Starke Stücke im Schauspiel Frankfurt ( 13)
Ein Bericht von Renate Feyerbacher
„Rose Bernd“ von Gerhart Hauptmann
Die neue Intendanz hat Hauptmanns Klassiker „Rose Bernd“ in der zweistündigen Neufassung von Regisseur Roger Vontobel und der Dramaturgin Marion Tiedtke, das vor zwei Jahren in Bochum (am 4. Oktober 2015) Premiere hatte, nach Frankfurt gebracht. Es wurde mit Spannung erwartet, da Jana Schulz die Titelrolle spielt. Für ihre Interpretation erhielt sie 2016 den begehrten Gertrud-Eysoldt-Ring, der für herausragende schauspielerische Leistung alljährlich in Bensheim verliehen wird.
Rose Bernd von Gerhart Hauptmann unter der Regie von Roger Vontobel, Foto: Arno Declair/Schauspiel Frankfurt
Es beginnt wie im Märchen. Ununterbrochen regnet es Gold. Die nackten, kauernden Körper von Rose Bernd und Christoph Flamm im Liebesspiel sind bedeckt mit den Goldschnipseln. Das Glück der Goldmarie wie im Märchen von Frau Holle ist Rose Bernd allerdings nicht beschert. Aus armer Familie kommend, arbeitete sie viele Jahre als Dienstmädchen im Hause des Großgrundbesitzers Flamm, der sich in sie verliebt hat. Auch sie hat sich in ihn verliebt. Aber er ist verheiratet, seine Frau gelähmt. Trotz der sexuellen Leere in seiner Ehe will er keine Scheidung, da er soziale Ächtung und Unbequemlichkeiten fürchtet. Rose Bernd ist gewillt, sich von Flamm loszusagen und wie es der arbeitslose Vater von ihr verlangt, den Buchbinder August Keil zu heiraten. Dieser sehnt sich als Waise nach einem Zuhause und könnte der Familie eine soziale Existenz bieten.
Für Rose, die sich nach dem Tod der Mutter um die kleinere Schwester kümmert und für den Unterhalt der Familie sorgt, wäre das eine Entlastung. Aber sie liebt August nicht. Es ist das reine Pflichtbewusstsein, das sie zu dem Entschluss treibt, ihn zu heiraten. Aber dann entdeckt sie, dass sie von Flamm schwanger ist. Der arbeitslose Maschinist Arthur Streckmann hat ihre Situation mitbekommen und nutzt sie schamlos aus. Rose hat Frau Flamm, die sie mit aufzog, zwar erzählt, dass sie ein Kind erwartet, aber nicht von wem. Frau Flamm würde das Kind adoptieren. Aber Rose ist verstockt, beziehungsweise sie ist eine selbstbewusste starke Frau, die jedoch keinen Ausweg sieht: „Helfen kann mer dabei niemand nich“. Sie tötet ihr Kind, das sie haben wollte, und damit sich selbst.
Dramaturgin Marion Tiedtke nennt das Drama „das Leben einer Frau, die alle schützt, nur sich selbst nicht, eine moderne Passionsgeschichte.“
Jana Schulz, Heiko Raulin, Foto: Arno Declair/Schauspiel Frankfurt
Gerhardt Hauptmann (1862-1946) wurde in Schlesien, das heute zu Polen gehört, geboren. Im April 1903 war er Geschworener in einem Prozess gegen eine Landarbeiterin, die ihr Kind getötet hatte. Er setzte sich für deren Freispruch ein, der auch erfolgte, aber in einem neuen Verfahren von der Staatsanwaltschaft verworfen wurde. Diese Ereignisse bewogen den Schriftsteller, das Drama „Rose Bernd“ in schlesischem Dialekt zu schreiben. Nicht zuletzt auch deshalb gilt er als der bedeutendste Vertreter des dramatischen Naturalismus. Bereits im Oktober wurde das Stück am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. Die Flamms sprechen hochdeutsch. Aber der schlesische Dialekt wurde in dieser Inszenierung beibehalten und ist für den Zuschauer erstaunlich gut zu verstehen.
