrigens, eine Kleinigkeit zum Schluss, die zeigt, wie zeitgeistig die Dinge doch sein können. Denn: Zu den Forschungsprojekten des DAM gehört auch, die Aktenlage zu seiner eigenen Entstehung zu untersuchen, welche natürlich mit seinem höchst umtriebigen Gründungsdirektor verbunden sind. Wie lautet der Forschungstitel? Genau so: „Heinrich Klotz und das DAM im Konflikt um die Postmoderne 1979 bis 1989“. Postmoderne, ja. Ob junge Architekten mit diesem Begriff noch irgendetwas anfangen können? Aber die Sache mit dem DAM selbst, sie war nachhaltig. Von Konflikt und Widerspruch ist nichts zu hören.

 

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