„Pierrot Lunaire“ von Arnold Schönberg und „Anna Toll oder Die Liebe der Treue“ von Michael Langemann an der Oper Frankfurt
Mondsucht und Bettentausch
Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher
Arnold Schönbergs epochales Werk, das 1912 in Berlin seine Uraufführung hatte, und Michael Langemanns Operette des 21.Jahrhunderts hatten am 7. Juli 2016 im Bockenheimer Depot Premiere. Zwei unterschiedliche Stücke, die Beziehung zu Wien haben.
„Pierrot Lunaire“ ist das berühmteste Werk des in Wien geborenen Komponisten Arnold Schönberg (1874-1951). Angeregt zu der Komposition hatte ihn die in Wien geborene, in Berlin lebende Schauspielerin und Diseuse Albertine Zehme (1857-1946), die sich mit dem Verhältnis von Deklamation und Musik beschäftigte. Sie motivierte den Komponisten-Freund, sich mit dem Pierrot-Lunaire-Gedichtzyklus des belgischen Dichters Albert Giraud (1860-1929) zu beschäftigen. 21 der insgesamt 50 symbolistischen Gedichte nahm sich Schönberg vor, die Otto Erich Hartleben ins Deutsche übersetzte. Da gibt es einmalig poetische Wortschöpfungen und Metaphern: „Den Wein, den man mit Augen trinkt …“ (I.Teil 1. Gedicht „Mondestrunken“) oder “Finstere schwarze Riesenfalter töteten der Sonne Glanz …“ (II. Teil 8. Gedicht „Nacht“) oder „Der Mond, ein blankes Türkenschwert auf einem schwarzen Seidenkissen …“ (13. Gedicht „Enthauptung“).
Pierrot lunaire:
Laura Aikin (Stimme) und David Laera (Ein junger Mann), Foto © Monika Rittershaus
Durchgehend als „Sprechgesang“ (Anweisung des Komponisten, „Pierrot lunaire ist nicht zu singen!“) hat Schönberg die drei Teile à sieben Gedichte komponiert, die von fünf Instrumenten (Flöte und Piccoloflöte, Klarinette und Bassklarinette, Violine, Violoncello und Klavier) begleitet werden. Das Stück war nicht für eine szenische Aufführung gedacht.
Da der Vokalpart, den die amerikanische Sopranistin Laura Aikin übernimmt, nur an wenigen Stellen in der Ich-Form spricht und das lyrische Ich nicht unbedingt auf Pierrot zu beziehen ist, dachte sich Regisseurin Dorothea Kirschbaum die Figur eines jungen Mannes aus, getanzt von David Laera, Choreograf, der auch die Choreografie für Langemanns Operette gestaltet.
Das Bühnenbild von Bernhard Niechotz, das sich in der anschliessenden Operette in ein Bettenkarussel verwandelt, belebt die 35 Minuten von Schönbergs Komposition.
Laura Aikin, die ein Faible für den Sprechgesang und für moderne Kompositionen hat, die aber auch in Salzburg die „Königin der Nacht“ singt, unterhält zu Beginn das hereinströmende Publikum mit Songs, um sich dann immer wieder umherspazierend, kühl, kurz, ruppig mit dem jungen Mann zu beschäftigen. Ihre Sprechgesang-Interpretation ist gelungen.
Komponist Michael Langemann, Foto: Renate Feyerbacher
„Anna Toll oder Die Liebe der Treue“ des 1983 in Moskau geborenen Komponisten Michael Langemann ist ein Auftragswerk der Oper Frankfurt und erlebte jetzt seine Uraufführung. Langemann, seit seinem siebten Lebensjahr in Deutschland, hat in Düsseldorf, New York und London studiert, trat als Komponist und Dirigent mit namhaften Orchestern auf, erhielt einige Stipendien. Für die Hamburger Staatsoper schrieb er die Kammeroper “Persona“, vertonte Hölderlins Gedichte, experimentierte in Köln mit der Oper „Musik“ nach Wedekind-Texten.
Seine für Frankfurt komponierte Oper, „die sich in eine Operette verkleidet hat“, basiert auf Arthur Schnitzlers Theaterstück „Anatol“ und Peter Altenbergs „Märchen des Lebens“. Der Operntext stammt vom Komponisten. Es geht um Liebe, Treue, Untreue, Rollentausch, Bettentausch.
Die junge Anna hat ein reges Liebesleben, ihre Freundin Maxi, eine Melancholikerin, hilft anderen aus der Patsche, Ilona, die an Luxus interessierte Frau von Baron Diebl, hat ein Verhältnis. Carlo ist Annas Verlobter, ein glatterTyp. Gabriel, Maxis Freund, ist naiv-lieb, aber eifersüchtig und Baron Diebl ist schon älter, reich, jähzornig. Er zwingt seine Frau, den ihm unbekannten Geliebten anzurufen und zu sich zu bestellen. Ilona ruft zwar an, warnt jedoch den Geliebten. Baron Diebl erkennt, dass Ilona den anderen selbstlos liebt und lässt sie ziehen. Am Ende renkt sich bei allen alles wieder ein, als wäre nichts gewesen. Das sind die Figuren, deren Rollen gesungen werden. Arthur, schwermütig, suizidgefährdet, beiden Geschlechtern zugetan, ist eine Sprechrolle.
Anna Toll:
Ensemble, Foto © Monika Rittershaus
85 Minuten dauern die Paarduelle, etwas zu lang, wenn sich Frauen und Männer immer wieder Klischees über das andere Geschlecht an den Kopf werfen. Aber die Musik, eine Mischung diverser Musikstile, untersetzt mit Jazzharmonik, hat was, sie gefällt.
Regisseur Hans Walter Richter bringt das Liebeskarussell in fulminante Fahrt und verlangt von den Sängerinnen Elizabeth Reiter (Anna Toll), Nora Friedrichs (Maxi), Nina Tarandek (Ilona) sowie den Sängern Simon Bode (Gabriel), Ludwig Mittelhammer (Carlo), Magnús Baldvinsson (Baron Diebl) und dem Sprecher Dominic Betz (Arthur) viel körperlichen Einsatz. Dennoch leidet die stimmliche Qualität der Protagonisten nicht darunter. Nikolai Petersen, seit 2012 Solorepetitor und musikalischer Assistent am Frankfurter Haus, leitet das vorzüglich musizierende Opern- und Museumsorchester, das hier mit 28 Musikern besetzt ist.
„Pierrot Lunaire“ und „Anna Toll“ hat zwar nicht allen gefallen, aber die meisten Zuschauer waren begeistert, zumindest angetan von Schönbergs Musik-Sprach-Experiment und von Langemanns turbulenter Operette. Es kommt beim Publikum gut an, dass die Oper Frankfurt immer wieder Werke „ausgräbt“ oder in Auftrag gibt. Das kann sie jedoch nur, wenn sie für die Ur- und Erstaufführungen einen Hauptsponsor findet. Mit diesem Opernabend beginnend, hat sich die Aventis Foundation, 1996 von der Hoechst Aktiengesellschaft als Hoechst Foundation gegründet, eine unabhängige, gemeinnützige Stiftung für Kunst und Kultur sowie Wissenschaft und Lehre, verpflichtet, drei Jahre lang Ur- und Erstaufführungen am Haus zu fördern. Ein Glück für das an Experimenten und Neuem interessierte Frankfurter Publikum.
Weitere Vorstellungen am 11., 14., 16. und 17. Juli 2016 jeweils im 19.30 Uhr im Bockenheimer Depot