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FeuilletonFrankfurt

Das Magazin für Kunst, Kultur & LebensArt

PETRA KAMMANN, HERAUSGEBERIN · www.feuilletonfrankfurt.de · GEGRÜNDET 2007 VON ERHARD METZ

Bhutan – ein noch ziemlich unbekanntes Land (Folge 1)

Bhutan

Text und Fotografien: © Ingrid Malhotra
Buchautorin und Fotografin

Bhutan ist ein sehr kleines Land.

Bhutan ist auch – noch – ein ziemlich unbekanntes Land.

Um ehrlich zu sein, ich bin da ganz egoistisch, wünsche ich mir, dass es noch sehr, sehr lange so bleiben möge.

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Es ist herrlich, in einer alten Tempelanlage herumzustrolchen, und niemand will mir etwas verkaufen. Ich kann mir in aller Ruhe jedes Detail anschauen, mit den Menschen sprechen, die dort leben und arbeiten. Es ist kein Problem, Fotos zu machen, auf denen nur Bhutan zu sehen ist – keine Deutschen, keine Amerikaner, keine Japaner.

Herrlich.

Ich würde das gerne irgendwann wiederholen, vielleicht mit etwas besserem Wetter.

Und weil noch so wenige Leute nach Bhutan reisen, ist der Kontakt zu den Einheimischen auch ganz besonders „normal“.

Aber am besten fange ich ganz am Anfang an. Vor der Einreise …

Die häufigsten Fragen, wenn ich erzählte, dass ich nach Bhutan reisen will, waren „Wo liegt denn das?“ und „Warum gerade dahin?“, gefolgt gelegentlich von Warnungen, dass es dort noch sehr primitiv und mittelalterlich zugehe.

Wo es liegt? Zwischen Indien und China, nicht weit von Nepal – ein saftiger Knochen, den sich die beiden grossen Kampfhunde gar zu gerne einverleiben möchten, aber Bhutan hält sich tapfer.

Bhutan ist lang und schmal, kaum für moderne Fortbewegungsmittel erschlossen, und die Höhenunterschiede sind immens: im Süden an der indischen Grenze kaum über Meereshöhe; und im Norden hat der höchste Berg 7.553 Meter. Von Indien aus steigen die Vorberge des Himalaya wie eine Wand auf 2000 bis 3000 m Höhe an – hier leben die meisten Menschen und treiben Ackerbau und Viehzucht in weiten Hochtälern. Kartoffeln, Buchweizen, Spargel, Äpfel – alles ganz vertraute Produkte. Dazu findet man noch so manche uralte Getreidesorte, die bei uns keiner mehr kennt.

Die Klimaunterschiede entsprechen den Höhenunterschieden – für eine Reise nach Bhutan muss man auf alles vorbereitet sein – vom ärmellosen T-Shirt bis zur Daunenjacke darf nichts fehlen.

Es hiess, dass hier die alten Traditionen nicht wegen des Tourismus gepflegt werden, sondern weil sie den Menschen etwas bedeuten. Es hiess, dass nur eine begrenzte Anzahl von Touristen jedes Jahr einreisen darf, damit dem Land die üblichen, hässlichen Begleiterscheinungen des Tourismus erspart bleiben. Das klingt doch irgendwie reizvoll, nicht wahr?

Also, schaute ich mir die Landkarte an, las ein paar Bücher und stellte dann die Reise ungefähr so zusammen, wie ich sie mir vorstellte.

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Da es nun ganz so aussah, als ob man nicht einfach hinfliegen und herumfahren könne (was heisst hier „herumfahren“? im Wesentlichen gibt es nur eine Strasse, und ob die den Namen verdient?) und ausserdem die

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Kenntnisse aus Büchern mitunter etwas mangelhaft sind, habe ich meinen Plan einem erfahrenen Reiseveranstalter in Bangkok geschickt, den ich von früheren Reisen her kannte, und ihn gebeten, mir die Reise zu organisieren. (Leider habe ich den Kontakt inzwischen verloren, was ich überaus bedauere.)