Die schräge, schwarze Spielfläche, nur mit Stühlen bestückt, betreten die Darsteller von allen Seiten. Die großen Scheinwerfer blitzen manchmal bedrohlich auf. Ansonsten ist es ziemlich dunkel. Kaum erkennbar, aber gut zu hören ist die Bläsergruppe um Komponist Matthias Herrmann. Sie steht hinter der Bühne. Faszinierend, wie sie den Dreschmaschinen Töne geben.
Regisseur Roger Vontobel steht in Jana Schulz eine Rose Bernd zur Verfügung, die vom Liebesspiel bis zur Selbstzerstörung ihr schauspielerisches Können einzigartig einsetzt. Wie im „Woyzeck“ geht sie bis an die Grenze physischer Belastbarkeit. Entspannt, momentan glücklich und noch hoffnungsvoll. Dagegen stehen ihr Liebesspiel, ihr Tanz. Die Intensität ihrer Darstellung bewegt innerlich. Eine kämpferische Frau, die durchaus in unsere Jetztzeit passt, ebenso wie Frau Flamm, die von Katharina Linder, welche neu ist im Ensemble und aus Bochum kommt, gespielt wird.
Heiko Raulin, der bisher freischaffend an bedeutenden deutschsprachigen Häusern gastierte, ist ebenfalls neu im Frankfurter Ensemble, als Flamm ist er ein smarter feinsinniger Liebhaber, später ein feiger hilfloser Versager. Ehemals Absolvent der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt, verkörpert Nils Kreutinger den bieder, frömmelnden, aus sozial-elendem Milieu kommenden August Keil. Er ist kein Mann für Rose Bernd. Er ist skrupellos, verschwitzt, abstoßend. Michael Schütz als Maschinist und Arthur Streckmann, ein Neureicher Alkoholiker, erpresst und vergewaltigt Rose Bernd. Ein Verbrecher, der in der Darstellung überzeugend spielt. Matthias Redlhammer als Vater Bernd fällt kaum auf. Schade, denn der Konflikt zwischen Vater und Tochter hätte fokussiert werden müssen, zumal hier ein ausgezeichneter Schauspieler zur Verfügung steht.
Das über hundert Jahre alte Stück hat auch heute noch seine Gültigkeit vor allem in der Art und Weise, wie es inszeniert ist. Jana Schulz macht es zu einem Ereignis.
Weitere Vorstellungen am 6. Januar, 16. Februar 2018, 3. / 4. März
Das Siebte Kreuz Roman von Anna Seghers
Für die Bühne adaptiert von Sabine Reich und Anselm Weber
Schwarz gewandet, wie eine Mauer stehen sie zusammen. Ausdruck des deutschen Volkswillens. Durch ihre Beine hindurch kriecht Georg Heisler, der Flüchtling aus dem Konzentrationslager. Er ist einer von sieben, die flohen. Ein starkes Bild. Die Bühne (gestaltet von Raimund Bauer), hinten begrenzt durch einen Metallzaun, wurde in den Zuschauerraum vorgezogen, nichts soll dem Publikum entgehen, es soll einbezogen werden. Georg, von den Nazischergen verfolgt, vom Schmerz gekrümmt, ist, wie er dort liegt, dem Zuschauer sehr nah. Seine blutverschmierte entzündete Hand, sein verdrecktes Gesicht prägen sich ein. Er will „lieber verrecken in der Wildnis als im Lager krepieren.“
Das siebte Kreuz von Anna Seghers, Regie: Anselm Weber
v.l.n.r.:Michael Schütz, Olivia Grigolli, Max Simonischek, Paula Hans, Christoph Pütthoff
Foto: Thomas Aurin/Schauspiel Frankfurt
Sieben Häftlinge flohen, sieben Kreuze ließ der Lagerkommandant auf dem Appellhofplatz einrichten, an denen am Wochenende alle sieben Flüchtlinge hängen sollen. Georg Heisler, die Zentralfigur, Automechaniker und Kommunist, hat mit dem Kommunisten Ernst Wallau die Flucht aus dem Lager geplant. Pelzer und Beutler werden gleich wieder eingefangen, Artist Belloni wird geschnappt und nimmt sich das Leben. Füllgrabe stellt sich, Bauer Aldinger wird tot auf seinem Acker gefunden. Wallau zu Tode geprügelt.
