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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Die 31. Saison im Tigerpalast Frankfurt

Virtuos, professionell, witzig – hohe Artisten-Kunst

von Renate Feyerbacher

Alix und Barti / Tigerpalast

Faxen macht Barti, bevor er sich auf den Klavierstuhl schwingt und in die Tasten greift. Barti ist eine Marionette, die vom dänischen Puppenspieler Alex Jorgensen unglaublich virtuos bewegt wird. Menschliche Regungen und Bewegungen der Augen, der Finger und sogar der Ohren sind so überzeugend, dass man glaubt, ein reales Wesen vor sich zu haben. Wie Barti immer wieder seinen ‚Kollegen‘ Alex  mit der Hand zurückdrängt, das ist irrwitzig. Er braucht Freiheit. Seit vielen Jahren und auf vielen Festivals hat der Künstler diese witzig-perfekte Inszenierung entwickelt. Die Zuschauer waren fasziniert.

Programmheft Tigerpalast

„Darf ich mal durch“, singt Alix Dudel und quetscht sich unbarmherzig durch die engen Stuhlreihen. Der Saal ist proppenvoll. So beginnt der Abend. Die Diseuse, Schauspielerin, die in Berlin zu Hause ist, präsentiert die Weltstars des Varietés und sich selbst mit Liedern und Texten von Friedhelm Kändler, dem Dichter und Bühnenautor aus Hannover, der heute im Hessischen lebt, von Friedrich Hollaender (1896-1976) „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ und anderen Chansons- und Liedkomponisten. Eine elegante Gastgeberin, deren Lied-Interpretationen durch feine Ironie gekennzeichnet sind.

Schon Ende der neunziger Jahre kam eine neue Farbe in den Tigerpalast durch die politischen Veränderungen. Die Russen vom Moskauer Staatszirkus kamen, begeistert aufgenommen von Margareta Dillinger. Und auch heute noch ist ihre Begeisterung für die russischen Künstler groß. Von den acht Künstlern*innen, die an diesem Abend auftreten, kommen fünf aus der russischen beziehungsweise Moskauer Artistenschule. Ein sehr junger ist dabei: Alexander Mitin, von dem die Chefin nach der Show schwärmt. Das Publikum tat es auch.

Seit seinem 4.Lebensjahr trainiert der 18-Jährige seinen Körper. Seine Performance als Kontorsionist macht sprachlos. Kontorsion ist eine Form von Akrobatik bei der der Körper verdreht und verbogen wird und unvorstellbare Positionen erreicht. Wie kommt das Knie über den Rücken? Hat er Knochen? Sowohl beim Festival in Moskau und beim Festival New Generation in Monte Carlo wurde er bereits ausgezeichnet. Beim European Youth Festival in Wiesbaden 2018 entdeckten ihn Jonny Klinke und Margareta Dillinger, die im letzten Jahr den begehrten Binding Kulturpreis erhielten.

Ihr Spezialpreis für Mitin war mit dem Engagement im Tigerpalast verbunden. Grandezza Entertainment garantierte ebenfalls ein Auftrittsangebot. Der artistischen Weltkarriere dieses sympathischen jungen Mannes, der geradezu gefeiert wurde, steht nichts mehr im Wege.

Jung ist auch der Bälle-Artist Soslan Suanov, der heute zu den 50 besten Jongleuren zählt und auch schon Preise bekam: in Monte Carlo, Paris und Moskau. Sehr schnell, so dass das Auge kaum nachkommt, lässt er seine weißen Bälle in Pyramiden und Kaskaden tanzen. Sein letztes Highlight mit acht, wie ich glaubte zählen zu können, bei dem er sein Tempo noch steigerte, wollte zunächst nicht klappen, aber er gab nicht auf und schaffte es. Frenetischer Beifall.

Alvarez, Tigerpalast (Foto Frank Wilde)

Wie üblich wurde der mittlere Teil des Saals geräumt, die Zuschauer auf der Bühne wurden plaziert.

Kristina Bautina zeigt eine elegante Trapez Choreografie, einstudiert von dem legendären Choreografen Alexander Grimaylo. Leicht erscheint ihre Kunst-Aktion, der ein hartes Training voraus ging. Kopfüber, nur von den Füßen gehalten, hängt sie am Trapez und schaut freundlich nach allen Seiten ins Publikum. Die mit vielen Preisen ausgezeichnete Artistin wird stürmisch gefeiert. Wie auch Sergey Akimov, der unter dem Dach des alten Ballhauses – dem heutigen Sitz des Tigerpalasts – fliegt. Mit Hilfe von Bändern präsentiert er, inspiriert vom klassischen Ballett, einen atemberaubenden Luft-Tanz.

Beide verkörpern die traditionelle Moskauer Artistenschule.

Sergey Akimov  / Tigerpalast / Foto: Tigerpalast

Mit Quick Change begeistert das weltweit agierende Tanz-Duo Victor und Elena Minasov. Allein ihr Kleiderwechsel in Sekundenschnelle ist umwerfend. Sie werfen sich gegenseitig eine Art Sack über und sie zum Beispiel, die zuvor im Abendkleid posierte, steht, wenn der Sack fällt, im Freizeitlook da. So geht das Schlag auf Schlag mit den tollsten, verrücktesten Kleidungsstücken. Wie schafft das Ehepaar diese schnellen Kleiderwechsel? Die Stimmung im Saal ist bombig. Nun ja, Victors Großvater war um 1890 schon Circusdirektor.

Vanessa Alvarez lässt sich von leidenschaftlichen Flamenco-Klängen begleiten. Auf dem Rücken auf einem Canapé liegend, jongliert sie Tücher durch die Luft und sogar eine Gitarre tanzt auf ihren Füßen. Gekonnt ist diese Antipoden-Jonglage, wie sich diese Nummer der attraktiven jungen Künstlerin, die aus einer spanischen Artistenfamilie stammt und seit 16 Jahren international unterwegs ist, nennt.

Die Pellegrini Brothers sind seit zwei Jahrzehnten Stamm-Künstler des Tigerpalastes. Die vier Brüder aus Italien, die viele renommierte Preise kassierten, zeigen wieder einmal ihre kraftvolle Handstandakrobatik. Musiker des Varieté Orchesters Tigerpalast begleiten die acht Performances und Alix Dudel gekonnt, mal flott, mal jazzig, mal einfühlsam.

Ein gelungener Tigerpalast-Abend, der vom Publikum und auch von mir begeistert aufgenommen wurde. Einige  der genannten Künstler gastieren über den Dezember hinaus, einige bis in den November hinein.

Informationshungrige erfahren mehr über den Tigerpalast in dem Buch von Sabine Börchers: „Die Kunst der Balance – 25 Jahre Tigerpalast in Frankfurt“ (Societäts Verlag). Mehr unter:

www.tigerpalast.de

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