goEast – 13. Festival des mittel- und osteuropäischen Films
„Jetzt schlägt’s 13!“
Die Rhein-Main-Region, eine Filmhochburg:
Konkurrenz für Berlin
Von Renate Feyerbacher
Preisverleihung mit Moderatorin Cécile Schortmann
Das war ein fulminantes Osteuropäisches Filmfest goEast 2013! Es wurde veranstaltet vom Deutschen Filminstitut, das am Frankfurter Mainufer zuhause ist, fand aber in Wiesbaden statt. In Frankfurt wurden allerdings die Wettbewerbsfilme gezeigt.
132 Filme aus 30 Ländern von Polen bis Kasachstan waren im Programm. Es gab acht Weltpremieren, sieben internationale und 21 Deutschlandpremieren. Über 10.000 Besucher interessierten sich für die Streifen. Am 16. April 2013 fand im bezaubernden Caligari Kino in Wiesbaden die feierliche Preisverleihung statt.
Zehn Spielfilme konkurrierten im Wettbewerb um einen der begehrten Preise, der begehrteste unter ihnen der ŠKODA-Filmpreis, die Goldene Lilie, dotiert mit 10.000 Euro.
Gewonnen hat ihn der Streifen „Die langen hellen Tage“ (ursprünglich „Blütezeit/In Bloom“, Georgien, Deutschland, Frankreich 2013) von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß. „Ein überzeugendes und originelles Porträt einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft, eine Coming-of-Age-Geschichte mit einer exzellenten Kameraführung, hervorragenden Gestaltungsmitteln und einer erstaunlichen Besetzung“, so begründete die Jury ihre Entscheidung.
Der eindrucksvolle Film spielt in Tiflis/Tbilisi Ende der 1990er Jahre, im postsowjetischen Alltag. Es ist die Geschichte von zwei Freundinnen am Ende der Kindheit, an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Natia ist selbstbewusst, Eka scheu. Grundverschieden im Wesen und in Figur.
Natia, aus proletarischer Familie, der Vater ein Säufer, Eka, aus gestörter Mittelschichtfamilie verbindet eine Freundschaft, die ihnen Schutzraum bietet.
Sieger des ŠKODA-Filmpreises: Grzeli Nateli Dgeebi / Die langen hellen Tage, Bildnachweis: Filmfestival goEast
Sie müssen sich gegen männliche Aggressionen wehren. Das tun sie unterschiedlich. Eka ist sehr besonnen, Natia teilt aus und spielt auch mit männlichen Gefühlen, was ihr schliesslich zum Verhängnis wird. Ein Verehrer schenkt Natia eine Pistole.
Die georgische Regisseurin Nana Ekvtimishvili, die an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg Drama und Drehbuch studierte und auch das Drehbuch schrieb, und der deutsche Regisseur Simon Groß erzählten im Kino des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt, dass sie die beiden Mädchen, die Vierzehn- und die Fünfzehnjährige, auf einem Schulhof beziehungsweise auf der Strasse sahen und ansprachen. Beeindruckend, wie das Regieduo sie geführt hat. Der Tanz von Eka bei Natias erzwungener Hochzeit begeistert. Diese Szene ist fantastisch. Aber es gibt noch weitere spannende, brisante, aber auch erzählende, ruhige Szenen, die das Leben im damaligen Tiflis schildern. Ein wunderbarer Film, der in alle Kinos kommen sollte.
Im Forum der Berlinale 2013 hatte der Film Premiere und gewann dort den Preis des Internationalen Verbandes der Art House Kinos.
Nana Ekvtimishvili und Simon Groß
Schon bei der Eröffnung des Festivals in Wiesbaden wurde der Kurzfilm „Waiting for Mum“ (2011) von Nana Ekvtimishvili gezeigt und begeistert aufgenommen. Er hatte mich zum Besuch ihres Wettbewerbfilms motiviert.
