Willem de Rooij: „Entitled“ im MMK 2
Beziehungsreiche Gewebe – Künstlerische Kontexte und Konzepte als Synthese
Von Petra Kammann
Um die Spannung zwischen Vielfalt und Einheit und um die Gestaltung von Raum geht es im MMK 2 in der Ausstellung „Entitled“ des niederländischen, seit 2006 an der Städelschule lehrenden Kunstprofessors Willem de Rooij. Der Künstler de Rooij hat die Räume des MMK 2 in Innen- und Außenräume auf so raffinierte wie puristische Weise gestaltet und umstrukturiert, dass der Blick vom Taunusturm auf die Hochhausszene freigegeben ist.
Fong Leng Sportswear, ca. 1985-1995, Installationsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2016, Courtesy of the artist. Foto: Axel Schneider
In seiner Schau hat er Exponate aus drei Werkgruppen arrangiert, die größtenteils noch aus der Zusammenarbeit mit dem langjährigen und 2006 verstorbenen Partner und ehemaligen Studienkollegen Jeroen de Rijke entstanden sind. Vor den Fensterausschnitten ist eine Gruppe mit gesichtslosen schwarzgelackten Schaufensterpuppen in Sportkleidung der niederländischen Kult-Designerin aus den Siebzigern, Fong Leng, präsentiert, die zunächst Mode für ein paar „happy few“ machte, bevor sie größere und billigere Auflagen produzieren ließ. Das ethnische Design auf den von Fong Leng kreierten Fleece-Jacken wurde bewusst von de Rooij, der über zehn Jahre lang verschiedene Sportbekleidungsstücke gesammelt hat, farblich und vom Muster her aufeinander abgestimmt.
Die Gestaltung der Sportjacken verweist auf unterschiedliche kulturelle Sphären und die Herkunft der traditionellen Muster. Da scheinen die textilen Designs kaukasischer Teppiche bis hin zu jenen von Navajo-Decken durch. Einige der cleanen Puppen, die sie tragen, schauen in den Raum. Dabei fällt ihr leerer Blick auf eine farblich schillernde Tapisserie von 2012 namens „Taping Precognitive Tribes“, in der alle in der Ausstellung vorkommenden Farben verwebt sind, während einer der männlichen Figurengruppe hinaus auf die Stadt schaut. Diese Puppen stellen eine Beziehung zwischen Werk und Betrachter, zwischen Museum und der Stadt, zwischen Außenraum und Innenraum her.
So sind die Exponate der Ausstellung im wahrsten Wortsinn miteinander verknüpft und verwoben: die Farben der Muster der „Fong-Leng“-Sportkleidungskollektion werden von den farblich abgestimmten Fäden der „Weavings“, der monochrom erscheinenden gewebten riesengroßen Bilder, wieder aufgenommen. Deren subtile Verläufe und minimale Strukturen schärfen den Blick des Betrachters auf differenzierteste Farbwerte, wobei der changierende Eindruck der großen monochromen Flächen durch die Kett- und Schussfäden entsteht, die aus unterschiedlichen Einzelfäden gedreht wurden.
(li.): Bouquet IV, 2005, Installationsansicht MMK 2016, MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main; Foto: FeuilletonFrankfurt
(re.): Fong Leng Sportswear, ca. 1985-1995, Installationsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2016, Courtesy of the artist; Foto: Axel Schneider
De Rooij hat sie in einer kleinen Weberei in der Nähe von Potsdam weben lassen. Und nur auf den ersten Blick scheinen die 18 ebenso großformatigen Collage-Tafeln „Index“ im Eingangsbereich, die in sozialem, kulturellem oder politischem Kontext stehen, nichts mit dieser Werkgruppe zu tun zu haben, ebenso wenig wie die kleinen Exponate und Filme in den Kabinetten mit den „Hidden Places“, Loops und Fotografien aus früherer Zeit oder aber mit den opulent arrangierten Blumenbouquets, die an verschiedenen Stellen in der Schau als Blickfang inszeniert sind.
Betrachten wir nur einmal die Farbe selbst. Sie ist für den Künstler sowohl materiell wie auch symbolisch aufgeladen. Nicht nur die Räume sind strahlend weiß und pur, auch in den Blumensträußen ist die Basis jeweils eine weiße Blume, die in verschiedenen Blumenarten und -ausprägungen vorkommen kann.
Taping Precognitive Tribes, 2012, Installationsansicht MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main 2016, Courtesy Friedrich Christian Flick Collection Hamburger Bahnhof, Berlin. Foto: Axel Schneider
In einem der Kabinette wiederum zeigt eine Diaprojektion aus dem Jahre 2005 die Farbe „Orange“ in 81 monochromen Variationen. Der Begleittext diskutiert Assoziationen verschiedener politischer Couleurs der Orange-Töne, angefangen bei den Gefangenen der Guantánamo Bay über das niederländische Königshaus, die Oranjes, bis hin zum Fußball oder den nationalistischen Tendenzen in Holland. Und auch ganz real gibt diese Farbe in fotografischen Materialien wie Zelluloid Hauttönen einen unrealistischen Stich. So entstand eine Loop-Projektion mithilfe eines Orange-Filters, der in der Schwarzweiß-Fotografie zur Verstärkung von Kontrasten eingesetzt wird.
