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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

„Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe“ von Georg Philipp Telemann an der Oper Frankfurt

Von der Doppelbödigkeit beständiger Liebe

Von Renate Feyerbacher
Fotos: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt und Renate Feyerbacher

Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe“, ein musikalisches Drama von Georg Philipp Telemann (1681-1767), wurde am vergangenen Sonntag zum ersten Mal in Frankfurt am Main aufgeführt. Frenetischer Beifall mit Fusstrampeln.

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Johannes Öllinger (Gitarrist), Maren Favela (Cephisa) und Elizabeth Reiter (Orasia); Foto © Monika Rittershaus

Was für eine aussergewöhnliche Musik, die nach mehr als zwei Jahrhunderten, die konzertante Uraufführung war 1726 in Hamburg, buchstäblich ausgegraben wurde. Der Telemann-Forscher Peter Huth hatte Ende des 20. Jahrhunderts das fragmentarisch überlieferte Werk des Komponisten in eine Fassung gebracht. Das Libretto war vollständig erhalten, die Musik eben nicht. Darauf basierend haben Dirigent Titus Engel und die Regisseurin Florentine Klepper die Frankfurter Version geschaffen, die Freiheit lässt, und diese nutzen sie sowohl in der Instrumentation als auch in der Lesart. So wird auf ermüdende Da capo-Arien verzichtet

, nur knappe zwei Stunden dauert die Oper, die rein historisch-barocke Form wird verlassen und eine szenisch aktuelle Variante präsentiert. Allerdings wird auf historischen Instrumenten gespielt, und das hervorragend. Titus Engel lässt Johannes Öllinger mit Gitarre und Laute die Sängerinnen und Sänger begleiten. Wie ein Schatten steht er bei ihnen. In der Unterwelt-Szene werden schrille Töne einer E-Gitarre in barocke einbezogen. Sehr mutig und zunächst fremd, aber passend. Verschiedene Klangwelten wechseln sich ab, mal deutsch, mal italienisch, mal französisch sind die musikalischen Einflüsse, auch die drei Sprachen wechseln sich ab. Vierundzwanzig vorzügliche Musiker mit virtuosen Soli von Blockflöte und ventilloser Barock-Trompete sowie Cembalo und Orgel werden mit Titus Engel, einem Spezialisten für Barock- und Zeitgenössische Musik, der erstmals das Frankfurter Opern- und Museumorchester dirigiert, vom Publikum gefeiert. Viel Beifall auch für den Darmstädter Konzertchor unter Wolfgang Seeliger.

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Im Vordergrund Elizabeth Reiter (Orasia)  und Maren Favela (Cephisa; rechts aus dem Bild rennend) sowie im Hintergrund der Konzertchor Darmstadt; Foto © Monika Rittershaus

Das Libretto unterscheidet sich vom gängigen Orpheus-Stoff, auch von dem, den der jüngere Zeitgenosse Christoph Willibald Gluck (1714-1787) in seiner späteren Oper „Orpheus und Eurydike“ vertonte.

Es gibt mehrere Sagen. Orpheus war der beste Sänger der griechischen Mythologie. Sein Gesang betörte Götter Menschen, Tiere und Pflanzen. Der Dichter Vergil erzählte, dass Gott Aristaios versuchte, Orpheus‘ Ehefrau Eurydike zu vergewaltigen. Sie floh und der Gott liess sie durch einen Schlangenbiss töten.

In Telemanns Libretto stehen drei Paare im Mittelpunkt: Orasia, die Königin von Thrakien, die den Sänger Orpheus liebt. Er flieht vor ihr, aber Orasia lässt nicht locker. Sie will ihn von Euridyke trennen, die aber beide ihre Liebe zueinander beschwören. Als es der Königin nicht gelingt, einen Keil zwischen das Paar zu treiben, tötet sie Euridyke durch einen Schlangenbiss. Orpheus‘ Freund Eurimedes liebt Cephisa, die ihn aber zurückweist, weil sie ihre Freiheit behalten will. Drei gescheiterte Liebesbeziehungen. Orpheus ist zur Selbsttötung bereit, wird jedoch vom Freund motiviert, in die Unterwelt zu steigen und Pluto zu bewegen, Euridyke wieder freizugeben. Es gelingt Orpheus durch seine Musik. Die Bedingung: er dürfe sich erst nach ihr umdrehen, wenn sie die Grenze der Unterwelt überschritten haben. Kurz vor dem Ziel dreht er sich jedoch um und verliert Euridyke für immer. Als er Orasia, die ihn am Höllenschlund erwartet, erneut abweist, hetzt sie zum Mord an Orpheus auf, folgt dem ermordeten in die Unterwelt und kämpft dort um ihre Liebe.