Sechs Dokumentarfilme wetteiferten um den Preis „Erinnerung und Zukunft“, ebenfalls mit 10.000 Euro dotiert. Ihn erhielt die russische Regisseurin Lyubov Arkus für „Anton ist hier“ (Russland 2012), die sechs Jahre lang den autistischen Anton mit der Kamera begleitete. „Der Film überzeugte die Jury durch seine Art, sich einem schwierigen Thema mit Menschlichkeit, Mitgefühl und Würde sowie einer visuell reichen Filmsprache zu nähern. Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) zeichnet mit dem Preis Filmschaffende aus, die sich kritisch und konstruktiv mit den gesellschaftlichen Entwicklungen in ihrem Land auseinandersetzen“, heisst es in der goEast-Pressemitteilung.
Wettbewerb Dokumentarfilm: Anton tut ryadom / Anton ist hier, Bildnachweis: Filmfestival goEast
Der Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie (7.500 Euro) wurde an „Kreise“ (Serbien, Deutschland, Kroatien, Slowenien, Frankreich 2012) von Srdan Golubovic verliehen. Er erinnert an eine traumatische, wahre Begebenheit.
Den Preis der internationalen Filmkritik (FIPRESCI) und den des Auswärtigen Amtes für „Künstlerische Originalität, die kulturelle Vielfalt schafft“ (4.000 Euro) erhielt „Die Himmelsbräute der Wiesen-Mari“ (Russland 2012) von Aleksey Fedorchenko.
Wettbewerb Spielfilm: Nebesnye zeny Lugovykh Mari / Die Himmelsbräute der Wiesen-Mari, Bildnachweis: Filmfestival goEast
Lobende Erwähnung sprach die goEast-Jury für „Verrat“ (Izmena, Russland 2012) des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov aus – ein Thriller über Verrat, Sex und Schuld. Ein rätselhafter Film der menschliche Abgründe durch eindrucksvolle Bilder visualisiert. Er ist ein Abbild frostiger Wirklichkeit des heutigen Russland.
Der studierte Physiker Serebrennikov, der bereits während des Studiums für das Fernsehen arbeitete, ist Gewinner mehrerer Filmpreise. Er engagierte die deutsche Schauspielerin Franziska Petri für die weibliche Hauptrolle. „Liebe beinhaltet auch Betrug“, sagte sie zum Geschehen des Films. Eine äusserst wandlungsfähige Darstellerin, deren menschliche Eiseskälte erstarren lässt, dann aber weich, verliebt, sinnlich, zart und traurig sein kann. Unglaublich prickelnd die Rasierszene. Sie habe kein Wort Russisch gekonnt, erzählt sie in Frankfurt, aber dann schnell gelernt.
Franziska Petri
Eine aparte Frau, die im Frankfurter Kino von 38 Drehtagen in Moskau mit einem 16 bis 20 Stunden-Tag erzählt. Am Ende sei sie völlig fertig gewesen und habe nicht mehr geschlafen. Aber die Wasserszene habe sie entspannt. Sie habe sich geehrt gefühlt, mit diesem ausgezeichneten Regisseur arbeiten zu können.
Die gebürtige Leipzigerin besuchte die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, spielte während des Studiums am Berliner Schillertheater und ab 1993 in verschiedenen Fernsehrollen sowie ab 1998 in mehreren Filmen. Beim Filmfestival Abu Dhabi 2012 wurde sie für die Rolle in Film „Verrat“ als Beste Schauspielerin ausgezeichnet.
Eine lobende Erwähnung erfuhr der Hauptdarsteller Dan Chiorean aus „Rocker“ (Rumänien, Frankreich, Deutschland 2012, Regie: Marian Crişan), den der Regisseur in Frankfurt vorstellte.
Wettbewerb Spielfilm: Rocker, Bildnachweis: Filmfestival goEast
Nicht der Sohn, der den Rocker, hier im Bild, auch ausgezeichnet darstellt, sondern der Vater wurde gelobt: Er hat das Lob verdient – wirklich eine grossartige Leistung.