Nun gingen viele Mails hin und her – es war wohl gut, das einem Menschen zu überlassen, der sich damit auskannte, insbesondere, da ich anschliessend noch nach Darjeeling und Kathmandu wollte. Er machte Vorschläge, ich akzeptierte sie – meistens. Wichtig war der Zeitpunkt der Reise: Ich wollte ausserhalb der Regenzeit unterwegs sein (Sie ahnen es schon, in dem Jahr dauerte die Regenzeit länger!), und ich wollte die Maskentänze sehen. Schliesslich war alles vorbereitet, ich musste nur noch die Flüge von und nach Frankfurt buchen, dann konnte es schon losgehen.

Da ich mir ausgerechnet hatte, dass das Reisen in Bhutan vielleicht ein wenig anstrengend sein könnte, und da mein Reiseveranstalter in Bangkok sitzt, bin ich zunächst einmal nach Bangkok geflogen, um meine Unterlagen abzuholen und ein wenig in der Stadt herumzustromern. Bangkok ist faszinierend, und in meinem Hotel gelte ich mittlerweile als so eine Art Stammgast und bekomme immer ein Eckzimmer mit Balkon ganz weit oben mit einem herrlichen Blick über den Chao Phraya.

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Eigentlich wäre ich am liebsten dort geblieben. So herrlich faul zu sein, verwöhnt zu werden …

So ein Hotel ist ja schon ein kleiner Minikosmos, in dem man immer wieder neue, aufregende Entdeckungen macht.

Aber ich hatte gerade eine Menge Geld für die Reise nach Bhutan bezahlt – die Behörden dort verlangen nicht nur, dass man die Reise über einen Reiseveranstalter bucht, sondern auch, dass man etwas über 200 US-Dollar pro Tag Mindestsumme vorausbezahlt. Das klang natürlich nach sehr viel, aber wie sich später herausstellte, waren damit auch alle Kosten im Lande abgedeckt – bis auf die unvermeidlichen Einkäufe, die man sich dann zuhause meist nicht mehr so recht erklären kann.

Also ging es zum neuen Flughafen in Bangkok – der alte war ja schon gewaltig, aber der neue – Megalomanie vom Feinsten!

Ein wenig misstrauisch war ich, denn um nach Bhutan zu kommen, musste ich mit einer Fluggesellschaft starten, von der ich nie zuvor gehört hatte, der Druk Air, der staatlichen Fluggesellschaft Bhutans. Andere dürfen dort nicht hinfliegen.

Und man kennt ja diese kleinen asiatischen Fluggesellschaften … Ich wusste nicht so recht, wie ich das mit meiner ewigen Flugangst unter einen Hut bringen sollte. Aber alle Sorgen stellten sich wieder einmal als völlig unbegründet heraus: Druk Air ist nicht nur klein, sondern auch fein.

Das Flugzeug war brandneu, so sauber und gepflegt, dass man gar nicht auf die Idee kam, nach Roststellen, losen Schrauben oder sonst etwas Verdächtigem an den Tragflächen zu suchen – also, ich weiss nicht, irgendwie sehr unasiatisch. Das war jetzt sicher politisch nicht korrekt, aber spätestens seit der sicher schon mehrmals anderswo ausgemusterten 707 von Bombay nach Aurangabad – der mit den geflochtenen Sitzen und ohne Gepäckablagen – bin ich etwas empfindlich geworden. Und dazu hatte ich noch das grosse Glück, neben einem Mitarbeiter einer internationalen Organisation (ich glaube, es war der IWF) zu sitzen, der oft nach Bhutan flog und mir viele wertvolle Tipps gab.

Ohne diesen Sitznachbarn hätte ich wahrscheinlich so manches gar nicht als Besonderes wahrgenommen, was tatsächlich sehr besonders war. Er warnte mich auch vor der Landung auf dem einzigen internationalen Flugplatz Bhutans im Paro-Tal, da der Landeanflug durch einen engen Taleinschnitt erfolge.

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Naja, auch da hatte ich Glück und sass auf der Seite, wo der Berg sanfter anstieg und dadurch weiter entfernt wirkte.

Aber schon vor der Landung fiel mir auf, wie gepflegt alles wirkte – grosse Häuser mit viel Holz, wie es schien.

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Von oben betrachtet, hätten die genauso gut in der Schweiz stehen können. Gut, später stellte sich heraus, dass zumindest das Dekor etwas unschweizerisch war.

