„Die Temperatur der Wörter“ – Ortsspezifische Installation von Urs Breitenstein in der Weissfrauen Diakoniekirche
MORD WEG HAUS KRIEG WUT PREIS TOD LAND
Acht – einsilbige – Worte sind es, mit denen Urs Breitenstein den Besucher der Weissfrauen Diakoniekirche konfrontiert – ja, es ist eine Konfrontation, im besseren Sinn allerdings dieses Begriffs. Nach Betreten des Kirchenraums sucht jener Besucher zuerst einmal nach Orientierung. Wer aber sich auf die Konfrontation einlassen will, bleibt, setzt sich vielleicht hin auf eine der Bänke unter der Orgelempore.
Gibt es eine Abfolge der acht Worte – Begriffe – : MORD WEG HAUS KRIEG WUT PREIS TOD LAND? Wie soll der Besucher sie lesen – banal der alten Regel folgend „von links nach rechts“? Oder dieses Mal umgekehrt? Oder kann er – sollte er – in seiner Betrachtung für sich selbst über eine Reihenfolge entscheiden?
Und wieder einmal braucht der Betrachter dazu Zeit – Lebenszeit, knapp bemessene und daher kostbare zugegebenermassen, wie bei einem jeden Kunstwerk, welches er ernst nimmt. Es ist stets gut angelegte Lebenszeit.
Gleich beim ersten Rundblick fällt auf: Unter den acht ist allein das Wort TOD invers geschrieben – Weiss auf Dunkel also. Welche Rolle und Bedeutung sollte man dem – hier Hellem und nicht Dunklem – zumessen? Besonders auffallend an dieser Stelle die schwärzlichen Spuren über dem Wort (wie übrigens über den anderen sieben Worten auch) an der Wand. Die – simple – Erklärung: Urs Breitenstein hat die stahlblechernen Heizkörperflächen mit seinen exakt auf deren Mass zugeschnittenen Bildfolien überklebt, die aufsteigende Warmluft bewirkte in den vergangenen Jahren die Spuren der „Verschmutzung“ an den Wänden. Der Künstler bezieht sie bewusst in sein Werk mit ein.
Und das Überkleben der Heizkörper – jener in kalter Jahreszeit benötigten, Wärme spendenden Einrichtungen – mit zumindest jenen vier Worten, Begriffen, die das Gegenteil von Wärme und Geborgenheit bezeichnen? Eine Antwort auch und vielleicht: „Die Temperatur der Wörter“ betitelt der Künstlers seine Arbeit.
„Die Temperatur der Wörter“, schreibt Urs Breitenstein, „verarbeitet schwarz-weisse Fotos von gesprayten Protestnoten an Hauswänden, die ich vor etwa zwanzig Jahren in Frankfurt aufgenommen habe. Acht einzelne Wörter samt Wandstruktur sind als fotografische Bilder im Kirchenraum neu kontextualisiert. Zu Bildträgern werden die vorhandenen Heizkörper, hinter denen russige Spuren an der Wand aufsteigen. Im Zusammenspiel mit den Wörtern und Bildern von der Strasse wird auch der Kirchenraum neu gelesen“. Der sakrale Ort – die Weissfrauen Diakoniekirche wurde, obwohl keine Gemeindekirche, nicht profaniert – und das aktuelle Tagesgeschehen draussen laden die ortsspezifische Installation zusätzlich auf. Nicht zu vergessen: Unterhalb der Kirche befindet sich der Obdachlosen-Treff „Weser 5“.
Was wollen wir dem „TOD“ gegenüberstellen – vielleicht und warum nicht das Wort „LAND“?
„Man könnte meinen eine klassische Arbeit von Urs Breitenstein – gefundene Bildmotive herausgelöst aus seinem ursprünglichen Zusammenhang, in einen neuen Ort eingebettet und daraus ergibt sich dann ein anderer Kontext. Und doch ist hier etwas anders“, erläutert Kurator Thomas Kober. Wer sich eine Weile in der Ausstellung aufhält, mit ihr in einen kommunikativen Austausch tritt, verspürt dieses „anders“.
Urs Breitenstein, geboren 1951 in Basel, studierte an Kunsthochschulen in Basel, New York und Frankfurt am Main. 1980 bis 1982 absolvierte er eine Assistenz an der Filmklasse der Städelschule in Frankfurt. Von 1985 bis 1993 wirkte er als Lehrbeauftragter für Film und Video und Gastprofessor an der Hochschule für Gestaltung HfG in Offenbach. Zahlreiche nationale und internationale Ausstellungen von und mit Urs Breitenstein sowie zahlreiche Publikationen und Filme sind unter seinem Namen erschienen.
Urs Breitenstein, „Die Temperatur der Wörter“, Weissfrauen Diakoniekirche, bis 15. Juli 2016; Diakoniekirche und Künstler laden am 15. Juli von 16 – 18 Uhr zur Finissage ein
Abgebildete Werke © Urs Breitenstein; Fotos: FeuilletonFrankfurt
→ Hausgeister bei „Home Abroad“