Mit Partystimmung lässt Regisseurin Florentine Klepper beginnen. Gastgeberin ist Orasia, leidenschaftlich, machtbesessenen, leidend, rasend, schroff und kalt, hinreissend realisiert durch Elizabeth Reiter, seit kurzem Ensemblemitglied. Noch während der Feier bedrängt sie Orpheus mit Liebesergüssen. Auf der Treppe sitzend, die von der Vorderbühne führt, flippt sie aus, bedrängt mit dem spitzen Schuhabsatz die sie beruhigen wollende Gefährtin Cephisa, gesungen vom schönen Sopran der Maren Favela. Orasia zerschmettert das Sektglas, in dessen Scherben Orpheus, nach dem Tod von Euriydike, nieder gleitet und versucht, sich das Leben zu nehmen. Das sind starke Momente.

Eurydike hatte, als sie und Orpheus sich das letzte Mal umarmten, die feinen Schuhe ausgezogen. Sie bleiben symbolisch stehen während der ganzen Aufführung. Sebastian Geyer als Orpheus gefällt durch differenzierte, barocke Gestaltung, mal zart, mal kraftvoll, die er in der Unterweltszene steigert. Beeindruckend.

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Sebastian Geyer; Foto: Renate Feyerbacher

Die junge Sopranistin Katharina Ruckgaber, Stipendiatin mehrerer Stiftungen, singt erstmals an der Frankfurter Oper. Ihre einfühlsam gesungene Eurydike besticht wie auch Julian Prégardien als Eurimedes. Dieser begnadete Tenor, der einige Jahre im Ensemble war, ist europaweit gefragt.

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Katharina Ruckgaber (Eurydike); Foto © Monika Rittershaus

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Vuyani Mlinde (Pluto; auf der Leiter stehend) und das Ensemble; Foto © Monika Rittershaus

Brilliant ist der Akt im Hades mit Pluto und seinem Diener Ascalax. Der südafrikanische Bassist Vuyani Mlinde alias Pluto, Ensemblemitglied, auch international unterwegs, singt die Rolle fulminant, hinreissend.

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Vuyani Mlinde; Foto: Renate Feyerbacher

Sein Diener wird von Countertenor Dmitry Egorov, der bereits als 1. Hexe in Dido und Aeneas begeisterte, spitz und klar umrissen gesungen. Auch sein teuflisches Spiel begeistert.

Alle Mitwirkenden geben ihr Rollendebüt.

Ideenreich sind Bühnenbild und Kostüme, die sich Adriane Westerbarkey hat eingefallen lassen, besonders in der Unterwelt-Szene. Die Spielstätte unterstützt sie dabei, nämlich das Bockenheimer Depot. Riesengross stellt sie Pluto auf eine Leiter. Ascalax, stachelig, das verkrüppelte Bein nach sich ziehend, ist ein bebrillter, sympathischer Unhold.

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Adriana Westerbarkey; Foto: Renate Feyerbacher

Man merkt, dass Regisseurin Florentine Klepper und Bühnenbildnerin Adriane Westerbarkey schon mehrfach zusammen gearbeitet haben. Künstlerische Übereinstimmung ist zu spüren.

Noch ein paar Sätze zu Georg Philipp Telemann. Er war schon als Schüler von der Musik begeistert. Er spielte verschiedene Instrumente, aber die Familie nahm sie ihm weg, damit er keine Musiker-Karriere einschlug. Heimlich ging es jedoch weiter, unterstützt von seinen Lehrern. In Leipzig studierte er Jura und gründete dort ein Orchester, das später Johann Sebastian Bach übernahm. Viele musikalische Stationen folgten und schliesslich kam er ab 1712 nach Frankfurt am Main, wo er neun Jahre lang Musikdirektor und Kapellmeister an zwei Kirchen, unter anderem der Katharinenkirche war. Schön, dass an diesen Komponisten nun in Frankfurt erinnert wird.

Alles in allem: eine faszinierende Produktion!

Weitere Vorstellungen am 29. und 31. Mai sowie am 1., 3., 6. und 8. Juni 2014, jeweils um 19.30 Uhr, im Bockenheimer Depot

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