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Man legt halt grossen Wert auf Fruchtbarkeit, denn es gibt so wenig Bhutanesen, nur circa 630.000 oder 640.000, manche sagen auch etwas über 700.000. Immerhin ist das Land etwa so gross wie die Schweiz, wenn auch lang und schmal. Und diese wenigen Bhutanesen leben grösstenteils auch noch weit auseinander in diesem winzigen Land. Die allermeisten leben irgendwo in einem Haus inmitten ihrer Felder und Weiden und müssen lange Fussmärsche zurücklegen, wenn sie in eine der wenigen Städte wollen. Und das wollen sie mindestens einmal im Jahr, wenn die grossen Tanzveranstaltungen stattfinden.

Tja, und dann kam die Landung und die damit verbundene Erleichterung. Passkontrolle, Gepäck, alles ging schnell und einfach vonstatten. Und dann stand draussen ein junger Mann, eigentlich eher noch ein Junge, mit einem Pappschild, auf dem mein Name stand. Dieser Junge war äusserst merkwürdig angezogen: Ein schwarzes, ja, wie soll ich sagen, Kleid, das sich gewaltig über einem eng zugezogenen Gürtel bauschte, schwarze Kniestrümpfe und die elegantesten schwarzen Lackschuhe, die ich je gesehen habe.

Natürlich hatte ich gelesen, dass die Regierung von den Bürgern verlangt, ihre Nationaltracht zu tragen, aber ich hatte ja keine Ahnung, wie die aussieht. Also irgendwie, doch, sehr elegant. Nicht direkt praktisch in einem Hochgebirgsland, wo sich das Leben überwiegend in Lagen weit über 3000 Metern und in unwegsamem Gelände abspielt, aber deutlich schicker als Lederhosen. Dass es auch anders geht, sah ich dann am Fahrer, bei dem alles wie kariert war.

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Das Auto passte irgendwie zur Tracht: Ich hatte einen geländegängigen Jeep erwartet, stattdessen stand da eine etwas ältere Limousine, ebenfalls asiatischer Provenienz, von der Sorte, bei der man schon beim Hingucken seekrank wird. Und das im Hochgebirge …

Nun, man wird sehen. Die beiden Jungs stellen sich vor, sind schwer verständlich, aber ich werde ja genug Zeit haben, mich an den Akzent zu gewöhnen, und los geht’s. Nach Thimphu, der Hauptstadt.

Die Strecke ist nicht lang. Laut meinen Büchern soll die Fahrt etwa eine Stunde dauern. Was die Autoren offenbar nicht wussten, ist, dass die Strasse in erster Linie aus Baustellen besteht. Und diese Baustellen sind nicht ampelgeregelt – dafür sind sie auch viel zu lang! -, sondern man darf zwei Stunden in die eine Richtung fahren und dann zwei Stunden in die andere. Und dann kommt ein Regierungsmitglied, der Kronprinz (der inzwischen König ist und wahrscheinlich immer noch ganz unbekümmert mit seinem Jeep durch die Gegend kurvt) oder eine Delegation aus einem anderen Land. Und für die gelten diese Regelungen nicht. Also, es zog sich etwas hin, bis wir in Thimphu ankamen.

Inzwischen war es Spätnachmittag. Die Zeit reichte nur noch für einen kurzen Spaziergang. Man zeigte mir den „dansing policeman“ – das war der Verkehrspolizist, der an einem Ende der Hauptstrasse in seinem kleinen Unterstand jedes Mal in frenetische Aktivität ausbrach, wenn ein Auto kam. Das geschah nicht oft, aber es war jedes Mal äusserst sehenswert.

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Und die Bhutanesen schienen sehr stolz auf ihn zu sein. Ich hatte auch noch Gelegenheit, die im Hotel in Bangkok vergessene Zahnbürste zu ersetzen und ein paar Schaufenster anzusehen.

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Dann war es Zeit, ins Hotel zu gehen, das nicht sonderlich komfortabel war, aber einen sehr schönen Blick über die Stadt bot.

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Das Abendessen war zu meinem grossen Leidwesen gar nicht schlecht – ich hatte ja gehofft, dort abzunehmen, was dringend erforderlich gewesen wäre (ist es immer noch!) und was mir in Burma oder Kambodscha immer gut gelingt. Aber nein – das Essen schmeckte richtig lecker.

Nun, am nächsten Tag beginnt das grosse Abenteuer. Das können Sie dann demnächst nachlesen unter „Unterwegs in Bhutan“.

(Folge 2)

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