Marie-Theres Deutsch – Frau Architekt und ihr Wunderhaus
Bauen zwischen dem Bestand
Von Petra Kammann
Mitten im Kneipen- und Apfelweinviertel von Frankfurt-Sachsenhausen, Rücken an Rücken mit den Nachbarn, von warmer Wand zu warmer Wand, entstand ein schmales 6-stöckiges Wohnhaus. Vom Keller bis zum Dach ist jeder Zentimeter darin ausgetüftelt, und die Gestaltungsdetails sind voll pfiffiger Einfälle. Die Frankfurter Architektin Marie-Theres Deutsch plante das Wunderhaus nicht nur für ihre eigene Wohnung und für ihr Büro, sie schaffte darin auch Platz für andere Miteigentümer und für Mieter.
Ingeniös und praktisch – die Architektin Marie-Theres Deutsch strahlt großen Optimismus aus; Fotos: Petra Kammann
Was macht man aus einer übrig gebliebenen Baulücke von 8 m Breite, mit 4 Kneipen als Nachbarn und 3 zu beachtenden Fluchtwegen, die durch das Grundstück gehen?
Ähnliche, wenn auch komfortablere Randbedingungen, kennen wir auch aus anderen Vierteln der Mainmetropole, die um die Jahrhundertwende entstanden und die in Teilen noch intakt sind, sei es im Nordend, im Westend oder im Bahnhofsviertel. Auch dort haben die äußeren Bedingungen der Straßenrandbebauung die Form der schmalen Stadthäuser bestimmt. Hier, in Alt-Sachsenhausen ganz in Nähe des mittelalterlichen Kuhhirtenturms, in dem heute das Hindemith-Archiv liegt, sind nur die Dimensionen etwas kleiner geraten, eben angelehnt an die Proportionen eines mittelalterlichen Fachwerkhausviertels, auch wenn dieser Sachsenhäuser Teil nach dem Krieg vor allem von den schnell hochgezogenen Nachbauten der 50er Jahre geprägt ist.
Sticht heraus, das zeitgemäße Haus in Frankfurts Appelwoi-Viertel
8 Meter breit und 14,50 tief konnte das Haus auf diesem Grundstück nur werden, das waren die Bedingungen: also hoch, schmal und langgestreckt. Das bestimmte die Planung. Da musste die Architektin sich schon etwas einfallen lassen. Licht und Transparenz sollte in dem kleinem Gässchen das ganze Haus durchdringen. Das war ihre Priorität. Was für sie bedeutete, viele Maueröffnungen, sprich: Fenster müssen her. Damit war auch schon die erste Entscheidung gefallen. Ein rhythmischer Wechsel von querformatigen und hochformatigen Fenstern sollte die Fassade individuell gliedern. Keine leichte Übung, wenn man allein an die heutigen Brandschutzbedingungen denkt, von anderen Bauschriften ganz zu schweigen.
Eine weitere Voraussetzung: Sechs in sich funktionierende Etagen sollten für die Bauherrengemeinschaft im Haus Platz finden, das Souterrain mit einberechnet. Diese Etagen mittels einer verbindenden Treppe auf der knappen Breite des Innenraums zu überwinden, war zweifellos eine echte bauliche Herausforderung. Entsprechend steil fielen die schlichten, fast skulpturalen Betontreppen aus, weswegen die Architektin für alle Fälle links im langen Flur noch einen klitzekleinen Aufzug unterbrachte, der Bewohner wie Gäste bis in den 5. Stock hinauf transportieren kann.