Überall in der Ausstellung – auch in den Sichtbeziehungen – stehen daneben Begriffe wie Individualität und Gemeinschaft im Raum. Die Blumenbouquets wiederum sind Teil einer Reihe, die noch in de Rooijs Studentenzeit entstand. Anders als bei uns, wo große Blumensträuße als luxuriös gelten, war es für den Amsterdamer ökonomisch günstig, auf den holländischen Blumengroßmärkten Blumen zu erwerben, und ein Leichtes, mit den Blumen als Gestaltungsmaterial zu arbeiten. Gleichzeitig war es eine Reminiszenz an die kostbare niederländische Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts, des „Goldenen Zeitalters“ der Niederlande, auf denen man die herrlichsten Blumenarrangements sieht.
Da die Blumen immer wieder frisch im Museum arrangiert werden, gibt es niemals denselben Strauß, obwohl der Künstler die Zusammensetzung des jeweiligen Straußes penibel in einem Zertifikat dokumentiert und in Grauabstufungen fotografiert hat. Schließlich fließt jeweils eine Spur Subjektivität desjenigen ein, der den Strauß zusammenstellt. So sieht der Blumenstrauß nie gleich aus. Und das, obwohl in „Bouquet IX“ alle Blumen weiß sind, gleich ob weiße Gerbera, Nelken oder Flamingoblumen. In anderen Kontexten hat die Farbe Weiß ihre je eigene symbolische Konnotation – etwa die einer Hochzeit, eines Begräbnisses oder eines Avantgarde-Shops oder auch, wie der Kurator Klaus Görner es nahelegte, die einer dominierenden Hautfarbe. Honi soit qui mal y pense.
Anders übrigens bei „Bouquet IV“, das aus der Sammlung des MMK selbst stammt; hier sind die Farben so gewählt, dass auf einem Schwarz-Weiß-Foto mittlere Grautöne entstehen. Diese „Mittelwerte des Mainstream“ wiederum werden andernorts in einem Kabinett als fotografischer Streifen, als „Grey scale“, nach der Lichtintensität angeordnet – von Hell nach Dunkel. Während der Ausstellung werden die Blumen immer wieder erneuert, jede Blumenart kommt nur einmal vor, und nach der Ausstellung beansprucht die voluminöse Arbeit im Depot keinen Platz mehr. Dann existiert sie auf dem Papier oder in den Köpfen der Besucher. Hier klingt sowohl das Vergänglichkeitsmotiv an als auch das Verhältnis von Blume zu Strauß, von Individuum zu Gemeinschaft, von Identität und Differenz, was sich als Frage und Betrachtung durch de Rooijs Werk zieht.
Insgesamt arbeitet der 1969 geborene, in Berlin lebende Niederländer häufig mit archivalischen Systemen. Stets geht es ihm in den Werken auch um Fragen nach der Repräsentation in künstlerischen und medialen Bildern, um kulturgeschichtliche Artefakte, um Kultur, weswegen er auch regelmäßig seine Amsterdamer Lieblingsorte wie das Stedelijk Museum, das Rijksmuseum als auch das Tropenmuseum aufsucht.
In der Werkgruppe „Index“ hat er rund 500 Fotos aus Publikums-Printmedien aufgegriffen und ausgeschlachtet, die weltweit zwischen 2000 und 2002 in den verschiedensten Presseorganen erschienen sind. Mit den darin zu lesenden Aussagen stehen gesellschaftspolitische Formen, menschliches Verhalten in Massenaufläufen und das archetypische Verhalten der Menschen in entsprechenden Situationen im Zentrum.
Willem de Rooij in der Pressekonferenz, Foto: FeuilletonFrankfurt
Entstanden ist in dieser Werkgruppe eine Art „Archiv sozialer Aufstände“, die man über die von den Fotografen inszenierten Bilder aus der ganzen Welt erlebt. Die dazugehörigen Bildunterschriften wurden wiederum systematisch von de Rooij zusammengetragen. In einem eigens ausgelegten Booklet geben sie Aufklärung über die jeweiligen tatsächlichen, meist dramatischen Anlässe.
Willem de Rooij, MMK-Direktorin Susanne Gaensheimer und MMK-Kurator Klaus Görner in der Pressekonferenz, Foto: Petra Kammann
Als Einwohner eines ehemaligen Kolonialstaates erlebt der kosmopolitische Bürger de Rooij in einer globalisierten Welt die Erscheinungsformen und Probleme kultureller Adaption als identitätsstiftend. Er thematisiert das Zusammenleben, erlebt bewusst das „Eigene“ wie auch das „Fremde“ als positiv und fordert dabei die Verfeinerung der Differenzen ebenso wie die intensivierte Aufmerksamkeit für Unterschiede in den verschiedensten Lebensumständen ein. Themen, die uns in einer komplexen globalisierten Welt zunehmend beschäftigen werden.
Die Ausstellung „Entitled“ von Willem de Rooij im Museum für Moderne Kunst (MMK 2) geht bis zum bis 8. Januar 2017
→ Jeroen de Rijke / Willem de Rooij im MMK Frankfurt