Andreas Dresen im Deutschen Filminstitut / Filmmuseum (DFF)
„Ich finde das was Schönes, das Familiäre, Sehnsucht nach Ensemble“
Text und Fotos: Renate Feyerbacher
„Gundermann“ (2018) heißt der neue Film von Andreas Dresen. Er war der Favorit von 2000 Mitgliedern der Deutschen Filmakademie, die den Deutschen Filmpreis „Lola“ verleiht. Der neue Präsident der Filmakademie, Ulrich Matthes, überreichte am 3. Mai 2019 in Berlin allein sechs Trophäen an das Film-Team: Bester Spielfilm (Lola in Gold), Beste Regie (Andreas Dresen), Bestes Drehbuch (Laila Stieler), Bestes Szenenbild (Susanne Hopf), Bestes Kostümbild (Sabine Greunig). Last not least wurde Alexander Scheer, der Gundermann spielt, als Bester Schauspieler ausgezeichnet.
Filmprospekt mit Autogramm von Andreas Dresen
Nominiert waren „Styx“, der Flüchtlingsfilm von Wolfgang Fischer, der unter schwierigsten Bedingungen gedreht worden war. Er bekam Silber, Kameramann Benedict Neuenfels und Susanne Wolff wurden als Beste Schauspielerin gekürt. Caroline Link erhielt Bronze für „Der Junge muss an die frische Luft“. Die Kindheitsgeschichte von Hape Kerkeling lockte die meisten Besucher ins Kino. Nominiert waren außerdem der kluge und mutige Film „Transit“ von Christian Petzold nach dem Roman von Anna Seghers. Er ging leer aus. Weitere Nominierungen: „Das schönste Mädchen der Welt“ von Aron Lehmann, eine moderne Version der Cyrano de Bergerac Erzählung und „25 km/ h“, das Roadmovie zweier Brüder, Bjarne Mädel und Lars Eidinger, von Markus Goller. Und Margarethe von Trotta konnte den Ehrenpreis in Empfang nehmen.
Begrüßungsanzeige im Foyer des DFF
Andreas Dresens Biopic über den Rockpoeten und Baggerfahrer, über den Rebell, den Stasi-Spitzel Gerhard „Gundi“, „Gundermann“ hatte sich gegen starke Konkurrenz durchgesetzt. Ich denke zu Recht.
2015 hatte sich Andreas Dresen der Literaturverfilmung von „Als wir träumten“ nach dem gleichnamigen Roman von Clemens Meyer (2006), dem noch amtierenden Stadtschreiber von Bergen-Enkheim, gewidmet.
Clemens Meyer am Stadtschreiber-Haus in Bergen Enkheim am 30.8.2018
Meyer erzählt von einer Jugendclique in Leipzig. Dort wuchs der 1977 geborene Autor auf. Sein vielfach ausgezeichneter Debütroman mit autobiografischen Zügen widmet sich der Zeit kurz nach dem Mauerfall vor 30 Jahren.
Dresen, dessen Film 2015 im Wettbewerb der Berlinale lief, erzählt darin die Geschichte der jungen, rebellischen Freunde, soeben noch Pioniere, die dachten, sie wären die Größten: brutal, aber auch zärtlich. Sie träumen von neuen Möglichkeiten, gehen aber im Wirbel der Wiedervereinigung unter. Sie sind wild, stehlen Autos, hantieren mit Drogen, gründen eine Diskothek, die von glatzköpfigen Neonazis belagert wird.
Ein atmosphärisch dichter realistischer Film, der auch Rückblicke auf die DDR einbaut. Für mich ein realistisch-ehrlicher Film mit wichtigen Informationen.
Nun hat der Regisseur Dresen mit „Gundermann“ nachgelegt. Er hat die Erfahrungen aus zwei Gesellschaftssystemen zum Thema gemacht und vertieft. Für mich als Zuschauer aus dem Westen erschlossen sich Vorgänge, die im Zusammenleben in der DDR alltäglich waren, aber für Mitmenschen verheerende Folgen haben konnten. Drehbuchautorin und Regisseur schildern sie ohne Anklage, aber faktisch klar. Und sie erreichen beim Zuschauer eine differenzierte Einsicht über Abläufe im Alltag, die auch zu Verrat führen konnten.
Als Gundermann einem Kollegen gesteht, ihn bespitzelt zu haben, antwortet dieser nach einer Weile „Ich hab dich auch bespitzelt.“ Gundermann ist entsetzt. Er war Täter und Opfer zugleich, wie vielleicht viele im Stasi-System. Es sind tiefe Einblicke in ein verschwundenes Land, die ermöglichen, vieles besser zu verstehen.
Andreas Dresen im DFF
Locker, freundlich, aufgeschlossen, manchmal herzlich lachend; so erleben die Zuschauer am 29. Mai den erfolgreichen Andreas Dresen im Gespräch mit Urs Spörri im DFF. Sehr persönlich erzählt der Regisseur von seiner Theaterfamilie. Sein Vater Adolf Dresen, Schauspiel- und Opernregisseur, der 1977 aus Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns in den Westen übersiedelte, war 1981 – 85 auch Schauspieldirektor in Frankfurt am Main.
Sein Sohn Andreas, damals 14 Jahre, blieb mit der Mutter, der Schauspielerin Barbara Bachmann, in der DDR. Obwohl der Vater im Westen war, durfte er studieren. Lothar Bisky, Kultur-, Filmwissenschaftler, Rektor der Film Universität Babelsberg Kurt Wolff, in den 90er Jahren Politiker, setzte sich für ihn ein, als der Verweis von der Filmhochschule drohte. Dresen erinnert sich an ihn als „eine tolle Persönlichkeit“.