Der rumänische Regisseur Marian Crişan erhielt bereits 2008 in Cannes die Goldene Palme Bester Kurzfilm für „Megatron“, und für sein Spielfilmdebüt „Morgen“ wurde er mehrfach ausgezeichnet: Unter anderem erhielt er den Spezialpreis der Jury beim 63. Locarno Filmfestival. Das Werk wurde sogar als Beitrag Rumäniens für den OSCAR eingereicht.
Marian Crişan
Die Robert Bosch-Stiftung für Internationale Zusammenarbeit förderte wieder drei Projekte in den Sparten Animation, Dokumentarfilm und Kurzspielfilm mit jeweils 70.000 Euro pro Sparte, die von Nachwuchs-Filmemacherinnen und Filmemachern realisiert wurden.
In der Kategorie Animation geht der Filmförderpreis für Internationale Zusammenarbeit an das georgisch-deutsche Filmvorhaben „Geno“ von Regisseur Dato Kiknavelidze und Produzentin Anne Kathrin Lewerenz.
Preisträger in der Kategorie Dokumentarfilm ist das georgisch-deutsche Projekt „The Station“ von Regisseur Salomé Jashi und Produzentin Urte Fink.
Den Preis in der Kategorie Kurzspielfilm erhält die geplante bosnisch-deutsch-kroatische Koproduktion „The Chicken“ von Regisseurin Una Gunjak, Produzentin Jelena Goldbach und Koproduzentin Ivana Simic. Die wirkungsvolle und emotionale Weise, mit der ein sehr sensibles Thema zu Papier gebracht wurde, hat die Jury bezaubert.
Der mit 1.500 Euro dotierte Förderpreis der BHF-Bank-Stiftung für den besten Beitrag einer osteuropäischen Hochschule erhielt Szörnycsapda / Monster Catch (Ungarn 2012) von Ágota Végső, Studentin der Moholy-Nagy Universität für Kunst und Design Budapest.
Im Hochschul-Wettbwerb gab es in drei Sparten einen Publikumspreis, der in der Kategorie Animations- und Experimentalfilm ebenfalls an die Hochschule Moholy-Nagy Universität für den Beitrag „Nyuszi és oz“ / Rabbit and Deer (Ungarn 2012 Regie: Péter Vácz) ging. Die beiden anderen Preise für Dokumentarfilm und für Kurzspielfilm erhielten zwei Regisseure der Hochschule für Film und Fernsehen München: Julian Krubasik für den Dokumentarbeitrag „Nataly“ (Deutschland 2011) und Christoph Schuler für den Kurzspielfilm „Gefallen/Fallen“ (Deutschland 2012).
Claudia Dillmann, Bence Fliegauf (Jury-Vorsitzender, ungarischer Regisseur, Drehbuchautor, Multitalent), Gaby Babic und Rose-Lore Scholz (Kulturdezernentin Wiesbaden)
Auch Feiern kam nicht zu kurz. So gab es ein spritziges Eröffnungs- und ein stimmungsvolles Abschlussfest, und alle, die sich akkreditiert hatten, konnten teilnehmen. Da gab es noch manch interessante Begegnung: zum Beispiel mit dem russischen Regisseur Mikhail Brashinsky, den ich ansprach, ohne zu wissen, wer er war. Er glänzte mit dem Highlight „Shopping Tour“ (Russland 2012), in dem zivilisierte Nordeuropäerinen und Nordeuropäer zu Kannibalen werden. Es ist eine Independent-Produktion, gedreht in zwölf Tagen mit minimalem Budget.
Mikhail Brashinsky
Am Abend der Preisverleihung stand ich mit Ada Solomon am Stehtisch – Jury Mitglied beim Filmförderpreis der Robert Bosch-Stiftung für Internationale Zusammenarbeit. Die Rumänin gründete mit Regisseur Calin Peter Netzer eine Produktionsfirma und schuf den Spielfilm „Pozitia Copilului“ / Child’s Pose (Regie Calin Peter Netzer, Rumänien 2012), der auf er Berlinale 2013 den Goldenen Bären gewann.