Langer Durchbruch im schmalen Stadthaus mit Fluchtwegen zu den Nachbarhäusern und ein schmales Treppenhaus
Durchblicke für den Passanten gibt es im Flur – ähnlich wie in niederländischen Häusern – bis in den Hinterhof. Was lang ist, soll ruhig auch in seiner Länge betont werden, ist das Credo der Architektin. Von der Straße aus präsentiert sich tagsüber die Offenheit und Transparenz so, dass man im Gärtchen die Fahrräder stehen sieht, während in der Dunkelheit schmale Lichtstreifen die weiße Wand nicht nur gliedern, sondern auch die Hausbewohner des Abends mit einem „Nachhausekommens-Licht“ empfangen. Im letzten Drittel sind an der Wand auch die Fluchtwege mit entsprechend leicht zu öffnenden Paniktüren eingebaut, so dass diese Hürde abgehakt werden konnte.
Der erste Eindruck beim Wohnungseintritt: Hier regiert zweitgenössisches Design
Blieb die Planung der einzelnen Wohnungen: Eigentlich sind von den äußeren Gegebenheiten her alle Wohnungen gleich. Und natürlich hätte man sie alle gleich als großräumige Lofts anlegen können. Aber verliert man in großen Räumen nicht jeglichen Maßstab und legt den Bewohnern mangelnde Distanz auf, denn die Frage bleibt, wie man die verschiedenen Zonen voneinander abgrenzen soll.
Da gibt es im Mittelfeld der jeweiligen Wohnung durchaus Gestaltungsmöglichkeiten für weitere offene Räume, die mit unterschiedlichen Funktionen belegt sind. Soll die Küche abgetrennt sein oder Teil eines kompletten Wohnraums wie in der ersten Etage? Für solche Überlegungen bezog die Architektin die Mitglieder der Bauherrengemeinschaft bei der Planung durchaus mit ein. „So wollte zum Beispiel mein Mann gerne einen Kamin haben, der jetzt unsere Wohnung strukturiert.“
Natürlich mussten dabei die verschiedenen Lichtachsen, die Helligkeit in das schmale Gehäuse bringen, gut bedacht sein. Das zwang die Architektin dazu, auch über diagonale Lichteinflüsse, Einschnitte und Über-Eck-Lösungen nachzudenken.
Durchblicke sind ebenso wichtig wie Abgrenzungen
„In unserem Fall“, sagt Marie-Theres Deutsch, „wollten wir nämlich zwei Etagen zu einer Maisonette-Wohnung miteinander verbinden, deshalb habe ich eine versteckte Treppe, die nach unten führt, und die im Wohnraum gestört hätte, wie ein Möbelstück eingebaut.“ Hinter dem halbhohen wandweißen Bücherregal versteckt sich unauffällig eine Treppe, die nach unten in die dritte Etage führt, wo ihr Mann seinen eigenen Arbeitsbereich hat. Das verleiht dem Wohnraum wegen der Luftschicht vor der Wand zum Nachbarn geradezu etwas Schwebendes. Außerdem bringt der Wandeinschnitt über der Treppe vom Eckfenster der Hinterfront zusätzliches Licht in den Raum.
Die hinter dem Bücherregal kaschierte Treppe verbindet die Etagen in der Maisonette-Wohnung. Durch die Einschnitte wiederum strahlt das Licht bis nach vorn
„Wenn man einen großen Raum hat, dann nimmt man die Quadratmeter gar nicht mehr bewusst war. Deswegen brauchen wir verschiedene ,Zonenzuweisungen‘, die das weitere Planen bestimmten“, sagt Marie-Theres Deutsch, während sie gemütlich mit ihrem Mann vor einem Kamin sitzt, dessen Rückwand die Abgrenzung zur Essküche bildet. Erstaunlich, dass bei einem Blick um die Ecke gleich auffällt, dass in dem sonst so durchgestylten Haus, indem man vor allem zeitgenössische Designer-Möbel erwartet, auch antike Möbel und alte Gemälde, die ihr Mann mit in die Ehe brachte, zusätzliche individuelle Akzente setzen.
Hinter dem Kamin die Essküche, abgetrennt, mit Durchblick und doch verbunden
Hinter dem Kamin wiederum befindet sich die abgetrennte Essküche mit entsprechenden schlicht-funktionalen Einbauten. So konnte wiederum Platz für einen weiteren Raum – eine Art zweiter Salon – geschaffen werden, der den Blick auf die Hinterhoflandschaft freigibt. Er ist außerdem wegen des über Eck gestellten Fensters lichtdurchflutet.