Zwölf Jahre habe er und sein Team an „Gundermann“ gearbeitet, das heißt seit 2006. Er habe den Liedermacher zwar nicht persönlich gekannt, aber seine Lieder, die haben ihm gefallen.
Er nennt den Film einen „Versuch eines Menschen, sich mit dem eigenen Leben, mit möglicher Schuld und der Vergangenheit in einem untergegangenen Land auseinanderzusetzen“, auch mit seiner Spitzel-Tätigkeit, die nach der Wende publik wurde. Für Dresen war „Gundi“ vor allem ein großer Poet, ein Künstler mit „einer sozialen Verantwortung“. Zu seiner Stasi-Tätigkeit: „Ich werde nicht um Verzeihung bitten. Aber mir selbst kann ich das nicht verzeihen“, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film.
Rückschau für den Musiker und auch für den Zuschauer. Einige fragten den Regisseur, ob man einen Film über einen Stasi-Spitzel drehen dürfe. Die Liebesgeschichte zwischen Gundi und seiner Ehefrau Conny, sie und Tochter Linda haben die Drehbuchautorin Laila Stieler wie auch den Regisseur unterstützt, es ist die zweite wunderbar erzählte Klammer im Film. In einem Interview in MDR Kultur betonte Conny, dass Dresen Gundi nicht verletzt habe. Er liebe ihn. Und es geht in dem Film auch um Heimat und immer wieder um Lieder, Konzertauftritte – natürlich keine Originalaufnahmen, denn Gundermann – 1955 in Weimar geboren, starb bereits 1998 im Alter von 43 Jahren. „Er starb unmittelbar. An einem kühlen Abend zur Sommersonnenwende.“
Trotz einiger Erfindungen stimmen die Fakten im Film im Wesentlichen. Nach seiner Schicht schuftete Gundermann als Baggerfahrer eines Tagebaugroßgeräts.
Faszinierende Aufnahmen von Kameramann Andreas Höfer, der bereits 1992 Dresens zweiten Film „Stilles Land“ drehte. Gedreht wurde allerdings nicht im Lausitzer Braunkohlerevier, dem Arbeitsplatz von Gundermann, da gibt es heute eine Seelandschaft, sondern in der Nähe von Gelsenkirchen. Den Verlust des Arbeitsplatzes hat Gundermann nicht verkraftet.
Er war Kommunist, Sozialist, überzeugt von den Idealen des Kommunismus. Von der Polit-Führung ließ er sich aber nicht einwickeln, sondern kritisierte sie heftig, wird wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“ aus der SED ausgeschlossen. Er setzt sich für seine Kollegen ein. 1995 wurde dann seine Stasi-Tätigkeit publik. Im Film wird ihm der Satz entgegen geschleudert: „Man kann Kommunist sein, ohne Schwein zu sein.“ In einem Gespräch mit der TAZ sagte Dresen 2018: „Dass Menschen moralisch Fehler begehen, ist nun auch kein Alleinstellungsmerkmal des Ostens.“ Wie wahr!
Alexander Scheer als Gundermann ist eine Wucht. Er hat alle Lieder selbst eingesungen.
Gundermanns Song
einmal
„einmal bleiben morgens meine schuhe leer.
einmal hilft mir auch dein fliedertee nicht mehr.
einmal fall ich in den schwarzen trichter rein.
einmal laß ich dich allein….“
Bei dem Song „Linda“ sei Scheer sehr aufgeregt gewesen, so Dresen. Linda, Gundermanns Tochter, habe, als er sang, gesagt: „Ich habe Papa schon lange nicht mehr gesehen.“
Linda
„Du bist in mein Herz gefallen
wie in ein verlassenes Haus.
Hast die Türen und Fenster weit aufgerissen.
Das Licht kann rein und raus.
Ich hatte doch schon meinen Frieden,
aber du bist so ne laute Braut.
Du hast mich wieder ausgeschnitten
aus meiner dicken Haut…..“
Der 1976 in Berlin geborene Scheer ist ein Theatervollblutschauspieler, er wurde Schauspieler des Jahres 2008. Theaterregisseur Frank Castorf, der Jahre lang die Volksbühne in Berlin leitete, lobt seine „Unverfrorenheit“. „ Er kennt keine Grenzen auch nicht die scheinbaren Grenzen des Geschmacks. Er fängt einfach an und dann explodiert etwas.“ (Zitat ZEITMAGAZIN 08 /2019)
Dresen nennt Scheer im Frankfurter Gespräch einen Verwandlungskünstler: er trug eine Spange in der Nase, falsche Zähne, eine Brille wie Gundermann und habe sich dessen Körpersprache angewöhnt.
Zum weiteren Ensemble gehören Schauspieler, die in seinem Filmen schon früher dabei waren: Thorsten Merten, Axel Prahl, Milan Peschel und Peter Sodann. Da wird Dresen ganz wehmütig: „Es war seine letzte Rolle.“ Bjarne Mädel, Kathrin Angerer und last but not least Anna Unterberger als Conny Gundermann komplettieren das wunderbare Ensemble. In der Wahl kommt Dresens Sehnsucht nach einem Ensemble zum Ausdruck.
„Gundermann“ ist ein Biopic, ein Musik-, ein Liebes- und Heimatfilm mit Blick auf eine vergangene Zeit, mit Einblick in politische Abläufe. Einfach ein großartiger Film.
Alexander Scheer und Andreas Dresen („Ich spiele mäßig Lagerfeuergitarre“) mit Band werden erneut im Juli, August und September auf Filmtour (Konzert und Film) gehen. Unter anderem sind sie beim Heimatfilmfestival in Simmern dabei.