Eine Woche lang lässt die Autorin in ihrem fiktiven, aber realitätsgetreuen Roman Georg Heisler auf der Flucht sein. Er ist der Einzige, der dank der Solidarität, die er auf den Fluchtstationen erfährt, überlebt. Das Thema ist ein zutiefst humanes .
„Das siebte Kreuz“ (1937) ist das bekannteste – einige meinen es sei auch das beste Buch von Anna Seghers (1900 – 1983). Seghers, als Netty Reilling in Mainz geboren, promovierte in Heidelberg. Verheiratet war sie mit dem ungarischen Wirtschaftswissenschaftler Laszlo Radvanyi, der sich später Johann Lorenz Schmidt nannte. Die Mutter zweier Kinder wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, 1933 folgte die Emigration nach Frankreich, 1940 die Flucht aus Paris nach Mexiko, 1947 die Rückkehr nach Ost-Berlin. Die Kleist-Preisträgerin, viele Jahre Vorsitzende des DDR-Schriftstellerverbandes, wurde 1981 Ehrenbürgerin von Mainz.
Als Anna Seghers den Roman 1939 in Frankreich schrieb, gab es Auschwitz-Birkenau noch nicht. Der Roman erscheint 1942 in Mexiko und wird in den Vereinigten Staaten Amerikas nicht angenommen, sie war Kommunistin und man verweigerte ihr das Asyl.. Das Buch machte sie schlagartig bekannt und berühmt. Innerhalb weniger Tage wurden über 300 000 Exemplare verkauft. Der in Hollywood agierende österreichische Filmregisseur Fred Zinnemann verfilmte den Stoff sofort. 1947 erhielt die Autorin für dieses Werk den Büchner-Preis.
Zu dieser Zeit gab es das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau noch nicht. Aber es gab bereits Dachau und viele kleinere Konzentrationslager wie Osthofen. Der ehemalige hessische Volksstaat hatte nördlich von Worms und unweit von Mainz schon 1933 das KZ Osthofen eingerichtet. Zwecks Zusammenlegung der Internierten wurde es nach einem Jahr geschlossen. Heute ist es eine Gedenkstätte. Viele politische Häftlinge, vor allem Mitglieder der KPD und der SPD, wie auch der Politiker Carlo Mierendorff, waren hier inhaftiert. Vermutlich wusste Anna Seghers von Osthofen. „Das siebte Kreuz“ erzählt von der Flucht aus dem fiktiven KZ Westhofen 1937. Da war das reale KZ Osthofen bereits drei Jahre geschlossen. Aber Anna Seghers visionäre Kraft ist überwältigend.
Dramaturgin Sabine Reich hat, unterstützt von Anselm Weber, ein Zwei-Stunden-Stück aus dem etwa 400 seitigen Roman geschaffen. Die Chronologie wurde beibehalten und kein Satz wurde hinzu gedichtet. Kein einfaches, aber doch gelungenes Unterfangen. Etliche Personen begleiten Georgs Flucht, mehrere Fluchtorte passiert er: 143 Kilometer legt Heisler zurück: Westhofen, Bechtheim, Mainzer Dom, Mombach, Höchst, Niederrad, Bockenheim, Riederwald, Wiesbaden, dort die heutige Theodor-Heuss-Brücke. Die Geschichte hat insgesamt einen engen Bezug zu Frankfurt. Deshalb widmet sich „Frankfurt liest ein Buch“ im April 2018 Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz.“
Nach dem Amtsantritt als Schauspiel-Intendant in Frankfurt führt Anselm Weber hier Regie – seine erste in Frankfurt. In Bochum hat er bereits Anna Seghers bearbeiteten Roman „Transit“ inszeniert. In „Das siebte Kreuz“ agieren nur sechs Schauspielerinnen und Schauspieler und ein Sänger. Das Thema Nationalsozialismus beschäftigt ihn immer wieder.