Raumgliederung und Durchblicke mit einer gelungenen Kombination aus antik und modern
Wenden wir den Blick vom Kamin aus durch das breitangelegte Panoramafenster in Richtung Paradiesgasse, so stoßen wir sogleich auf eine weitere gestalterische Raffinesse. Nach vorne wurden querliegende Fensterfronten geschaffen, welche viel Licht in die Wohnung bringen und die Fassade leicht zur Straße hin rausschieben. Dabei ist die ausgestülpte Fassade durch Überzüge mit den Stahlbetondecken rückverankert. Diese Überzüge in den Erkern sind als Bänke oder Gästebetten kaschiert. Und optisch ist die breite Fensterfront durch die Fassadenfarbe noch einmal unterteilt und lässt dennoch das Licht durch. Einfach pfiffig!
Am anderen Ende: geschickt eingebaute Gästebetten mit Ausblick auf das Leben in der Straße
Auf der gegenüberliegenden Seite sorgt ein Übereck-Fenster dafür, dass man den Blick quer durchs Haus hat. Bei der ausgewogenen Ost-West-Belichtung erlebt man morgens auf der Rückseite den Sonnenaufgang und am Nachmittag zur Straße hin den Sonnenuntergang.
Da kann man nur auf das oberste Geschoss gespannt sein, in dem sich das Büro befindet. Diese 50 m² große Raumeinheit war ursprünglich auch als Wohnung gedacht, während das Büro ursprünglich im Souterrain eingerichtet war. Das aber wurde im Laufe der Jahre umgedreht. Deswegen finden wir hier aber – völlig außergewöhnlich für ein Architekturbüro – noch eine perfekt restaurierte eingebaute „Frankfurter Küche“. Aus dem ursprünglichen ovalen modernen Essplatz wiederum wurde nun der Besprechungstisch.
Die berühmte „Frankfurter Küche“ aus den 30erJahren, hier bestens aufgearbeitet und eingebaut.
In den Kubus in der Mitte des Raumes mit seinen Schranktüren, in dem früher ein rotes Bett stand, ist inzwischen der Maschinenpark mit Druckern, Servern und Aktenordnern eingezogen, während die Außenseiten des Kubus als Bücherregale fungieren und die obere Abdeckung des Kubus als Stellfläche die Architekturmodelle beherbergt.
Die Modelle entstehen erst einmal aus Pappe, bevor der Entwurf in den Rechner geht
Hier oben ist der Lichteinfall phantastisch. Da konnte das Fenster bis zum Boden runtergezogen werden. Durch die zur Straße hin vorstehenden Erker, die zudem die Fassade strukturieren, konnten zusätzliche 15 % an Wohnfläche gewonnen werden. Vor der Straßenfensterfront sitzen heute an einem fast quadratischen Tisch die beiden Architekten Marie-Theres Deutsch selbst und ihr Mitarbeiter Berk Özata einander gegenüber.
Özata absolvierte zusätzlich zu seinem Architekturstudium in Istanbul noch eine weitere Ausbildung in der Architekturklasse der Frankfurter Städelschule – ähnlich wie seine Chefin auch, die dort 1985 ihre zweite Ausbildung beendet hatte. Das beflügele nach der langen technischen Ausbildung einfach die Imaginationskraft. Ja, es sei ein wirkliches „mindopening“ gewesen, wie Berk es ausdrückt. Er genießt es, hier bei Marie-Theres Deutsch zu arbeiten, weil die Aufgaben vielfältig sind und man den kompletten Ablauf erlebt, was oftmals in Großbüros nicht möglich ist.