Ada Solomon
Ein beeindruckender Film, der diese Auszeichnung mit Recht verdiente. Er zeigt, wie eine Hand die andere wäscht in der rumänischen Oberschicht nach dem Sturz des Diktators Ceauşescu 1989. Auch ein zweites Thema wird beobachtet: die Generationenfrage.
Barbu, Sohn einer bekannten Architektin, hat bei einem riskanten Überholmanöver einen 14jährigen Jungen, einen Roma, überfahren und getötet. Durch Bestechung versucht die Mutter, dem Sohn die Gefängnisstrafe zu ersparen. Dieser Barbu ist ein Feigling, ohne Verantwortung, ein Muttersohn. „Eure Generation soll einfach verschwinden“, sagt er zur Mutter am Beginn des Films. Aber wird er lernen, Verantwortung zu übernehmen, oder wird er so bleiben – ein Mistkerl?
Luminita Gheorghiu als Mutter Cornelia wurde auch als Beste Schauspielerin in Berlin nominiert. Auch sie hätte den Preis verdient.
Gaby Babic und Moderatorin Cécile Schortmann
goEast-Festivalleiterin Gaby Babic war glücklich über das erfolgreiche Festival. Seit September 2010 leitet sie es. Sie studierte Theater-, Film und Medienwissenschaft, Germanistik und Politologie in Frankfurt am Main und Paris. Sie war zwei Jahre beim Goethe-Institut Sarajevo in der Kulturprogrammarbeit tätig, dann wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Konstanz im Projekt „Visuelle Kulturen in Serbien“, dann freiberufliche Filmkuratorin und Kulturmanagerin für diverse Filmfestivals und Kulturinstitutionen. Sie ist Mitglied des Kuratoren-Kollektivs „reel to real“, das Experimental- und Dokumentarfilmprogramme in Frankfurt zeigt.
Wie immer gab sie vielen jungen Talenten die Chance, ihre Filme zu zeigen. Es gab Symposien, Podiumsdiskussionen. Die Hommage galt Miklós Jancsó, einem der wichtigsten Vertreter der Neuen Welle im ungarischen Film. „Sie ist durchaus auch als Kommentar zur derzeitigen Situation in Ungarn zu verstehen“.
Bereits im Programm war auch der hochinteressante, problematische Berlinale – Wettbewerbsfilm „W Imie“ /Im Namen des … (Polen 2012, Regie Małgorzata Szumowska), für mich noch ein Kandidat für den Goldenen Bären. Er behandelt das heikle Thema schwule, katholische Priester. Die Hauptdarsteller waren sehr überzeugend.
Für Gaby Babic und ihre Mitorganisatoren war es immer wichtig, Hessisches mit Internationalem zu verbinden. Daher sind auch immer wieder junge Talente aus Hessen mit dabei.
In der Pressekonferenz hatte die Festivalleiterin resümiert: „Auf der Berlinale hat nun auch die breite Öffentlichkeit gemerkt, was schon seit geraumer Zeit in den Filmszenen der Länder Osteuropas im Gange ist. Für die Qualität und Vielfalt des Filmschaffens aus dieser Region ist der goEast-Wettbewerb nun schon im 13. Jahr ein zentrales Forum“.
Die Preisträger
2013, im 13. Jahr von „goEast“, schlägt ’s 13! Ein persönliches Fazit: Das Filmfestival goEast in Wiesbaden / Frankfurt ist zu einer ersthaften Konkurrenz der Berlinale geworden. Das Hypeevent ist allerdings ohne Glamour, sehr persönlich, was immer wieder begeistert. Man kommt den Filmschaffenden nahe.
Fotos, soweit nicht anders bezeichnet: Renate Feyerbacher
→ “goEast” 2014 – Festival des mittel-und osteuropäischen Films