Für die Rolle des Georg Heisler wurde Max Simonischek verpflichtet. Die anderen fünf Darsteller des Ensembles schlüpfen in mehrere Rollen oder schließen sich als Chor, als Erzähler, zusammen. Der Sänger gehört zum Opernstudio der Oper Frankfurt.
Manchmal ist die Aufführung statuarisch, manchmal wird nur beschrieben und nicht gespielt. Dann aber überraschen immer wieder starke Bilder und Momente und das ohne Spezial-Effekte. Kombiniert werden die Texte von Anna Seghers mit Liedern aus „Die Winterreise“ von Franz Schubert. Anselm Weber hatte sich an das Gespräch mit der polnischen Schriftstellerin Zofia Posmysz, Überlebende der Shoa, erinnert, dass sie anlässlich der Inszenierung der Oper „Die Passagierin“ 2015 führten. Am 3. März 2018 gibt es übrigens eine Wiederauffnahme an der Oper Frankfurt. Im Gespräch ging es um Musik jenseits des Drahtverhaus. (https://www.feuilletonfrankfurt.de /2015/03/06/die-passagierin-von-mieczyslaw-weinberg-an-der-oper-frankfurt). „Winterreisen haben es mit dem Tod zu tun“, schreibt Opern-Dramaturg Norbert Abels. Wie kein anderer Roman des deutschen Exils habe „Das siebte Kreuz“ die Aufgabe “die Heimat als Raum der Erinnerung nicht preiszugeben.“ (Zitat aus Programmheft). Georg Heisler ist in der eigenen Heimat heimtlos. Dass Schuberts „Winterreise“ Heimatlosigkeit beklagt, erscheint da nur konsequent..
Ein Theaterabend von eindringlicher Intensität und Qualität. In einer Zeit zunehmender rechtsradikaler Tendenzen ein Besucher-Muss.
Weitere Vorstellungen sind am 7., 11. Januar, am 10. Februar und 5. März.
„Verbrennungen“ von Wajdi Mouawad
Thomas Meinhardt, Foto: Robert Schittko/Schauspiel Frankfurt
Die Aufdeckung einer schrecklichen Wahrheit schildert das Drama „Verbrennungen“. Streng genommen ist es ein Anti-Kriegsstück, denn es erzählt vom Krieg, von Terror, von Folter, von Vergewaltigung, von Trauma und der Suche nach den eigenen Wurzeln. Der Grundgedanke des Dramas beschäftigt sich mit der Möglichkeit des Vergebens. Lässt sich der Kreislauf der Gewalt entschärfen? Wie können wir in unserem Bereich Frieden schaffen?
Wie entsteht der Feind in uns?
Wajdi Mouawad (*1968), im Libanon geboren, Flucht als er acht Jahre ist, in Frankreich und im frankophoben Kanada aufgewachsen, in Frankreich lebend, wurde in Deutschland vor allem durch dieses Stück bekannt. Aufsehen beziehungsweise Sprachlosigkeit erregte er auf der Buchmesse 2017. In seiner Rede, seiner theatralischen Darstellung bei der Eröffnung brachte er den Krieg zur Aufführung. Am Beispiel von Hekabe, der Frau des Priamos, die im Trojanischen Krieg Mann und alle Kinder verlor, demonstrierte er, wie sie vor Schmerz und Entsetzen ihre Stimme verlor und nur noch bellen konnte.
In „Verbrennungen“ ist es „die Frau, die singt“, so der Titel des Oscar nominierten Films von 2010. Familiendrama, Kriegsbericht, Detektivgeschichte und Mythologie sind in dem Werk miteinander verwoben. Vergangenheit ragt in die Gegenwart wie bei Ödipus. Eine spannende Konstruktion. Wozu sind Menschen fähig?