Der Architekt Berk Özata, Mitarbeiter seit zwei Jahren im Architekturbüro in der obersten Etage
Runter geht es ins schließlich ins Souterrain, das ebenfalls aus einer Besonderheit entstanden ist. Dort nämlich gab es einen Keller, den keiner kannte, und der wohl auch ziemlich kaputt war. Das ließ der Architektin einfach keine Ruhe und so grub sie das Loch weiter aus, um hier nun eine sechste Wohnung hinzubekommen und für diese dazu noch einen kleinen Gartenaustritt zu erschaffen.
Blick in die Souterrain-Wohnung
Die Wohnung, in der ursprünglich – wie schon erwähnt – ihr Büro war, wird heute im Dauerauftrag turnusmäßig für 8 Wochen vermietet. Bei meinem Besuch konnte ich einen Blick in die gerade verlassene Wohnung werfen, die komplett funktional eingerichtet ist mit einem eingebauten Bett in der Nische, dessen Unterbau, aus Zeichnungsschubladen besteht, einem Esstisch, in den eine Kochplatte eingelassen ist, von dem aus man auf das Gärtchen schaut, und mit einem Bücherregal neben einer hohen Spiegelwand, hinter der sich ein Schrank verbirgt, und in dem derzeit auch weitere Aktenordner aus dem Architekturbüro verschwinden können.
Der Blick in das Gärtchen zwischen den hohen wildbewachsenen Mauern, in das Marie-Theres die hier vorhandenen Steine zu einer Treppe verbaut hat, wirkt am Abend geradezu romantisch. Beim Raufgehen in den Flur zeigt die Hausherrin zum Abschluss der Begehung noch eine weitere witzige Besonderheit. Während sie die Frage stellt, blitzt es schon spitzbübisch aus ihren Augen: „Raten Sie mal, was sich unter den Eisenrosten befindet“ und schwups, schon hat sie die Mülleimer hochgezogen, um zu demonstrieren, wie unaufwendig und platzsparend sie sogar den Müll verstauen kann. Einfach genial!
Selbst der Müll hat einen funktionalen Ort im Hof gefunden
Letzte Frage: Wann sie denn beschloss, Architektin zu werden. Spontan antwortet sie: „Das wusste ich schon als Kind, dass ich das will. So mit 6 Jahren. Da habe ich begeistert mit Lego-Steinen gebaut. Da hab‘ schon immer meine Spielecken in Baustellen gehabt und als Älteste meine Geschwister mitgezogen. In der Baustelle haben wir dann eben Vater, Mutter, Kind gespielt. Ja, sowas fällt einem dann erst wieder im Laufe der Jahre ein.“
In der Tat, wenn Beruf so etwas wie Berufung ist, dann kann eben auch nichts Schlechtes dabei herauskommen… Daher ist es wohl auch kein Zufall, dass ihr Wohnhaus in der Paradiesgasse 13 im Jahr 2013 mit der Elsässer-Plakette ausgezeichnet wurde.Von solchen Paradiesen können manche Bauherren nur träumen…
Vita, Marie-Theres Deutsch, Architektin BDA
1955
geboren in Trier
1976-1979
Studium der Architektur
Fachhochschule Trier,
Fachhochschule Wiesbaden
1980-1985
Studium der Architektur
Akademie der bildenden Künste / Städelschule, Frankfurt bei Prof. Bock und Prof. Peter Cook
Kooperationssemester mit der AA, London
seit 1985
Architekturbüro in Frankfurt
1990-1992
Gastprofessur
Fachhochschule für Innenarchitektur, Detmold
Grundlagen des Entwerfens, experimenteller Entwurf
1994
Mitglied im BDA Frankfurt
mehrfach Mitglied des Vorstandes
1992-1994
Gastprofessur
Gesamthochschule, Universität Kassel
Entwurfs- und Konstruktionslehre
2001
Gastprofessur
Universität GH Siegen – Entwerfen und Innenraumgestaltung
2014 – 2017
Mitglied des Städtebaubeirats der Stadt Frankfurt
https://www.deutsch-architekten.de/