Heidi Ecks
Die Zwillinge Jeanne (Altine Emini) und Simon (Nils Kreutinger) kehren nach dem Tod ihrer Mutter Nawal (Heidi Ecks) in das Land zurück, aus dem sie vor Krieg und Verfolgung geflohen waren. Im Testament hat die Mutter verfügt, dass sie ihrem Vater, den sie für tot hielten, und einem Bruder, von dem sie nichts wissen, jeweils einen verschlossenen Briefumschlag überreichen. Der väterliche Freund, Notar Hermile Lebel (Thomas Meinhardt) schickt sie auf Suche in die Vergangenheit. Jeanne zögert zunächst, ist aber dann bereit. Simon weigert sich. Parallel wird die Geschichte der jungen Nawal erzählt, die mit 14 Jahren von einem Flüchtlingsjungen schwanger wurde. Den Jungen musste sie abgeben, verspricht aber, ihn immer zu lieben. Nawal lernt Schreiben und Lesen und macht sich später auf den Weg, Waisenhaus für Waisenhaus nach ihrem Sohn abzusuchen. In Zeiten des Bürgerkrieges ist die Suche jedoch vergeblich. Nawal wird zur Aktivistin und verübt ein Attentat auf den Anführer einer Miliz. Verhaftung, Folter, Vergewaltigungen sind die Folgen. Der Folterer und Vergewaltiger ist Abou Tarek, der adoptiert wurde und ursprünglich Nihad hieß. Er wurde Kindersoldat bei einem muslimischen Warlord und nach der Gefangennahme durch die Gegenseite zum Folterer ausgebildet. Nihad alias Abou Tarek ist der Vater und Bruder von Jeanne und Simon. Als Nawal dies während des Prozesses gegen Abou Tarek erfahren musste, sprach sie kein Wort mehr und starb plötzlich.
Altine Emini, Heidi Ecks, Thomas Meinhardt, Nils Kreutinger, Foto: Robert Schittko/Schauspiel Frankfurt
„Es ist ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten“, so der Autor 2012.
Regisseurin Daria Bukvic, Foto: Renate Feyerbacher
Die niederländische Regisseurin Daria Bukvic erzählt in einem Vorgespräch, dass sie Erfahrungen von Gewalt persönlich kennt. Daher ist ihr die Auseinandersetzung mit Flüchtlingsfragen ein Anliegen. Sie selbst ist als Flüchtling aus dem bosnisch-kroatischen Gebiet gekommen. Sachlich und einfach lässt sie die Geschichte sich entwickeln. Die klare Form mit wenigen kleinen Effekten wie den fallenden Vorhängen fesselt die Zuschauer, die viel Beifall spenden.
Weitere Vorstellungen am 5., 15., 31. Januar, 9. und 23. Februar
„Alle meine Söhne“ von Arthur Miller
„Ein Vater ist ein Vater“, ein Satz, den Geschäftsmann Joe Keller gespielt von Michael Schütz geradezu beschwörend und eindringlich sagt. Damit versucht er, die sich abzeichnende familiäre Katastrophe abzuwenden. Arthur Miller (1915 – 2005) war lange das Gewissen Amerikas. Das Stück „Alle meine Söhne“ wurde im Januar 1947 in New York uraufgeführt. Elia Kazan, der später durch seine Filme „Endstation Sehnsucht“, „Die Faust im Nacken“ weltberühmt wurde, war der Regisseur. Er wird auch zwei Jahre später den „Tod eines Handlungsreisenden“ inszenieren, für das Miller den Pulitzer-Preis für Drama erhält.
Die Idee zu „Alle meine Sohne“, sein erster Theatererfolg und Beginn einer grossen Dramatikerkarriere, kam Miller während eines belanglosen Gesprächs in seinem Wohnzimmer, Dort erzählte ihm eine fromme Dame von einer Familienkatastrophe in ihrer Nachbarschaft. Eine Tochter hatte ihren Vater angezeigt, weil er im Krieg fehlerhaftes Material geliefert hatte. Zwei Jahre dauerte Millers Auseinandersetzung mit dem Thema.
Entstanden ist ein soziales Drama, in dessen Mittelpunkt Joe Keller steht, der im Krieg fehlerhaftes Material lieferte und so den Tod von 21 Piloten verantwortete.
Nils Kreutinger, Katharina Linder in: „Alle meine Söhne“ von Arthur Miller, Foto: Hans Jürgen Landes /Schauspiel Frankfurt
Der erste Akt ist ziemlich belanglos aufgebaut, wahrscheinlich, um die Spannung zu erhöhen: Familiäre und nachbarschaftliche Plaudereien, ein lockerer Joe Keller, der immer wieder auf den sorglosen Wohlstand hinweist, den er durch harte Arbeit schuf. Sohn Chris will Ann heiraten und das seiner Mutter Kate mitteilen. Ann war die Verlobte seines älteren Bruders Larry, der im Krieg Kampfpilot war und als vermisst gilt. Kate wehrt sich heftig gegen diese Verbindung.
Ehemann Joe versucht vergeblich, wie eine „Festung des inneren Unbeteiligtsein“, die sich abzeichnende Enthüllung zu verhindern. Die Tatsache, dass sein geschäftlicher Partner verurteilt wurde und im Gefängnis sitzt, seine Kinder sich von ihm abgewendet haben, findet Joe legitim. Der heiße Augusttag endet mit seinem Tod.
Das Stück, das im Mai 2017 am Schauspielhaus Bochum Premiere hatte, hat Anselm Weber in gleicher Besetzung auf die Frankfurter Bühne gebracht. Regisseur Weber stellt den Dialog in den Mittelpunkt, drum herum nur einfache Mittel, keine Milieudarstellung, verhaltene Musik. Die eminent-analytische Kraft der Tragödie kann sich entfalten. Weber lässt die Frauen Kate, Ann und die Nachbarsfrau (Xenia Snagowski) die Suche nach Wahrheit austragen. Die Männer Joe Keller, Michael Schütz, ein Typ amerikanischer Traum, scheinbar sorglos, sein Sohn Chris, Nils Kreutlinger, personifizierter Anstand, sind nicht bereit, sich der Wahrheit zu nähern. Chris sieht immerhin ein: „Man kann nicht einfach weitermachen.“
Webers Personenführung ist klar und stark auf die Frauen konzentriert: Sowohl Katharina Linder als Kate Keller und Sarah Grunert als Ann sind überzeugend. Der Theaterabend machte das Publikum nachdenklich und er kam an.
Weitere Aufführungen am 19. Januar, 4., 8. und 28. Februar 2018
Aufführungen im Dezember
Nur im Dezember konnte „Das Ministerium der verlorenen Züge“, ein Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt, im Bockenheimer Depot bejubelt werden. Die Story: Moritz aus Frankfurt reist von Moskau aus mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Peking. Auf der Bühne ein echt aussehender Zug, das Ergebnis raffinierter Videoeinstellungen. Der ungarische Regisseur Viktor Bodó lässt mitfilmen. Kulturen prallen aufeinander, wahre und erfundene Schicksale werden erzählt. Klischees über Klischees. Das Stück gibt Erfahrungen von einer Reise wieder, die im Mai 2017 tatsächlich stattgefunden hat. Dabei waren der Regisseur, Autor Péter Kárpáti sowie weitere zwölf Mitstreiter. Eine verrückte Inszenierung, die leider inhaltlich nicht überzeugend war.
„Tintenherz“ von Cornelia Funke, Regie: Rüdiger Pape, Roland Bayer, Foto: Jessica Schäfer
Die siebzehn Aufführungen vom Bühnenstück „Tintenherz“, nach dem Kinderbuchklassiker von Cornelia Funke waren im Nu ausverkauft. Er nehme Kinder ernst, hatte Regisseur Rüdiger Pape im Vorgespräch gesagt. Diese Einstellung ist seiner fantastischen Inszenierung anzumerken. Auch Erwachsene kommen auf ihre Kosten und es ist zu hoffen, das „Tintenherz“ im November wieder auf die Bühne kommt.